20. Februar 2018

Radfahren ist KEIN politisches Statement

Viele fahren Fahrrad. Auch Menschen, von denen ich es nicht unbedingt erwarte, weil sie sich fürs Auto einsetzen und neue Radwege und Radspuren ablehnen.

Diesen Fahrradfahrer/innen anderer als grüner politischer Farben würde niemand unterstellen, sie nähmen das Fahrrad aus politischen Gründen. Bei denen ist klar: Wenn sie aufs Fahrrad steigen, dann aus pragmatischen und privaten Gründen. Beispielsweise, weil es schneller geht, weil man damit in der Mittagspause schnell was besorgen fahren kann ...

Kinder und Jugendliche benutzen das Fahrrad, weil sie noch keinen Führerschein haben. Manche fahren lieber Fahrrad als die Straßenbahn oder Bus. Weil es schneller geht und man in jede Ecke in einem Umkreis von 5 km ums Zuhause hinkommt. Kindern und Jugendlichen unterstellt niemand, sie führen Fahrrad, weil sie damit anderen demonstrieren wollten, sie täten was für die Umwelt oder seien gegen Autos und überhaupt "Ökoterroristen" (Der Vergleich mit Terroristen ist infam, denn verbreiten Angst und Tod, Radfahrende nicht). Kinder fahren einfach gerne Fahrrad.

Das Verkehrsmittel ist ein Verkehrsmittel, keine Demonstration und kein politisches Statement. Ich bin nicht nur Radfahrerin. Meine Mutter ist nicht nur Fußgängerin mit Rollator, mein Nachbar nicht nur Stadtbahnfahrer. Wir sind über unsere Verkehrsmittel nur identifizierbar für die Minuten oder Stunden, die wir uns im öffentlichen Raum bewegen. Und viele von uns sind zeitweise Autofahrer, Radfahrer und immer auch Fußgänger.

Die wenigsten Menschen tun etwas, was sie eigentlich nicht tun mögen, nur weil sie damit eine schlechte Entwicklungen auf der Welt umkehren wollen, sondern weil sie es für sich selbst gut, bequem und praktisch finden, was soviel bedeutet wie, dass die Alternativen schlechter oder unerreichbar sind. Wobei das sich jetzt ergebende Argument, viele müssten Fahrrad fahren, weil sie sich kein Auto leisten könnten, nicht trifft, denn viel Auto und wenig Fahrrad wird vor allem (auch in Stuttgart) gefahren, wo nicht die Reichen wohnen. Die meisten, die in Stuttgart mit dem Rad unterwegs sind, können sich Autos leisten und viele haben ein Auto. Sie finden nur das Radfahren bequemer, schöner oder praktischer.

Ist die Farbe hier etwa ein politisches Statement? 
Es ist allerdings allgemein anerkannt, dass Autos für viele Menschen Statussymbole sind. (20 Prozent geben das auch zu.) Automarke und Autotyp sind Statements bestimmter und ganz verschiedener Haltungen, Ängste und Überzeugungen. Das Auto dient der Selbstinszenierung auf der Straße (auch den Nachbarn gegenüber). Vielleicht meinen deshalb unsere vom Auto beherrschten Gehirne, das müsse auch beim Fahrrad so sein. Sie erleben Radfahrende dann als Demonstration gegen sich selbst. Solchen Menschen flutscht dann auch mal schnell das Wort "Strampel-Nazis" aus der Felder, so wie in der SZ, und niemand regt sich darüber auf, dass Radfahrende mit Nazis verglichen werden, also mit totalitären Rassisten und Massenmördern. Warum eigentlich vergleicht man Menschen auf harmlosen Fahrgestellen so gern mit dem Bösesten, was unsere Gesellschaft so produziert? Womöglich um davon abzulenken, dass der Terror eigentlich von Autos (also Autofahrenden) ausgeht: Lärm, Todesgefahr, Luftgift, Platzraub in unvorstellbarem Ausmaß ...

Immerhin sinkt das Auto allmählich in der Statushierarchie, weil kluge Vernetzung und Mobilität vor allem jungen Leuten wichtiger ist. Wer aus der Stadtbahn aussteigt und den letzten Kilometer mit einem Leihfahrrad zurücklegt, tut das wiederum nicht als Bekenntnis zum Fahrrad und zur Umweltrettung, sondern, weil es für ihn oder sie die schnellste Kombination ist, um zum Ziel zu kommen. Ohne Zweifel aber orgeln männliche Jugendliche nachts mit manipulierten Auspuffanlagen und Überschallknallerei durch den Kessel, weil sie damit ihre Potenz demonstrieren wollen, und sie glauben, der Bolide verschaffe ihnen Selbstwert und Anerkennung.

Das Auto kommt mir inzwischen vor wie ein Dinosaurier der Selbstinszenierung aus dem vorigen Jahrhundert. Menschen, die es aus Überzeugung fahren (nicht weil sie es unbedingt müssen) und uns Radfahrenden gleichzeitig eine Ideologie unterstellen, demonstrieren mit dem Auto auch etwas, das sie vermutlich selbst am besten erklären könnten. Mir scheint, es könnte etwas mit der Sehnsucht zu tun haben, die Welt möge sich niemals ändern, solange sie selber leben. Das ist ein politisches Statement.




2 Kommentare:

  1. Ich finde, das Fahrrad ist mehr als nur Verkehrsmittel. Ähnlich dem Auto ist es Lifestyle und Statusaussage. Genau wie Motoristen gern in der Kaffeepause über das neue SUV Modell sprechen, sprechen Radfahrer gern über das neue Mountainbike. Und genau wie ein "sportliches" Auto auch eine Statusaussage ist (ich kann's mir leisten), ist das Fahrrad eine (ich bewege mich gern).
    Das Problem des Autos ist dabei, das es zunehmend von Leuten auf dem Lande im Silver-Ager Alter gekauft wird. Das Durchschnittsalter von Neuwagenkaufern im Premium Segment ist erschreckend. Das Fahrrad ist dem Image entnommen, von Menschen gefahren zu werden die keinen Führerschein haben oder es sich nicht leisten können. Es steht nun für junge urbane Menschen, eben jene Kundschaft aus den Werbevideos der Autoindustrie. Somit ist das Fahrrad inzwischen auch ein Statussymbol, es steht für Jung, sportlich und Urban. Begriffe, mit denen normal-Kartoffeln wie ich gerne in Verbindung gebracht werden.

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    1. Also gut, ein schnödes Verkehrsmittel ist das Fahrrad auch nicht. Wobei sicher manche mehr und manche weniger emotionale Beziehungen zu ihrem Fahrrad haben oder mit dem Fahrrad am eigenen Image arbeiten. Ist ja auch bei Autos so. Manchen ist die Marke egal (nur die Farbe nicht), hauptsache es fährt und verbraucht wenig, andere wiederum brauchen das Auto für die Selbstdarstellung. Ist bei Fahrrädern vermutlich auch so. Wobei bei uns noch das Image des Sportlichen und Abenteuerlichen hinzukommt. Wir sind die Heldinnen und Helden den Mobilität. Gell.

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