6. September 2022

Gefährlicher Eingriff in den Fußgänger- und Radverkehr

Wie selbstverständlich werden Autos, Schilder und Gerümpel auf dem Gehweg abgestellt oder auf dem Radweg. 

Autos, Motorräder, E-Scooter, Fahrräder, Schilder, Tische und Stühle, alles steht einfach so im Weg herum, hauptsächlich auf Gehwegen. Parkplatzsuchen ist out. Man stellt das Auto einfach mal schnell ab. "Da geht ja niemand", heißt es dann. Kein Wunder, auf Gehwegen gehen ist nicht leicht, mit dem Rollstuhl und mit Kinderwagen oftmals unmöglich. Deshalb gehen auch so wenige Menschen zu Fuß. Ihre Wege sind nicht frei. 

Es sind ja auch nur Fußgänger:innen, die können ausweichen. Oder Radfahrende, die kommen doch drum herum.

Auf dem Foto sieht man, dass die Person mit dem Kinderwagen von einer von einem Auto zugeparkten Ecke her kommt. Sie geht Slalom um einen großen Müllcontainer und den Ticketautomaten herum, dann kommt sie an Müllsäcken vorbei und dann kommt der Fahrradständer der Apotheke, in dem nie ein Fahrrad abgestellt wird, der aber quer auf dem Gehweg steht. 

Wenn all das auf der Autofahrbahn abgestellt würde, hieße es: "Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr." Und zwar, weil Menschen in Autos so schnell unterwegs sind, dass sie vielleicht nicht mehr bremsen können und in die Müllsäcke, den Container oder die Fahrradständer reinkrachen (gibt nur Blechschaden). Dass Fußgänger:innen über E-Scooter oder Schildersockel stolpern könnten (kann zu blutigen Verletzungen führen), ist egal: Sollen die halt gucken! 

Wieder mal ist der kurze durch eine Bakenleiste abgegrenzte Radweg in der Kolbstraße bergab zugestellt vom Laster eines Handwerkers, der im Hauseingang die Ritzen zwischen den Ziegeln füllt. Ich sage ihm, dass das nicht ideal ist, denn Radfahrende brauchen den Raum, weil das Einbahnstraße ist und die Autos da hochkommen. Er stimmt mir zu und spachtelt weiter. Ich frage ihn, ob er vorhabe, das Auto wegzustellen. Er nickt und spachtelt weiter. Gut, dafür habe ich Verständnis, denn der Zement wird sonst hart. Dann beraten wir, wo er das Auto hinstellen kann. Ich schlage ihm eine andere Ausfahrt vor und sage, das sei zwar auch verboten, aber das störe den Verkehrsfluss nicht so wie hier. Er fährt das Auto weg. 

Weil in der Kolbstraße bergauf gebaut werden soll, stehen Verkehrszeichen mit Halteverboten auf dem Gehweg. Zwei Nutzer:innen von E-Scootern haben dem Schild ihre E-Scooter beigesellt, weil man immer dort was hinstellt, wo schon was steht, sodass bestimmt kein Fußgänger, vor allem niemand mit Kinderwagen, Rollator oder Rollstuhl noch durchkommt. Menschen zu Fuß (auch mit Kinderwagen) kommen zur Not auf der Fahrbahn drum herum, aber für einen Rollstuhlfahrer ist der Bordstein für so ein Manöver zu hoch. Und warum sollen Fußgänger eigentlich ständig auf der Fahrbahn um Autos und sonstige Gegenstände auf den Gehwegen herumgehen? Wenn ein Autofahrer sie nicht sieht und in sie reinfährt ... ? Nennen wir  das Schilder- und E-Scootergerümpel dann endlich doch mal "gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr?" oder doch lieber nur "unachtsamer Fußgänger"? 

Be- und entladen ist schwierig, sehe ich ein, aber der Lkw-Fahrer hat hier nicht eine von drei Autofahrspuren zugestellt, sondern den Radweg, wobei er zusätzlich einen Teil der Autofahrspur blockiert. Er meint, ich käme ja noch vorbei, gell? Und stimmt, da komme ich immerhin mit dem Fahrrad noch vorbei. Sehr gnädig. Anderseits haben die Autos hier drei Fahrspuren, er könnte sich auch auf eine davon stellen. Ist zwar auch verboten (links von Radstreifen darf man kein Auto abstellen), aber es würde wenigstens die Kolleg:innen in den Autos behindern. Das tut er ja jetzt auch schon sowieso, nur dazu auch noch mich als Radfahrerin. 

Fußgänger:innen können sich hier in Hedelfingen noch durchquetschen, aber mit dem Kinderwagen oder Rollstuhl müsste man über einen hohen Bordstein auf die Fahrbahn ausweichen. Vom Fahrrad (ist hier Radweg) muss ich absteigen. Egal, Post, fährt ja gleich wieder weg. Auf den beiden Fahrspuren fahren Autos, auf dem Gehweg geht doch nie jemand. Doch, ich jetzt zum Beispiel. Und weil es zwei Fahrspuren gibt, könnte das Fahrzeug hier wirklich gut und legal auf der Fahrbahn zum Entladen halten. 

Ein Bus steht halb auf dem Gehweg, weil die Straße zu schmal ist, da würde dann kein Auto mehr durchkommen. Jetzt aber kommen zwei Fußgänger:innen (einer mit Fahrrad und Hund an der Leine, und eine mit Hund) nicht mehr durch. Und weil der Busfahrer auch noch anfängt zu rangieren und rückwärts zu fahren, müssen sie halt warten. Sind ja nur Fußgänger:innen. 

Beispiele gibt es unendlich viele. Autos blockieren Radfahrende und Fußgänger:innen, E-Scooter stehen überall quer, teils tagelang. Die selbstaktive energiearme und klimafreundliche Mobilität wird eklatant behindert, weil der nichtaktive motorisierte breitspurige und schmutzige Autoverkehr gnadenlos jede freie Fläche für sich beansprucht. Und dabei Fußgänger:innen und Radfahrende gefährdet, wenn sie in die Autoverkehrsflächen ausweichen müssen. Und der ist ja schnell und sieht Hindernisse nicht. Aber ein "gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr" soll das dennoch nicht sein? Besteht denn wirklich in den Köpfen der Ordnungskräfte der "Straßenverkehr" nur  aus dem "Autoverkehr"? Shame one you! 

Wir werden in Stuttgart und anderswo endlich wirklich damit anfangen müssen, an den Straßenrändern den Platz zu kontingentieren und Flächen zuweisen für Liefer- und Postfahrzeuge, Pflegedienste, Fahrradbügel, E-Scooter-Abstellflächen, Ladesäulen, Parkautomaten, Schilderbäume und so weiter. Wie viel Prozent jede Gruppe zugewiesen bekommt, muss realistisch und fair ausgerechnet werden. Diese Kontingente gehen von den Stellplätzen für Privatautos ab. Außerdem braucht es eine sehr breit und massiv angelegte Kampagne, die Autofahrenden klar macht, dass Geh- und Radwege keine Parkplätze sind, auch nicht nur mal für kurz zum Bäcker oder mal schnell in die Apotheke. 


16 Kommentare:

  1. Ich muss da immer an den hier denken: https://youtu.be/ViuZPF4thfQ

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  2. Das Problem liegt am Protest: Fußverkehr ist fast lautlos, Radverkehr ist auch sehr leise, während sich der Autoverkehr wie ein pupertärer Löwe im Kindergarten benimmt- er ist laut und aggressiv und bekommt daher die volle Aufmerksamkeit und meist auch was er will. Was hat man schon zu befürchten, wenn man den Gehweg blockiert? Polizisten sitzen schließlich auch nur im Auto.

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    1. So ist es. Der Radverkehr ist ja in den letzten Jahren durchaus lauter geworden, aber der Fußverkehr ist immer noch sehr still. Fußgänger:innen erlebe ich auch fast immer als die freundlichsten und duldsamsten Verkehrsteilnehmer:innen

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  3. "weil Menschen in Autos so schnell unterwegs sind, dass sie vielleicht nicht mehr bremsen können": Auch für Kfz, nicht nur für Radfahrer, gilt eigentlich das identische Sichtfahrgebot. Überall, selbst auf Autobahnen, muss man vor einem stehenden Hindernis zum Halten kommen können. Diese Argumentation mag gefühlt richtig sein. Juristisch haltbar ist sie eigentlich nicht. Es sind Privilegien, die wir (als Gesellschaft) dem Autoverkehr einräumen. Die haben wir so verinnerlicht, dass viele Leute gar nicht mehr wahrnehmen, wie unsagbar demütig wir vor dem Autoverkehr kuschen. Wer diese vermeintliche Selbstverständlichkeit in Frage stellt, wird reflexartig als ideologisch verblendet abgekanzelt (siehe auch Deinen Blogbeitrag von vorgestern). Nur Schiffe, Flugzeuge und Schienenfahrzeuge sind vom Sichtfahrgebot befreit.

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    1. Lieber Holger, du hast natürlich Recht, mir leuchtet das Argument auch nicht ein, dass nur Autfahrer vom Sichtfahrgebot ausgenommen sein sollen - nicht juristisch aber in unserem Denken. Und ich werde demnächst einen Artikel publizieren, der sich mit diesen Privilegien des Autoverkehrs beschäftigt.

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  4. Leider machen auch städtische und landeseigene Behörden und Eigenbetriebe munter mit und nutzen beispielsweise Fußwege und Radwege zum Lagern von zwischengelagertem Kehricht und aufgehäuftem Laub von öffentlichen Grünanlagen.

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  5. Täglich entscheidet mind. eine Autofahrer:In für mich, wie der verbleibende Platz aufzuteilen ist. Meistens geht das für mich als Radfahrer schlecht aus, ich kann entweder in die Dooringzone parkender Autos fahren, oder mit ihrem Autospiegel kollidieren. Obwohl wir meistens tatsächlich nur zu zweit sind!

    Das Auto selbst hat den Platzanspruch, nicht nur der menschliche Verkehrsteilnehmer, der drinsitzt. Das Auto ist eine Identität im Strassenverkehr, der Platz zugesprochen wird, auch wenn es leer ist. Ich find das interessant.

    Stefan, Fürstenfeldbruck, Bayern

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  6. Das Problem ist fehlende Sensibilität für das Problem. Man hat sich so an diese Hindernisse gewöhnt, dass es nicht mehr registriert wird. Kaum jemand macht sich Gedanken über sein Handeln. Sei es darüber, ob noch jemand durch die verbleibende Lücke durchkommt, ein Schild so tief hängt, dass jemand mit dem Kopf dran hängenbleibt oder auch nur, ob noch jeand aus seiner Haustür rauskommt. Wenn man dann aber Rücksichtnahme einfordert, kommen die übliche dummen Ausreden (hat sich noch nie jemand beschwert, man kommt doch durch, das haben wir schon immer so gemacht, jetzt hab dich mal nicht so, etc.) Auch Behörden sind da nicht besser. Das Problem wird garnicht als Problem erkannt. Erst wenn sich dann mal ein Rollstuhlfahrer festgefahren hat, oder, viel besser, ein Heiligsblächle beschädigt wurde, dann wird vielleicht etwas gemacht. Wir haben bei der Müllabfuhr angeregt, die Tonnen doch bitte wieder ordentlich an den Rand zu stellen, damit sie nicht behindern. Wir haben nochnichteinmal eine Antwort bekommen, geschweige denn, dass sich etwas am Mülltonnenchaos geändert hätte. Und so ist es mit ganz vielen Dingen in unser aller Umfeld.
    Karin

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    1. Ja. Wir sind halt einfach sehr viele. Viele zu Fuß, ganz viele im Auto, für den Lieferverkehr und die Fahrzeuge der städtischen Betriebe gibt es keine Flächen am Straßenrand, weil alles von privat zugeparkt ist oder Autos rollen müssen. Sehr kompliziert. Die Prioritäten müssen sich ändern und ändern sich auch, aber das ist ein langwieriger Prozess, bei dem man eigentlich jeden einzelnen Kopf eines Menschen im Auto bearbeiten müsste, damit er/sie umdenkt. Und die Verwaltung auch, und die Polizei auch. Jedenfalls ist deutlich, dass die Städte zu viele Autos bewältigen müssen, und das klappt nicht mehr.

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    2. Es gibt schon Maßnahmen von den Städten. Bei uns, Mannheim, hat man in der Innenstadt zwei Durchgangsstraßen gekappt. Durhcgangsverkehr soll außenherumfahren. Dann hat man Parkplätze umgewidmet (Tische+Stühle, Pflanzen, Radabstellplätze und ! Lieferzonen!. Wer parkt drauf? PKW. Wo stehen die Lieferfahrzeuge? Auf dem Gehweg. Es hapert bei den PKW-Fahrern an der Einsicht, sich einen anderen Parkplatz zu suchen. Lieferverkehr? soll sehen wo er bleibt. Hauptsache ich habe einen Stelllplatz. Und wenn man dann eine Fahrschule sieht, die dort steht (ohne dass jemand aussteigt oder sonst etwas passiert), dann weiß man, wo die Leute die Beachtung von Schildern nicht beigebracht bekommen. Aber gerade dort sollte auf 100%ige Beachtung von Regeln geachtet werden. Falsch gelernt bedeutet, dass es auch weiter falsch gemacht wird.
      Karin

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    3. Stellt sich einer falsch hin, stellen sich sofort noch andere dazu. Man muss immer den ersten oder die erste sofort entfernen. Stehen da erst mal drei oder fünf, dann ist es zu spät. Dann bürgert sich das ein. In den ersten Wochen müssen da eigentlich immer - ununterbrochen - Polizisten stehen, die die Regeln durchsetzen und damit allen klarmachen, dass sie gelten. Versäumt man das, ist das Aufräumen hinterher enorm schwierig.

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    4. "Viele zu Fuß, ganz viele im Auto, für den Lieferverkehr und die Fahrzeuge der städtischen Betriebe gibt es keine Flächen am Straßenrand, (...)": Du hast den entscheidenden Planungsansatz kürzlich schon einmal angesprochen, ohne den es wohl nicht geht: einige (viele?) der "individuell nutzbaren" Abstellplätze zur spezifischen, zweckgebundenen Nutzung umwidmen, also z.B. zu Be- und Entladeplätzen für Lieferdienste, Müllabfuhr etc. Die asphaltierte Verkehrsfläche wird dadurch viel effizienter genutzt (und zugunsten der Allgemeinheit statt für jeweils nur einen privaten PKW), ohne dass der fließende Verkehr (fließender Fußverkehr, fließender Radverkehr, fließender öffentlicher Verkehr, fließender motorisierter Individualverkehr) behindert und gefährdet wird.

      Ja, ohne Kontrolldruck und ohne Strafen geht es nicht, wo die Einsicht fehlt.

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