19. Oktober 2015

Lächelnd radfahren - die E-Harley

Sie kommt aus der Schweiz und ist der E-Rad-Cruiser von YouMo. Den bin ich eine Woche probegeradelt. 

Man fährt das Teil heiter und entspannt und bringt Passanten zum Lächeln. Hinter mir eine Fahne von Bewunderung: Cool! - Heißes Rad!

Für Normalradler ungewohnt, aber gut, ist die Sitzhaltung. Man sitzt tief und total senkrecht auf breitem Sattel. Der Tritt geht nicht nach unten, sondern schräg nach vorn. Wenn man das raushat, dann zieht das Teil mit der Pedelec-Unterstüztung ab wie ein Moped. Da hält man sich gern mit den Händen am Lenker und lässt sich ziehen. Nach der ersten Eingewöhnung ein tolles Fahrgefühl.

Sicher, stark und bequem

Es ist ein überraschend bequemes und entspanntes Radeln. Und ein sicheres überdies. Nicht nur rollt das E-Rad auf Bergabstrecken sehr stabil, ich habe mich auf ihm senkrecht auch sicherer gefühlt, als vornübergebeugt auf meinem normalen Pedelec. Denn man behält körperlich und mental die aufrechte Fußgängerposition bei. Man bewegt sich durch den Straßenverkehr als selbstbewusster Mensch mit gewohnten Sehperspektiven. Und genauso wird man auch von Autofahrern und Fußgängern wahrgenommen. Nicht als Kampfradler, sondern als Verkehrsteilnehmer.

Mit den Füßen ist man zudem sofort auf dem Boden, wenn man halten muss. Die Ungeduld an Ampeln beim Warten auf Grün nimmt drastisch ab. Einfach, weil es bequem ist, unkibbelig im Sitzen zu stehen. Ans Starten muss man sich allerdings gewöhnen, der Antritt nach vorn ist eine Umstellung. Auch das Radeln selber ist anders. Man kann beim Treten besser gegenziehen als bei einem Trekkingrad. Die volle Kraft kommt aufs Pedal, wenn man sich zurücklehnt, mit gestreckten Armen an den  Lenkergriffen zieht und unten gegentritt. Eine bequeme Haltung, bei der man sehr viel Kraft entfalten kann.

Das Rad schaltet das Licht automatisch an, wenn man es in Betrieb nimmt. Es ist ein feststehendes Licht, das sich nicht mit dem Lenker dreht. Übrigens mit breitem Winkel nach links und rechts, also unproblematisch vor engen Kurven, allemal in der Stadt, wo genügend Licht vorhanden ist. Vorteilhaft, dass das Licht nicht mit jeder Lenkerbewegung hin und her wedelt.

Ideal für die Stadt

Die dicken Reifen machen es unempfindlich für Hoppelasphalt, Kopfsteinpflaster und diese 3-cm-Bordsteine, die in Stuttgart üblich sind. Fährt man schräg an so einen Bordstein heran, gerät man nicht in Gefahr zu stürzen. Die Reifen absorbieren ihn.

Diesen YouMo-Cruiser kann man auch als S-Pedelec (bis 45 km mit Kraftzugabe) kaufen. Der wäre dann aber nicht mehr ideal für die Stadt, weil man damit im Moped-Modus nur auf Fahrbahnen radeln darf. (Also nicht im Schlossgarten!) Man braucht ein Nummernschild (der Platz dafür ist hinten am Schutzblech vorgegeben, wie man auf dem Foto sieht, was auch die Polizei sieht, die mich angesprochen und gefragt hat, ob mein Cruiser so erlaubt ist) und eine Versicherung.

Eine Verführung für Radmuffel

Das ist auch ein Rad für alle, die eigentlich gar nicht Rad fahren, die sich nicht mit dem Status als Radfahrer identifizieren, die nicht über den Lenker gebeugt sitzen wollen. Der sehr starke Motor mit fünf Stufen macht das Radeln bergauf zum Kinderspiel. Der Cruiser wirkt zwar schwer, ist aber unglaublich spritzig am Hang. Der Akku reicht ungefähr zwei bis drei Mal quer oder längs durch Stuttgart, Hang runter und wieder rauf. Auch für Radler, denen beim Abstützen auf dem Lenker gern die Hände einschlafen, ist das eine Lösung. Der Nacken bleibt gerade, die Wirbelsäule ist gestreckt, die Hände liegen hoch und locker auf dem Lenker und greifen auch mal fest zu und ziehen, wenn man ordentlich in die Pedale tritt. So lässt es sich stundenlang radeln, hat man sich erst mal an das feste Dauersitzen im Sattel gewöhnt.

Ein Rad auch für Handtaschen und Umhägetaschen. Weil man aufrecht sitzt, bleiben sie auf dem Rücken oder an der Seite. Sie rutschen nicht nach vorn wie beim vorgebeugten Radeln.

Der Cruiser ist Psychologie des radlerischen Selbstbewusstseins

Das ist einer der größten Vorteile auch, was die Sicherheit im Straßenverkehr betrifft. Ich habe auf meinen Fahrten durch Stuttgart beobachtet, dass viele Fußgänger sich mehrmals nach mir (eigentlich dem Rad) umdrehten. Mit lächelnden Gesichtern. Manche haben mir, während ich vorbei fuhr, "cool" zugerufen. Offensichtlich ist das ein Rad, dass die oft feindseligen Gefühle von Fußgängern uns Radfahrern gegenüber, dämpft. Ich komme ja auch anders daher. Aufrecht wie sie, sogar etwas niedriger als Fußgängeraugenhöhe. Ich wirke langsamer als ein gebeugter Radler, auch wenn ich es auf dem Rad gar nicht bin. Ich wirke gemütlich und heiter. Das Kampfradler-Raster versagt nicht nur bei Fußgängern, sondern auch bei Autofahrern. Ich bin nicht so knapp überholt worden. Ich werde von Autofahrern eher als Zweirad-Verkehrsteilnehmerin wahrgenommen. (Natürlich hat mir ein Autofahrer auch die Vorfahrt genommen, und in der Tübinger Straße kam mir ein Transporter beim Überholen eines Radlers auf meiner Fahrbahn entgegen und zeigte mir den Stinkefinger.)

Auf dem Gehweg radeln passt bei dem Cruiser auch nicht, er wirkt zu bullig. Das könnte unsichere Radler/innen von der Gehwegflucht abhalten. Ich habe mich auf dem Cruiser nicht wie eine Schlänglerin gefühlt, die ungeduldig jede Lücke und jede Abkürzung ausnutzt, um durchzukommen, sondern als Fahrzeug. Das kommt auch daher, dass anhalten nicht stressig und kibbelig ist. Ich fahre zudem selbstbewusster und etwas mittiger auf der Fahrbahn als mit dem Rad, was ja sicherer ist.

Aufladen 

geht schnell, aber man hört esHat man die Kabel gestöpselt, das Aufladegerät angestellt und auf dem Akku auch noch mal den Knopf gedrückt, beginnt es zu rauschen, als müsste der Strom per Motor in den Akku gechaufelt werden. Dafür hört man auch, wenn der Ladevorgang beendet ist. Dann wird es still, und man kann alles ausstellen und entstöpseln. Das ganze Prozedere ist etwas umständlicher als bei anderen Pedelec-Systeme, auch weil man die Kabelverbindung des Akkus am Rad selber lösen und beim Einsetzen wieder einstöpseln muss. Aber das ist eigentlich unerheblich.

Abschließen

Dafür gibt es ein tolles Tool. YouMo gehört zu den wenigen Rädern, die schon gelernt haben, dass sie geklaut werden können. Nach Angaben des Herstellers kann man ein Lenker-Schloss einbauen lassen, das die Lenkung blockiert. (In meiner ersten Version der Besprechung wusste ich das noch nicht.) Hier ein Foto von YouMo. So kriegt man das Rad für den kurzen Halt beim Bäcker bequem und ohne Gefummel mit Ketten gesichert.

Schon cool,  aber 

ein paar Kleinigkeiten gibt es doch noch zu bemängeln. Zum ersten musste ich nach dem Abstellen gleich erst mal die Kette wieder drauflegen. Ging zwar recht leicht, aber: ölverschmierte Hände bei Ankunft zum Termin, ganz schlecht. (Ist in den zehn Tagen, die ich das Teil gefahren bin, dann aber nicht mehr vorgekommen.)

Das Rad hat ein durchdachtes Design, aber der Bordcomputer kann da nicht so recht mithalten. Arg form-unschön beppt er rechts am Lenkergriff. Die Knöpfe zur Wahl der Energistufen sind klein und eng beieinadner. Mit Handschuhen im Winter eher ein Glücksspiel. Der Computer selber liefert alle Daten, die man wünscht, bleibt aber nicht auf der zuletzt gewählten Einstellung stehen, sondern beginnt jeden neuen Tripp mit der Tripp-Anzeige.

Der Gepäckträger ist formschön, sein Rahmen ist gebogen und läuft konisch zu. Das heißt: Meine Satteltasche kann ich da nicht einhängen. Der Rahmen ist  zu dick. Das ist Transport wie in Kindertagen auf einem schon damals ziemlich unpraktischem Gepäckträger, wo die Taschen auch mal seitlich runterrutschen, wenn man sie nicht kunstvoll festschlingt. (Siehe Foto oben mit mir auf dem Rad).

Um das zu beheben, kann man extra Streben zum Montieren bei YouMo bestellen. Dann klickt es wieder. Bei Stromrad, das den Cruiser in Stuttgart vertreibt, gibt es außerdem Retro-Satteltaschen und einen Container, wie ich ihn brauche.

Ich benutze mein Rad nämlich wie ein Auto in der Stadt. Eine Handtasche möchte ich gern regendicht und klausicher in einem abschließbaren Kasten unterbringen, in den auch ein Aktenordner reingeht. Beim Cruiser muss man dabei sicherstellen, dass man mit dem Bein über den Sattel kommt. Wie das Ganze aussieht, habe ich nicht gesehen.

Und wieder mal wundere ich mich, warum gerade Pedelecs ihren eigenen "Kofferraum" nicht längst mitzuliefern gelernt haben, formschön anstelle des blödsinnigen Federklapp-Gepäcksträgers aus dem 20. Jahrundert. Es ist immer noch vergleichsweise schwierig, Container zu kriegen und sie an Dutzenden Varianten von Gepäckträgern zu befestigen. Immer bedeutet die Montage zusätzliche Ausrüstung und damit zusätzliches Gewicht und Geklapper.


Gewöhnungsbedürftig ist auch die geteilte und weit auseinander stehende Mittelstange. Klar ist ohnehin, man muss aufsteigen wie auf ein Herrenrad. Geht, denn der Sattel ist niedrig. Und dann berührt man mit den Knien immer wieder diese Stangen. Natürlich gewöhnt man sich dran. Die richtige Sattelhöhe und Sitzposition sind entscheidend. Für Frauen mit kurzem Rock im Sommer nicht so ideal. Andererseits wissen wir Mädels ja, dass Räder im Grunde nur für Männer konzipiert und gestaltet werden. Der Prototyp ist immer männlich.


Und natürlich kommt man mit den dicken Reifen in keine noch so kunstvoll vorgefertigte Radabstellanlage hinein. Das ist aber nicht wirklich ein Manko verglichen mit dem Vorteil dieser Reifen.


Fazit

Am liebsten hätte ich das Rad nicht mehr zurückgegeben. Wenn ich mir jetzt ein Rad kaufen müsste, weil ich ein neues bräuchte, würde ich mir  den Cruiser von YouMo kaufen. Kostet um die 3.000 Euro, je nach Modell mal etwas weniger oder etwas mehr, und gibt's bei Stromrad am Olgaeck. Ich finde den Preis für ein stabiles E-Rad mit so coolem Design und mit dieser Bergauf-Bergab-Tauglichkeit nicht wirklich hoch.
Hier ein weiterer Testbericht auf der Stromradseite.

10 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. Naja, die Sitzhaltung ist alles andere als gut. Das kommt dir nur so vor... http://www.fa-technik.adfc.de/Ratgeber/Sitzen/#6

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    1. Das stimmt. Sie ist deutlich entspannter. Die Abhandlung unter dem von dir angegebenen Link finde ich sehr erhellend. Die absolut richtige Haltung ist für Vielradler und Langstreckenradler enorm wichtig. Andererseits verursacht die korrekte Sitzhaltung auf dem Rad ja bei Vielradlern auch einige Probleme von Impotenz (bei Männern) über Hüft- bis zu Fußproblemen. Menschen sind auch sehr verschieden.

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    2. Das stimmt. Sie ist deutlich entspannter. Die Abhandlung unter dem von dir angegebenen Link finde ich sehr erhellend. Die absolut richtige Haltung ist für Vielradler und Langstreckenradler enorm wichtig. Andererseits verursacht die korrekte Sitzhaltung auf dem Rad ja bei Vielradlern auch einige Probleme von Impotenz (bei Männern) über Hüft- bis zu Fußproblemen. Menschen sind auch sehr verschieden.

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  3. U.a. bei der CM konnte man dich mit dem Rad live erleben. Sehr cool. :-)

    Aber vermutlich kein Leichtgewicht. Haus- und Kellertreppen oder auch bereits die Mitnahme in der Stadtbahn sind sind sicherlich nicht ganz leicht zu bewerkstelligen.

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    1. Ja, das YouMo ist kein Rennvelo, aber es gibt einen guten Trick, der das Tragen sehr erleichtert. Aufgrund der Geometrie kann man aus der leichten Hocke über das YouMo mit einem ausgestreckten Arm die untere Kettenstrebe greifen. Anschliessend muss man nur noch aufstehen. Dabei kommt die erforderliche Kraft aus den Beinen und nicht aus den Armen und am ausgestreckten Arm lässt sich das YouMo viel einfacher eine Treppe hoch oder herunter tragen

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    2. Danke, guter Tipp. Pedelecs sind generell eigentlich zu schwer, um in den Keller getragen zu werden. Das ist oft ein Hinderungsgrund, sie zu kaufen, gerade für ältere Menschen. Deshalb braucht man eigentlich Radgaragen, entweder im eigenen Garten oder öffentlich.

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    3. Lieber Anonymus, der du mich auf der CM auf dem Rad gesehen hast (wirklich sehr cool): Ich hätte sicher kein Pedelec, wenn ich mein Rad in einen tiefen Keller tragen müsste. Das ist ein Pedelec-Problem. Und ich strebe nicht danach, mit meinem Pedelec in eine Stadtbahn zu gehen, um mich transportieren zu lassen. Allerdings ist das mit dem YouMo auch möglich, genauso wie mit jedem anderen Pedelec. Man fährt mit Pedelecs allerdings eh oft weitere Strecken als mit dem Normalrad, und Stuttgart ist ja schon ziemlich klein.

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  4. "Andererseits verursacht die korrekte Sitzhaltung auf dem Rad ja bei Vielradlern auch einige Probleme von Impotenz (bei Männern) über Hüft- bis zu Fußproblemen. Menschen sind auch sehr verschieden."

    Dem möchte ich mich so nicht anschliessen, nicht nur weil ich männlich sein könnte..... :-) Eine gute Sitzhaltung soll und darf eben NICHT zu Gelenkproblemenen oder Organschäden führen. Die Problematik dabei, dass es dabei keine Rechenformel gibt, die für jeden Menschen passt, macht es zwar nicht einfach, aber auch nicht unmöglich.

    Gerade in den (bekannten) Foren lese ich immer wieder von RadlerInnen, die v.a. Gelenkprobleme dem Radfahren zuschreiben, oder enttäuscht sind, dass diese sich dadurch nicht mildern. In der übergrossen Zahl geht es dabei um "normalgesunde" Menschen. Sieht man aber irgendwann einmal, wie diese auf dem Rad sitzen, wundert man sich zumeist, dass sie überhaupt schmerzfrei sich mit dem Velo bewegen können. Das ist wirklich keine gefühlte, sondern eine geradezu erschlagende Mehrheit, weit jenseits von 70%........

    Letztlich ist das auch eine Frage der eigenen Körperwahrnehmung, deswegen kann man es auch nicht verordnen wie eine Tablette. Die meisten Menschen werden aber sicherlich staunen, was alles mit gutem Willen möglich ist.

    Beste Grüsse
    m

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