13. Januar 2024

Die Verkehrs-Hierarchie

Ganz oben stehen die Autofahrerinnen und Autofahrer. Das erkennt man daran, dass sie ungestraft übergriffig sein dürfen. 

Wie selbstverständlich stellen sie ihre Fahrzeuge auf Gehwegen ab, dringen also in den Raum der Menschen ohne Auto ein. Das tut auch dieser Mopedfahrer, der sein Gerät auf dem Zugang zum Zebrastreifen abgestellt hat, um schnell in einen Laden zu gehen. Obgleich Parkplätze für Mopeds ja nun wirklich leichter zu finden sind als für Autos. 

Alle, die etwas fahren, was vollständig durch einen Motor bewegt wird (auch E-Scooter-User), beanspruchen den Platz, der eigentlich anderen zusteht. Ohne Respekt, also voller Verachtung für uns zu Fuß oder auf Fahrrädern. Kinder quetschen sich zwischen Hecke und Auto durch, Menschen mit Kinderwagen müssen auf die Fahrbahn runter. Rollstuhlfahrende sind ganz aufgeschmissen. Egal, Hauptsache das Auto steht so, dass es keine anderen Autofahrenden behindert (ausgenommen natürlich Müllabfuhr oder Feuerwehr).

Auch E-Scooter-Fahrende stehen in der Hierarchie  über den Fußgänger:innen und Radfahren, denn auch die Menschen, die sich nutzen, lassen sich von einem Motor vorwärts ziehen. Auch sie zeigen uns ihre Verachtung. Und zwar ebenso ungestraft, was sie in ihrem Verhalten bestätigt. Nicht nur, wenn sie auf Gehwegen fahren (was sie noch häufiger tun als Radfahrende), sondern auch beim Abstellen ihrer Geräte. Die stehen selbstverständlich so auf dem Gehweg, dass man zwar vielleicht noch einzeln, aber nicht mit Kinderwagen oder Rollstühlen oder Rollatoren an ihnen vorbeikommt. Oft genug stehen sie quer, sodass der Weg versperrt ist. 

Bei den Motorisierten herrscht vielfach die Auffassung, dass Menschen zu Fuß oder auf Rädern ja leicht um sie herum gehen oder fahren können, während sie selbst das Auto nur hier und nirgendwo anders abstellen können, weil es so groß und behäbig ist. 

Und da man nicht nur Autos irgendwo parken muss, sondern auch E-Scooter irgendwo abstellen muss, sehen Radabstellanlagen oft so aus wie die Radreparatursäule in der Eberhardstaße. Sind ja nur Radfahrende, die diesen Raum brauchen. Und die können die E-Scooter ja dann beiseiteräumen. Die Geringschätzung für Radabstellräume gilt übrigens auch ganz konkret, wenn es um Müll geht. Auch Mülltonnen stehen in der Hierarchie über den Radfahrenden (und Fußgänger:innen). 

Über die Schamlosesten  in Sachen Besetzung des Verkehrsraums anderer habe ich bereits geschrieben. Immer wieder stehen in den Fußgängerzonen, so auch in der hinterm Rathaus, Autos, die zwar niemanden behindern, aber sehr deutlich ihren Anspruch auf Raum und ihre Geringschätzung für Fußgänger:innen markieren. Manche kurven auch ums ganze Geviert herum und lassen den Motor aufjaulen, wenn der Fußgänger nicht gleich Platz macht.  

Der Fahrer dieses Autos hat sich offensichtlich und hörbar geärgert, dass ich nicht beiseite getreten bin und, kaum sah er eine Lücke rechts neben mir, heftig beschleunigt und mit mehr als 30 km/h an mir vorbei nach vorn gezogen. Ich hatte das Handy in der Hand, und trotzdem war er schon so weit weg, bis ich es hochgerissen hatte, um ihn zu fotografieren. 

Radfahrende stellen übrigens ihre Räder viel seltener so ab, dass sie Fußgänger:innen behindern, aber auch das passiert. Auf Gehwegen stehen öfter Mülltonnen, Werbeaufsteller, E-Scooter oder andere Gegenstände herum. 

Fußgänger:innen und Radfahrende stehen am unteren Ende der Hackordnung im öffentlichen Raum. Auch wenn Fußgänger:innen das anders sehen dürften, wenn sie sich über Radfahrende auf Gehwegen ärgern, so spricht einiges dafür, dass Radfahrende wenn sie nicht in der Hierarchie ganz unten stehen, so doch wenigstens die größten Hassobjekte im Straßenverkehr sind. Nicht nur Autofahrende, sondern auch Fußgänger:innen schimpfen vor allem auf sie, und das wütender und häufiger als beispielsweise auf E-Scooter-Fahrende oder Autofahrer:innen. Wir Menschen sind so gestrickt, dass wir nicht hassen oder verachten, was in der Rangordnung über uns steht, sondern vor allem das, was wir für unter uns stehend halten. Und was den Hass betrifft, läuft niemand den Radfahrenden den Rang ab in unserer Verkehrswelt. 

Strukturell stehen Radfahrende allemal am unteren Ende der Rangfolge. Während Autofahrende und Fußgänger:innen durchgängige eigene Infrastrukturen haben, sind die Radwege brüchig, lückenhaft und ungenau. Das verdeutlicht diese berühmte Grafik von Copenhagenize Design Company. Seit den achtziger Jahren haben sich die Wege für Autofahrende verbessert, während die Wege für Fußgängerinnen umwegiger geworden sind und die Wege für Radfahrende immer mehr Lücken bekommen haben. Radfahrende müssen zwischen den Systemen wechseln und werden von unserer Verkehrspolitik immer wieder  - viel zu oft - auf Gehwege unter die Fußgänger:innen geschickt, wo sie dann eigentlich Schrittgeschwindigkeit fahren müssen, also nicht schneller als Fußänger:innen vorankommen sollen, was aber nicht möglich ist, weshalb sich Radfahrende auf Gehwegen immer in der Illegalität bewegen müssen. 

Deutlicher kann unsere Gesellschaft ihre Verachtung für die Verkehrsart Radfahren kaum zeigen. 

13 Kommentare:

  1. Es ist wie im Keller, solange Platz da ist, wird er gefüllt. Es gehört Disziplin dazu, leere Räume zu respektieren. Zudem stehen wir fast alle unter einem echten oder gefühlten Zeitdruck, der uns dazu verleitet jeden vermeidbaren zeitlichen Aufwand zu vermeiden. Wir fahren zwar dreimal um den Block, um einen Parkplatz zu suchen, aber wenn wir dafür beim 2. Mal eine wenn auch illegale Abkürzung nutzen, machen wir das. Der Eroller ist die schlimmste Ausprägung, da der Existenzgrund mit der Nutzung in eines fällt, nämlich kurzfristig mgl. schnell, extrem aufwandsarm und ohne Einschränkung Distanz zu überwinden. Der Egoansatz in der reinsten Ausprägung.
    Wie dieses Verhalten gesellschaftlich geächtet werden kann, weiß ich nicht, wahrscheinlich nur über radikale Trennung der Verkehrsräume und horrende Strafen, die es nie geben wird, denn es gilt: freie Fahrt für freie Bürger!

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  2. Wie passt die Behauptung, dass Autofahrer ungestraft übergriffig sein dürfen, zu der Meldung, dass alleine im Jahr 2022 im Europaviertel mehr als 12 000 Strafzettel verteilt wurden?

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    1. Auf welche Vergehen verteilen sich die gerade einmal 1,4 Ahndungen pro Stunde? Wie viele Kfz wurden abgeschleppt?
      Thomas

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  3. Ja, diese 12000 Strafzettel beweisen ja, dass das Fehlverhalten der Autofahrer der Stadt egal ist: Im Europaviertel wurden gerade mal 33 Strafzettel pro Tag verteilt, d.h. das rücksichtslose Verhalten wird so gut wie sanktioniert. Sei es bei den Schulwegen oder den Hauptradrouten, wo man einfach nur hinschauen muss und eigentlich immer mehrere offensichtliche Verstöße findet, die aber keine rechtlichen Konsequenzen haben (nur die Behinderung / Gefährdung der schwächeren Verkehrsteilnehmer .....). Dazu kommt, dass das legale Parken (im Parkhaus) fast genauso teuer ist wie der Strafzettel, nur muss das Parkticket jedesmal bezahlt werden und der Strafzettel ja nur äußerst / fast nie ausgestellt wird.

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    1. Okay, verstehe. 12 000 Strafzettelsind sind also KEINE Strafe. Dann bitte mit gleicher Vehemenz die Sanktionierung der Gefährdung durch Radfahrer auf dem Gehweg einfordern.

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    2. Jörg
      Radfahrer sind in Stuttgart offiziell auf dem Gehweg. Klar Regeleinhaltung sollte schon erzwungen werden, selbst von unsinnigen.

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    3. Hallo Anonymus, MIV- Gehwegfahrer hast wahrscheinlich in deinem Kommentar vergessen. Die empfinde ich deutlich bedrohlicher, als ein paar Irrlichternde Radfahrer auf dem Gehweg. Gruß Frank

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  4. Jörg
    12.000 Tickets in einem Viertel verrückt. Wo steht das? Wir lesen ja von den vielen Abzocker Fotos durch die Blitze auf der A8 beim Flughafen.
    Was bei Stuttgarter Falschparker Tickets auffällt: Es wird eine Minimalstrafe herausgesucht Abschleppen nee nicht in Stuttgart.
    Radfahren auf Gehwegen ist in Stuttgart offiziell und erwünscht.
    Regeln sollten gegenüber allen durch gesetzt werden. Strafen bitte nach Gefährdung und Wiederholungen viele Fußgänger wurde von Autofahrenden getötet, kaum jemand von Radfahrern verletzt da bitte die Kirche im Dorf lassen

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    1. In Stuttgart sind alle Gehwege für den Radverkehr freigegeben? Wusste ich noch gar nicht.

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    2. Na ja, die 200km Radwege müssen ja irgendwo sein… Gruß Frank

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  5. Don't feed drn 12.000 Strafzettel-whataboutism-troll hier in den Kommentaren. Grüsse Michael

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    1. Höchst sachlicher Kommentar zu einer einfachen Frage, wie „ungestraft“ zu Anzahl Strafen > 0 passt. Herzlichen Glückwunsch.
      Und durfte auch nicht fehlen: Der beliebte Vorwurf des Whataboutism. Gern von Leuten genutzt, die selbst mit zweierlei Maß messen und dabei nicht gestört werden wollen.

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  6. Das krasseste finde ich wie die Autobahnen, die nur für Autos sind, die Wege aller anderen komplett zerschneiden. Zum Beispiel in Zuffenhausen zerschneidet die Autobahn den Stadtteil komplett. Man muss oft sehr lange Umwege fahren um über das Hindernis zu kommen. Das wäre vielleicht auch mal ein gutes Thema für ein Blog Beitrag.

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