23. August 2015

Fahrradhelme sind keine Antwort

Die Niederlande sind für Radfahrer/innen das sicherste Land der Welt, obwohl nur 0.5 Prozent Helme tragen. In Großbritannien tragen dagegen die meisten Radler/innen Helme, leben aber sechs Mal gefährlicher als in den Niederlanden. 

Eine Politik, die sich darauf konzentriert, eine Helmpflicht für Radfahrer zu installieren, erklärt das Scheitern einer echten Radförderpolitik zum Schutz der Radfahrer im Straßenverkehr. Und wie man an Großbritannien sieht, wo auch noch viele Radler Sicherheitswesten tragen, nützt es dem Radler überhaupt nichts, wenn er sich selber aufrüstet mit Helm und Schutzkleidung. Autos sind immer stärker. Und wenn Autofahrer ihn nicht sehen wollen, kommt er halt unter die Räder. Es sei denn, sie fahren nackt, dann werden sie wenigstens gesehen. 



In den Niederlanden fahren außerdem auch noch Menschen jeden Alters, angefangen bei kleinen Kindern bis hin zu Senioren. Und trotzdem passiert ihnen dort weniger als in Großbritannien, wo die Eltern ihre Kinder mit dem Fahrrad nicht auf die Straße schicken. Das stellt die Seite "Das andere Bundesverkehrsministerium" anschaulich dar.

Helme sind also keine Antwort auf die Gefahren im Straßenverkehr. Sie sind nur der Indikator dafür, dass die Straßen nicht sicher sind und Radler sich auch nicht sicher fühlen. Statt einer Helmpflicht brauchen wir eine bessere Infrastruktur, breite Radfahrbahnen mit guten Sichtbeziehungen an den Kreuzungen. Und wir brauchen eine öffentliche Kampagne für die Regeln im Straßenverkehr: 

Wie verhalte ich mich als Radler so, dass ich möglichst wenig in Gefahr gerate? Welche Rechte haben Radfahrer, worauf müssen Autofahrer achten? Wollen wir aufeinander Rücksicht nehmen oder riskieren wir lieber, dass ein Radfahrer stirbt oder schwer verletzt wird? Fahren wir miteinander oder gegeneinander?

Und allen, die jetzt sofort die Hand heben und mir sagen, dass Radler sich "nie an Regeln halten", "immer rote Ampeln überfahren" und "Autofahrer ausbremsen oder gar verprügeln" sei gesagt: Auch Autofahrer/innen oder Fußgänger/innen halten sich oftmals nicht an Regeln, auch Autofahrer schlagen Radfahrer, auch Fußgänger gehen bei Rot. Es bringt nichts, mit Fingern auf die jeweils anderen Verkehrsteilnehmer zu zeigen, wenn wir uns doch eigentlich darum kümmern wollen, dass das Miteinander auf unseren Straßen reibungsloser und gefahrloser funktioniert.

Diese Kampagne ist ein Armutszeugnis

Die ewigen Kampagnen fürs Fahrradhelmtragen ähneln dem einstigen Rat an Frauen, doch keine kurzen Röcke zu tragen, damit sie nicht in Gefahr geraten.


14 Kommentare:

  1. Wenn man sieht wie in englischen Großstädten gefahren wird muß man grundsätzlich lebensmüde sein sich dort überhaupt auf die Straße zu trauen. Es wird wohl auch eine Mentalitäts-Frage des Umgangs im Straßenverkehr sein. Vielleicht fahren die Holländer einfach generell rücksichtsvoller als die Briten.

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    1. Sie sind es vor allem schon lange geübt, mit Radlern zu rechnen. Und über die Briten habe ich gelesen, dass sie irgendwie schick finden, einen Radler ohne Schutzweste zu "übersehen". Es gibt so eine Art Stigmaitisierung der Verkehrsteilnehmer, die man nicht haben will, weil sie ein Umdenken verlangen. Schutzwesten und Helmpflicht ist so etwas. Nach dem Prinzip: Ihr müsst euch extra anziehen und mordsmäßig ausrüsten, wenn ihr unter uns (Autos) sein wollt. Die Niederländer sind da wohl generell und grundsätzlich toleranter.

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    2. Ganz grob auf die Schnelle: Verkehrstote je Million Einwohner hatte UK 28 und Niederlande 33, beides deutlich weniger als in Deutschland mit 44 (Quelle FAZ 2013 von http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ungluecke/eu-unfallstatistik-litauen-100-deutschland-44-12120473.html).

      Sicher sind Niederländer besser an Radfahrer im Alltag gewöhnt (nicht unbedingt auf den Straßen). Aber nicht weil sie die besseren/toleranteren Fahrer sind, sondern weil Radverkehr in der Gesellschaft wesentlich normaler als in UK und auch D ist.

      Ich frage mich wirklich, wie man die offensichtlichen Unterschiede ausblenden kann und völlig unbelegt den Grund beim vermeintlich unterschiedlichen Verhalten der KFZ-Fahrer suchen kann. Ich bite um Entschuldigung, wenn es keine Absicht war --- ansonsten: Vermutlich sind die niederländischen Autofahrer so gut, dass sie auch noch die zusätzlichen Gefahren durch die vielen bösen Radwege dort ausgleichen können was?

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  2. Ich glaube auch, das die Mentalität und Erziehung der Menschen über das spätere Autofahren entscheidet. Seit dem Jahr 2014 wird stetig versucht, in Deutschland eine Helmtragepflicht ein zu führen. Kann man immer wieder erkennen an den Artikeln in den verschieden Zeitungen und den Hinweisen der Polizei. Beispiel: Mit einem Helm wären die Kopfverletzungen geringer gewesen, durch tragen eines Helms, wären die Kopfverletzungen deutlich harmloser verlaufen usw.
    Viel besser finde ich, was Marco Laufenberg gemacht hat:
    http://www.radfahren-in-koeln.de/2015/07/01/30-helme-fuer-die-hasenschule-dankhelm-und-dorobaer/
    Hier kann man sich mal einen Überblick verschaffen, wie bewusst durch Presse und Polizei die Helmtragepflicht in den Mittelpunkt des Interesses gelenkt wird, ohne die andern Mankos zu verändern.
    http://hamburgize.blogspot.de/p/pressespiegel-veloverkehr.html
    Ist ja auch leichter, eine schwach vertretene Gruppe in den Medien "schlecht" zu schreiben und die Wirtschaft mit dem Kauf eines Helm an zu kurbeln, damit der Staat dann durch die Steuereinnahmen in den Verkehr der Autos und Lkw´s investieren kann. Dies ist auch noch lesenswert:
    http://hamburgize.blogspot.de/2014/11/mit-helmpflicht-fur-fuganger-und.html

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  3. Kann ich so nur unterschreiben. Helme verhindern keine Unfälle. Verantwortungsvolles Verhalten tut es. Selbstverständlich bei allen Teilnehmern des Straßenverkehrs.
    Irgendwo habe ichmal was gelesen, das die meisten tödlichen Unfälle auch mit Helm tödlich verlaufen wären. Schade, daß ich das jetzt nicht herbeizaubern kann. Wir werden wohl nie eine komplette Statistik bekommen, was sicherer ist, wer was verursacht, ob 90% der tödlichen Radunfälle durch Überfahren von roten Ampeln ausgelöst wird, oder nicht. Deswegen müssen wir uns eher auf unseren Verstand und die Intuition verlassen. Ich hoffe, das solche Streitthemen eines Tages überflüssig sind.

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    1. Ich höre immer wieder Geschichten von jemandem, der ohne Helm jetzt tot wäre. Und ich höre auch Geschichten von Leuten, die ohne Helm gestürzt und jetzt tot sind. Ich persönlich trage einen Helm. Aber ich überlege mir schon - und denken ist ja erlaubt und nützlich - ob nicht Leute mit Helm etwas riskanter fahren oder ob sie auch ohne Helm jetzt nicht tot wären. Ich weiß, es ist heikel, wenn ich das sage: Aber wenn ich die kleinen Kinder mit Helm radeln sehe, dann muss ich an meine Jugend denken: Wir haben herumgetobt, sind Roller, Rad und Rollschuh gefahren ohne Helme, wir sind gestürzt, einer sogar mit der Stirn gegen eine Eisenstrebe gekracht, und meine Mutter hat Blut gestillt und gepflastert, aber schwer verletzt hat sich kein Kind. Kinder haben eine so geringe Fallhöhe, und sie müssen ja auch Gefahren abschätzen lernen. Und ich frage mich, wovor wir unsere Kinder und uns demnächst noch mit Helmen schützen müssen: Vorm Stolpern auf dem Gehweg? Beim Klettern auf Bäume? Auch ältere Menschen könnten bei ihren zu-Fuß-Wegen gut einen Helmschutz gebrauchen, falls sie stürzen.

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  4. Ich finde diesen Artikel in der Frankfurter Rundschau gut geschrieben:
    http://www.fr-online.de/auto/helmpflicht--infrastruktur-fast-400-tote---wie-macht-man-das-radfahren-sicherer-,1472790,31511754.html
    Besonders gefällt mir: "Was können Autofahrer tun?" und "Keine Ampeln und eine bessere Infrastruktur".

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  5. Im Prinzip bin ich auch gegen eine Helmpflicht - aber nur aus einem einzigen Grund: eine Helmpflicht würde wahrscheinlich leider dazu führen, dass weniger Leute überhaupt Radfahren.
    Ansonsten finde ich eine Verquickung von Helm-Tragen mit der Fahrrad-unfreundlichen Verkehrsinfrastruktur völlig verfehlt. Und zwar sowohl von den Helmpflicht-Befürwortern als auch von den Helmgegnern unter den Fahrrad-Lobbisten.
    Ich trage seit etwa 30 Jahren einen Fahrradhelm (und fühle mich ohne ihn fast nackt) - definitiv nicht weil ich mich damit vielleicht im autoorientierten Verkehrsgewühl sicherer fühle. Und auch nicht, um deutliche Defizite in der Fahrradinfrastruktur auszugleichen. Da habe ich andere Möglichkeiten - z.B. selbstbewusstes Fahren - wenn's meiner Sicherheit dient, auch häufig in der Mitte der Fahrspur. Dazu brauche ich keinen Helm - eher einen Rückspiegel (ich habe beides :-)).
    Warum trage ich also Helm? Ich bin es mir einfach wert...
    Und die beiden "Erfahrungen" mit Helm in meinem engsten Freundes- und Familienkreis sind ohne jeglichen Bezug zum Autoverkehr passiert und hätten auch in den Niederlanden zum gleichen - dank Helm positiven - Ausgang geführt. Oder ohne Helm eben nicht...Ein Fall: meine Frau fährt mit mäßiger Geschwindigkeit auf einem asphaltierten Wirtschaftsweg. Eine kurze Unachtsamkeit führte dazu, dass sie auf die Wegkante geriet und schlicht umkippte. Erst zuhause haben wir festgestellt, dass der Helm genau an der Schläfe komplett durchgebrochen war - aber eben nur der Helm. Der zweite Fall ist ähnlich, nur hatte es hier den Helm an einer Bordsteinkante komplett zerlegt und ein kurzer Krankenhausaufenthalt war unumgänglich, aber eben keine Folgeschäden.
    Gibt's in den Niederlanden keine Bordsteinkanten?
    Ich finde es total daneben aus Protest gegen die verfehlte Verkehrspolitik keinen Helm zu tragen. Ich kenne sehr viele Radaktivisten ohne Helm, die mir als Mitstreiter sehr wichtig sind - ich möchte keinen von ihnen verlieren!
    Umgekehrt: muss ich jetzt als Fahrradaktivist ein schlechtes Gewissen haben, weil ich mit Überzeugung einen Helm trage?
    Auch der Vergleich mit den kurzen Röcken geht komplett an der Sache vorbei. Die Debatte ums Helmtragen erinnert eher an die Diskussion vor etwa 40 Jahren zu Kopfstützen und Sicherheitsgurt im Auto. Da gab es eine ziemlich makabre Kampagne, ein Plakat mit der Text: "Wenn Sie auf Kopfstützen und Gurt verzichten, können Sie sich bald diesen tollen Wagen leisten" - abgebildet war ein Hightech-Rollstuhl...

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    1. Trenne bitte nicht nur Helm und Radinfrastruktur, sondern vielleicht mal insgesamt Helm und Radfahren. "Sicheres Beherrschen" des Fahrzeugs unter den jeweiligen Bedingungen verhindert solche Unfälle normalerweise ganz.

      Es gibt überall Forderungen nach Schutzmitteln aller Art (Hi-Vis, Helme, Protektoren): Radverkehr, Radsport, Schulkinder, Fußgänger, diverse Sportarten, Gefährliche Arbeiten, usw.

      Allgemein würde ich sagen, dass Schutzmittel nicht die Aufgabe haben Totalversagen (eigenes, fremdes, höhere Gewalt und Umwelt) zu kompensieren (beim Helm also zum Beispiel Todesfälle durch Überfahren) sondern Die Folgen von Teilversagen (wie vorhin) abzumildern.

      Bei den verschiedenen Tätigkeiten kommt das Risiko aber aus unterschiedlichen Quellen: Beim Sport geht man auch mal an die Grenzen des Könnens und des Materials. Beim Arbeiten nur da wo nötig. Bei Alltäglichen Verrichtungen (Gehen, Radfahren, ...) möchten die meisten weit außerhalb des Grenzbereichs sein.

      Dann macht jeder für sich eine Abschätzung des Risikos einer Tätigkeit gegen die "Kosten" (Zeit, Geld, Unannehmlichkeiten, ...) von Schutzmitteln. Beim Gehen tragen die meisten Schuhe, u.a. weil sowohl Verletzungsrisiko als auch die "Kosten" der Vermeidung hoch sind. Fußgänger mit Helm sind dagegen selten, so gut wie jeder kann Stürze von der Gehwegkante auch so vermeiden. Wenn ich schnell Radfahren gehe, ist Splitt in Kurven vielleicht ein nennenswertes Risiko und ich nehm den Helm.

      Eines zuletzt: Die meisten Menschen sind wesentlich zurückhaltender selbst freiwillig Schutmittel zu nutzen, als diese Anderen zu verordnen (Helmpflicht, Arbeitsschutz (hier ja auch sinnvoll), Sichtbarkeit bei Schulkindern, Antiterrorgesetze, ...).

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    2. Lieber Hannes, danke für die differenzierenden Überlegungen. Die Gegenwehr gegen eine Helmpflicht für Radler wird immer wieder gern mit der der Autofahrer gegen Gurte verglichen. Stimmt, der Mensch hält sich selbst für unverwundbar und meint, er brauche blöde Sicherheitsmaßnahmen nicht. Ich selber trage ja einen Helm und finde es besser, wenn man einen trägt. Ich frage mich aber auch, was das mit der Radkultur macht, wenn es eine Pflicht gäbe. Beispielsweise sind die Radleihsysteme damit tot, denn wer schleppt einen Helm mit für den Fall, dass er sich für zwei Kilometer ein Rad ausleiht? Und ich finde - wie in dem Artikel ausgedrückt - die Forderung nach einer Helmpflicht nicht richtig, wenn man sonst nichts weiter vorhat, um Radler im Straßenverkehr zu schützen. Und es müssen auch die geschützt sein, die wieder mit dem RAdfahren anfangen und nicht ganz so balancesicher sind wie sportliche junge Leute, und auch nicht so schnelle Reaktionen haben. Insgesamt war für mich jetzt hier die Diskussion sehr interessant. Und ich werde viele der hier gelesenen Argumente hier behalten.

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  6. Fahrradpolitik darf sich halt nicht im Fordern einer Helmpflicht erschöpfen. Sie muss das Radfahren selbst sicher machen, indem sie den Autoverkehr zügelt. Das Beispiel Niederlande zeigt vor allem: Je mehr Radler unterwegs sind, desto besser ist der Einzelne geschützt, weil Autofahrer mit Radfahrern rechnen und sie beachten. (Safety Numbers) Und tatsächlich fallen mir noch viele Lebenslagen ein, wo ein Heim nützlich gewesen wäre (beim Kirschenpflücken auf der Leiter zum Beispiel, im Haushalt (da sterben die meisten Menschen) beim Treppensteigen im Haus oder auf der Straße, wenn Kinder auf Bäume Klettern (wobei sich Kinder beim Fallen im Zweifelsfall dann am Helm auch mal erhängen), beim Herumtollen. Die Gefahr von Kopfverletzungen besteht fast überall, wenn ein Mensch sich etwas schneller als Schrittgeschwindigkeit bewegt und/oder stürzt. Und ich sehe schon auch, dass ältere Menschen, die wieder mit dem Radfahren anfangen, und noch nicht trainiert sind, besser einen Helm tragen sollten. Nur ist halt der Helm nicht die Antwort auf die Situation auf unseren Straßen. Die Antwort heißt: Macht den Radverkehr sicherer. Und das geht nur durch anständige Radrouten, die möglichst wenige Konflikte mit Autofahrern und Fußgänger provozieren.

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  7. Warum beispielsweise wird nicht darüber nachgedacht die Geschwindigkeit innerorts auf 30 zu begrenzen? Alles was gegen die "Freiheit der Autofahrer" geht ist anscheinend mit einem Denkverbot belegt.

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    1. Schimpfst du wieder, Michael. Es gibt kein Denkverbot, denn ich denke ja, und ihr denkt mit mir mit. Es wird mit Sicherheit alles darauf hinaus laufen, dass man die Geschwindigkeit für Autos innerorts auf 30 km/h beschränkt. Aber in einer demokratischen Gesellschaft geht so etwas demokratisch und deshalb langsamer, als wir Radler/innen und Fußgänger/innen das vielleicht wünschen. Und es geht nur, wenn wir, die wir Veränderungen wünschen, sie auch unermüdlich fordern und andere davon überzeugen, dass sie sinnvoll sind. Das ist halt Arbeit. Übrigens eine, die ich mir hier mache.

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  8. Tempo 30 als Regel innerorts, eine Mithaftung von Verkehrsplanern bei Unfällen an Kreuzungen mit schlecht einsehbaren Radwegen für Abbieger und eine Sendung wie den 7.Sinn gerichtet an Autofahrer mit Bezug auf Fahrradthemen in den Medien würde vermutlich zeitnah die Anzahl der toten Radfahrer pro Jahr halbieren. Auch vielen Fussgängern würde dies das Leben retten.

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