23. Oktober 2024

Nein, nicht der Radweg ist das Problem

In Berlin gibt es einen absurden Streit um einen Radfahrstreifen. Weil die Feuerwehr mit der Drehleiter nicht mehr an die Wohnungen im siebten Stock kommt, sollen die Mieter:innen ausziehen. 

Zur Debatte steht ein Radfahrstreifen in der Kantstraße in Berlin-Charlottenburg. "Ich habe ja nichts gegen Radfahrer", sagte die Moderatorin beim Abmoderieren eines Fernsehberichts, "aber dass wegen ihnen Mieter ihre Wohnung verlieren ..." Aber wieso eigentlich? Mir scheint die Lösung einfacher, und ich finde es eigenartig, dass die nicht diskutiert wird. Denn auf der Fahrbahn befindet sich rechts am Bordstein nicht nur dieser in Corona-Zeiten hingelegte Radfahrstreifen (in den Pressetexten Radweg genannt), sondern links daneben noch ein Streifen, auf dem Autos stehen. Ganz links befindet sich die Fahrbahn. Und von dort aus käme die Feuerwehr im Brandfall in der Tat nicht mehr an die oberen Stockwerke, um Leute zu retten. Der Radstreifen wiederum ist zu schmal, um mit der Feuerwehr reinzufahren. 

Das Problem wäre einfach lösbar - und zwar sofort -, wenn man die Autostellplätze aufheben würde.

Aber die werden komischerweise werden in den Berichten nicht erwähnt. Alle Meldungen, die ich gesehen habe, gehen auf eine dpa-Meldung zurück, weshalb sie alle ähnlich sind. In allen scheint die Autostellplatzreihe so unantastbar und unverrückbar zu sein wie die Häuser. Zur Disposition gestellt wird nur der Radweg. In einem Bericht des Tagesspiegel von 2021 standen noch die geparkten Autos der Feuerwehr im Weg. In dem Bericht der Berliner Zeitung vom Oktober dieses Jahres ist es nur noch der Radweg. Es ist im Titel nicht von "Parkplatz-Irrsin" die Rede sondern von "Radweg-Irrsinn", und so ähnlich ist der Fokus in anderen Berichten, darunter dem Spiegel. Die dort in Reihe geparkten Autos sind völlig unsichtbar geworden, sichtbar ist nur der Radstreifen.  Denn, den Radverkehr problematisieren geht immer gut, unseren Parkplatzwahn anprangern dagegen nicht. 

Um den Parkplatzstreifen aus der Diskussion herauszuhalten, wird eine kleiner sprachlicher Trick angewendet: In den Berichten lese ich immer auch die Wortpaarung "sicherer Radweg" (so auch in der Tagesschau, ebenfalls auf der dpa-Meldung beruhend). Das Adjektiv "sicherer" scheint das Nachdenken über die Wegnahme der Parkplätze wunderbar überflüssig zu machen, denn Radfahrende sollen ja sicher unterwegs sein. Unsicher wäre demzufolge der Radstreifen, wenn die Autos rechts stünden und der Radstreifen links davon verliefe. Stimmt schon, denn dann könnten ihn Autofahrende illegal benutzen und Radfahrende gefährden, außerdem gefährden ein- und ausparkende Autofahrende den Radverkehr. Allerdings ist dieser Radstreifen in der Kantstraße nur auf einigen Abschnitten ein durch links parkende Autos geschützter, ansonsten verläuft er neben der Autofahrspur, ungeschützt.

Das Sicherheits-Menetekel hat wohl auch mit der Verkehrsgewalt in Berlin zu tun, wie die taz im März erörterte. Einzelne Autofahrende töten Menschen zu Fuß oder auf Rädern, weil sie über Radfahrstreifen rasen, um schneller über eine Kreuzung zu kommen. Ein gesicherter Radweg könnte Abhilfe schaffen, so auch hier: Nach Wegnahme der Parkplätze schützt man den Radstreifen durch Poller oder andere Begrenzungselemente, die entweder von der Feuerwehr leicht überwunden werden können, oder den Radstreifen/Radweg so verbreitern, dass die Feuerwehr ihn mit ihren Fahrzeugen befahren kann. 

Das will man aber anscheinend nicht. Der Berliner Senat ist ja nicht mehr radfreundlich, weshalb man nun - wie die taz im September schreibt - missmutig über "Umplanungen" diskutiert, die die in Corona-Zeiten angelegen teils durch Poller geschützten Pop-up-Radstreifen notwendig machten, so auch in der Kantstraße. 

Jedenfalls hat der CDU-Bezirksstadtrat von Charlottenburg die Debatte über den ungeliebten "Radweg" befeuert, indem er ankündigte, dass er für die betroffenen rund hundert Wohneinheiten im November eine Nutzungsuntersagung aussprechen werde. Was nicht bedeutet, dass die Leute, die da wohnen, gleich ausziehen müssen, aber es beginnen damit langwierige Rechtsverfahren, und stressige Zeiten für die Anwohner:innen. 

Und das nur, weil auf einmal alle unfähig geworden zu sein scheinen, zu sehen und zu denken, dass man in diesem Bereich die Autoabstellplätze auf der Straße wegnehmen könnte. Ich frage mich wieder einmal, warum die Medien so blind dem von einer Nachrichtenagentur (und der Politik) gesetzten Framing (der Radverkehr stört und ist gefährlich) folgen, statt selber hinzugucken und sich über die Blindheit der agierenden Lokalpolitiker:innen zu mokieren. Und wenn die Sachlage komplexer ist, als ich sie von hier aus beurteilen kann, dann mögen die Medien doch bitte so freundlich sein, mir zu erklären, warum die Parkplätze hier nicht infrage gestellt werden. 

Nachtrag: 25. Oktober: Eine Lösung ist gefunden. Radweg und Radfahrstreifen werden getauscht, melden diverse Zeitungen, darunter die Berliner Morgenpost. Und nun fängt man an, über alle so wie in der Kantstraße organisierten Radstreifen zu diskutieren. 



18 Kommentare:

  1. Aaaaaber, wo sollen die denn dann ihre priv. Fahrzeuge auf öffentlichen Grund legal und möglichst kostenlos parken? #ironieoff

    PS: Hatte den gleichen Gedanken beim Konsumieren des RBB-Beitrags mit den sympathischen CDU und FDP Fratzen.

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  2. Warum nacht nan den Radweg nicht breiter? Im Photo sieht nan links eineinhalb Fahrspuren. Rückt man der Parkstreifen bis zur alten Mittellinie nach links, könnte rechts auf dem Radweg auch noch die Feuerwehr stehen oder auch fahren. Wo liegt das Problem? Kann man das auf dem Photo nicht sehen? Kann man keine sinnvolle Lösung finden, die alle betrachtet? Wie wäre es mit einem Parkstreifen links an dem mittleren Grünstreifen, da wäre anschliessend rechts richtig viel Platz für die Feuerwehr und auch den Radweg. Oder gibts da noch ein unsichtbares Problem?
    Karin

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    1. In Stuttgart wäre die Antwort der Eventualmähdrescherbedarf, also dass die Straße so breit sein muss, dass auch die Mähdrescher da fahren können (war das Argument hier gegen einen geschützten Radstreifen). Wer kennt sie nicht, die regelmäßig durch die Stadt fahrenden Mähdrescher.

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    2. Wenn die Feuerwehr die Drehleiter nutzen will, muss sie zusätzlich zur Fahrzeugbreite noch Stützen ausfahren und braucht daher ziemlich viel Platz.
      Als Kompromiss könnte es reichen, so viele Parkplätze abzuschaffen, dass es vor jedem Haus eine Feuerwehrstellfläche gibt. Das würden aber die Menschen mit Autos bestimmt nicht verstehen, daher wäre die einfachste Lösung die Abschaffung aller Parkplätze.
      Jule

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  3. Hier geht es um nicht anderes als den Versuch Radverkehr mit etwas ganz schrecklichem in Zusammenhang zu bringen. Technische Lösungen gäbe es natürlich, die einfachste ist natürlich die Parkplätze zu entfernen. Der CDU Politiker konnte nicht anders hier einen Konflikt zwischen Wohnraum (und auch Eigentum) und Radweg aufzubauen. Klar dass da jeder für den Erhalt des Wohnraums und gegen eine faktische Enteignung ist.
    Dass hier andere Lösungen, die weniger populistisch ausgeschlachtet werden können, einfach nicht genannt werden, passt leider zu der Radverkehrsagenda der Berliner CDU. Eine druckfähige Bewertung des Vorgehens will mir einfach nicht einfallen.

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    1. Noch interessanter finde ich, dass die Medien das so mitmachen.

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    2. Hallo Christine,
      Bei solchen Themen springe ich auch viel zu oft auf den Inhalt an, ohne zu prüfen ob der Inhalt nur Transportmedium für eine ganz andere Botschaft ist.
      Aber spätestens seit der Trumpisierung der politischen Debatten muss man immer schauen wer was warum sagt. Das gilt im Besonderen wenn offensichtlich wichtige Fakten oder Optionen nicht genannt werden, oder, wie im Fall des getöteten Radfahrers in Paris, Behauptungen aufgestellt werden die mit dem Ereignis nichts zu tun haben. Ich finde es schlimm, dass diese Vorgehensweise inzwischen weit in der Mitte der Gesellschaft normal ist.
      Ich wurde anders sozialisiert, in der politischen Jugendarbeit, und später auch in anderen Gruppen.

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    3. ... ja es ist schlimm wie oft solche Geschichten einfach übernommen werden ohne sie zu hinterfragen. Liegt das daran, dass Onlinemedien im Sekundentakt mit Artikeln versorgt werden müssen? Oder sind viele Menschen nicht mehr in der Lage das was sie erst mal lesen müssen um es weiterzugeben, so weit zu verstehen, dass offensichtliches Framing oder Missbrauch einer Situation zu erkennen. Kein Wunder dass Populisten immer mehr Zulauf haben, wenn deren krude Thesen so leicht verbreitet werden. Empörungsjournalismus ist eben einfacher als mal selber nachdenken und evtl erst am nächsten Tag einen etwas fundierteren Beitrag zu schreiben, den dann keiner mehr liest, denn das Thema ist ja durch.

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  4. also jetzt verstehe ich gar nichts mehr.
    in berlin sind nicht plötzlich nicht mehr fremde und arme an allem schuld?

    früher war auch nicht alles schlecht.
    karl g. fahr

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  5. Hallo Zusammen,
    Kennt sich hier jemand mit Verwaltungsrecht aus? Ein Stadtrat ist ja kein Behördenvertreter, also wieso kann der mit einer Nutzungsuntersagung drohen.
    Das klingt nach einem Verwaltungsakt der sicher nicht von einem gewählten Volksvertreter angeordnet werden kann.

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    1. In Berlin ist das anders, denn Berlin ist ein von einer Regierung (Senat) verwalteter Bereich, weshalb die Stadtteile noch mal extra verwaltet werden.

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  6. Jörg
    Heute hatte ich ein Video aus Amerika gesehen. Der Youtuber sieht die Autoindustrie als wesentliche Anzeigenkunden der Medien. Die Medien schreiben bewusst oder unbewusst nun im Sinne der Autolobby. Jede Fahrspur weniger ist schlecht für ihre größten Werbekunden. So seine Thesen.
    Die Logik des Kapitalismus eben. Wer oben ist kann sich mit Geld Zustimmung "erkaufen".

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    1. Ja, das ist leider nicht nur in den USA so.
      Angesichts der Tatsache dass knapp 100% der reichweitenrelevanten privaten Medien in der Hand der Kaste der Multimillionärs- oder Milliardärs-Familien sind, ist es schon erstaunlich, wie einhellig im 'Westen' immer noch von 'unabhängigen' Medien geschrieben und gedacht wird.
      Andererseits: so erstaunlich auch wieder nicht, denn auch das Narrativ von der 'Unabhängigkeit' dieser unserer Medienlandschaft wird ja von der privaten Medienlandschaft verbreitet.
      Zukunftsrelevante Inhalte und Analysen finden sich (den immer stärker von Drittmittel abhängigen universitären Bereich mal ausgeklammert) oftmals eher in Blogs, Podcasts, usw.
      Besser recherchiert, besser in der Thematik eingearbeitet, sorgfältiger geschrieben und oft auch lobenswerterweise mit höherer Bereitschaft zur Selbstreflexion und zum Dialog mit der Leser:innenschaft.
      Dieser Blog ist da ja ein schönes Beispiel.
      Alfons Krückmann
      p.s.
      Was bei Mobilitätsthemen auch noch eine Rolle spielt: nahezu alle Journalisten und Journalistinnen sind intensive Autofahrer:innen, die den Umweltverbundverkehr eher als dekorative Kirsche auf der Torte des automobilen Alltags einordnen.

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    2. Danke, Alfons. Allerdings hängen die Öffentlich-Rechtlichen nicht von privaten Geldgebern ab (werden allerdings von der Politik stark unter Druck gesetzt, wie man jetzt gerade wieder sieht). Es würde nichts dagegen sprechen, dass beispielsweise die ARD-Tagesschau nicht nur die dpa-Meldung abschreibt, sondern mal kurz selber guckt, ob das so sein kann. Ich habe allerdings 25 Jahre lang in einer Nachrichtenredaktion (Hörfunk) gearbeitet und weiß, wie solche Nachrichtenthemen entstehen und weiterverbreitet werden. Man hat keine Zeit zur Gegenrecherche und geht ein gewisses Risiko, einen Fehler zu machen, ein, wenn man Agenturmeldungen mit eigenen Informationen ergänzt.

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    3. ach so.
      für die gegenrecherche, die nicht mal profitabel sein müsste, ginge man also ein gewisses risiko ein.
      deswegen sind vermutlich die unabhängig-gez-finanzierten menschen auch so viel im burnout.

      #norisknostory

      karl g. fahr

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    4. Wieso das so ist, habe ich in meinem Krimi "Alles nicht echt" vorgeführt. Es muss ja, was man hinzufügt, hieb- und stichfest sein. Eigene Anschauung wie "könnte man nicht einfach die Parkplätze wegnehmen" hätten keine Quelle, die man angeben könnte, um die Verantwortung für den Inhalt zu delegieren, wie das bei Nachrichtenmeldungen üblich ist. (Anders ist das bei Sendungen, die auf Eigenrecherche beruhen, da muss man die richtigen Fragen finden, sie jemandem stellen und hat dann eine Antwort und damit auch eine Quelle.) Es hätte in diesem vorliegenden Fall jemand losgehen, die Anwohner:innen und den Politiker befragen müssen. Die Qualität des Journalismus bemisst sich daran, o den Berichtenden die richtigen Fragen einfallen. Und die fallen ihnen halt oft nicht ein.

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  7. Wenn man aufhört miteinander zu reden, dann kommt dabei Murks raus. So geschehen hier. Der grüne Senat hat einfach gemacht ohne mit Feuerwehr und Bezirk zu sprechen. Hätte der grüne Senat auch so gehandelt, wenn er im Brandfall persönlich haftet? Wohl kaum.
    Viele Grüße Niko

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