29. Dezember 2014

Ist Radfahren eine Ideologie?

Radler über Vierzig mit guter Ausrüstung und allen Insignien des Wohlstands scheint ein Label anzuhaften. Darauf steht: "Ich bin ein Gutmensch und will euch bösen Autofahrern das Leben vermiesen. Bekämpft mich!" 

Wenn junge Leute Rad fahren, sind es Studierende ohne Geld. Okay. Wer sich kein Auto leisten kann, fährt meist nicht Rad. Aber was reitet einen gutverdienenden Menschen mittleren Alters, mit dem Rad zu fahren? Das kann doch nur Ideologie sein.

Als ich anfing, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, wollte ich mich vor allem mehr bewegen. Aber erst als ich ein Pedelec testete und dann kaufte - 2006 - fing ich an, wirklich regelmäßig mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Ich entdeckte, dass man mit dem Pedelec in Stuttgart überall hinkommt, ohne bei Ankunft eine Dusche suchen zu müssen. Und ich merkte, wie bequem das ist: kein Autostau, keine Parkplatzsuche. Toll! Dass ich umweltfreundlich agiere, ist eher ein Kollateralnutzen. Vermutlich fahren die meisten Berufstätigen mittleren Alters nur lieber Rad als Auto. Sie wollen sich bewegen. Sie wollen an der frischen Luft sein, sie wollen nicht im Stau stehen. Erst in zweite Linie genießen sie dass Gefühl, der Umwelt weniger zu schaden als Autofahrer.

Genau das aber mag auf all jene, die mit dem SUV in die Innenstadt rammeln, wie ein Tadel wirken. Auf Tadel reagiert der Mensch ungehalten und mit Gegenvorwürfen: "Radler fahren immer bei Rot. Radfahrer halten sich an keine Regeln. Radfahrer fahren auf den Gehwegen. Ich kenne Menschen, die auf dem Gehweg umgefahren wurden und mit schweren Kopfverletzungen im Krankenhaus liegen."

Jeder erinnert sich an einen Radler, der ihn geschnitten oder gestreift hat. Jeder kennt einen Rüpel. Radler stören. Das ist offensichtlich.

Die Stimmen werden laut, die Worte polemisch, die Angriffe auf mich direkt, egal ob ich Verbesserungen für den Radverkehr vorschlage oder auch nur über Pedale schreibe.

Warum diese Wut?

Unsere Städte haben in den letzen Jahrzehnten Frieden zwischen Autoverkehr und Fußgängern hergestellt. Es herrscht eine Art Waffenstillstand, solange es Parkplätze gibt und Fußgängerzonen. Radfahrer sind das dritte Element, für das man in all den Jahren kaum Straßenraum eingeplant hat. Jetzt werden es immer mehr. Sie schlängeln sich von der Fahrbahn über die Gehwege und durch die Parks, um durchzukommen. Das stört. Der Anspruch der Radler, angemessene Strecken zu bekommen, stört. Autofahrer fürchten, sie müssten von ihrem Platz etwas abgeben. Sie sehen nicht, dass sie auch Platz bekommen. Radler verstopfen Straßen nicht, sie machen sie leerer. Dennoch erzürnt jeder neue Radweg zuverlässig gewisse Teile der Bevölkerung. Ich sehe Wut verzerrte Gesichter an der Hofener Straße, wenn sie im Sommer am Wochenende für Autos gesperrt ist. Warum diese Wut?

Nächstes Jahr wird alles besser. Wir gehen friedlicher mit uns und unseren unterschiedlichen Interessen um.


1 Kommentar:

  1. ja, warum diese Wut? Eine berechtigte Frage. Ich bin hier in Stuttgart Fahrad- UND Autofahrer. So switche ich zwischen beiden Rollen hin und her und erlebe wirklich ganz unterschiedliche Perspektiven. Als Radfahrer rege ich mich über die Radfahrerbegrenzungen durch die noch immer ausgesprochen autogerechte Stadt auf. Und als Autofahrer bin ich sehr sensibel für die zunehmende Begrenzung und Einengung meiner Möglichkeiten (mehr Stau, teure oder fehlende Parkplätze u.vieles mehr) Was ist verlockender, als den Ärger darüber auf die Radler und vor allem deren politische Forderungen zu projezieren.

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