21. August 2021

Radeln über einen Friedhof?

In Wangen im Allgäu gibt es einen Friedhof, durch den man mit dem Fahrrad fahren darf. Das liegt auch daran, dass hinter dem Friedhof Geh- und Radwege weitergehen. 

Und seien wir mal ehrlich: Im Grunde genommen macht es nichts, wenn Menschen mit Fahrrädern durch einen Friedhof fahren. Die Hauptwege sind meist breit und wenig bevölkert. Und sie sind ohnehin nur von Interesse, wenn sie geradeaus einen nennenswerten Umweg abkürzen. Dass die Leute massenhaft zu den Grabfeldern radeln, ist nicht zu erwarten. Es gibt keinen Grund, sogleich rasende Radler zu fantasieren und für die Friedhofsbesucher:innen Gefahren zu konstruieren, die einfach nicht vorhanden sind. Die Gelassenheit der Stadt Wangen gefällt mir gut. 

In Stuttgart sind wir sicherlich noch weit entfernt von so einer Gelassenheit. Ich habe bei einer Diskussion über mehr Radbügel an Friedhöfen schon das Argument von besorgten Nicht-Radlern gehört: Lieber nicht, die Leute sollen nicht mit dem Rad kommen, sonst habe man rasende Radler auf dem Friedhof. Radeln auf Friedhöfen ist verboten. Andererseits haben Friedhöfe manchmal eine breite und schöne direkte Durchgangsverbindung von hüben nach drüben. 

Beispielsweise der Pragfriedhof. Durch ihn hindurch führt die Eckartstraße, die die Nordbahnhofstraße mit der Heilbronner Straße verbindet. Da sie Teil des Friedhofsgeländes ist, kann der Friedhof sie für den Fahrverkehr sperren. 

Das Einfahrtverboten-Schild zeigt, hier darf nichts reinfahren außer Friedhofsgärtner, Bildhauer und Friedhofsfahrzeuge. Dennoch werden hier nicht nur 60 Autos, sondern auch ca.150 Radfahrende täglich neben vielen Fußgänger:innen gezählt. Als ich dort war, sah ich einen Radfahrer und eine Frau auf einem E-Scooter diese Straße zur Heilbronner hochfahren. 

Und ehrlich gesagt: Es macht eigentlich nichts. Die Autos, die dann doch hier lang fahren, etliche wohl ohne Berechtigung, stören mehr, drängen Fußgänger:innen regelrecht an den Rand. Und Fußgänger:innen sind hier auch nicht in Massen unterwegs.

Eigentlich wäre die Eckartstaße eine schöne Verbindung für Radfahrende zwischen dem Nordbahnhofviertel und  der Heilbronner Straße. Die Gefahr, dass Radler:innen durch Trauerzüge brettern, besteht wirklich nicht. Auch auf dem Friedhof in Wangen im Allgäu kommt es nicht zu kritischen Situationen, obgleich das Schild nicht einmal klar stellt, dass nur auf dem Hauptweg gefahren werden dürfte. Für manche Menschen, die zwar nicht mehr gut gehen, aber auf Tripeds (Dreirädern) noch gut radeln können, wäre das immerhin eine Möglichkeit, dem Grab des/der Angehörigen ein Stück näher zu kommen. 

Das Schild, das Rad Fahren verbietet (zweites Foto von oben) stammt übrigens vom Pragfriedhof von einem Eingang zu einem Gräberfeld zuseiten dieses Hauptwegs, auf dem eigentlich ja auch schon nicht Rad gefahren werden darf, weil das weiße Schild mit rotem Rand auch für Radfahrende gilt und für sie später auch keine Ausnahme gemacht wird. 

Sehr blöd ist nur, dass man sein Fahrrad nirgendwo am Eingang sicher abstellen kann, es gibt keinerlei Radbügel. Gar keine. Nur Schildermasten am Parkplatz. Wobei gerade hier, am Radweg entlang der Heilbronner Straße bei der Stadtbahnhaltestelle ein paar Radbügel für Kombi-Pendler:innen sowieso nicht schlecht wären. Car-Sharing-Plätze gibt es, aber nichts fürs Fahrrad. 

Da stimmt die  Stuttgarter Perspektive eben noch nicht so ganz. 


6 Kommentare:

  1. Muss man eigentlich überall mit dem Rad fahren?
    Ich finde ein Radfahrverbot auf dem Friedhof sinnvoll, es zeugt Respekt den Toten und ihren Angehörigen.
    Ich fahre auch mit dem Rad zum Friedhof, aber ich breche mir wirklich keinen ab, auf dem Friedhof zu schieben. Mein ganzes Equipment habe ich im Radkorb und bin froh, dass ich es nicht schleppen muss.
    Es gibt Leute, die fahren sogar mit dem Mofa auf den Friedhof und Radfahrer fahren selten Schrittgeschwindigkeit (alles eigene Beobachtung). Ich bin selbst schon fast von einer mit dem Fahrrad rasenden(!) Alten(!) angefahren worden. Radfahren auf dem Friedhof muss wirklich nicht sein. Ich bin froh, dass alle Zugänge soweit abgeschlossen sind, dass keiner mit dem Auto draufkommt, sonst würden manche sogar noch mit dem Auto drauffahren.
    Siehe hier: https://www.spiegel.de/panorama/justiz/essen-trauergaeste-einer-clan-beerdigung-attackieren-friedhofschef-a-7e3113bb-d689-4d74-82fa-565d9a9ccf1b
    Es muss auch Orte der Ruhe geben und ein Friedhof zählt da absolut dazu.
    Karin

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Muss man überall Radfahren? Wieso sagst du das so, als wäre es etwas Schlimmes? Radfahren iat neben Laufen und Atmen das Selbstverständlichste auf der Welt. Da es geräuschlos ist, werden auch die Toten "nicht gestört". Es würde auch nicht schaden, sich den Respekt für die lebende Welt aufzuheben, abstatt das Vergängliche zu bejammern.

      Löschen
  2. Hm, es kommt doch sehr darauf an, wie man sich verhält in der jeweiligen Situation. Wenn gerade eine Trauergesellschaft ums Grab steht oder man wahrnimmt, wie jemand vor Trauer durch den Wind ist, verhält man sich als Fremder still und hält sich möglichst abseits. Da verbietet sich aus Respekt und Pietät Radfahren genauso wie das Grab nebenan zu gießen, finde ich. Aber muss und kann man jede Facette davon, wie man sich respektvoll verhält, haarklein in einem Regelwerk versuchen festzulegen?

    Welche Rolle hat denn der Friedhof, wenn gerade keine Beerdigung stattfindet? Die soziale Funktion als Treffpunkt, die Möglichkeit zum Gespräch, ganz weltlicher Klatsch, während die Leute die Gräber ihrer Angehörigen pflegen. Da steht nicht unmittelbare Trauer im Vordergrund, sondern eben (auch) eine ganz normale Alltags-Aufgabe/Pflicht. Einen Ort für Kommunikation zu bieten, das ist Friedhof eben auch, obwohl in jüngeren Generationen Smartphones, Chats, elektronische soziale Medien die Funktion weitgehend übernommen haben. Für viele Leute ist es offensichtlich nicht (mehr) normal und selbstverständlich, sich einfach am Friedhof zu treffen, oder ist das in eurem sozialen Umfeld (noch) anders? Wenn Friedhöfe derart aus dem Alltagsleben herausgelöst sind, dann kann man tatsächlich überlegen, ob "unbefugtes Betreten und Befahren" verboten werden soll.

    Das hat sich in unserer Kultur doch ziemlich gewandelt, stimmt's? Aktuell steht mehr im Vordergrund, dass es eine Oase der Ruhe ist und die Besucher eher jeder für sich, mit Abstand und anonym. So wie die Kirchen(gebäude), die man auch erleben kann als "lebendigen", sozialen Ort, wo man sich zur Chorprobe oder zur Orchesterprobe trifft - ein (auch) funktionaler "Raum", wo man sich unbefangen aufhält. So habe ich als Student z.B. den Hoppenlaufriedhof wahrgenommen. Die Bäume, Eichhörnchen, eine Art Park. Warum daher nicht langsam und bewußt durchfahren (oder durchlaufen)?

    Schnell fahren fände ich unpassend, genauso wie Rennen und andere Aktivitäten, die im "normalen" öffentlichen Raum selbstverständlich sind. Ansonsten bin ich Christines Meinung: pragmatisch mit umgehen.

    AntwortenLöschen
  3. Es handelt sich nicht um die Eckartstraße sondern um den Eckartshaldenweg. Auf dem Stadtplan von 1980(https://gis6.stuttgart.de/maps/index.html?karte=historische_karten&embedded=false#basemap=0) ist das noch eine normale Straße die nicht zum Friedhofsgelände gehört. Auf dem Stadtplan von 1989 ist dass dann keine Straße mehr für Fahrzeuge. Ich vermute mal, dass der Eckartshaldenweg immer noch kein Friedhofsgelände ist. Kann man den aktuellen Status irgendwie herausbekommen?

    AntwortenLöschen
  4. Auf der gleichen Quelle wie oben habe ich mir die Flurstücke anzeigen lassen. Danach gehört der Eckartshaldenweg jetzt zum Friedhof. Die Verbindung ist aber auf jeden Fall wichtig. Da der Weg aber immer noch vom übrigen Friedhof mit Zäunen abgegrenzt ist, sollte eine Freigabe für Radfahrer eigentlich kein Probelm sein. Die Stadt könnte aber auch eine Verbindung zwischen Hedwig-Dohm- und Otto-Umfrid-Str. herstellen. Das passende Flurstück 9399/1 gibt es schon.

    AntwortenLöschen