Wer Angst hat, verspannt den Körper und kann nicht mehr locker und wendig reagieren. Menschen, die beim Radfahren richtig Angst haben, stürzen deshalb öfter, was die Angst nur noch verstärkt.
Ich kenne einige Beispiele von Frauen, die vor dem Straßenverkehr solche Angst haben, dass sie ungern Auto fahren und auf keinen Fall Fahrrad. Sie fühlen sich nur als Fußgängerinnen als Herrinnen der Lage. Meistens blicken sie auf Fahrradunfälle in ihrer Kindheit und Jugend zurück, bei denen sie sich was gebrochen haben. Ist eine Verkehrssituation schwierig - muss man bei Gegenverkehr mit dem Fahrrad links abbiegen -, dann kommt die Erinnerung an den Kontrollverlust über das Fahrrad hoch und man verkrampft sich und verliert tatsächlich erneut die Kontrolle.
Diese Angst kann man nicht einfach überwinden.
Da hilf auch nicht die Aufforderung: "Jetzt stell dich nicht so an!" Wer Angst vor dem Radfahren hat, sollte auf keinen Fall mit Ehemann (oder Ehefrau) fahren, denn dabei spielen sich ziemlich schnell allerlei verborgene oder offene Ehedramen ab. Freund:innen sind geduldiger und nachsichtiger. Und manchmal ist man alleine noch besser dran.Wenn die Angst vor Stürzen überwiegt, könnte sie oder er sich übrigens ein E-Dreirad anschaffen. Damit stürzt man nicht, gewinnt aber die Freiheit, im Alltag bequem und schnell beinahe überall hin zu kommen. Und vor dem Anschaffen steht natürlich eine Testfahrt, die man mit einer guten Freundin macht, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt.
Fachleute können eigentlich Ängste wie Flugangst, Agoraphonie, Klaustrophobie, Angst vor Spinnen oder Schlangen relativ gut behandeln. Das läuft über eine sanfte Konfrontation, also eine sehr langsame und schrittweise Gewöhnung an das, wovor man Angst hat. Mir ist aber kein Ansatz für die Angst vorm Radfahren bekannt, abgesehen davon, dass der ADFC oft ein Fahrradtraining anbietet, heutzutage meist für Pedelecradler:innen. Solche panikartigen Ängste haben vor allem damit zu tun, dass man das Gefühl hat, die Situation nicht kontrollieren zu können. Wer hinterm Autolenker sitzt, hat meist das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben, wer im Zug oder Flugzeug sitzt, nicht, denn er lenkt nicht selber. Radfahren sieht aus der Perspektive von Fußgänger:innen und Autofahrenden oft gefährlich aus, viel gefährlicher als es ist. Ein Fahrrad lässt sich eigentlich gut kontrollieren, wenn man gewohnt ist, Fahrrad zu fahren. Es erfordert allerdings Balance und viel Aufmerksamkeit für den Untergrund. Schnelle Bremsmanöver können zum Sturz führen, wenn man sie nicht gelernt hat. Anderseits hat man es selbst völlig in der Hand, wie schnell man das Fahrrad fährt. Langsam fahren ist erlaubt und möglich. Es liegt allerdings in der Eigenart des Fahrrads, dass man, wenn man langsam fährt und anhält, eben nicht stabil ist, sondern instabiler als zu Fuß oder im Auto. Und wenn die Muskeln vor Angst verkrampfen, dann klappt das mit der Balance nicht mehr, die schnelle Muskelreaktionen erfordert.
Fliegen muss man vielleicht mal oder einen großen Platz überqueren oder einen engen Fahrstuhl besteigen, und in Wohnungen begegnet man auch immer wieder Spinnen. Deshalb gibt es dafür auch Therapieangebote. Aber Radfahren muss man nicht. Unsere Verkehrswelt ist so organisiert, dass man mit dem Auto überall hin kommt. Und wenn man nicht Auto fahren will, dann gibt es öffentliche Verkehrsmittel. Wer Angst vor dem Radfahren hat, muss nicht Rad fahren. Das ist okay. Ein Problem mit ihrer Angst bekommen manche aber dann, wenn sie Kinder haben, die Rad fahren wollen und sollen, weil sie nie mit ihnen einen Familienausflug mit dem Fahrrad machen können. Ist aber auch nicht so schlimm. Meine Mutter ist auch nicht Rad gefahren (sie hatte Gleichgewichtsstörungen) und mein Vater hat mit uns Kindern die Radtouren gemacht.
Wenn man sich aber danach sehnt, Rad zu fahren, könnte man es mit einer sehr langsamen Gewöhnung an den Straßenverkehr versuchen. Voraussetzung ist, dass man das Rad beim Anfahren und vor allem Bremsen beherrscht und um Hindernisse herumfahren kann, ohne sie so gebannt mit den Augen zu fixieren, dass man unweigerlich drauf fährt. Wenn es schon lange her ist, dass man Rad gefahren ist, sollte man es sonntags auf einer leeren freien Fläche üben. Dazu den Sattel niedrig stellen, sodass man mit beiden Füßen leicht auf den Boden kommt. Oder man belegt einen Fahrradkurs für Erwachsene. Vielerorts bietet der ADFC auch Übungskurse für Pedelecs an.
Wer auf dem Fahrrad Angst hat, traut oftmals auch den anderen Verkehrsteilnehmer:innen nicht über den Weg, und kann schwer einschätzen, wohin ein Auto fahren wird, ob es gebremst wird oder nicht. Und wenn sich dann vor Angst die eigenen Muskeln verspannen, kann man das eigene Fahrrad plötzlich auch nicht mehr kontrollieren. Und dann kommt die Angst vor der Angst und man steigt schon verspannt auf und kippt beim Anfahren um. Aus solchen Teufelskreisen kommt man alleine eigentlich nicht heraus. Will man es aber unbedingt und traut sich zu, mit der eigenen Angst umgehen zu können, dann könnte man mit sehr kurzen Strecken anfangen: ein paar Hundert Meter die Straße runter und um die Ecke zum Bäcker oder einem anderen Einkaufsladen und zurück. Schwierige Abschnitte schiebt man das Rad über den Gehweg und die Fußgängerampel. Und dabei darf man es niemals eilig haben. Denn wer es eilig hat, überhastet und macht Fehler. Und es dauert Monate, bis man einschätzen gelernt hat, wie der Verkehr funktioniert, wo die Risiken sind und wo nicht. Es gibt Internetseiten, wo sich über typische Fehler beim Radfahren informieren kann (zu eng an geparkten Autos entlang radeln beispielsweise), wo man Tipps und Verkehrsregeln findet. Die Kenntnis der Verkehrsregeln ist sehr hilfreich, damit sich selbst korrekt verhält, auch das mindert das Risiko. Und das alles dauert Zeit, die man sich stur nehmen sollte, egal wie der Ehemann oder Freund:innen drängen.
Ich meine jedoch, es gibt keinen Grund, sich zum Radfahren zu zwingen, wenn man es nicht kann oder will. Niemand muss Rad fahren.
Der ADFC bietet in Baden-Württemberg immer mehr radspaß-Fahrsicherheitstrainings an, hier geht es zum Kursangebot: https://radspass.org/kurse
AntwortenLöschenDanke schön. DAnach hatte ich gesucht, es aber nicht gefunden. Nach Radspaß hatte ich nicht gesucht.
LöschenDer nächste Kurs in Stuttgart mit freien Plätzen findet am 6. September statt. https://radspass.org/kurse/199f5d20-1d33-45c3-92c1-dc3c88d7789a
AntwortenLöschenJörg
AntwortenLöschenWer länger Mountainbike fährt, kann diese Angst sehen, wenn man Bekannte und Freunde auf Geländestrecken mit nimmt. Das hat leider schon zu unnötigen Stürzen geführt.
Wer also kein MTB-er(in) ist und die Angst nicht versteht, kann man mit jemanden auf die Trails fahren, um sich dem Gefühl aus zu setzen.
Was uns helfen würde wäre eine eigene klar verständliche Radinfrastruktur auf der man einfach mal anhalten kann. Damit könnten sich einige an die Situationen gewöhnen, bevor sie sich mir Autos in der Zone 30 einlassen.
Eine klare uns eparierte Radinfrastruktur würde sehr helfen. Das stimmt. Die können Leute, die heute Angst habe, leider nicht herbeizaubern.
LöschenVor allem würden dann die Leute das Radfahren in der Kindheit lernen, wo es diese Ängste in der Regel nicht gibt, und es dann wie das natürlichste auf der Welt einfach immer weiter machen.
LöschenMeine Oma hat erst mit Ende 50 wieder das Radfahren angefangen. Vorher ist sie wegen eines Unfalls in jungen Jahren nicht mehr gefahren. Sie ist bis annähernd 90 regelmäßig Rad gefahren, aber fast ausschließlich außerhalb des normalen Verkehrs. Der war ihr einfach zu gefährlich und wir reden hier über die 70er bis 2000er Jahre mit deutlich weniger Verkehr. Eigentlich sollten wir heute weiter sein.
AntwortenLöschenSchade, dass auch hier so geschlafen wurde.
Karin
Ja, wir - Politik und Wähler:innen - verhalten uns so, als wollten wir diese schöne Möglichkeit, unabhängig an der frischen Luft unterwegs zu sein, unbedingt erschweren, damit die Leute nicht von ihrem Auto loskommen und wenn, dann wenigstens Busse und Bahnen fahren. Im Grunde kann nur der oder die Einzelne hier gegensteuern, indem sie oder er trotz alledem Fahrrad fährt
AntwortenLöschenDuchgehend sichere Radinfrastruktur ist die Lösung! Das muss man leider immer wieder erklären. Es hilft nichts, hier und da einen tollen Radweg zu bauen. Wenn ich meine "Hausstrecke" Esslingen/Stuttgart fahre, dann kenne ich alle Stellen mit Notlösungen, weil es anders nicht geht. Das kann man natürlich Neulingen nicht erklären, höchstens vor Ort. Du selbst hast mal erklärt, wie du dir die Stadt mit dem Rad erschlossen hast: erst die "Hausstrecke" ganz genau planen und dann mit viel Zeit so lange fahren, bis man sich auf dieser Strecke sicher fühlt. Dann erst variieren. Es wäre toll, wenn man sich genau bei dieser Hausstreckenplanung quasi-professionelle Hilfe holen könnte. Aber vielleicht würde es auch reichen, wenn wir auf unseren Hausstrecken anbieten würden, einmal im Monat andere mitzunehmen, mit reichlich Zeit und Geduld. Ich könnte z.B. am jeweils ersten Dienstagmorgen jedes Monats meine Hausstrecke etwas verlängern und Esslingen - Hedelfingen - Wangen - Ostendplatz - Charlottenplatz fahren. Na, ist das eine Kampagne, die jemand in die Hand nimmt?
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