18. September 2021

Kann es nicht schneller gehen?

Warum kommt eigentlich der Ausbau des Radverkehrs auch in den Städten, die sich dafür entschieden haben - mit Radentscheiden und Zielbeschlüssen - nur schleppend voran?  

Radwege beschlossen und in der Planung, Fahrradstraßen genehmigt, Radgaragen in Wohngebieten beschlossen und finanziert. Aber wir sehen das alles nicht, es ist nicht da. Wir warten. Ampelschaltung soll geändert werden? Wann endlich? Die Planung dauert, der Durchlauf durch die Gemeinderatsgremien dauert, die Detailplanung dauert, die Umsetzung dauert noch länger. Es dauert und dauert! 

Schuldige sind immer schnell benannt. Mal die Verwaltung, mal die Parteien, mal die Autofahrenden, mal die Radfahrenden, mal der Protest von Interessenvertretungen und Anwohner:innen. Irgendwer bremst immer, so scheint es. Und wenn eine Fahrbahnsperrung für Autos, die Wegnahme einer Fahrspur zugunsten des Radverkehr droht, dann tkommt sofort der Ideologie-Vorwurf. Und wenn solche Sprüche auftauchen wie "den Verkehrsfrieden herstellen" oder "gemeinsam mobil", dann ist damit immer gemeint, dass die Radfahrenden endlich Ruhe geben sollen, damit die Autogesellschaft so weitermachen kann wie bisher, so nach dem Prinzip: "Mir gebbet nix,  die Fahrräder können doch durch den Wald fahren." 

Ich vermute, der Gegenwind der Konservativen wird in den kommenden Jahren sogar noch schlimmer, denn nachdem sich Radentscheide, Grüne und Ökoparteien für die Verkehrswende positioniert haben, kommen jetzt die Hubraumfraktionen in der Gesellschaft so richtig auf Touren, starten Bürgerbewegungen und machen Stimmung gegen Radverkehr und für Parkplätze und Überall-Auto-Fahren.

Die Diskussion wird zunehmend populistisch und verbissen. Wir befinden uns ein einem Paradigmenwechsel der Verkehrspolitik, und das geht nicht geräuschlos. Und es fehlt eine Bundesgesetzgebung, die es den Verwaltungen erleichtern würde, juristisch haltbare Entscheidungen für Radwege zu treffen, die den Autoverkehr verlangsamen. Bis zu einer Bundesgesetzgebung, falls sie nach der Wahl überhaupt in Angriff genommen wird, vergehen dann auch noch mal Jahre und viele Empörungswellen der Hubraumfraktionen. 

Aber die Autoweltkonservativen könnten letztlich nicht die Verhinderer eine Verkehrswende sein, wenn die Mehrheiten in den Kommunalparlamenten für weniger Auto und mehr Rad stehen würden. Aber diese Mehrheiten stehen leider auch nicht immer, selbst dann nicht, wenn die Wende-Willigen die Mehrheit hätten. Die zerstreiten sich schnell über Optimal- und Minimal-Lösungen, über Radweg oder Radstreifen, über ganz gut und nicht gut genug, über Standards und darüber, ob jeder Radweg oder Radstreifen zugleich dazu dienen muss, dem Auto eine Fahrspur wegzunehmen, damit weniger Autos fahren und CO2 ausstoßen oder nicht. Es mag auch sein, dass in manchen Stadtverwaltungen der innere Umbau, weg von der Planung einer autogerechten Stadt hin zu einer menschengerechten Stadt noch nicht vollzogen oder mancherorts auch noch nicht begonnen wurde. In jedem Fall aber dürften fast alle Stadtverwaltungen unter Personalmangel leiden, und wenn das Personal für Rad- und Fußverkehr von den Gemeinderäten aufgestockt wird, so sind Fachleute auch nicht leicht und schnell zu finden und müssen dann noch eingearbeitet werden. Planungen werden und können an Büros weitergeben werden, der Ämterumlauf (Stadtplanung, Tiefbauamt, Verkehrsbehörde) kann beschleunigt werden und so weiter, aber der politische Prozess geht darum nicht schneller, wenn alle Veränderungen des Fahrbahnzuschnitts durch alle Gremien müssen (in Stuttgart: Bezirksbeirat, Einbringung und später Beschlussfassung im Technikausschuss, Billigung im Verwaltungsausschuss, abschließende Billigung im Gemeinderat). 

Politik ist ein langsames Geschäft, und ohne Kompromisse geht sie nicht. Zwischen Alles und Nichts muss ein Ausgleich gefunden werden. Und eines sei ganz klar gesagt: Wir haben noch lange nicht das Gleichgewicht von Rad- und Autoverkehr erreicht, noch immer wird das Fahrrad eklatant benachteiligt, seine Strecken sind nicht durchgängig, vielfach unsicher und verwinkelt, die Zahl der Fahrradunfälle nimmt zu, was nicht auch an der zunehmenden Menge an Radfahrer:innen und einer dafür zunehmend völlig unzureichenden oder fehlenden Radinfrastruktur liegt. In Fahrradstädten wie Kopenhagen oder Den Haag ist das Unfallrisiko für Radfahrende nur ein Zwölftel von dem in Stuttgart, Berlin oder Köln. Dort hat man vor dreißig Jahren angefangen, die Infrastruktur für Fußgänger:innen und Radfahrende auszubauen. Hinzu kommt die Entschlossenheit der Ordnungskräfte, Gefährdung und Behinderung des Radverkehrs durch Autofahrende konsequent zu ahnden, die wir bei uns auch nicht so recht spüren. 

Wichtig wäre aber auch, dass der politische Wille der Bürgerschaft sichtbar und hörbar wird, endlich energisch das Auto zugunsten anderer Fortbewegungsarten zurückzudrängen. Wir gehen eben doch nicht drei Mal im Jahr zu Tausenden auf die Straße und fordern von den Stadtverwaltungen und Stadträt:innen, endlich eine zukunftsweisende Mobilitätspolitik zu machen: Weniger Tempo auf unseren Straßen, weniger oberirdische Parkplätze, mehr Radwege, mehr Radabstellanlagen, mehr Fußgängerzonen (mit Rad frei), eine Trennung des Fuß- und Radverkehrs auf Radpendlerstrecken (so muss unser Schlossgarten dringendst vom Radverkehr entlastet werden!), eine Stadt für den Aufenthalt von Menschen nicht den von Autos schaffen! So fühlen sich vor allem die bestärkt, die meinen, in Deutschland wollten alle Auto fahren und nichts anderes. 

Mobilität und Raum in Stuttgart - hat Matthias Engel seinen umfassend analytischen Artikel für den Zweirat überschrieben. Er macht deutlich, dass es lange dauert, bis aus einer Autostadt eine Fußgänger- und Fahrradstadt geworden ist. Aber es ist möglich, wenn wir es wollen. 

Ich persönlich glaube, je weniger der Radverkehr und den Autoverkehr ideologisch aufgeladen wird, desto besser ist es für die Mobilitätswende. Eigentlich ist Radfahren in Städten bequemer und viel mehr Menschen, als sich derzeit trauen, würden lieber Fahrrad als Auto fahren. Der Gedanken an die Umwelt ist dabei gar nicht vorrangig. In Paris merkt man es gerade, in Kopenhagen hat man es schon lange kapiert: Es ist schöner in Städten, wo nicht überall Autos fahren, und vor allem ist es gut für den lokalen Handel. Wo keine Autos sind, kommen Menschen hin und konsumieren. Der  schrittweise Ausbau des Radverkehrs verringert automatisch und schrittweise den Autoverkehr, nur muss es deutlich schneller gehen als derzeit, sonst rauben wir unseren Kindern und Kindeskindern die Leichtigkeit des Lebens, die wir noch genießen. 


10 Kommentare:

  1. Jörg
    Eine kurze Radfahrt, 2 Autofahrten und ein längerer Fußmarsch durch Köln (20% Rad im Modalsplit) haben mir gezeigt. Überall und flächendeckende Minimallösungen bringen viel für Radfahrende. Bis es bei den Rheinländer richtig gut ist dauert es auch noch lange. Sie haben viele mittelmäßige Strecken. Die nächsten Schritten sollten dort breitere und glattere / ebenere Wege sein.
    Die linke Rheinseite in Höhe Düsseldorf ist eher schwarz, dennoch sind viele durchgängige fahrbare Radwege vorhanden.

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  2. Zu dem Thema empfehle ich jedem Leser wärmstens:

    Jetzt schon Wahlsieger: das Auto! | ZDF Magazin Royale

    https://www.youtube.com/watch?v=ybTHWzmlw70

    Traurig, aber wahr.

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  3. Jörg
    Gerade in den letzten Wochen wurde nach Fahrbahnsanierungen wieder der alte schmale Streifen aufgemalt. Daneben die Ueberbreite ( > 3,5m) Fahrsspur Auto. Z.B. Zuffenhausen Ludwigsburger Straße.
    2 Jahre Radenscheid sind zu schnell um einen Strich im Sommer 21 richtig auf zu bringen. Ueberbreite Radstreifen gehen ja gar nicht. Dann lieber Ueberbreite Fahrstreifen

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    1. "überbreite Radstreifen", der ist gut.

      Um Normbreite muss man schon kämpfen. Selbst die Mindestbreiten werden immer wieder unterschritten (HRR1/Cannstatter Straße). Die Zuschläge für breitere Fahrräder (Lastenräder) werden so gut wie nie berücksichtigt und von den gestaffelten Breiten entsprechend (Rad-)Verkehrsaufkommen und Netzkategorie haben die Behördenvertreter den politischen Gremien vermutlich noch nicht mal was erzählt.

      Und schade, dass Du, Christine, in diesem Grundsatzartikel einerseits die Klein-klein-Grabenkämpfe bedauerst, um dann aber gleich Deine persönliche Vorlieben beim Schlossgarten unterzujubeln (Schlossgarten), wo Du nach meinem Verständnis die Aufenthaltsqualität von Fußgängern wichtiger einschätzt als die Sicherheit von Radfahrern. Schade, das wertet den guten Blogbeitrag ein wenig ab in meinen Augen.

      Von Behördenmitarbeitern und Behördenleitern sowie den Mitgliedern der polititschen Gremien erwarte ich einen größeren Weitblick als vom durchschnittlichen Bürger. Konsequenzen aus der Verknüpfung von Pariser Abkommen, dem bisher nahezu ausgebliebenem Beitrag des Verkehrssektors zur CO2-Vermeidung und dem Mechanismus des induzierten Verkehrs kann eigentlich nur der massive Ausbau von Radinfrastruktur sein. Mit der Verzögerungstaktik und irrsinnigen Priorisierung schaden die Planer und Entscheidungsträger den Bürgern. Eine unheimliche Allianz.

      Als konkretes Beispiel zu meinen allgemeinen Vorwürfen lieferte z.B. die Priorisierung "Ästhetik vor Verkehrssicherheit" in Stuttgart: der GR hat "Stuttgart leuchtet" für so wichtig gehalten, dass das Ordnungsamt die Verkehrsplaner abziehen musste, um die leuchtenden Objekte auf dem Schlossplatz zu bewachen.

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    2. Im Schlossgarten zeigt sich, dass die Stadtverwaltung und Politik im Grunde den Konflikt zwischen Radfahrenden und Fußgänger:innen herstellt und befürwortet. Solange sich Fußgänger:innen und Radfahrende um Raum streiten, sind sie abgelenkt davon zu fordern, dass Autofahrende Raum hergeben, damit Radfahrende die Fußgänger:innen nicht mehr stressen. Wir müssen uns immer klar machen, dass der Konflikt Fuß- und Radverkehr gewollt ist und davon ablenkt, dass der Platzbedarf des Autoverkehrs immens ist und politisch gewollt ist. Wir müssen deshalb anfangen, über den Autoverkehr zu reden, nicht darüber, dass man auf Fußgänger:flächen Platz fürs Fahrrad schafft.

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    3. Vielleicht würde eine solche Maßnahme aber auch die Augen öffnen und langfristige Lösungen zu Lasten des Autoverkehrs schaffen. Zu behaupten, da wäre eine Hauptradroute, ist reiner Etikettenschwindel.

      Die Hauptradroute wurde nun einmal derzeit in den Schloßgarten gelegt. Dann muss das eben auch so ausgebaut werden. Wie der (bewusst eigegangene?) Konflikt zu lösen ist, geben die Vorschriften her. fertig. Wenn man den Konflikt mit den Autofanatikern scheut, ist das eben die Konsequenz. in der nächsten Planungsrunde kann man das dann ja auch wieder "reparieren". Oder seid eben so ehrlich: eine Hauptradroute ist eigentlich nicht gewollt, soll nicht ausgebaut werden, Dann macht diesen Rückschritt ehrlich und konsequent öffentlich deutlich: Stuttgart bekommt nicht einmal eine einzige Hauptradroute gebacken. Politisch nicht gewollt, nicht einmal von den Grünen. Ist ja auch ein Statement.

      Das BuGa-Gelände aus den 70er-Jahren wird auch für weniger verträgliche Nutzungen eingeschränkt. Die B14-Trasse kann im Gegenzug doch verschmälert und renaturiert werden.

      Eine Autobahn wird auch nicht ausgeschildert, so lange das eine Schotterpiste ist. So was macht man nur bein Radschnellwegen, so so.

      Die aktuelle Situation ist doch eine Sackgasse: eigentlich bräuchten wir mehr Radverkehr. Dem motorisierten Verkehr wird nichts weggenommen. Dafür sorgen Verkehrsministerium und Lobbyverbände. Man läuft sich tot in haarklein ausgetüftelten Regelungen, die in der Summe dafür sorgen, dass die Bevorzugung des Autoverkehrs anhält. Hauptrouten sind und werden definiert, auf Vorrangstraßen etc. verteilt und für die werden irrsinnige Breiten mit mehreren Fahrspuren festgelegt, Höchstgeschwindigkeiten werden nicht heruntergesetzt etc.

      Die (wenigen) Vorschriften, die es für den Radverkehr in dieser Hinsicht gibt, werden geflissentlich ignoriert und missachtet. Schau Dir doch nur die Weinsteige an. Beschränkung auf 30km/h wird verhindert (auf welcher Grundlage eigentlich), mehrstreifige Fahrstreifen bleiben. Der Radverkehr darf wegen der Verkehrsbelastung und wegen Gefälle dagegen weder im Mischverkehr mit KFZ noch im Mischverkehr mit Fußgängern geführt werden. Das wird aber komplett ignoriert.

      Fußgängern was wegnehmen wird kategorisch abgelehnt. Grünflächen opfern: für alles letztlich in Ordnung, aber auf gar keinen Fall für den Radverkehr. So wird es halt nichts.

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    4. Mehr Platz fürs Fahrrad im Schlossgarten würde nicht die Augen der Autofreaks öffnen, weil der Konflikt sich fern der Autostraßen abspielt. Es gibt nur einen Weg: Radinfrastruktur auf die Fahrbahnen und dafür den Autos Fahrstreifen wegnehmen.´

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    5. Der Augenöffner für viele Autofahrer ist, wenn sie einen Radfahrer auf der Fahrbahn sehen: Was für ein Idiot, der ist ja lebensmüde. Denke beispielsweise an Dein Erlebnis im Schwabtunnel, vom dem Du berichtet hast.

      Oder: was soll der hier, der nimmt mir meinen Platz weg und bremst mich aus.

      Oder "Wo kommt der denn so plötzlich her, den hätt ich glatt übersehen".

      Oder gar nichts, weil er Radfahrer ausblendet.

      Aber die Autofreaks sind gelegentlich auch Fußgänger. Und dann bemerken sie durchaus den Konflikt fern der Autostraßen. Allerdings fehlt vielen der Blick über den Tellerrand, dass sich der Konflikt und die Konkurrenz eigentlich immer zwischen allen Verkehrsarten abspielt.

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  4. Es ist eindeutig, dass man sich an zu vielen Stellen einen Dr... um den Bürgerwillen schert.
    Was Stuttgart angeht, könnte man vielleicht den Eindruck haben, dass an entschiedenden Stellen immer wieder Leute sitzen, die in der einen oder anderen Form zu enge Kontakte zur Autoindustrie haben...

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  5. Die "Autoweltkonservativen" sind derzeit sehr stark. Statt parken zu erschweren dürfen immer mehr Autos sogar überall kostenlos parken. Es gibt immer mehr Prämien für den Kauf eines Autos (Vorwand: elektro). Sogar die den Kauf von Verbrennern wurde eine Prämie angedacht.

    Unglaublich: Gerichtsbeschlüsse gegen das Auto wurden einfach ignoriert, noch vor ein paar Jahren in einem Rechtsstaat undenkbar.

    Ich sehe daher momentan jedenfalls in Stuttgart wenig Raum für eine Verkehrswende.

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