21. August 2015

Wenn Radfahrer bei Rot weiterfahren dürfen

Ich habe darüber zwar schon öfter berichtet, aber derzeit geistert das Thema durch die Zeitungen. In Paris dürfen Radfahrer an über tausend Kreuzungen bei Rot für Autos weiterfahren. Und zwar rechts abbiegen oder geradeaus. Sie haben dort den so genannten Gelben Pfeil

Er entspricht unserem grünen Pfeil für Rechtsabbieger. Damit will man in Paris Unfälle von Radlern mit Autos vermindern. Denn man hat offenbar festgestellt, entnehme ich den Presseberichten, dass für Radler kritisch vor allem die Halte- und Startphasen sind. Da sind Radler instabil. Außerdem konkurrieren sie mit den startenden Autos. Was das bedeutet, erleben wir auch in Stuttgart. Autofahrer wollen oft ums Verrecken so schnell wie möglich an dem Radler vorbei. Lastwagenfahrer nehmen überdies den rechts neben ihnen fahrenden Radler nicht wahr. Und das erzeugt Unfälle.


Neckarstraße, Einbiegung Hackstraße. Radler, die
von rechts kämen, könnten einfach weiter
fahren. Sie stören den Einbiegeverkehr nicht.

Und als Radfahrer/innen wissen wir auch, dass es völlig ungefährlich für uns ist, wenn wir an einer T-Kreuzung am rechten Bordsteinrand weiterfahren. Denn wir sind schmal und behindern den von links einbiegenden Verkehr nicht. Auch Autofahrer wären dankbar, wenn der Radler, der halb vor ihnen am Bordstein steht, schon mal weg wäre, bevor sie starten. Sie haben ihn dann nämlich bei der Geradeausfahrt nicht unmittelbar vor sich (Radler starten in der Regel schneller als Autos). Das entstresst.

Radfahrer brauchen sowieso keine Ampeln. Auch nicht zu ihrem eigenen Schutz. Unser Verkehr ist auf ganz altertümliche Weise ausschließlich fürs Auto organisiert und geregelt. Für breite Geräte, die teils in Sekunden von 0 auf 100 sind. Zu schnell, zu gewaltig, zu massig. Sie müssen gezähmt werden. Sie müssen auch gelegentlich angehalten werden, damit Fußgänger mal eine Chance haben, die Fahrbahn zu queren. Fußgänger und Radler bewegen sich dagegen langsam und nie schneller als sie schauen können. Weder Fußgänger noch Radler brauchen Ampeln, um sich zu arrangieren. Fußgängerampeln sind ja nicht für Fußgänger, sondern für Autofahrer, damit sie dem Fußgänger mal Wegerecht geben.

Aus der Autoperspektive sieht es lebensmüde aus, wenn ein Radler bei Rot weiterfährt. Das ist es aber in vielen Fällen nicht. Da empfehle ich mal einen Perspektivwechsel. Jeder Autofahrer, der sich mal für eine weile aufs Rad setzt, wird merken, wie schwer es ihm fällt, an einer roten Ampel mehr als eine Minute zu warten, obgleich die Straße frei vor ihm liegt. Da kommen vielleicht ein paar von links und biegen in die Straße ein. Sein rechter Bordsteinpfad (die Stelle, wo immer die Radspuren liegen) wird davon aber gar nicht berührt. Oder er könnte eigentlich nach rechts abbiegen (Fußgänger beachten), denn auch hier gilt, es ist genug Platz da für ihn und die Autos, die von links kommen.

In einem Kommentar habe ich gelesen, das sei versicherungsrechtlich nicht zu bewältigen. Kann ich mir nicht vorstellen, denn andernfalls würde auch der grüne Pfeil für Autos zum Versicherungschaos führen. Tut es aber nicht. Es ist ja klar, dass wer Rot hat - also auch der Radler - nicht Vorfahrt hat, sondern im Nachteil ist. Auch versicherungsrechtlich.

In einer Stadt, in der hauptsächlich 30 km/h gefahren wird, werden viele Ampelanlagen ganz schnell überflüssig. Die Unfallzahlen würden zurückgehen. Radler und Fußgänger befänden sich weniger in Gefahr. Denn interessanterweise passieren auch in Paris am Place de la Concorde, wo fünf Straßen auf einen Kreisverkehr führen, keine Unfälle, obgleich es keine Ampeln gibt. An einem anderen Platz, wo Ampeln den Verkehr regeln, gibt es ständig Unfälle.

Stuttgart wird Vorreiter, wird moderne Stadt, meistert die Herausforderungen der Zukunft, beginnt mit dem ersten Verkehrsversuch in Deutschland und versieht hundert Ampeln mit dem gelben Pfeil für Radfahrer. Na, wie wär's?





14 Kommentare:

  1. Wäre auf jeden Fall ein sinnreicherer Versuch als der mit Schutzstreifen außerorts.

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  2. Also ich weiss nicht ob ich als Radler an einer grossen Kreuzung wie beispielsweise der Löwentorkreuzung beim links abbiegen auf eine Ampel verzichten möchte. Und ich fahre definitiv nicht über zwei Fussgängerüberwege!

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  3. Also an der Löwentorkreuzung wird bestimmt kein "Gelber Pfeil" eingeführt weils zu gefährlich ist. Aber es gibt hunderte von Ampeln an kleineren Ampeln in Stuttgart UND Umgebung an denen du dir einen Standplatten holst weil du alle 250 Meter warten musst. JA BITTE STUTTGART, zeigt dass es nicht nur leere Worte sind und ihr wirklich den Radverkehr fördern und attraktiv machen wollt. Ich fürchte nur dass das wieder ein Genehmigungsmarathon durch politische und rechtliche Instanzen wird.........

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    1. Als Radfahrer auch an der Löwentorkreuzung. Dort gibt es eine doppelte Radampel, nur 10 m voneinander entfernt. Radfahrer werden in Stuttgart sehr effektiv gegängelt.

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    2. Es geht ja auch ums Rechtsabbiegen und das Geradeausfahren an T-Kreuzungen.

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  4. Nicht nur, dass es an der Löwentorkreuzung keinen geben wird wegen der Größe und Verkehrsbelastung, es wird auch nicht ein Gelber Pfeil für's Linksabbiegen gefordert.

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    1. Ich gehe auf den Artikel ein. Es wird gesagt das man ja gar keine Ampeln bräuchte als Radfahrer. Dem stimme ich zu so lange ich nicht an einer großen Kreuzung links abbiegen muss.

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    2. Dann hast du einen anderen Artikel gelesen als ich. Im Teaser steht deutlich "Und zwar rechts abbiegen oder geradeaus."

      Und warum es beispielsweise Fußgängerampeln gibt steht auch im Artikel. Es steht aber nicht drin, daß es nur Ampeln für Autos gäbe.

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    3. Stimmt, es steht nicht drin, dass es nur Ampeln für Autos gäbe, aber es steht drin, dass wir Amepln nur haben, um den Autoverkehr zu regeln, also hin und wieder anzuhalten, damit andere Verkehrsteilnehmer auch mal zum Zug kommen. Bei einem insgesamt langsameren Autoverkehr in Innenstädten könnte man auf viele soche Autoverkehr-Stopper-Ampeln verzichten. Das würde Fußgängern und Radlern gut tun, die ja oft sehr lange warten müssen, bevor sie Grün bekommen, und darum oft auch bei Rot schon mal losgehen oder losfahren.

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  5. Super Sache. Das Anbringen von solchen gelben Pfeilen wäre sensationell und würde die Stuttgarter Fahrradpläne deutlich nach vorn bringen. Bei minimalen Kosten natürlich, das ist ja immer ein Killerargument im Schwabenländle ;-)

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    1. Was nix koschd isch au nix rächds :(

      (den Radverkehr könnte man bei geschickter Planung und Regelung mit minimalsten Kosten weit nach Vorne bringen - aber lassen wir das...)

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    2. Radverkehrsförderung ist eh billiger als jegliche Autoverkehrsförderung. Und viele Radler bringen der Gesellschaft dann sogar auch noch Geld ein, weil sie gesünder sind und zu einem positiven - auch wirtschaftlich postitiven - Stadtklima beitragen.

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  6. Mal wieder ein sehr toller Artikel von dir, schön formuliert. Einiges ging mir schon selbst durch den Kopf durch nur konnte ich es nicht in so gute Sätze packen.
    Nur eins, Tempo 30 innerorts halte ich für unausweichlich, nur wird das keine Ampeln ersetzen.

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    1. Danke. Und Tempo 30 ist unausweichlich, das sehe ich auch so. Dann muss man die Stadt nur noch überzeugen, die alten Ampelananlagen ernsthaft zu überprüfen und viele davon abzubauen.

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