9. Mai 2019

Eine seltsame Perspektive

In Cannstatt hat ein Autofahrer bei einem Parkmanöver einen Radfahrer angefahren und schwer verletzt. Ein Zeitungsbericht verkehrt das ins Gegenteil: Der Radler rammt das Auto.

Wenn ich die Polizeimeldung lese, glaube ich, dass folgendes passiert ist: Der Radfahrer radelt die Starße entlang. Ein Auto kommt ihm entgegen, der Fahrer zieht urplötzlich auf seine, des Radlers, Fahrspur hinüber. Der Radler prallt gegen das Auto. Nach meiner Einschätzung hatte er keine reelle Chance, den Unfall zu vermeiden, er konnte nicht damit rechnen, dass der Autofahrer auf die Gegenfahrbahn kommt und ihm direkt vors Vorderrad fährt. Ob das so war, das darzutellen machen sich weder die Polizei, noch die Zeitung die Mühe.

Die Polizei schildert das, zwar immer noch nicht mit entschlossener Täter-Opfer-Benennung, aber doch mit viel Aufmerksamkeit für den Radfahrer, so: 
Pedelecfahrer schwer verletzt
Ein 59 Jahre alter Pedelecfahrer hat am Donnerstag (02.05.2019) bei einem Unfall in der Ziegelbrennerstraße schwere Verletzungen erlitten. Rettungskräfte waren vor Ort, kümmerten sich um den Mann und brachten ihn in ein Krankenhaus. Der 59-Jährige befuhr mit seinem Rad gegen 16.15 Uhr die Ziegelbrennerstraße in Richtung Schmidener Straße. Ein 26-Jähriger, der ihm mit einem Seat entgegenkam und die Absicht hatte, nach links in eine Parkbucht einzufahren, übersah den Zweiradfahrer offenbar. In der Folge kam es zur Kollision und der Pedelecfahrer stieß mit erheblicher Wucht gegen das Auto.


Auch wenn hier wieder das Wort "übersah" drin ist, (besser wäre, "sah den Radfahrer nicht") und die Formulierung, der Pedelecfahrer mit sei Wucht gegen das Auto gestoßen, andeutet, er habe doch irgendwie auch Schuld, so ist das noch respektvoll verglichen mit der krachenden Floskelwolken-Schreibe der Stuttgarter Nachrichten, die von der Perspektve "schuld ist immer der E-Bike-Fahrer" nicht recht wegkommt, während der Autofahrer nur einen kleinen Fehler macht:

E-Bike-Fahrer rammt Auto und wird schwer verletzt
Ein 59 Jahre alter E-Bike-Fahrer wird von einem Autofahrer beim Einparken übersehen. Der Radfahrer kann nicht mehr bremsen und kracht in das Auto.
  ... Am Donnerstagnachmittag hat es in Bad Cannstatt gekracht. ... Der Autofahrer wollte nach links in eine Parkbucht fahren, als er den Radfahrer wohl übersah. Der E-Bike-Fahrer konnte nicht mehr bremsen und krachte in das Auto ...
(Stuttgarter Nachrichten)

Mal abgesehen davon, dass bei "krachen" arg verniedlichend klingt, wenn man bedenkt, dass der Radfahrer für den schweren Fahrfehler des Autofahrers mit seiner Haut, seinen Knochen und seinem Blut bezahlt hat ...

Das hat Blogleserin Andrea so geärgert, dass sie  mich auf den Artikel aufmerksam geamcht und der Zeitung einen Leser/innenbrief geschrieben hat. Darin ist alles gesagt. Ich darf ihn zitieren:

Sehr geehrte Damen und Herren,
... der Titel „E-Bike-Fahrer rammt Auto und wird schwer verletzt“ suggeriert, dass der verletzte E-Bike-Fahrer selbst die Schuld am Unfall trägt. Im Untertitel liest man: „Ein 59 Jahre alter E-Bike-Fahrer wird von einem Autofahrer beim Einparken übersehen. Der Radfahrer kann nicht mehr bremsen und kracht in das Auto.“ „Wird übersehen“ klingt nach einem kleinen Versehen des Autofahrers, das ja mal passieren kann, … „kann nicht mehr bremsen und kracht in das Auto“ dagegen nach Unvermögen des Radfahrers.
Beim genaueren Lesen stellt sich jedoch ein anderes Bild dar: Der Autofahrer hat diesen Unfall durch Unachtsamkeit verschuldet und hat die schwere Verletzung des Pedelec-Fahrers verursacht.
Als Pedelec-Fahrerin, die selbst tagtäglich durch Fehlverhalten und Rücksichtslosigkeit von Autofahrern gefährdet wird, wünsche ich mir eine seriöse und nicht manipulative Berichterstattung von den Stuttgarter Nachrichten ... Freundliche Grüße, Andrea


Ich wünsche dem Radfahrer gute Besserung und eine vollständige Genesung.

10 Kommentare:

  1. Ist die Ziegelbrennerstraße eine Einbahnstraße?
    Warum wohl ist es verboten entgegen der Fahrtrichtung zu parken?
    Auch mich nervt die Formulierung "übersehen". Bei uns werden sogar Straßenbahnen "übersehen". Ich habe mal einen Pressesprecher der Polizei gefragt, wie man wohl eine Straßenbahn "übersehen" kann, das ist so ziemlich das Größste was auf der Straße rumfährt. Er hat allerdings die Frage nicht verstanden. Das mit dem Übersehen hat sich bei der Presseabteilung so festgesettzt, ich glaube die können gar nich tmehr anders formulieren. Vielleicht sollte man sich mal mit dem Leiter der Presseabteilung in Verbindung setzten und sich dort über die doch sehr verharmlosende Formulierung beschweren. Oder mit dem Polizeipräsidenten.
    Ich frage mich sowieso. wie man jemanden, der einem entgegenkommt "übersehen" kann. Um 16:15h kann es im Mai ja kaum dunkel sein.
    Gruß
    Karin

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  2. Ob "gesehen", "übersehen", "Geschwindigkeit falsch eingeschätzt" (war ja ein schnelles Pedelec) oder was auch immer nicht, das weiß niemand. Was bedeutet "offenbar" hier für die Polizei?. Vielleicht hat der KFZ-Lenker auf sein Handy geschaut, vielleicht das Radio bedient, vielleicht war er zu sehr mit dem Parkplatzsuchen beschäftigt, "Unachtsamkeit" oder "unaufmerksam" trifft es hier schon besser wie die Leserbriefschreiberin Andrea es nennt und weist auch die Schuld korrekter zu. Viele Autofahrer sind hektisch wenn sie eine Parkbucht sehen und das Linksparken ist eine gefährliche leider mangels Strafen eine verbreitetes Problem. Ich berücksichtige das bei Drittanzeigen immer öfter. Die StVO ist hier eindeutig wo geparkt werden darf. Das Risiko ist gerade bei Linkslenkern wie in Deutschland höher. Faktisch korrekt wäre: Autofahrer fährt achtlos, ordnungswidrig auf einen linksseitigen Parkplatz in den Gegenverkehr. Ob der Radfahrer vom Auto frontal angestoßen wurde? Die PM lässt eher vermute, dass der Radfahrer in die rechte Seite des Autofahrers krachte, weil er nicht mehr bremsen konnte, das ist in diesem Fall sogar korrekt. Es muss aber klar benannt werden, dass das achtlose Einfahren in den Gegenverkehr (Missachtete Vorfahrt) und die beabsichtigte Ordnungswidrigkeit zum Unfall geführt haben. Die wahren Unfallursachen erkennt man in den Meldungen der Polizei oft nicht und sind nur in den Zwischenzeilen raus zu lesen. Ich kenne die Straße nicht persönlich, aber laut Google Streetview ist es keine Einbahnstraße. Solche Leserbriefe können helfen, aber auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass Polizeipresseabteilungen völlig taub sind auf dem Ohr. Dass eine Zeitung die PMs nicht einfach nur durchreicht, sondern sogar redaktionell bearbeitet und dann auch noch verschlechtert, ist eine Frechheit. Danke Andrea und Christine

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  3. Laut Polizeimeldung beträgt der Sachschaden 250€. Angenommen der Wert stimmt, dann sind Pedelec unf KFZ sehr gering beschädigt worden. Wie das mit der Aussage "erhebliche Wucht" und "Kollission" korrelieren soll, entzieht sich meiner Erkenntnis. Es sei denn, der Pedelec-Fahrer hat sich vorher durch eine Schock&Auweich-Bremsung gelegt und ist gegen das KFZ gerutscht. So einen Unfall hatte ich auch mal (keine Verletzung, geringe Geschwindigkeit), da war auch wenig Sachschaden, nur Lackkratzer am Fahrrad.

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  4. Autofahrer (26) rast bei illegalem Fahrmanöver in Gegenverkehr. Radfahrer schwer verletzt.

    Das wäre eine passende Überschrift. War der Autofahrer alkoholisiert, stand er unter Drogen oder Medikamenteneinfluß? War er ebgelenkt (70% der Autofahrer geben in Umfragen zu, dass sie während der Fahrt ihr Smartphone bedienen)?

    Ich hoffe, Blog leer Dennis (DS-pektiven) ist nicht das Opfer. Er hat sich noch nicht zu Wort gemeldet, und es wäre doch eine böse Ironie, wenn ausgerechnet er als unermüdlicher Verfechter des Fahrbahnradeln auf gerader Strecke von einem Autofahrer abgeschossen worden wäre.

    Erhellend ist auch, über welche Unfälle gar nicht erst berichtet wurde. Beispielsweise den an der Kreuzung am Rosensteinbunker am 11.2.2019 gegen 9:45 Uhr, ebenfalls mit Radfahrer, der verletzt und per Krankentransportwagen in die Karl-Olga-Klinik gefahren wurde, nachdem ihm eine Autofahrerin an der Radwegefurt die Vorfahrt genommen und umgefahren hat. Da war auch aus Sicht der Polizei die Schuldfrage dermaßen eindeutig auf Seite der Autofahrerin, dass man mir als Fahrradfahrer nichts andichten konnte. Dann scheint es uninteressant zu sein und keiner schreibt darüber.

    Dass dort auch die Stadtverwaltung (Ordnungsamt als Verkehrsbehörde) zum Unfall beigetragen hat, indem sie die 16 Mängel der Kreuzung trotz gelber Karten und trotz Deiner regelmäßigen Berichte beharrlich ignoriert, ist ein anderes Thema. Aber ich schweife ab.

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    1. Dennis kommt aus der Gegend von Pirmasens, nicht Stuttgart. Und der Unfall wäre auch passiert wenn der Radfahrer auf einem Radstreifen oder Radweg gefahren wäre, das hat mit Fahrbahn gar nichts zu tun. Zusätzlich liegt die Ziegelbrennerstraße in einer T30-Zone, da sind gar keine Radstreifen, Schutzstreifen oder benutzungspflichtige Radwege erlaubt.

      Martin

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    2. Viellecht kann man die Stadt auf Schadensersatz verklagen. Wenn Sie die Mängel kennt und nichts macht, dann ist man bei Schaden üblicherweise mit Schuld.

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    3. Na ja, liebes Anonym, für das Fehlverhalten von Autofahrenden kann die Stadt nichts. Eher unsere Gesellschaft. Und die kann man leider nicht zu Schadensersatz verklagen, weil sie diese kleinen Regelverstöße toleriert und gerne auch selber begeht. Wir Radler tun das ja auch. Aber es würde helfen, wenn wir alle Täter und Opfer klarer benennen, sowieso ganz grundsätzlich, und weniger Floskeln einsetzen.

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    4. @Holger: Ich halte es schon für ziemlich geschmacklos, mir (indirekt) zu wünschen, dass ich Opfer von Unfällen werde, nur weil ich das Fahrbahnradeln für den Normalfall betrachte...! Ganz davon abgesehen, dass du dir da auch noch einen gar nicht passenden Unfall rausgesucht hast. Danke dbzgl. an @MartinTriker!

      Darüber hinaus: Wenn du ein Problem mit meinen Ansichten hast, äußere dich dann auch in meinem Blog. Und mach das nicht "hinter meinem Rücken" in anderen Blogs!

      Ich behaupte ja auch gar nicht, das Fahrbahnradeln sei absolut sicher. Nichts ist absolut sicher; vor allem nicht im Straßenverkehr. Genau das aber suggerieren "Radwege". Und wenn etwas zusätzliche(!) Sicherheit verspricht, muss es sich auch daran messen lassen. Und da scheitert die Infrastruktur auf klägliche Weise!

      Das Tragische an deinem Posting ist, dass du auch weiterhin die Gefahren (von "Radinfrastruktur") völlig falsch einschätzen wirst, weil du nicht zur Kenntnis nehmen willst, dass jedem Streif- oder Überholunfall auf einer Fahrbahn ein Vielfaches an Abbiegeunfällen auf Radverkehrsanlagen(!) gegenüberstehen. Der minimale Sicherheitsgewinn im Längsverkehr wird durch zusätzliche (schwere bis tödliche) Unfälle im Querverkehr in der Summe in einen (erheblichen) Sicherheitsverlust umgekehrt - und somit überkompensiert.

      "Radwege" sind daher ein klassisches Beispiel für Risikokompensation. Das gilt leider auch für deren Nutzer, die sich darauf "sicher fühlen". Es aber objektiv betrachtet nicht sind. Die dadurch ausgelöste Sorglosigkeit erledigt dann den Rest...

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  5. Und überhaupt...Was spielt die Motorisierung des Fahrrades bei dem Vorfall eine Rolle? Es ist doch vollkommen unerheblich, ob es ein normales Fahrrad, ein E-Bike, ein S-Pedelec oder eben die Enterprise gewesen ist, die durch ein verbotenes Fahrmanöver einer Autofahrerin in einen Unfall verwickelt und der Fahrzeuglenker schwer verletzt wurde.

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