11. Dezember 2014

Warnwesten nützen nichts

In der dunklen Jahreszeit sehe ich etwa einen von zwanzig Radlern ohne Licht fahren. Sie machen sich offenbar nicht klar, dass man sie ohne Licht praktisch nicht sieht. 

Übrigens werden sie auch von anderen Radlern nicht rechtzeitig gesehen!  Die Flucht auf den Gehweg ist auch keine Alternative. Es ist verboten und Radler ohne Licht werden auch von Fußgängern nicht gesehen. Also Licht an! Und zwar sofort.

Aber wird man mit einer Warnweste wirklich besser gesehen?

In Großbritannien beantwortet man die Frage inzwischen mit "Nein." Warnwesten haben die Unfälle nicht reduziert, denn der Autofahrer sieht nur, was er sehen will.
Eine US-Studie sagt, dass die Kleidung des Radlers keinen Einfluss auf das Risiko hat, in eine brenzlige Situation zu geraten. Auch wenn ein Radler eine Warnweste trägt oder wie ein Weihnachtsbaum blinkt, es hält eine bestimmte Minderheit (1-2 Prozent) von Autofahrern nicht davon ab, sie viel zu knapp zu überholen oder ihnen die Vorfahrt zu nehmen. Eine englische Studie hat außerdem festgestellt,

dass Frauen ohne Helm und in nicht sportlicher Kleidung mit größerem Abstand überholt werden als Männer mit Helm. Der Helm erhöht das Risiko, von Autos riskant überholt zu werden oder in riskante Situationen zu geraten. 

Und schauen wir jetzt auch mal bei uns genau hin. Ich fahre im Winter natürlicherweise viel bei Dunkelheit. Immer wieder kommen mir auch Radler mit Warnwesten entgegen oder ich fahre hinter einem her. Und ich staune immer wieder, wie wenig so eine Warnweste tatsächlich bringt. Die Reflektoren werden, da ein Radler gebeugt sitzt, oft nicht im richtigen Winkel angestrahlt. Trägt der Radler noch einen Rucksack darüber, so ist der Effekt ebenfalls zunichte gemacht. Von vorn gesehen verdeckt der Radler die Weste und seine Reflektoren meist mit den Armen. Gelbe Warnwesten sind eigentlich nur tagsüber wirklich auffällig (und da sieht man den Radler ja eh) und vielleicht nachts auf einer Landstraße. Im allgemeinen Lichtgeglitzer des nächtlichen Stadtverkehrs gehen sie eher unter.

Und doch taucht regelmäßig im Herbst die Frage auf, ob Radler gelbe Warnwesten mit reflektierenden Streifen tragen sollten. Politiker fordern dann auch gern, sie zur Pflicht zu machen. Ich habe mir schon heftige Streitereien mit Autofahrer/innen geliefert, die Warnwesten als eine Art Erlösung betrachten. Wovon? Ja, davon, als Autofahrer die ganze Verantwortung dafür zu haben, dass sie einem Radfahrer die Vorfahrt genommen haben und es zu einem Unfall kam.

Klar haben Autofahrer/innen Angst, einen Radler zu übersehen und umzunieten. Verstehe ich gut. Aber man kann auch ein bisschen langsamer tun beim Abbiegen. Man kann mit Radfahrern rechnen. In München, Tübingen oder Hamburg klappt das ja schon ganz gut. Hier merkt man deutlich: Der beste Schutz für Radfahrer sind viele Radfahrer.

Mal ganz abgesehen davon, ob Warnwesten Autofahrer wirklich auf Abstand halten, so stellt sich schon die Frage, ob eine Gesellschaft ihre Energie darein setzen sollte, dass sich die schwachen Verkehrsteilnehmer vor Straßenpanzern schützen. Oder ob man nicht eigentlich die gesetzgeberische Energie und die Erfindungskraft darein setzen sollte, dass die für Fußgänger und Radfahrer offensichtlich doch als gefährlich eingeschätzten Autos und Autofahrer Vorsichtsmaßnahmen treffen: beispielsweise mit einem Außen-Airbag für den Aufschlag auf die Windschutzscheibe oder durch besonnenes und rücksichtsvolles Fahren.

Wir geraten sonst in die absurde Situation zu erwarten, dass sich Fußgänger und Radfahrer mit Helmen und Warnkleidung immer weiter aufrüsten, nur damit der Autoverkehr sich davor sicher fühlt, bei einem Fahrfehler einen Fußgänger oder Radfahrer umzufahren. Dabei gilt doch in unserer Gesellschaft eigentlich der Grundsatz: Der Stärkere achtet auf den Schwächeren.

Was man  übrigens nachts wirklich sieht, sind die Rückstrahler der Pedale oder reflektierende Felgen. Ich habe mein Rad außerdem mit Seitenreflektoren beklebt. Und was man am besten sieht, ist ein großes und helles LED-Vorderlicht (diese kleinen Blinzler an Helm oder Lenker sieht man hingegen fast gar nicht) und ein großes Rücklicht in einer roten Reflektorenfläche. Und helle Kleidung ist besser als dunkle.

xnes.eu behauptet übrigens, im Bundesverkehrsministerium seien die Pläne sehr konkret, für eine Helmpflicht und eine Warnwestenpflicht Anfang kommenden Jahres. So wie der Artikel geschrieben ist (Ausnahmeregelung für Hochsteckfrisuren) klingt es allerdings wie Satire.


18 Kommentare:

  1. Das mit der Gesetzesvorlage sind vielleicht schon Vorbereitungen auf den 1.4. wie damals mit dem Email Porto...

    AntwortenLöschen
  2. In diesem Artikel der Rhein-Neckar-Zeitung vom 22.11.2014, der auch sonst gut zum Thema passt, heißt es,

    "Das Bundesverkehrsministerium hat angekündigt, verstärkt fürs Helmaufsetzen zu werben. Pläne für eine gesetzliche Helmpflicht wurden gerade verworfen."

    http://www.rnz.de/rnzmagazin/00_20141122060000_110790268-Bunte-Lebensretter-fuer-Fahrradfahrer.html

    AntwortenLöschen
  3. Ich will gar nicht ausschließen, dass Warnwesten ihren Zweck erfüllen, denke aber auch dass die Wirkung massiv überschätzt wird.
    Was mich immer wieder irritiert sind Radfahrer, die zwar eine Warnweste und Helm tragen und sich daher ganz offensichtlich um ihre Sicherheit sorgen, gleichzeitig aber vollkommen unsicher fahren. Da wird mit 10cm Abstand zu parkenden Autos anstatt mittig auf dem Fahrstreifen gefahren, der Bürgersteig wird statt dem gut ausgebauten Radweg genutzt und linksseitig wird natürlich auch gefahren.
    Das zeigt mir immer wieder, dass der Mensch extrem schlecht darin ist Risiken auch nur annähernd korrekt einzuschätzen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Oft ist es ja so, dass Schutzausrüstung leichtfertig macht, sowohl die Radler selber wie auch die Autofahrer, die sie überholen. Eine vorausschauende und gefahrenbewusste Fahrweise schützt den Radler vermutlich mehr als Helm und Schutzweste. Und es mag sein, dass sich unsichere Radler mit Schutzausrüstung halt sicherer fühlen, obwohl sie es gar nicht sind.

      Löschen
  4. Mein Favorit in der alltäglichen Beobachtung ist immer noch die Variante Warnweste / kein Licht.

    Als weiteren Tipp schmeiße ich einfach mal Reflektorfolien in die Runde. Die gibt es beispielsweise auch in schwarz. Sie kann ohne den Look des Rades zu verändern aufgebracht werden, etwa an der Sattelstütze oder den Schutzblechen, und erhöht die Sichtbarkeit merklich. Auch gibt es Reflektorfolie zum Aufbügeln, mit der mal etwa Laschen von Rucksäcken, Panniers oder Gürteltaschen unauffällig pimpen kann. Beide Artikel gibt es bei Ebay zu Pfennigpreisen.

    Wer allerdings wie ein Weihnachtsbaum behängt durch die Straßen fährt, der erweist der Radbewegung einen Bärendienst: Er signalisiert, dass er sich in Gefahr befindet. Und wenig hält Menschen so sehr von Radfahren ab, wie das Das empfinde ich auch mit Blick auf das Helmtragen als ein Kernargument. Und nicht zufällig sind es immer wieder konservative Regierungen, die Kampagnen zum Helmtragen lancieren. Wenig wirkte effektiver gegen mehr Radverkehr als das Signal, dieser sei selbstgefärdend. Hierzu sei auch der schöne Ted-Beitrage von Mikael Colville-Andersen empfohlen:

    https://www.youtube.com/watch?v=07o-TASvIxY

    Das wichtigste Element allerdings ist -und das kann ich nicht oft genug betonen- die eigene Fahrweise. Nach außen offensiv, nach innen defensiv. Selbstbewusst mit Blick auf die nötigen Abstände nach rechts. Auch von Zeit zu Zeit mal in Auto zu steigen um dann einschätzen zu können, wie erschreckend wenig man aus diesen heraus sieht und vom Umfeld mitbekommt, ist lehrreich. Wenn man das dann mit einer Prise Mindestaufmerksamkeit garniert, dann wird das Radfahren zu einer der sichersten Arten, seine Zeit zu verbringen. Auch in Städten.

    Nachtrag: Wie Du es schon in dem Artikel tust, würde ich der Warnweste tatsächlich einen sinnvollen Einsatzzweck zubilligen: Bei Radreisen, insbesondere im weniger fahrradgewöhnten Ausland, lassen sich lange Überlandstraßen mit viel teils schwerem KFZ - Verkehr oft nicht vermeiden. Hier würde ich jedem eine Warnweste (und einen Außenspiegel) empfehlen.

    AntwortenLöschen
  5. " Man kann mit Radfahrern rechnen. In München, Tübingen oder Hamburg klappt das ja schon ganz gut."
    ÄÄÄh, bitte was?
    Das wär mir neu, dass so etwas in Hamburg klappt. Ich muss jeden Tag mehrere Vollbremsungen bei Rechtsabbiegern hinlegen. Tagsüber und bei Dunkelheit, obwohl ich leuchte wie ein Weihnachtsbaum (3 Rücklichter und "illegale" Speichen-LEDs)

    AntwortenLöschen
  6. Ich finde, Warnwesten auf dem Fahrrad sind nichts anders als Optisches Vordrängeln.
    Bestenfalls noch das Eingeständnis mit dem Straßenverkehr so überfordert zu sein, dass man besonderen Schutz und Aufmerksamkeit braucht.

    AntwortenLöschen
  7. Dass dunkel gekleidete Wesen schlechter zu sehen sind ist ja klar. Aber selbst wenn man sich in der grellsten Farbe kleidet nützt es nix wenn man hinter den Fensterrahmen der Blechdosen verschwindet oder einfach ignoriert wird.

    AntwortenLöschen
  8. Ich halte die Warnwesten ebenfalls für überbewertet. Alles in allem wieder mal ein toller Beitrag, aber dass in unserer Gesellschaft der Grundsatz "der Stärkere achtet auf den Schwächeren" gilt wäre mir neu, es gilt doch eher das Prinzip "der Stärkere schreibt dem Schwächeren vor was er zu tun und zu lassen hat" bzw. jeder ist nur noch auf seinen Vorteil bedacht. Radfahrer und Fußgänger haben eben nicht so eine starke Lobby wie die Automobilindustrie, darum wird auch eher darauf gepocht Helm- und Sicherheitswesten für Radfahrer vorzuschreiben als eben entsprechende neue Sicherheitseinrichtungen für Automobile, die mit viel Investitions- und Entwicklungsaufwand verbunden sind aber den Insassen direkt keinen Mehrwert bringen. Und warum sollte derjenige, der ein Auto kauft, an mehr interessiert sein als seine eigene Sicherheit?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wir verhalten uns oft so, wie du das beschreibst. Aber zu unseren gesellschaftlichen Werten gehört dennoch, dass wir die Schwächeren respektieren und schützen. Wir müssen uns nur immer wieder daran erinnern.

      Löschen
  9. Den Grundsatz: der Stärkere achtet auf den Schwächeren möchte ich unterstreichen!
    LKW vor Auto vor Radfahren vor Fußgänger vor Kindern!
    Das bedeutete mehr Verantwortung und Rücksicht - gilt für alle!

    AntwortenLöschen
  10. Ich befürchte in meiner Wahrnehmung ist die Situation etwas komplizierter als oben dargestellt. Die Warnweste als solche rettet wenig. Wer falsch fährt, oder mit Weste aber ohne Licht unterwegs ist hat keinen Nutzen. Noch gemeiner: Die Warnweste nützt nur dann, wenn sie angestrahlt wird. Wenn ich knapp neben einem Auto an der Ampel stehe, mein Licht aber abgedeckt ist (zum Beispiel durch die Karosserie), dann sieht mich der Fahrer im Spiegel nicht besser als ohne Weste.
    Gleichzeitig funktionieren die Dinger aber (wenn beleuchtet) gut. Das hilft nicht nur im fließenden Verkehr – wer auf einem unbeleuchteten Radweg neben seinem Fahrrad kniet um einen Reifen zu wechseln ist damit für andere Radler plötzlich sichtbarer. Zumindest aus größerer Entfernung. Den dunklen Schemen einer „normal“ bekleideten Person sehe ich freilich auf die gleiche Distanz, aber das „Dings“ als eine Person einzuordnen (statt Mülltüte, Wildschwein oder sonst was) geht mit regelmäßigem Muster leichter.
    Ich würde ebenso gerne argumentieren, dass ich es den meisten Autofahrern einfacher mache mich zu sehen. Klar (sagt die zitierte Studie) überholen mich dann die üblichen Verdächtigen genauso knapp oder knapper – allgemein mache ich es den anderen Verkehrsteilnehmern aber zunächst schlicht leichter. Und das ist durchaus ein begrüßenswertes Ziel (ohne jetzt auf §1 herumreiten zu müssen).
    Ähnlich wie bei der unsäglichen Helmdiskussion scheint aber die politische Regelungsrichtung etwas… doof. Warum Warnwesten vorschreiben, statt einfach grundsätzlich an allen Jacken eingearbeitete Reflexelemente zu fordern. Diese erfüllen ja den gleichen Zweck, wären dann an der je nach Sportart richtigen Stelle und „schmerzen“ nicht so sehr wie eine zusätzlich getragene Weste. Und dunkle Fußgänger auf dem Radweg wären dann auch besser zu erkennen…

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. "wer auf einem unbeleuchteten Radweg neben seinem Fahrrad kniet um einen Reifen zu wechseln ist damit für andere Radler plötzlich sichtbarer."

      -> Wer bitte wechselt auf einem unbeleuchteten Radweg seinen Reifen? Das ist ja grob fahrlässig! OK, ich stelle mir vor: außerorts, Feld-/Radweg und weit und breit keine Möglichkeit, einen sichereren Arbeitsplatz zur Durchführung der Maßnahme finden. Dann stelle ich mich zum Reifenwechseln aber bitteschön maximal an den Rand des Weges, sodass die Wahrscheinlichkeit, von einem anderen Radfahrer überfahren zu werden (auch ohne Warnweste) auf ein Minimum reduziert wird. Und sofern links und rechts des Weges keine Schlucht ist, stelle ich mich so hin, dass ich abseits des Weges stehe/knie.

      Nebenbei: durch die inflationäre Verwendung von Warnwesten geht über kurz oder lang die originäre Funktion ihrer selbst verloren - vor allem das Warnen vor einer (stehenden) Person, die auf Hilfe wartet oder sich oder anderen hilft.

      Löschen
  11. Ums Sehen und Gesehen werden werden ging es auch hier:

    "In der Zeit vom 24. - 28.11.2014 wurde in der PD Kiel die diesjährige Fahrradkontrollwoche durchgeführt. Wie jedes Jahr - in der dunklen Jahreszeit - stand auch diesmal der wichtigste Grundsatz im Straßenverkehr - "Sehen und gesehen werden" im Fokus.

    Rund 200 Beamte kontrollierten 3425 Radfahrer. Dabei wurden 554 Fahrräder beanstandet.."

    Zitatquelle: http://www.shz.de/nachrichten/polizeiticker/kiel-kreis-ploen-ergebnisse-der-fahrradkontrollwoche-der-polizeidirektion-kiel-id8317891.html

    AntwortenLöschen
  12. Warnwesten nützen dem Radler nichts. Im Gegensatz zum fälschlich gehypten Mittigfahren schaden sie ihm aber immerhin auch nicht.

    Gegen sie ins Feld führen kann man, dass über kurz oder lang argumentiert werden wird: Der/die hatte selbst schuld, dass ich ihn/sie überfahren habe. Keine Warnweste angehabt.

    Meine Meinung: Wenn die Dinger subjektive Sicherheit generieren und so auf's Rad helfen, warum nicht. Ich sehe Verkehrsteilnehmer lieber mit Weste auf dem Rad als ohne Weste im Auto .

    AntwortenLöschen
  13. "Die Reflektoren werden, da ein Radler gebeugt sitzt, oft nicht im richtigen Winkel angestrahlt." Das stimmt so nicht. Denn genau das schaffen die Reflektoren, da sie das einfallende Licht im gleichen Winkel zurück werfen. Ausnahme ist nur, das der Winkel zur reflektierenden Fläche sehr klein wird.
    Siehe hierzu: https://de.wikipedia.org/wiki/Retroreflektor

    AntwortenLöschen