18. Juli 2022

Autostraße bescherte uns einst eine Fußgängerzone

Eine teure Fehlplanung für den Autoverkehr hat uns in den siebziger Jahren die Fußgängerzone Königsstraße beschert. Gemeint ist der Planie-Durchbruch unterm kleinen Schlossplatz. 

Eine Stadtautobahn, die die Theodor-Heuss-Straße mit dem Charlottenplatz verbindet und ursprünglich südöstlichen Kessel mit dem Stuttgarter Westen verbinden sollte. Doch mittlerweile ist auch die Schlossstraße keine Hauptverkehrsachse mehr. Heute haben wir vier bis sechs Spuren für den Autoverkehr zwischen Altem und Neuem Schloss, die heute völlig überdimensioniert wirken. Und schon 1969, nach der Eröffnung, schauten die Verkehrsplaner (damals sicher alle männlich) etwas dumm aus der Wäsche, weil auf einmal, trotz toller neuer Straßenverbindung - also gerade wegen dieser tollen neuen Schnellstraße durch den Stadtkern - gar nichts mehr ging auf den Zubringerstraßen, sie waren alle verstopft. Damals durfte man noch durch die Königstraße mit dem Auto fahren. Erst als man die dicht machte und teilweise in eine Fußgängerzone umwandelte, floss der Autoverkehr wieder. Das nennt man den Braess-Effekt, den der deutsche Mathematiker 1968 vorrechnete. 

Politiker:innen und Stadtplaner:innen, die immer noch glauben, dass breitere Straßen und neue Tunnel den Autoverkehrsfluss erhöhen, sind gedanklich in der Zeit vor 1969 steckengeblieben. Das zeigte sich bei der Diskussion im Gemeinderat über die Wilhelmsbrücke in Cannstatt. Dort sollte ein Verkehrsversuch stattfinden: auf der Fahrbahn fahren nur Fahrräder, so haben die Fußgänger:innen den Gehweg für sich. Autos fahren dort nicht mehr. Als die Rosensteinbrücke wegen akuter Baufälligkeit gesperrt werden musste, kam sofort der Ruf, die Wilhelmsbrücke wieder aufzumachen. Dann allerdings hat die Stadt (das Ordnungsamt) angeordnet, dass sie für Autos zu bleibt. 

Denn wenn man sie öffnen würde, würde man gigantische Staus auf den umliegenden Zubringerstraßen verursachen. Über die Rosensteinbrücke fuhren täglich ca. 25.000 Autos und Lkw, über die Wilhelmsbrücke fuhren vor der Sperrung ca. 5.500 Pkw. Klar, dass die Wilhelmsbrücke keine 25.000 Autos abwickeln kann, und Lkw schon gar nicht, dazu ist sie zu schmal. Berechnungen und Simulationen der Stadt zeigen, dass sich der Verkehr auf die B10 und die großen Hauptstraßen konzentriert, nachdem die Rosensteinbrücke ausgefallen ist (Bild oben). Genau dort will man ihn ja haben, schließlich hat man den Rosensteintunnel gebaut. Würde man die Wilhelmsbrücke aber wieder aufmachen, dann konzentriert sich der Verkehr auf die Zufahrtsstraßen in Cannstatt, wo man ihn eigentlich gar nicht haben will. Ich wage zu prognostizieren, dass es beim Bau der neuen Rosensteinbrücke auch darum gehen wird, wie viel des bis Mitte 2022 gehabten Autoverkehrs man Cannstatt eigentlich hier nun wieder zumuten will. Schließlich sollen die Schöne- und die Badstraße nach dem Bau des Rosensteintunnels verkehrsberuhigt und für Radfahrende ausgebaut werden. 

Interessant auch der Film von 1969 Stuttgart von oben, der einen Hubschrauberflug entlang der Tallängsstraßen zeigt. Darin zu sehen, die Verkehrssünden der 60er, mit deren Beseitigung wir heute noch zu kämpfen haben, Anlass für mich, diesen Post zu schreiben. 

4 Kommentare:

  1. Das öko-soziale Lager fordert ja einen autofreien Brückenneubau.
    Gibt es hier zu schon einen Beschluss oder ist das bis jetzt nur eine Absichtserklärung? Bzw wäre dieser für die Verwaltung überhaupt bindend?

    Was mich auch interessiert: heißt autofrei, dass tatsächlich keinerlei Möglichkeiten für KfZ geschaffen werden oder sollen Taxis/Einsatzfahrzeuge weiterhin dort fahren können?
    Dann wird es nämlich nicht lange dauern, bis die Forderungen nach einer "Anwohner"-Regelung laut werden. Und dann fängt man an: wer ist eigentlich Anwohner? Oder Anlieger? Kommen dann hydraulische Poller? Und wer alles bekommt einen Schalter um diese zu versenken? Und was passiert, wenn der Poller ausfällt? Dann bleibt er erfahrungsgemäß (siehe Esslingen Rüdern) dauerhaft unten und bis zur Reparatur fährt jeder dort ...?

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    1. Die Diskussion beginnt erst. Allerdings wird man eine Brücke brauchen, die zur Not Autoverkehr aufnimmt, wenn die König-Karls-Brücke renoviert werden muss (die ist nämlich auch bald dran). Das heißt die Verwaltung wird einen Vorschlag machen für Stadtbahn, Busse in beide Richtungen, Radwege und Gehwege. Ich schätze, damit wird die Brücke so breit wie die jetzige werden. Ich bin mir sicher, dass man sozusagen einen Anwohnerverkehr freigeben wollen wird, dann hängt es von der Dimensionierung und Führung der anderen Straßen abhängen, ob die wieder für den Durchgangsverkehr genutzt werden kann, was vermutlich dann nach fünf Jahre Stille und wenig Verkehr auch die Cannstatter Anwohner:innen an der Schöne- und Badstraße nicht mehr haben wollen werden. Und in der Tat heißt: ein bisschen Autoverkehr - wenn die Verkehrsüberwachung so bleibt, wie sie heute ist - immer bedeuten, dass da alles drüber fährt, was will. Aber wie gesagt: Die Diskussion darüber hat noch gar nicht begonnen. Die Grünen wollen nur Stadtbahn, Busse und Rad-/und Fußverkehr (den sogenannten Umweltverbund), die autoaffinen Parteien werden das nicht wollen. Wenn die SPD nicht ausschert, gibt es eine Mehrheit für Umweltverbund.

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    2. Ja cool, wäre schön, wenn es bei weniger Autos bleiben würde. Fand es das letzte Mal super angenehm als ich über Rosensteinbrücke und vor der Wilhelma durchgeradelt bin. Wow, ein mega Unterschied zum Autostau von vorher.

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  2. Der automobile Terror hat nur ein Opfer gefordert: Den Radverkehr. Während es den Verursachern mit Tunneln noch leichter gemacht wurde und Fußgänger ihr Freilaufgehege bekamen, wurde der Radverkehr gänzlich ausgesperrt. Zwischen den ganzen Stadtautobahnen gibt es quasi keine einzige Route, die Radfahrer benutzen können. Ich möchte sogar behaupten, dass es vorher besser war. Ökologische Konsumwahnsinnsorte wie die Königstraße sind kein Deut besser als Stadtautobahnen.

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