12. März 2020

Darf man in Fußgängerzonen das Fahrrad wie einen Tretroller nutzen?

Ganz schlaue schieben nicht, sondern stellen sich auf ein Pedal und stoßen mit dem anderen Fuß vom Boden ab, wenn sie mit dem Fahrrad durch eine Fußgängerzone wollen. 

Das ist nach etlichen Gerichtsurteilen legal. Es wird nicht getreppelt, das Fahrrad wird zum Tretroller umfunktioniert, und Tretroller (solange es keien E-Scooter sind) sind in Fußgängerzonen erlaubt. Das regelt Paragraf 24 der StVO. Nicht motorisierte Tretroller sind keine Fahrzeuge, sie müssen dort fahren, wo die Fußgänger/innen laufen, dürfen aber nicht schneller als Schrittgeschwindigkeit sein. Kenner/innen dieses Paragrafen (viele sind es allerdings nicht) machen aus ihrem Fahrrad darum auch mal einen Roller, stellen sich auf ein Pedal und stoßen mit dem anderen Fuß vom Boden ab. So bewegen sie sich durch Fußgängerzonen oder auf Gehwegen.

Das dürften sie nach einem Gerichtsurteil in München aber nicht tun.

Der Radfahrer, der von einer Polizistin gestellt wurde und das Bußgeld nicht zahlen wollte, war nach Einschätzung der Polizistin auch etwas schneller als mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs. Aber das scheint das Amtsgericht nicht interessiert zu haben. Es befand, dass ein Fahrrad sofort zum Fahrzeug wird, wenn es sich eigenständig rollend (also nicht geschoben wird) bewegt und mit den Händen gelenkt wird, und verurteilte den Radfahrer zur Buße von 15 Euro.

Im Jahr 2015 regte die Generalstaatsanwaltschaft in einer Stellungnahme für das Stuttgarter Oberlandesgericht nach einem Urteil in Reutlingen, das ähnlich gelautet hatte, an, das Verfahren einzustellen. Es gab schon ein so lautendes Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart: "Fußgänger ist dabei auch, wer ein Fahrrad mit sich führt oder sich mit ihm untypisch – etwa durch wiederholtes Abstoßen mit einem Fuß – fortbewegt", Az.: 5 Ss 479/87. Auch das Berliner Kammertericht hat so geurteilt: "Steigt der Radfahrer ab und überquert er die Fahrbahn auf dem Fußgänger-Überweg, indem er mit einem Fuß auf ein Pedal steigt und ‚rollert‘, ist dies kein Verstoß gegen das Verbot, den Fußgängerüberweg mit dem Fahrrad zu befahren", Az.: 12 U 68/03.

Damit ist nun alles unklar. Allerdings dürfen wir in Stuttgart wohl davon ausgehen, dass das Urteil des Oberlandesgerichts für uns immer noch Gültigkeit hat.

Wobei Fahrräder, die man wie einen Tretroller fährt, ziemlich unsicher werden. Besser lenken und kontrollieren lassen sie sich, wenn man ordentlich auf ihnen sitzt. Fußgänger/innen verstehen selten, warum Radfahrende nicht auch mal absteigen und schieben können, etwa, wenn sie an der Planie die Königstraße Richtung Wittwer überqueren (was fahrend verboten ist). Radfahrende dagegen sehen eine relativ freie Fläche, auf der sie gut und in mehreren Metern Abstand zu Fußgänger/innen fahren könnten und das auch hin und wieder tun. Fußgänger/innen werden dadurch nicht gefährdet. Übrigens nimmt ein Mensch, der ein Fahrrad schiebt, deutlich mehr Platz ein als wenn er drauf sitzt, und es besteht eine gewisse Gefahr, dass in dichtem Fußverkehr Fußgänger/innen an den Pedalen hängen bleiben, auch wenn der schiebende Radfahrer aufpasst. Das ist ziemlich schmerzhaft.




11 Kommentare:

  1. Gerichtsurteile haben keine gesetzgeberische Wirkung, sie geben die Meinung eines Gerichts wieder. Normalerweise sind Gerichtsurteile immer Einzelfallbetrachtungen. Urteile von Amtsgerichten können keine Fernwirkung entwickeln, eher schon welche von OLGs, aber so einfach ist das auch nicht. Und bei Gericht gilt auch ober sticht unter. Also LG sticht AG und OLG sticht LG. Da würde ich mich also im Zweifelsfall an der Meinung eines OLGs orientieren.
    Gruß
    Karin

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    1. Bei uns in Deutschland gibt es ja, soweit ich weiß, keine Präzedenz-Fall-Urteile. Insofern muss jedes Gericht (von unten an) solche Fälle klären, wenn sie zur Anzeige kommen und die Staatsanwaltschaft sie nicht niederschlägt. Es bleibt also ein kleines Risiko, wenn wir uns mit dem Fahrrad durch eine ziemlich unperfekte und immmer wieder unterbrochene Radinfrastruktur bewegen. Das finde ich ziemlich unbefriedigend.

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  2. "das Verbot, den Fußgängerüberweg mit dem Fahrrad zu befahren"
    Ich wusste gar nicht, dass das verboten ist.

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    1. Da scheiden sich auch die Geister. Allgemein heißt es, auf dem Zebrastreifen dürfen man in Fußgänger-Richtung radeln, habe dann aber keinen Vorrang vor den Autos, den habe man nur, wenn man das Fahrrad schiebt. Ich kenne Städte, wo Radfahrende konsequent absteigen und auf Zebrstreifen schieben. Unklar bleibt auch, wie wir Radler/innen uns verhalten müssen, wenn eine Radroute (per Wegweiser) an einen Fußgängerüberweg mit Ampel führt, dessen Ampel kein Radzeichen in der Streuscheibe hat. Dann gilt diese Ampel für uns Radler nicht. Und die Frage bleibt, müssen wir absteigen, wenn wir den Überweg zusammen mit Fußgänger/innen benutzen. Für mich ist das nicht geklärt. Ich sage mir allerdings, dass immer dort, wo eine Radroutenwegweisung hinzeigt, ich mit dem Fahrrad auch fahren kann und nicht schieben muss.

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    2. Danke für die Info!

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    3. Wo "scheiden sich die Geister", d.h. kennst Du tatsächlich ein Gerichtsurteil, das Radfahrern das Queren der Fahrbahn an einem Zebrastreifen grundsätzlich verbietet?

      Das wäre interessant, denn in Winnenden-Schelmenholz gibt es einen Radweg, der direkt in einen Zebrastreifen übergeht (bzw. vor ihm endet). Das wäre m.E. eine fies eingerichtete Falle der Straßenverkehrsbehörde, wenn ich von Körnle kommend absteigen müsste, um nach links in die Forststraße abzubiegen.

      https://www.google.de/maps/search/winnenden+Schelmenholz/@48.8654847,9.3832402,21z

      Christine, Deine Annahme mit der Radroutenwegweisung ist falsch. Kommt es zum Unfall, dann bewertet die Polizei pingelig genau nach der StVO und für die Vorfahrtregelungen haben die Wegweiser keine Bedeutung.

      Beispiel: als ich am Rosensteinbunker umgefahren wurde, kam es nicht auf die Wegweiser an, dass ich nicht (Teil-)Schuld war, sondern allein darauf, dass dort eine Radfurt markiert war. Sonst hätte ich trotz Stop-Schild für die Autofahrerin Teilschuld bekommen, weil ich auf Gehweg-Radfahrer frei die Kreuzung fahrend überquert habe.

      Noch eine Frage bleibt beim Fußgänger-Ampel-Thema: Wenn es sich um eine Bettelampel handelt, darf man sich als Radfahrer Fußgänger-Grün anfordern - oder ist das eine verbotene Behinderung des KFZ-Verkehrs, weil man sich unberechtigt Vorfahrt erschleicht? In Stuttgart gibt es ja einzelne beschilderte Ausnahmen, für die das Verbot sicher nicht gilt. Aber sonst?

      Klar ist, Stuttgarts Ordnungsamt hat die mehrjährige Übergangsfrist, die 2016 endete, ungenutzt verstreichen lassen, um rechtzeitig die Ampelschaltungen den Vorschriften entsprechend umzustellen.

      Jetzt haben wir 3 1/2 Jahre später immer noch den Salat. Stuttgart hat jede Menge Kreuzungen, an denen willige Radfahrer rätseln müssen, wie sie sich StVO-konform verhalten müssen. Und das sogar auf den Hauptrouten. Aber Radfahrer-Bashing, weil sich Radfahrer "nie" an die Regeln halten. Und Aufträge des OB ans Ordnungsamt, Radfahrer zu kontrollieren, statt erst mal "seinen" Ordnungsbürgermeister zum Erledigen seiner Hausaufgaben in den Senkel zu stellen. Das macht mich wütend, vor allem, weil ich das Ordnungsamt schon vor Jahren ergebnislos darauf hingewiesen habe. Mit Unkenntnis kann man sich nicht rausreden.

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  3. Ich habe die Tretrollertheorie nie nachvollziehen können. Ein Fahrrad ist ein Fahrrad und entweder fährt man damit oder nicht. Wie man darauf sitzt/liegt/steht und ob man gerade tretkurbelt, spielt keine nachvollziehbare Rolle.

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    1. Na ja, in der Tretrollerversion ist man als radler langsamer unterwegs (Teetroller sind ja auf Gehewegen erlaubt), auf dem Fahrrrad sitzen kann man auch 30 km/h schnell sein. Das ist der Hintergrund.

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    2. Die Theorie ergibt sich aus der Definition, was ein Fahrrad ist (bzw. was ein Fahrradfahrer).

      Und ein Fahrrad ist in der StVO nun mal definiert als ein Fahrzeug mit mindestens 2 Rädern in einer Spur, das mittels Muskelkraft per Kurbeln angetrieben wird.

      Wegen "2 Räder in einer Spur" fallen Einräder aus der Definition.

      Gefährte, die nur 2 Räder nebeneinander haben, fallen aus der Definition.

      Gefährte wir die Ruder-Fahrräder und Roller mit Wipp-Antrieb fallen aus der Definition.

      Eingeschlossen sind auch Handbikes, Rollstühle aber nicht.

      Ein wenig merkwürdig ist: Ausdrücklich ausgenommen sind (Klein-)Kinderfahrräder. Kinder und ihre begleitenden Eltern, die auf Gehwegen fahren, müssen über Kreuzungen schieben - ist m.E. unlogisch, weil ein Kinderfahrrad doch kein Fahrrad ist. Aber gut...

      Ausdrücklich ausgenommen sind m.W. Spaßgeräte, deren primärer Zweck nicht die Fortbewegung zum Erreichen eines Ziels ist, also z.B. Bierbikes.

      So gesehen ist es konsequent und stimmig, wenn man nur dann Radfahrer ist, wenn man das Rad auch als Fahrrad nutzt, nicht aber, wenn man es schiebt oder rollert.

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  4. Mein Eindruck: Wären die Gesetze in Deutschland präzise und professioneller, gäbe es nicht derart viele Unklarheiten. Geschieht dies mit Absicht, das der Judikativen die Arbeit nicht ausgeht? Man könnte fasst meinen...

    Was die Verkehrssicherheit, Beschilderung & Markierung und Rechtssicherheit in Stuttgart angeht: Totalausfall. Da stimmt nix. So viele Fehler, das es einem schwindelig wird.

    Stuttgart ist eine heruntergekomme 'Failed-City'...Ulrike

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    1. Zum ersten Punkt: es ist schwer bis unmöglich, etwas komplett eindeutig und missverständlich zu formulieren. Problem ist aber die Tendenz, spezielle Gesetze mit immer mehr Sonderfällen und Ausnahmen zu produzieren. Das macht es den Behörden und Bürgern ziemlich schwer.

      Zum zweiten Punkt: ja, die reine Katastrophe.

      Leider will Christine selbst die objektiven Fehler bei den Verursachern in den Amtsstuben eher nicht deutlich angeprangert haben und müht sich zeitaufwendig und teilweise vergeblich darum, jeden Einzelfall über politische Mechanismen anzugehen, wo die politische Gegenseite nicht so zimperlich ist.

      Ich bin auch erschüttert, wie in Stuttgarts Verwaltung und Behörden das Einhalten von Vorschriften politischer Willkür ohne Sachkenntnis, Machtspielchen und Lobbyarbeit ausgeliefert ist. Wäre ja nicht so schlimm, wenn es deshalb nicht Verletzte (und möglicherweise Tote) gäbe...

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