16. Juli 2022

Ist es Unfallflucht, wenn der Radler weiterfährt, weil er keinen Schaden hatte?

weitgehend sinnfreies Symbolbild
Blogleser Joachim hat mir einen Zeitungsartikel aus Karlsruhe geschickt, der ihn und mich auf den ersten Blick verwundert hat. Die Situation:

Wie auch die Karlsruher Polizei beschreibt fuhr in Karlsruhe-Rüppurr eine Autofahrerin auf der Lützowstraße und wollte vermutlich nach rechts in die Rastatter Straße einbiegen. Dabei sah sie nicht, dass ein Radfahrer die Rastatter Straße entlang kam und stieß mit ihm zusammen. Die Fahrerin stieg aus und erkundigte sich, wie es dem Radfahrer gehe. Der sagte, er habe keinen Schaden erlitten, stieg auf und fuhr umgehend weiter. Offensichtlich wandte sich die Fahrerin an die Polizei, die nun diesen Radfahrer sucht (und Zeug:innen). Die BZZ titelt in der Druckfassung: "Radfahrer flüchtet von Unfallstelle", was doch sehr nach Unfallflucht klingt. Wir kennen meist den umgekehrten Fall: Autofahrer:in fährt Kind an und fährt weiter, nachdem er/sie ein paar Worte mit dem Kind gewechselt hat, dem es gut zu gehen scheint. Nach ihm/ihr wird dann wegen Unfallflucht gefahndet. 

Aber ist es wirklich "unerlaubtes Entfernen vom Unfallort", wenn der Radfahrer als Opfer hier wegfährt, womöglich auch, weil er gar keine Schuld bei sich erkennt?  

Ja, ist es. Unfallgegner müssen immer ihre Daten austauschen, damit ein Schaden geregelt werden kann, der womöglich auch erst später erkannt wird. Außerdem ist gar nicht klar, ob der Radfahrer hier das unschuldige Opfer war. Ich kenne die Verkehrssituation an der Stelle nicht. Wenn die
Rastatter Straße eine Vorrangstraße wäre, hätte der Radler Vorfahrt gehabt. Im Karlsruher Stadtwiki lese ich, dass die Rastatter Straße in weiten Teilen eine schmale Kopfsteinpflasterstraße ist (ob an dieser Stelle auch, ist mir unklar). Sie wird auf onlinestreet als Anliegerstraße (30 km/h) bezeichnet, die in Teilen auch asphaltiert ist und wo man in Teilen 50 km/h fahren darf. Ich habe den Verdacht, dass sie keine Vorrangstraße ist. Es kann aber auch sein, dass der Teil, in den die Lützowstraße einmündet, bereits eine asphaltierte 50-km/h-Straße ist und womöglich Vorfahrt hat. Ist aber egal, der Radfahrer hätte in jedem Fall anhalten der Autofahrerin Namen und Adresse geben müssen. Allein schon deshalb, weil sie sicher sein muss, von ihm nicht später der Unfallflucht beschuldigt zu werden. Auf Unfallflucht stehen eine Geldstrafe und/oder bis zu 3 Jahre Gefängnis. 

Auch falls der Radler völlig unschuldig war, greift die weit gefasste gesetzliche Regelung im Strafgesetzbuch § 142 1-5, dass sich kein Unfallbeteiligter vom Unfallort entfernen darf, bevor nicht alle Beteiligten die Adressen ausgetauscht haben. Als unfallbeteiligt gilt jede Person, deren "Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann". Der Rechtscheck geht ebenfalls der Frage nach, ob es Unfallflucht ist, wenn ich nicht schuld war, und erklärt, das beispielsweise auch der Fußgänger, der über einen Zebrastreifen geht und bei einem abgelenkten Autofahrer eine Notbremsung auslöst, bei der er in ein geparktes Auto kracht, an der Unfallstelle bleiben muss, denn auch er ist am Unfall beteiligt, der sich nicht ereignet hätte, wäre der nicht über den Zebrastreifen gegangen. Das gilt auch für den Radfahrer, der völlig zu Recht an einer Einmündung eine Fußgänger-Radampel bei Grün überquert und hört, dass ein zweites Auto in das Auto reinkracht, das beim Abbiegen gebremst hat, um ihn rüberzulassen. 

Passanten müssen dagegen nicht am Unfallort bleiben, es ist aber nett, wenn man das tut, vor allem, wenn man gesehen hat, was passiert ist. Dann kann man als Zeug:in zur Klärung beitragen, wofür das Opfer oftmals sehr dankbar ist, vor allem, wenn es eine Radfahrerin oder ein Radfahrer ist. 

Übrigens wünschen wir uns, dass die Medien auch die Unfallflucht von Autofahrenden so klar benennen würden, wie hier die eines Radfahrenden. In Stuttgart und Umgebung gab es in letzter Zeit mehrere Unfälle, bei denen die Autofahrenden von der Unfallstelle geflüchtet sind (in ihren Autos), darunter der mit einem Kind, über den ich schon geschrieben habe. Oder in Feuerbach am Dienstag, dem 5. Juli. Wie die Polizei mitteilt fuhr der Radfahrer auf der Rüdigerstraße Richtung Heidestraße. Dort gibt es keine Radinfrastruktur. Auf Höhe der Hausnummer 2, also kurz vor der Fußgängerfurt mit Ampel überholte ihn ein Autofahrer, zog aber so schnell wieder nach rechts, dass er den Radfahrer umnietete. Der Mann stürzte und musste schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht werden. Der Autofahrer beging Unfallflucht. Die Worte "flüchtet" oder "Unfallflucht" fallen aber nicht in der ansonsten sorgfältig formulierten Meldung der Stuttgarter Zeitung. Da heißt es nur: "Der Verursacher ließ den Pedelecfahrer zurück." Diese Wortwahl entspricht auf frappierende Weise dem Grundproblem, dass wir gedanklich immer von starken und schwachen Verkehrsteilnehmer:innen ausgehen: Starke lassen die Schwachen zurück, Schuldige, Ängstliche oder Schwache flüchten. 



7 Kommentare:

  1. Liebe Christine,

    ein spannendes Thema. Die typische Situation ist die, dass ein Radler angefahren / touchiert wird. Es heißt ja auch "der Klügere gibt nach", so dass das Opfer immer der Radler ist, ein signifikanter Sachschaden am Auto ist sehr selten. Ist das ein Unfall? Der Radelnde hat keine schwerwiegende Verletzung durch das Anfahren, ggf. eine psychische Verletzung, sprich der eindeutige, objektive Nachweis einer Verletzung (Röntgenbild etc.) ist nicht möglich. Es gibt ja viele Stellen, wo die KFZ auf der Fahrradinfrastruktur fahren (die Schuldfrage ist somit 100% auf Seiten des KFZ) oder auch an den einspurigen Bergstrecken, wo die KFZ den Radlern einfach die Vorfahrt nehmen und wo so ein "Touchieren" z.B. mit dem Außenspiegel fast täglich passiert (wie in der Liststraße auf dem Radstreifen). Ich persönlich halte es da nicht für zielführend, mich danach mit dem KFZ Menschen zu treffen und dann noch von ihm/ihr zusätzlich einen Schlag (oder mehrere) ins Gesicht zu bekommen, weil ich ja angeblich sein/ihr heilix Blechle beschädigt hätte. Der Schaden am Radler heilt ja von selbst.

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    1. Ich vermute mal, in diesem Fall wollte die Autofahrerin sich kümmern oder zumindest verhindern, dass sie später doch noch vom Radfahrer angezeigt wird. Einfach wegfahren ist in keinem Fall eine gute Idee, scheint mir. Aber wenn der Autofahrer Unfallflucht begeht, nachdem er dich touchiert hat, dann ist es ja er, und es wäre deine Sache, dies anzuzeigen oder eben nicht. Das Nummernschild kann man sich in so einem Fall ja auch merken. (Allerdings habe auch ich nicht die geringste Hoffnung, dass die Polizei mir als Radfahrerin beisteht, wenn mich ein Autofahrer touchiert und wegfährt, ich würde es auch eher lassen.)

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  2. Ralph Gutschmidt16. Juli 2022 um 18:41

    Ich muss die Feststellung meiner Person nur "ermöglichen". Wenn also die Autofahrerin kein Interesse an meinem Personalien hat und scheinbar keinen Schaden hat, muss ich ihr die information nicht aufzwingen.

    Warum die Frau sich bei der Polizei gemeldet hat, wissen wir ja nicht.

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  3. Hämatome benötigen Zeit, um sich auszubilden. Dann aber unter Umständen richtig. Falls der Radfahrer mit ein paar Stunden Verzögerung zur Arztin ginge und in der Folge die Kollision noch anzeigen würde, dann wäre die Autofahrerin unter Umständen die Unfallflüchtige. Ich denke, wenn sie das selbst anzeigt, sieht das anders aus.

    Ein Bekannter war vor dem Haus mit seinem PKW in den des Nachbarn gefahren, Lackschaden und Kratzer. Der Nachbar war nicht da, also hat er einen Zettel in den Briefkasten geworfen. Der Nachbar kommt nach Haus, sieht den Schaden und niemand ist da. Also direkt ab zur Polizei und Anzeige - ohne in den Briefkasten zu schauen. Nach dem Blick in den Briefkasten wollte er die Anzeige zurückziehen. Entweder es ging nicht mehr oder es musste trotzdem verfolgt werden: Der Bekannte war meiner Erinnerung nach 3 Monate ohne Führerschein. Wobei das mehr als 20 Jahre her ist.

    Übertragen auf den Fall hier in Karlsruhe: Wenn der Radfahrer es anzeigt, weil beispielsweise die Krankenkasse die Krankheitskosten-Rechnung weiterreichen will: Ich weiß nicht, ob mit dem Hinweis, dass aus seiner Sicht zunächst alles gut war, ein Unfallflucht-Vorwurf gegen die Autofahrerin von Tisch wäre.

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  4. Die Autofahrerin muss offensichtlich nachträglich einen Schaden an ihrem Auto oder eine Verletzung bei sich entdeckt haben und der Meinung sein, der Radfahrer hätte Teilschuld.

    Ich wurde von der Polizei belehrt, dass es nur ein "Vorkommnis" ist und kein Unfall, wenn weder eine Verletzung noch ein Sachschaden über 50 Euro verursacht wurde. Dabei ist zu beachten: sein eigenes Auto darf man beschädigen - das zählt nicht als Sachschaden.

    Möglicherweise wird diese Sichtweise auch nur vertreten, wenn ein Radfahrer einen Unfall melden will. Bei mir war es damals so, dass nur mein Lenkerband aufgerubbelt wurde, als die Autofahrerin mir die Vorfahrt genommen und mich abgedrängt hat, also ein Schaden im Bereich10-40 Euro, also kein Unfall.

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  5. Fahrerflucht ist in Stuttgart ein Kavaliersdelikt, sofern das Auto nichts abbekommen hat. Spätestens beim Staatsanwalt: kein öffentliches Interesse.
    Keine Polemik; eigene Erfahrungen
    Lieber Anonym

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  6. habe ich in Tübingen auch schon so erlebt
    Thomas

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