Ich kenne die Örtlichkeit nicht, habe sie mir aber auf Google-Maps angeschaut. Man sieht, dass Radler nicht auf der Böblinger Straße fahren, sondern auf dem Gehweg der Böbglinger Straße. An der Carl-Zeiß-Straße ist von Gehwegecke zu Gehwegecke ein roter Radstreifen gelegt. Nach Angaben der Polizei war der Radfahrer auf genau diesem roten Streifen unterwegs.
Diesmal hat die Stuttgarter Zeitung die Formulierung gewählt: "... als ihm ein Lkw-Fahrer die Vorfahrt nimmt und den Radler überfährt." und damit klargestellt, dass der Lastwagenlenker schuld hatte. Der Radfahrer wurde nicht einfach nur mal kurz "übersehen." Im Bericht sieht man auch ein Foto der Örtlichkeit. Man sieht, dass das ein Gehweg-Radweg entlang der Fahrbahn führt, der die Einbiegung als roter Radstreifen quert. Es habndelt sich um einen benutzungspflichtigen Radweg.
Der Unfall zeigt leider, wie gefährlich das Geh-Radwegradeln für Radler ist, und zwar immer dort, wo die Gehwegroute Straßen quert. Autofahrer rechnen nicht damit, dass von Gehwegen herab schnelle Räder kommen, sie sind auf die Geschwindigkeit und das Verhalten von Fußgängern geeicht. Räder, die auf der Fahrbahn kommen, werden dagegen eher beachtet, weil sie immerhin dort kommen, wo auch der Autoverkehr kommt, auf den ein Autofahrer ja achtet.
Der Lastwagenfahrer ist nicht zu entschuldigen, aber ich möchte trotzdem auf Folgendes hinweisen: Es macht für Autofahrer einen Unterschied, ob sie an eine Fahrbahnlinie zwischen den Gehwegkanten vorfahren, die zugleich die rechte Begrenzung des Radstreifens ist (Fahrbahn = Radsteifen) oder ob sie erst an einem Radstreifen halten müssen (Radstreifen = Gehweg), wo sie noch nicht den vollen Einblick in die Fahrbahn haben, die sie erobern wollen. Ihre zweite Haltelinie ist nämlich dann die Fahrbahn jenseits des Radstreifens. Das Kombifoto zeigt einen Gehweg-Radstreifen in Untertürkheim, und den Fahrbahnradstreifen an der Fritz-Elsas-Straße. Für Autofahrende sind die Gehwegkanten der Querstraße das Bezugsmaß für ihre Fahrten. Radstreifen als Fortsetzung eines Gehwegs werden ins Raster Fußgänger abgelegt (und die kommen sehr viel langsamer und bleiben auch stehen). Das ist die Krux bei solchen Konstruktionen.
Ich finde es traurig und bestürzend, dass wir in unseren Städten immer noch eine Radinfrastruktur haben und teils sogar ausbauen, die für Radfahrende gefährlich ist, weil sie sie in den für den Autoverkehr unsichtbaren Bereich verbannt. Radrouten gehören prominent und selbstbewusst auf die Fahrbahn.
Wer Räder irgendwohin abdrängt, wo sie dien Autoverkehr "nicht stören", riskiert, dass Radfahrende vom Autoverkehr getötet werden, weil er sie nicht sieht.
Foto: Sebastian |
Vor ein paar Tagen erschien die Unfallstatistik. Demnach kamen im vergangenen Jahr 383 Radfahrende im Straßenverkehr ums Leben - jeden Tag eine/r. Das ist ein leichter Rückgang. Die Zahl ist immer noch zu hoch. Allerdings sterben in ihren Autos täglich rund 10 Menschen. Bezogen auf die immens vielen täglichen Radfahrten - in Berlin allein 1,5 Millionen - erweist sich Radfahren nicht als sonderlich gefährlich. Aber jeder Tote im Straßenverkehr ist einer zu viel, das ist klar. Der ADFC weist zu Recht darauf hin, dass Unfälle vermieden werden können, wenn alle die Regeln mehr beachten.
Autofahrer müssen besser gucken, wenn sie abbiegen. Und Radfahrende sollten nicht auf der falschen Straßenseite oder dem Gehweg fahren. Gefährlich sind aber auch Hindernisse auf dem Radweg: Schlaglöcher, Falschparker, Baustellen, Poller, Schilder. Von der Politik fordert der ADFC durchgängige Radrouten mit guten Sichtbeziehungen. Die Autoindustrie sollte sich um Systeme zur Radfahrer- und Fußgängererkennung kümmern, außerdem um Türöffnungs-Warner, denn immer noch hageln viele Radfahrende in plötzlich aufgehende Autotüren.
Insgesamt gilt es, den Gedanken der Rücksicht wieder zu stärken. Es ist einfach notwendig, auf andere und vor allem physisch schwächere Verkehrsteilnehmer/innen zu achten.
Die Stuttgarter Zeitung hat die Formulierung online leider wieder an das übliche Bild angepasst. "Geriet unter" etc. Immerhin bleibt aber klar, wer Vorfahrt hatte.
AntwortenLöschenIch habe mir angewöhnt immer den Schulterblick zu machen, auch beim geradeaus fahren. Das ist zwar ziemlich nervig, aber meines Erachtens die derzeit sicherste Methode, wenn man auf vom Autoverkehr getrennten Wegen an Kreuzungen kommt.
AntwortenLöschenNachteilig ist allerdings dass ich dann mitunter Radfahrer, die auf der falschen Seite unterwegs sind sehr spät bemerke.
Eine der unmöglichsten Kreuzungen auf meinen täglichen Arbeitsweg ist zum Beispiel die Ecke Siemensstraße/Rheinsthalstraße. Hier hat man als Radfahrer quasi keine andere Möglichkeit als auf dem freigegebenen Fussweg zu fahren (in beide Richtungen auf der gleichen Seite).
Ich habe auch schon versucht die B295 zu befahren, aber gerade im Berufsverkehr wird dort so knapp überholt, dass ich dort schon Todesangst bekam.
Ich finde die Berichterstattung von StN und StZ dieses mal nicht beanstandenswert. Hinsichtlich der Verkehrsführung dort stimme ich Christine zu. Mit einem durchgehenden roten Streifen neben der Autospur auf der Fahrbahn würde der Fahrradfahrer vermutlich noch leben, mehr Verkehrsraum für uns wäre hier ein Menschenleben wert. Platz genug wäre vorhanden, wenn man auf die aufwändige Abbiegeanlage für die Motoristen verzichten würde.
AntwortenLöschenEs gibt keine gelben Streifen für Motorräder, keine blauen für PKW, keine grünen für LKW, warum dann rote Streifen für Radler?
LöschenFahrradstreifen auf der Fahrbahn verringern den Abstand von überholenden KFZ zu Radfahrern (der fährt eh auf seiner Spur, ich auf meiner -> passt)
Ich bin öfter in Böblingen und Sindelfingen unterwegs. Was ich jetzt schreibe trifft auf beide Städte zu.
AntwortenLöschenDie beiden Städte haben wohl recht früh angefangen, "etwas für Radfahrer zu tun". Das ist an sich löblich. Aber in dieser Zeit war es noch sehr üblich, die Radfahrer auf Gehwege zu verfrachten (verpflichtend). Und seither hat sich dort gefühlt rein gar nichts geändert, und die Fahrradwege von damals gammeln vor sich hin.
Heißt: Man fährt ständig auf dem nicht selten viel zu schmalen Gehweg und hoppelt ständig den Bürgersteig rauf und runter. Größere Kreuzungen mit Ampel sind oft so, dass Rechtsabbieger vor der Ampel rechts vorbeigeschleust werden. Für Autofahrer gut, für Fußgänger und Radfahrer heißt das: 4 Fahrbahnen überqueren, die erste ohne Ampel (und ohne Zebrastreifen), dann zwei Fahrbahnen mit je einer Ampel und nochmal eine Fahrbahn ohne Ampel.
Rekord ist ein Gehweg, der geteilt ist (verpflichtend; links Fahrrad, rechts Fußgänger). Der Fahrradstreifen ist 30-40cm breit, einschließlich 60°-Knick wegen einer Parkbucht.
Entlang des Bahnhofs wurde alles neu gemacht, einschließlich folgendem Murks: Man kommt die Talstraße aus Richtung Stuttgart, zuerst bergab in einen zweispurigen Kreisverkehr, den man in der inneren Spur durchfährt (die äußere führt zu früh aus dem Kreisverkehr raus), kommt dann mit Schwung aus dem Kreisverkehr heraus auf den Bahnhof zu und muss - bergauf - ohne bauliche Hilfe auf den Gehweg wechseln (verpflichtend!) - und das, wo das Tempo auf der Straße auf 20 km/h begrenzt ist. Aber man muss ja auf den Gehweg und schlängelt sich dann die sämtliche Leute, die aus dem Bahnhof kommen und in die Innenstadt wollen oder auf den Bus warten - denn man fährt direkt durch den Wartebereich der Bushaltestelle).
Ich empfehle Dir (@Christine) auch, mal in Sindelfingen die Hans-Martin-Schleyer-Straße (aus Richtung BB kommen) regelkonform auszukosten :)
Linksabbiegestreifen sind auch für Radfahrer da. Roteinfärbungen sollen nur an wirklichen Gefahrenpunkten verwendet werden, damit sie dort auch ihre Wirkung entfalten. Ansonsten guter Artikel. Es handelt aber doch um einen klassichen, fahrbahnangrenzenden Radweg?
AntwortenLöschenDer aber an der Kreuzung eben nicht sicher auf die Fahrbahn verschwenkt wurde, sondern wie ein Gehweg weitergeht. Das macht Radwege ja so gefährlich, egal, ob sie straßenbegleitend sind oder nicht. Solange Autofahrer Radfahrer nicht auf der Fahrbahn sehen, auf die sie sich orientieren, sind Radfahrende in Gefahr (so auch bei uns in der Neckartalstraße in Münster an den Ein- und Ausfahrten der Tankstelle, und an vielen anderen Stellen.)
LöschenRichtig, Christine. Als Radfahrer müssen wir dringend dazu kommen, eine gemeinsame Linie und Argumentation zu verfolgen. Ich glaube, Du weißt noch gar nicht, welch grandiosen Beitrag Du dazu leistest! Wir müssen uns austauschen und argumentieren, von dem un den anderen lernen und so fort. Nur so bringen wir die Sache voran. Ich persönlich lerne ständig aus diesem Blog und den Kommentaren der Kollegen.
LöschenDanke, Stefan. Ich freue mich zu sehen, dass wir allmählich eine kleine Gemeinschaft der Stuttgart-Radler werden. Gemeinsam können wir sehr viel erreichen. Ich sehe, dass in der Stadtgesellschaft vor allem zunächst einmal das Wissen über Radfahren vermehrt werden muss. Es müssen tatsächlich erst noch alle Mitglieder des Gemeinderats, der ja alles entscheidet, auf einen gleichen Wissensstand gebracht werden, damit künftig bessere Entscheidungen über Radwege und Radstreifen herauskommen, die weniger Unfälle in Kauf nehmen.
LöschenVielen Dank an Dich Christine für das Aufgreifen meines Hinweises und Umsetzung als sehr gelungener Artikel! Ebenso für die Anerkennung des Problems an der Shell-Tankstelle/Neckartalstraße in Stgt-Münster.
AntwortenLöschenWenn ich so persönlich an meine letzten Schreckensmomente zurückdenke, waren die sehr häufig in Zusammenhang mit rot markierten Wegen, scheint daher in der Tat etwas seine Bestimmung zu verfehlen.
Auf den Artikel bezogen hatte ich in den letzten 3 Jahren bei ~25.000 km in der Regio-Stuttgart: 3 Touchierungen mit Fahrzeugen, die mich übersehen haben (bei deren Einfahrt: Schulterblick vergessen bzw. Ausfahrt: nicht rechts geschaut - Radler von beiden Seiten) an der Shell-Tankstelle in Münster und 2 beinahe Frontalzusammenstöße (wohl unachtsam/egoistisch) am gezeigten Übergang in Untertürkheim.
Meine Rückschlüsse daraus sind: Alles, was schnell oder einfach befahren werden kann, wird es auch - unabhängig von der Belagsfarbe. Daher stehe ich sogenannter Fahrbahnpinselei ehr skeptisch gegenüber.