22. November 2022

Schulwege sichern - die vordringlichste Aufgabe im Verkehr

Grundschulwege sind nicht sicher. Das stellt die Kidical Mass Stuttgart fest, die einen ausführlichen Schulwege-Check gemacht und auf Twitter veröffentlicht hat.  
Hauptsächlicher Grund für die Gefahren auf den Schulwegen, die Stuttgart für ihre Grundschüler:innen empfiehlt, sind falsch geparkte Autos in Kreuzungen und schlecht gesicherte Baustellen auf den Gehwegen. Eine zehnköpfige Gruppe der Kidical Mass hat zehn Grundschulen und die Wege zu ihnen betrachtet und nach eigenen Angaben kurz vor Schulbeginn 74 schwerwiegende Parkverstöße und Gefahrenstellen identifiziert. 

Mit freundlicher Genehmigung des KM-Teams zeige ich hier einige Bild-Beispiele. Das erste Foto zeigt die Kreuzung Dobelstraße und Sonnenbergstraße auf dem Schulweg zur Jakobschule.

Die Ecke ist komplett zugeparkt. Parken in der Kreuzung gilt als schwerwiegender Parkvertoß. Es ist gefährdend, vor allem für Kinder, die nicht über die Autos hinweg blicken können. Die Kritical Mass fordert, dass die Stadtverwaltung dafür sorgt, dass die Schulwege, die sie empfiehlt, frei gehalten werden. 

Das zweite Foto zeigt eine Baustelle auf dem Schulweg zur Pragschule im oberen Abschnitt der Wolframstraße. Es gibt keine Umleitung für Kinder zu Fuß. Wie sollen die sich hier entscheiden? Ohne über den Bauzaun hinweggucken zu können, müssen sie auf die Autofahrbahn wandern und die Baustelle umrunden. Gegenüber gibt es nämlich auch keinen Gehweg. Und das im frühmorgendlichen Dunkel oder Halbdunkel? Da wird einem schon Angst, wenn man nur das Foto sieht. Solche Baustelleneinrichtungen sind übrigens Gang und Gäbe in Stuttgart. Man stellt ein Fußgänger-verboten-Schild auf und dann sollen die Menschen zu Fuß halt sehen, wo sie bleiben. 

Das dritte Foto zeigt einen Gehweg in der Bandkellerstraße, über die der Schulweg zur Bachschule in Feuerbach verläuft. Hier verstellt nicht eine Baustelle, sondern ein geparktes Auto komplett den Gewheg. Die Kinder müssen auf die Fahrbahn ausweichen. Dort parkt offenbar so oft ein Auto auf dem Gehweg, dass das Luftibild von Stuttgart Maps von 2021 hier ebenfalls eines erfasst hat. Auch das ist eine sehr typische Situation für Stuttgart: der Gehweg wird auf voller Breite von geparkten Autos blockiert. 

Der aktuelle Zustand verstößt  gegen die Kinderrechte, schrieb die Kidical Mass zum Tag der Kinderrechte am 20. November. Auch ich finde, dass sich unsere Kinder in Stuttgart ungefährdet und unbehindert von Autos bewegen können müssen. Es ist mir völlig unbegreiflich, warum sich unsere Stadtgesellschaft nicht darauf verständigt, dass das Falschparken auf Gehwegen und in Kreuzungen nicht rigoros beendet wird, und warum Ordungsamt und Polizei dies nicht als eine ihrer wichtigsten Aufgaben ansehen. 

Es geht schließlich um die Gesundheit unserer Kinder. Sie müssen nicht nur zu Fuß zur Schule kommen, ohne von Autofahrenden angefahren zu werden.Wenn aber Eltern Angst haben, die Kinder alleine zu Schule gehen zu lassen, dann fahren sie sie hin. Das beraubt Kinder der Möglichkeit, sich zu bewegen und sich im Straßenverkehr zu üben. Kinder, die sich bewegen, sind gesünder. Eltern müssen aber  eben auch das Gefühl haben, dass sich auf dem Schulweg keine zusätzliche Hindernisse und Gefahren auftun, abgesehen von den ohnehin  vorhandenen kritischen Stellen, an denen die Kinder Fahrbahnen überqueren müssen. 

Die Karte zeigt den schlimmsten Bereich rund um die Martin-Luther-Schule in Cannstatt. Insgesamt 74 Gefahrenstellen hat das zehnköpfige Team der Kidical Mass dokumentiert (die Links führen jeweils zum Twitter-Tweed über diese Stellen): 

• S-Nord: Pragschule mit 4 Gefahrenstellen
• S-Mitte: Jakobschule mit 7 Gefahrenstellen
• S-Vaihingen: Österfeldschule mit 7 Gefahrenstellen
• S-Ost: Ameisenbergschule und Grundschule Ostheim mit 8 Gefahrenstellen
• Feuerbach: Bachschule mit 9 Gefahrenstellen
• S-Süd: Marienschule und Lehenschule mit 10 Gefahrenstellen
• S-West: Schwabschule mit 14 Gefahrenstellen
• Bad Canstatt: Martin-Luther-Schule mit 15 Gefahrenstellen

Für Erwachsene mögen etliche aufgeführten Ecken unproblematisch erscheinen, aber für Kinder sind sie es nicht. Sie sind weniger geübt als wir, sie können nicht über die Autos hinweg schauen, sie wissen, dass sie nicht auf der Fahrbahn herumlaufen sollen, müssen es aber tun und tun es mit Angst und oft dann rennend, was die Übersicht wieder einschränkt. Für Kinder ist es viel schwieriger als für uns, sich einen Überblick zu verschaffen und die Gefahren abzuschätzen. Ich sehe sie oft mit großen Augen an solchen Stellen stehen und abwägen, was sie tun sollen. Viele Autofahrende halten gar nicht an, wenn sie Kinder an Zebrastreifen sehen. Viele Ampelschaltungen an Fußgängerfurten sind so kurz, dass sie Ampel schon wieder rot wird, wenn die Kinder noch auf der Fahrbahn sind. Es gibt zwar Räumzeiten, die das ausgleichen, aber viele - gerade Kinder - wissen nicht, dass die Ampeln so eingestellt sind, dass sie bei schon Rot noch rüber kommen. 

Das Team der Kidical Mass hat hier eine zeitintensive Vorarbeit für  die Behörden geleistet, die nun gezielt Leute losschicken könnten, um die Gefahrenstellen zu beseitigen, Autos abschleppen zu lassen, Kreuzungsecken so abzupollern, dass niemand mehr dort parken kann, und Gehwege per engmaschiger Kontrolle wirklich freizuhalten. Ich finde, den Straßenverkehr für Kinder wirklich sicher zu machen, gehört zu den wichtigsten verkehrlichen Aufgaben unsere Gesellschaft und damit den Ordnungsbehörden. 

Heute wird übrigens das Thema Schulwege und Radschulwegeplan im Unterausschuss Mobilität behandelt: 14 Uhr, Mittlerer Sitzungssaal (4. Stock) im Rathaus Stuttgart. Die Sitzung ist öffentlich. Nachtrag:   sie ist als nicht öffentlich an der Tür deklariert  





9 Kommentare:

  1. Ich hatte die Zusammenstellung schon im Detail gelesen, bevor Du das Thema hier zusammengefasst hast. Ich finde das extrem gut, dass das überhaupt mal jemand thematisiert. Wie schon beim letzten Artikel macht sich bei mir die Erkenntnis breit, dass ganze Verkehrsteilnehmergruppen regelrecht "diskriminiert" werden. Ich finde es nicht den richtigen Ausdruck, daher die "". Vielleicht wäre 'vollkommen unberücksichtigt' (zumindest beim Betrieb) besser. Irgendwie scheint niemand an Schulkinder, Gehbehinderte, Mütter mit Kinderwagen etc. zu denken, zum Teil noch bei der Planung, aber kaum noch beim Benutzbarhalten. Das muss sich unbedingt ändern.
    Karin

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  2. Kinder haben in Deutschland keine Lobby- nur Reproduktion/Statusymbole. Ich staune täglich immer mehr über die skandinavischen Länder. In mittlerweile fast allen Bereichen sind sie uns gesellschaftlich um Lichtjahre voraus. Entspannt, weltoffen, gesundes Menschenbild. 'Schwächere' Menschen werden automatisch-ohne Diskussionen, berücksichtigt. Auch in der Infrastruktur. Ob Fußgänger, Radfahrer, Kinder oder Menschen mit Handicap. Die Politiker und Amtsträger gehen ihren Job nach und finden die besten Lösungen für die Menschen. In Deutschland schlagen sie sich ewig die Köpfe ein und am Ende kommt nur Müll raus. Mit dem keiner zufrieden ist. So kann sich ein Land auch abschaffen.... Klaus Maier

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  3. Deutschland ist seit den 80er Jahren in den Fängen einer neoliberalen kapitalistischen Politik. Deren Grundprinzip ist das Recht des Stärkeren. Im Straßenverkehr sind die Motorisierten die Stärksten und die Kinder die Schwächsten.
    Damit Staatsmacht und Polizei wirklich dagegen vorgehen, müssten sie erstmal dieses Grundprinzip in Frage stellen. Das wird nicht geschehen, da sie ja persönlich davon profitieren.

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  4. Jörg
    Der nächste Schritt ist die Anerkennung der Verhältnisse. Es wäre gut wenn ein Gutachten erstellt wird, dass gesicherte Erkenntnisse in fließendem behördisch bereitstellt. Die Sammlung der Bürger ist ja vollkommen unwissenschaftlich, chaotisch und vor allem unbehördlich. Das ist sie in keiner Verwaltung verwertbar. Wo kommen wir da hin?
    Es ist ein langsamer Weg über Gutachten und Untersuchungen, vermutlich aber der schnellste.

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  5. BILDUNGSTERRORISTEN!
    Behindernd nur unseren Verkehr!
    Die klauen uns unsere Zukunft!
    Einsperren sollte man alle diese Kinder!

    (sorry, aber da wurde ich wohl ein wenig getriggert, nach den langjährigen Diskussionen mit der Schulverwaltung, ob meine Kinder mit dem Rad in die Grundschule fahren dürfen)

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    1. Welche Befugnis hat denn die Schulverwaltung bei der Verkehrsmittelwahl?

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    2. Lieber Handwerker, die Schulverwatltung hat keinerlei Befugnissen, den Eltern bei der Wahl der Verkehrsmittel dreinzureden. Sie darf auch das Radfahren zur Schule nicht verbieten, weil noch kein Radführerschein gemacht wurde. Die Schulen bieten aber Verkehrserziehung - und Radfahrerziehung - an.

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    3. Sehe ich auch so. Deswegen ja auch meine Frage an Karl

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