Die Badische Zeitung hat ihr Interview mit der Fahrradprofessorin Jana Kühl mit der offenbar skandalträchtigeren Forderung überschrieben: "Deutschlands erste Radprofessorin will Tempo 30 in allen Städten." Eigentlich aber geht es darum, wie wir aus der Emotionalisierung im Straßenverkehr herauskommen. Radfahrende, so Jana Kühl, haben keinen Schutz, kein Blech, keine Hülle rundherum. Ihre Radwege sind schlecht, gar nicht da oder enden plötzlich.
Radfahrende müssen gleich von Anfang an um ihren Platz auf den Straßen kämpfen. Autofahrende reagieren gereizt und glauben, sie müssten ihrerseits ihren Platz verteidigen, sie möchten nicht durch Fahrräder ausgebremst werden. Außerdem kommen Radfahrer von überall her und sind plötzlich da. Das stresst. Jana Kühl meint, das werde sich nicht legen, solange Radfahrende nicht ihren geschützten Platz auf der Straße haben, möglichst abgetrennt von dem Raum für Autos.
Auf die Frage, wie sich diese Konflikte sonst noch entschärfen ließen, antwortet sie: "Sie gleichen die Geschwindigkeit von Auto- und Radverkehr an." Also Tempo 30 in allen Städten.
Wenn wir wieder einmal über Radstreifen versus Parkplätze diskutieren, und die Verwaltung und die Kompromiss-Suchenden Schutzstreifen oder Piktogrammspuren (Radzeichen auf der Fahrbahn) ins Spiel bringen, dann sage ich: Das bringt weder den Autofahrenden noch den Radfahrenden etwas, es entschärft nichts, es stresst nur alle beiden Verkehrsarten. Autofahrer müssen langsam machen, wenn sie nicht überholen können und wollen aber permanent vorbeipreschen, Radfahrende fühlen sich zu knapp und zu schnell überholt und bekommen Angst.
Der Konflikt zwischen Radfahrenden und Autofahrenden kann nur entschärft werden, wenn man beide Geschwindigkeiten trennt, in Autofahrspur und Radstreifen. Denn nicht nur Radfahrende wollen Radstreifen oder Radwege, sondern vor allem Autofahrende brauchen diese Radinfrastruktur. Sie wollen nämlich nicht langsam hinter Radfahrenden herfahren, sie wollen auch wissen, wo die Radfahrer sich aufhalten, wo sie fahren: auf Radfahrstreifen oder Radwegen. Dann ist alles gut.
Solange aber die Politik nicht imstande ist, entschlossen Radstreifen oder Radwege anzulegen, weil sie keine Parkplätze opfern will (die in der Zahl gar nicht gebraucht werden), bleibt nur der andere Weg: Tempo 30 überall in der Stadt, damit sich die Fahrgeschwindigkeiten von Radfahrenden und Autos nicht so krass unterscheiden. Diese Tempo 30 aber werden von den Verkehrsbehörden gar nicht angeordnet, weil das gesetzlich noch nicht erlaubt ist.
Dem politischen Lager, das sich stehaufmännchenhaft gegen Radfahrstreifen wehrt (vor allem, wenn Parkplätze wegfallen) sei gesagt: Entweder es läuft alles auf Tempo 30 in den Städten hinaus, oder es gibt entlang aller Straßen, wo schneller als 30 km/h gefahren wird, Radfahrstreifen oder Radwege. Oder, ihr hängt in euren Autos halt hinter den Radfahrenden, die bergauf radeln. Was wollte ihr? Für eines müsst ihr euch entscheiden. Denn wir Radfahrenden verschwinden nicht wieder, wir werden eher mehr.
ja, am ende ist und bleibt es ein hegemonialkonflikt, der für uns radler um (über)lebensraum geht.
AntwortenLöschenneulich bin ich seit langem mal wieder auto gefahren und war völlig verwirrt von den sich ständig ändernden tempolimits. grad so beschildert, als ob jeder cm so schnell, wie irgendwie möglich genutzt werden müsse.
ich will im auto überall 30. dann ist alles viel entspannter.
Tempo 30 oder Radwege ist aber keine echte Alternative. Tempo 30 ist faktisch nie Tempo 30, und schon gar nicht, wenn man mal schnell einen Radler überholen "muss", um als erster an der nächsten roten Ampel zu sein.
AntwortenLöschenFür echtes Tempo 30 muss man auch an die Infrasteuktur ran, dann kann man es auch gleich richtig machen.
Im Mischverkehr bremst ein langsamer Radfahrer einige schnellere aus. Das Auto hinter dem langsamen Radler kann nicht überholen und hinter dem Auto hängt man dann fest. Den Effekt kenne ich nur zu gut von der Hofener Straße.
Löschen"oder es gibt entlang aller Straßen, wo schneller als 30 km/h gefahren wird, Radfahrstreifen oder Radwege." Nach Stand der Unfallforschung sind dadurch aber mehr und nicht weniger Unfälle mit Radfahrern zu erwarten.
AntwortenLöschenDiese Unfallforschung geht von deutschen Radwegen aus, die hinter geparkten Autos außerhalb des Sichtfeldes der Autofahrer:innen geführt werden. Die sind begünstigend für Unfälle angelegt.
LöschenOrdentliche getrennte Radwege sind sicher und man fühlt sich sicher. Wir das funktioniert, kann man sich seit Jahrzehnten in Holland ansehen.
Das ist eine Falschinformation. Das Radfahren in den nniederlanden ist (auf den gefahrenen Rad-Km gerechnet signifikant unsicherer als in Deutschland.
LöschenAlfons Krückmann
Da in der Stadt das Rad dem Auto bis zu einer Strecke von 20km Distanz in zeitlicher Hinsicht eh überlegen ist, dürfte das Tempo 30 eher zu einer Beschleunigung des allgemeinen Verkehrs beitragen, als zu einer Verringerung der Durchschnittsgeschwindigkeit. Zudem haben bereits vor über 15 Jahren Messungen ergeben, dass bei Tempo 30 rein rechnerisch auf einer Straße mehr Autos an einer Stelle vorbeifahren, als wenn diese 50 fahren dürften.
AntwortenLöschenTempo 30 käme also allen zugute - den Autofahrern, weil sie schneller am Ziel sind - und den Radfahrern, da es dann wohl sicherer auf den Straßen werden dürfte.
Also ist Tempo 30 das neue 50 für Städte!
Das haben leider die meisten Autofahrenden noch nicht kapiert.
LöschenJörg
AntwortenLöschenZwischen den Autos fühlt sich kein Radfahrer richtig wohl. Das funktioniert nur bei wenig Verkehr. Bei mehr Verkehr also wenn die Personen einzelen in ca. 8 bis 10 m Abstand in 2 m breiten Kisten sitzen, werden Radfahrende immer in Richtung Gehweg ausweichen. Die paar wenigen Männeken in den Autos nehmen sich ganz viel Platz.
Wenn es läuft ist Tempo 30 schon hilfreich. Wenn es auch nicht der große Wurf ist.
"vor allem Autofahrende brauchen diese Radinfrastruktur. Sie wollen nämlich nicht langsam hinter Radfahrenden herfahren, sie wollen auch wissen, wo die Radfahrer sich aufhalten, wo sie fahren: auf Radfahrstreifen oder Radwegen. Dann ist alles gut."
AntwortenLöschenNein, dann ist eben nicht 'alles gut', sondern wir ernten Effekte wie in den Niederlanden, also weiterhin steigenden Autoverkehr in einer Situation wo wir u.a. aus Gründen von Klima und Ökologie längst das Gegenteil bräuchten, also in Dichte und Fahrleistung sinkenden Autoverkehr.
Die Kernaussage, dass die bauliche Separation des Radverkehrs dem Autoverkehr nutzt ist natürlich richtig und auch empirisch recht gut gesichert, aber zukunftsgerecht ist dieses Konzept von parallel wachsendem Autoverkehr und Kurzstrecken-Radverkehr definitv nicht, sofern wir Klimaziele und Ökosphärenerhalt als Schlüsselprobleme des 21.Jhd. konstruktiv angehen wollen.
Alfons Krückmann
Stimmt schon, wenn man die Notwendigkeit betrachtet, den Autoverkehr zu reduzieren, was ich auch für extrem wichtig halte. Ich finde nur, wir dürfen die Radverkehr nicht dafür missbrauchen, den Autoverkehr zu behindern, damit überladen wir ihn als Instrument gegen den Autoverkehr, und genau das löst die heftige Gegenwehr aus, die es politisch derzeit in Stuttgart schwierig macht, überhaupt Radinfrastruktur aufkosten von Parkplätzen zu beschließen. In dem Moment, wo eine Partei sagt: Wir sperren eine Fahrspur zugunsten des Radverkehrs, damit es die Autofahrenden schwerer haben, verlieren wir die Abstimmung. Und diese Radinfrastruktur ist dann auch vom Verkehrsamt nicht menr genehmigungsfähig, weil die Gesetzeslage ja vorsieht, dass der Autoverkehr flüssig abgewickelt werden muss und nicht absichtlich behindert werden darf.
LöschenDer von der StVO vorgesehene Normalfall ist, daß sich KFZ und Fahrräder die Fahrbahn teilen. Und benutzungspflichtige Radverkehrsanlagen werden angelegt um den KFZ-Verkehr zu beschleunigen. Auf Kosten der Verkehrssicherheit.
LöschenÜbrigens ist ein auf der Fahrbahn gelagertes KFZ ein größeres Hindernis für flüssigen Autoverkehr wie ein Radfahrer. Wer flüssigen Autoverkehr will, sollte da ansetzen.
Eine Problemursache wird leider nie thematisiert: Praktisch alle Autos sind 5-Sitzer, aber mit maximal 1 Person (der Fahrer:in) besetzt. Im Bundesdurchschnitt glaub ich 1,4 Personen pro PkW-Fahrt.
AntwortenLöschenAnreize dafür, moderne energie- und platzsparende, "bedarfsgemäße" Gefährte zu produzieren und zu fahren, gibt es genau: NULL.
Die wenigen existierenden Angebote sind auch noch explizit von der gegenwärtigen "Förderung" ausgenommen. Und das soll unverändert so weitergehen. Wo bleibt eigentlich der kollektive Aufschrei gegen diesen unfassbaren Unsinn?
S. Schwager, Fürstenfeldbruck
1,4 wäre ja ein super Fortschritt. Es sind 1,2 oder 1,3.
LöschenFinde ich auch regelrecht irrsinnig: diese enorme Platzverschwendung (und Gefährlichkeit) riesiger SUV, die gerade mal einen Erwachsenen und vielleicht noch in Kind transportieren, dafür aber auf der Straße mindestens 3 x 50 Meter Platz (einschließlich Fahrabstand) brauchen. Und keiner merkt es, kaum einer regt sich darüber auf, niemand schüttelt fassungslos den Kopf.
LöschenGlaubt tatsächlich jemand, dass es mit einem FDP-Verkehrsminister eine Höchstgeschwindigkeit von 30 innerorts geben wird?
AntwortenLöschenOder anderweitige Verbesserungen für Radfahrer und Fußgänger?
Dazu brauchen Städte und Gemeinden den Bundesverkehrsminister nicht. Aber es stimmt natürlich, dass mit einem FDP-Verkehrsminister der Schwerpunkt sicher nicht auf dem energieeffizientesten Fortbewegungsmittel liegen wird.
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