10. Mai 2025

Österreichisches Gericht urteilt übers Helmtragen

Dem Urteil des Obersten Gerichtshofs zufolge bekommt ein unschuldiger Radfahrer eine Mitschuld an seiner Verletzung durch einen Autofahrer, weil er keinen Helm trug. 

Der Standard bezeichnet das Urteil als wegweisend und schildert den Hergang so: Im Februar 2023 benutzte ein Autofahrer eine Tankstelleneinfahrt illegal aus Ausfahrt. Wegen einer Hecke sah er nichts, und als er anfuhr, stieß er mit einem Radfahrer zusammen, der per Pedelec mit 20 bis 25 km/h unterwegs war. Der Radler wurde schwer im Gesicht und am Kopf verletzt. Er hatte keinen Helm getragen. Schon das Landgericht Feldkirch hatte zwar die alleinige Schuld des Autofahrers festgestellt, dem Pedelec-Fahrer aber das Schmerzensgeld um 20 Prozent gekürzt, weil eine gerichtliche Analyse ergaben habe, dass ein Helm ihm 20 Prozent der Schmerzen erspart hätte. (Das ist schon ziemlich absurd, denn auch kleine, nicht schwere Verletzungen können tierisch weh tun, eine Prellung zum Beispiel, während ein Knochenbruch nahezu schmerzlos bleibt.) Das Landgericht befand, es sei doch mittlerweile üblich, einen Helm zu tragen.

Das Oberlandesgericht Innsbruck sprach dem Radler das volle Schmerzensgeld zu, was der Oberste Gerichtshof wieder kassierte mit dem Argument, auch wenn es keine gesetzliche Helmpflicht gebe, gelte das Nichttragen eines Helms beim E-Bike (gemeint ist ein Pedelec) als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten, die als Mitverschulden gewertet werden könne (Urteilstext). 

Bislang hat der österreichische OGH bei Normalrädern das Helmtragen nicht für unabdingbar gehalten, bei Rennradlern mit sportlichen Ambitionen allerdings schon. In Österreich gibt es genauso wenig wie bei uns eine Helmpflicht fürs Radfahren,  ausgenommen S-Pedelecs. 

Auch wenn sich eine Helmpflicht leicht fordern und vermutlich auch leicht in ein Gesetz fassen lässt, ist sie in der Realität gar nicht so leicht zu verankern. Sie müsste dann ja übrigens auch für E-Scooter-Fahrende gelten. Damit wären Geschäftsmodelle wie Leih-E-Scooter oder Leih-Räder durchkreuzt. Die Anbieter müssten stets Helme mit anbieten und an den Rädern oder Scootern auch geschützt unterbringen. 

Allerdings verhindern Helme - wenn man sie richtig trägt und wenn es dann mal passiert - schwere Kopfverletzungen, vor allem, je älter man ist. Der ADFC hat hier das Pro und Contra zusammengestellt. Unfälle mit Pedelecs gehen demzufolge häufiger tödlich aus als die mit Normalrädern, was aber auch am Alter der Fahrenden liegt. Je älter man ist, desto höher das Risiko, sich bei einem Crash oder einem Sturz schwer zu verletzen. Über den Anteil der Kopfverletzungen kann ich keine Aussage treffen (am Häufigsten sind Verletzungen an Beinen, Knie, Händen und Schultern), denn die Statistiken weisen sie nicht aus. Nach einer Studie der Dekra war bei einem Viertel aller Fahrradunfälle der Kopf betroffen. 80 Prozent der schweren Kopfverletzungen, so die einhellige Vermutung, ließen sich mit einem Helm verhindern. Beim ziemlich häufigen Abbiege-Zusammenstoß von einem Auto oder Lkw mit dem Fahrrad nützen Helme allerdings so gut wie gar nicht, denn da wird der Körper überfahren. 

Häufiger als beim Radfahren sind Kopfverletzungen übrigens bei Körperkontaktsportarten wie Fußball oder Handball, vor allem bei Jugendlichen. Auch beim Skifahren kann man sich sogar rotz Helm eine schwere Kopfverletzung zuziehen wie der Unfall von Michael Schumacher zeigt. Bei Älteren sind Treppenstürze eine häufigere Ursache für Kopfverletzungen. Und auch im Auto kann man eine Kopfverletzung erleiden. Helmpflichten gibt es hier gar nicht. Beim Skifahren gilt sie  in Österreich nur für Jugendliche. Dort gilt der Vertrauensgrundsatz beim Skifahren, der meint, dass sich Skifahrende verantwortlich verhalten. Der gilt offensichtlich beim Radfahren nicht. Und der vom Urteil betroffene Radfahrer hatte nicht einmal Schuld. Krass unverantwortlich hat sich nur der Autofahrer verhalten. 

12 Kommentare:

  1. Helmpflicht durch die Hintertür.
    Bzw. Warum jeder, der für das Helmtragen argumentiert, die Situation aller Radfahrer verschlechtert.

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  2. Das ist ein gutes Beispiel aus der Rubrik "Anderen vorschreiben, wie sie zu leben haben."
    Den Radler trifft keine Schuld, dennoch wird ihm Schuld zugewiesen, weil er sich nicht so verhält, wie sich in diesem Fall das Gericht das so vorstellt.
    Die Freiheit stirbt einen langsamen Tod.
    Gebrauchsspur

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  3. Das Urteil macht mir Kopfschmerzen.
    Zum einen sind laut Hersteller der Helme diese nicht zum Schutz bei Unfällen gedacht.
    Zum anderen erleiden viele Autofahrer bei Unfällen Kopfverletzungen. In Autosport sind Helme üblich.
    Warum wird hier mit zweierlei Maß gemessen?

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  4. und dann als nächstes Helmpflicht für Fussgänger und Hunde...

    Thomas

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    1. so absurd das klingt, auch ältere Fußgänger die erleiden oft Kopfverletzungen..

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  5. Was mich an dem Urteil besonders stört ist, dass der Autofahrer vorsätzlich aus egoistischen Gründen die Regeln missachtet hat und damit einen Unfall billigend in Kauf genommen hat.
    Es ist keine Unachtsamkeit wenn man einen Weg wählt auf dem man nicht sehen kann ob man andere gefährdet, d.h man nimmt die Gefährdung in Kauf, oder erkennt die nicht Beides sollte ein Ausschlusskriterium für die Teilname am MIV sein.
    Der Radfahrer hingegen konnte das "Risiko" dass er durch seine Entscheidung keinen Helm zu tragen in diesem Fall nicht minimieren. Wenn man sich etscheided keinen Helm zu tragen und dafür langsamer fährt, noch vorsichtiger an Knotenpunkten agiert, mehr Abstand zu Fußgängern hält als sonst eh schon, ... kann man das gefährliche Situationen weitestgehend vermeiden. Bis auf dann wenn ein anderen eben etwas macht mit dem man weder rechnen kann oder rechnen muss.
    Und dann dem Opfer 20% des Schmerzensgeldes zu streichen ist harter Tobak
    Ist bekannt ob sich dass "nur" auf das Schmerzensgeld oder auch den Ausgleich bereits entstandener oder zukünfiger Schäden erstreckt.
    Klingt jetzt blöd, aber mit einer Reduzierung des Schmerzensgeldes könnte ich leben, mit einer Reduzierung des Anspruchs auf Schadensersatz nicht. Denn das könnte in so einem Fall z.B eine Familie ruinieren. (Wenn der Hauptverdiener ausfällt und zusätzliche Kosten anfallen, die dann eben nicht vollständig übernommen werden)

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    1. PS: Muss man jetzt Bauhelme tragen wenn man in der Nähe einer Baustelle herumläuft, falls einer meint man könnte Ziegelsteine vom Gerüst schmeißen?

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  6. Ein absurdes Urteil. Das Gericht ist offenbar in der weitverbreiteten Auto First Ideologie gefangen.

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  7. Ich habe gerade das Urteil nachgelesen und das regt mich noch mehr auf. Denn die kürzung um 20% betrifft nicht nur das Schmerzensgeld sondern auch den Schadensersatz:
     "Es wird festgestellt, dass die beklagten Parteien der klagenden Partei für sämtliche Spät- und Dauerfolgen aufgrund des Unfalls vom 20. 2. 2023 auf dem Radweg * im Ausmaß von vier Fünfteln haften, wobei die Haftung der zweitbeklagten Partei mit der Versicherungssumme laut Haftpflichtversicherungsvertrag zum Unfallszeitpunkt lautend auf das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen * begrenzt ist."
    D.h mit der Einschätzung, dass die Unfallfolgen durch das Tragen eines Helms um den Faktor x hätten reduziert werden können, hat der Gutachter hier ein finanzielles Risiko für Opfer und deren Angehörige geschaffen.
    Man stelle sich vor es ginge um einen Unterschied zwischen 80% Erwerbsminderung und voller Genesung , wegender Behauptung dass ein Helm das komplett verhindert hätte.
    Ich denke nicht, dass ein Gutachter einen Unfallhergang derart gut rekonstruieren kann, dass Aussagen mit solche Tragweite überhaupt getroffen werden können.
    Ich weiß wie aufwändig Simulationen von KFZ Kollisionen sind, und wie genau man alle Randbedingungen kennen muss um die Belastung bestimmter Teile (oder auch der Passagiere) mit einer entsprechenden Genauigkeit berenchen zu können.
    Diese Daten stehen für einen realen Unfall nicht zur Verfügung.
    Die Justiz "glaubt" dem Experten, und gibt dem damit Verantwortung der man sich als Ingenieur / Arzt nicht bewusst sein kann.
    Denn ein Arzt allein kann die Mechanik des Sturzes nicht beurteilen und ein Ingenieur kann nicht beurteilen welchen Unterschied der Helm macht.




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    1. Danke fürs Nachlesen und Berichten hier.
      Hier werden bestehende Machtstrukturen bestätigt, also auf Kosten der Schwächeren.

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  8. Ich bin für eine generelle Mitschuld für Radfahrer (und Fußgänger) bei Unfällen - wären sie nicht Rad gefahren (bzw. zu Fuß gegangen), währe ihnen nichts passiert. Mehr noch: Sie hätten den Unfall dadurch sogar verhindert!
    [/ironie]

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