17. Oktober 2024

Auto als Mordwaffe - Medienreden von Radlerchaos in Paris

Boulevard Malesherbes, Paris
In Paris hat ein SUV-Fahrer einen Radfahrer erst umgefahren und, nachdem der Radfahrer ihm auf den Kühler schlug, noch mal angefahren, überrollt und getötet. Zeug:innen sprechen von Absicht. Gegen ihn wird wegen Mordes ermittelt. 

Das ntv-Magazin Panorama stellt diesen Fall dar, zitiert Oberbürgermeisterin Hidalgo, die den Radverkehr in der Stadt fördert, und Radaktivist:innen, die sich ebenso schockiert zeigen. Während die Einschätzungen der Sitation, die der Radverkehr in Paris ausgesetzt ist, als Zitate Personen zugordnet werden, also als private oder politische Meinung kenntlich gemacht werden, werden folgende Aussagen keiner Person zugeordnet und stehen deshalb als Wahrheitsbehauptungen im Artikel: "Die starke Zunahme des Radverkehrs in Paris führt regelmäßig zu chaotischen und gefährlichen Situationen. Verantwortlich sind auch die Radfahrenden selber, die Regeln missachten und mit riskanten Fahrmanövern versuchen, schneller vorwärtszukommen. Vor gut einem Jahr führte die Stadt einen Verhaltenskodex für den Straßenverkehr, einen "code de la rue", ein, um alle Verkehrsteilnehmer zu mehr gegenseitigem Respekt zu ermuntern.

Dass klingt jetzt so, als diene der "code de la rue" der Disziplinierung von Radfahrenden. Die Regeln hat hier offensichtlich aber nicht der Radfahrer, sondern der Autofahrer missachtet. Er hat dem Radfahrer beim Abbiegen den Weg abgeschnitten und ihn dabei umgefahren. Und danach hat er ihn totgefahren (übrigens mit seiner halbwüchsigen Tochter auf dem Beifahrersitz). Es also gibt nicht den geringsten Grund, hier die Regeltreue von Rafahrenden ins Gespräch zu bringen. Dieser Radler hat gegen keine Regel verstoßen. Ich schätze, die Autor:innen dieser Meldung haben den Passus aus irgendeiner Nachrichtenagentur übernommen, denn er findet sich in etlichen Meldungen, etwa der Frankfurter Allgemeine, der Bildzeitung und anderen Medien, wobei die meisten die entsetzte und auch richtigstellende Einschätzung der Radverbände zur Verkehrssituation für Radfahrende in Paris dann auch noch weglassen. 

Und das mit dem "code de la rue" (wegen des Chaoses durch Radfahrende) grenzt an eine Falschmeldung.

Der Kodex richtet sich mitnichten hauptsächlich an Radfahrende, sondern an alle, die fahren. Denn er will die schützen, die nicht das schützende Blech eines Autos um sich haben, also Fußgänger:innen egal welchen Alters und wie gut sie noch zu Fuß sind. 

Null Toleranz bei Verkehrsverstößen auf Gehwegen. Der "code de la rue" (Verhaltenskodex auf der Straße) wurde 2023 beschlossen. Unter anderem wird sichergestellt, dass die Gehwege nur von denen benutzt werden, für die sie sind. Falschparken auf Gehwegen, Radfahren auf Gehwegen, aber auch das Zustellen mit Mobiliar oder Müll wird nicht mehr hingenommen. Die Polizei wurde mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet. Dieser Kodex richtet sich nicht gegen Radfahrende, sondern an alle, die fahren, aber auch an Fußgänger:innen. 

Die Regeln findet man auf der Internetseite von Paris

  • Immer den Vorrang von Fußgänger:innen beachten!
  • Fahren Sie nicht mit motorisierten Zweirädern, Rollern (E-Scootern) oder Fahrrädern auf dem Gehweg!
  • Nicht auf Busspuren und Radwegen fahren!
  • Überschreiten Sie nicht die zulässige Geschwindigkeit und halten Sie sich an Ampeln und Verkehrsschilder!
  • Warten Sie, bevor Sie in eine überfüllte Kreuzung einfahren!
  • Parken Sie Ihr Fahrzeug nur auf zugelassenen Parkplätzen!
  • Fahren Sie nicht mit Ihrem Fahrzeug, wenn Sie betrunken sind!
  • Schauen sie vor dem Öffnen der Autotür, indem Sie sie mit der rechten Hand öffnen! (Uns bekannte als holländischer Griff)
  • Nur bei unmittelbarer Gefahr hupen!
  • Wachsam sein und auf besonders gefährdete Personen achten!
  • Auf Zebrastreifen über die Straße gehen!
  • Nach beiden Seiten schauen, bevor man die Straße überquert!



8 Kommentare:

  1. Interessant, dass es den Code de la Rue überhaupt gibt; er ist doch nur ein Auszug der französichen StVO, also eine Sammlung von ohnehin geltenden Regeln.
    Und noch eine Anmerkung aus der Spitzfindigkeitskiste: Der Radfahrer hat nicht dem Autofahrer auf den Kühler gehauen, sondern dem Kfz des Autofahrers auf die Motorhaube.
    Thomas

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    1. Sprachlich geht das durch aus, den "dem Autofahrer auf den Kühler hauen" heißt ja, dass man etwas, das dem Autofahrer gehört, angegriffen hat. Und ja, der code de la rue stammt aus dem code de la route, also der Verkehrsordnung. Es sind ja eh Regeln, die ohnehin gelten, an die man damit noch mal erinnert. Das eigentlich Beachtliche ist, wie rigoros hier die Fußgänger:innen in den Mittelpunkt gestellt werden, also der Schutz der Gehwege.

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    2. ... da in Paris viele Radwege geschaffen wurden, gibt es auch nicht die gefühlte Notwendigkeit auf Gehwegen zu radeln. Und weil die Fußwege rigoros von Behinderungen frei gehalten werden, laufen die Fußgänger auch nicht auf Radstreifen spazieren. Ich denke Paris ist da auf einem sehr guten Weg.

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    3. Wo behauptet denn ntv, dass sich der Kodex hauptsächlich an Radfahrende richtet?

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  2. Ich habe gestern einige Berichte zu dem Vorfall gelesen, und z.B. beim Welt Artikel auch die Kommentare. Dabei ist mir schlecht geworden, da gibt es allen Ernstes Menschen die diesen Angriff als Selbstverteidigung sehen.

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    1. Der grassierende Rechtsruck zeigt sich halt nicht nur an den Wahlurnen, sondern hat auch etliche Auswirkungen, die weit in den Alltag der Menschen reichen und diese gegebenenfalls ins Grab bringen bzw. in die Urne.
      Dass die Medien des Springerkonzerns (Welt, Bild, etc.) da vorne mitmischen ist ja nicht neu, sondern eine Konstante seit vielen Jahrzehnten.
      Interessant fand ich den Aufruf eines Radfahrverbandes alle Vorfälle von automobiler Gewalt konsequent zur Meldung zu bringen.
      Das wäre für Deutschland auch keine schlechte Idee.
      Ob der ADFC zu einem ähnlichen Aufruf (bundesweite Kampagne ggf. flankiert von rechtskonformen Dashcam-Tipps zur Beweissicherung) fähig wäre?
      Alfons Krückmann

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    2. Hallo Alfons,
      Ja der Rechtsruck ist leider spürbar und tatsächlich hat die politische Einstellung viel mit den Gewaltfantasien im Verkehr zu tun. Die "Welt" Kommentare zu Natenoms Tod waren auch schon erschreckend.
      Und was Christine im Blog Beitrag selbst anmerkt zeigt wie tief das sitzt:
      Die Bemerkungen zum von Radfahrern verursachtem Chaos auf Paris Straßen dienen nur der Relativierung und haben genau gar keinen Informationsgehalt, und selbst wenn es Information wäre, dient sie nicht dazu das Geschehene besser zu verstehen.
      In einem Reddit Thread zu dem Bericht wurde das ganze mal auf andere Straftaten umformuliert und da erkennt der dümmste wie schäbig das in dem Zusammenhang ist. Dass selbst Redakteure bei der FAZ und Co diese Formulierung einfach so übernehmen, zeigt wie sehr das Anti Radfahrer Framing schon normal ist. Und um das ganze wieder auf die politische Ebene zu bringen, es zeigt wie unsensibel wir geworden sind, wenn es darum geht wichtige Hintergrundinformationen von Pseudoinformationen, die nur zur Relativierung dienen, zu trennen.
      Und man sollte auch die Staatsanwaltschaften sensibilisieren, dass sehr wohl ein öffentliches Interesse daran besteht Menschen der Strafverfolgung zuzuführen die meinen das Auto wäre ein legitim einzuseztender Meinungsverstärker für die Erziehung anderer Verkehrsteilnehmer.
      Kein Mensch käme auf die Idee jemanden nicht vor Gericht zu stellen, der mit einer tödlichen Waffe auf andere los geht weil sie vor ihm in der Schlange stehen, oder den besten Platz im Biergarten belegen. Wenn die Waffe ein Auto ist, und der Tatort die Straße, besteht selbst bei gut dokumentierten Fällen kein interesse.
      Und das kann ich nicht nachvollziehen, denn die Autofahrer handeln ja nicht gegen die eine Person mit der sie einen Streit haben, sondern die handeln gegen Radfahrer im Allgemeinen. D.h es ist keine Streitschlichtung möglich,

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    3. Lieber Anonym,
      klasse zusammengefasst! Danke!
      Thomas

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