3. Februar 2019

Die absolut abschreckende Radinfrastruktur

Die Hauptradroute 1 hat ein paar große Schwachstellen. Sie erscheinen solange unlösbar, wie man meint, dem Auto keinen Zentimeter Platz wegnehmen zu dürfen.

In Cannstatt müssen sich Radler zwischen Autos und Bussen behaupten, wenn sie von der König-Karls-Brücke unter der Eisenbahnbrücke hindurch zum Wilhelmsplatz radeln. Ein paar Meter Radstreifen zur Brückenunterführung, ein paar Meter roter Radsteifen danach. Immer wieder Totalsperrung durch Baumaßnahmen oder geparkte Fahrzeuge, und jedes Mal die Frage, wo soll ich jetzt eigentlich lang radeln? Auf der Fahrbahn, auf dem Gehweg oder auf der Busspur, die für mich freigegeben ist? Und ist der Gehweg hier wirklich frei?

Der Wilhelmsplatz in Cannstatt gehört vollständig dem Auto-, Bus- und Stadtbahnverkehr und den Zubringerfurten für Fußgänger/innen.
Radfahrende können für sich persönlich wählen, ob sie lieber im Fußgängermodus oder im Automodus unterwegs sind, unterbrochen von plötzlich auftauchenden und gleich wieder endenden Radstreifen.  Radler sind an diesem Unort des Verkehrs nie mitgedacht worden und werden auch derzeit nicht mitgedacht. Sie sind hier bestenfalls das "Oh-Schreck, wo bringen wir denn die Radler noch unter?" Sie sind wie so oft das an den Rand Gedrängte, irgendwo Hingequetschte, Druntergemischte, das Lästige, was  man zur Not auf dem Gehweg (den man freigibt) schickt oder halt auf die Busspuren, wo seit der neuen Linie X1 reger Betrieb herrscht. 

Genau so sieht eine Radinfrastruktur aus, die abschreckt, statt einlädt.
Und manchmal steht dann da auch noch ein Auto (Foto ganz oben) und es ist dunkel, alles glitzert und spiegelt. Autofahrende haben es eilig, Fußgänger auch, Übersicht ist schwierig. Ich fahre ja viel mit dem Fahrrad auch dorthin, wo ich mich nicht auskenne. Diesen Weg nach Cannstatt hinein, kenne ich gut, und ich meide ihn. Erstens ärgert es mich, dass ich unter der Bahnbrücke hindurch auf dem Gehweg radeln muss, der gefühlt schmaler und unsicherer geworden ist, seit man den Betonspritzschutz weggenommen hat. Denn entgegenkommende Fußgänger gehen an der Wand entlang und als Radelnde schlingere ich dann an der Bordsteinkante entlang, Fußgänger überholen geht nicht, darf ich ja auch nicht. Ja, ich bin dort auch schon auf der Fahrbahn geradelt (ich hasse Gehwegradeln!), aber da spürt man den bösen Hauch des Überholstresses von Autofahrenden sehr unmittelbar oder man steht im zweireihigen Autostau und atmet tief alles, was die Auspüffe so auspuffen. 

Habe ich mich auf den Platz vorgekämpft, dann darf ich an mehreren Autoampeln halten, da sind die Busse, dann irgendwelche Radstreifen, Aufstellplätze und Radlerampeln in den Rechtsabiegezonen der Autos.

Ich finde den Wilhelmsplatz für Radfahrende so schlecht organisiert (vor allem, wenn ich nach links Richtung Altstadt will), dass ich Cannstatt-Zentrum, wann immer es geht, anders ansteuere, obgleich oder gerade weil ich die Radverkehrsführung über den Wilhelmsplatz inzwischen kenne. Auch die Fahrt von ihm weg Richtung Stuttgart-Zentrum ist ein unzumutbares Gefussel zwischen Radstreifen, Gehweg und Fußgängerampeln, an denen man ewig steht, bis man den Radweg auf der König-Karls-Brücke erreicht.

Zusätzlich ist gerade der Zugang für Radfahrende zu diesem Wilhelmsplatz  von der König-Karlsbrücke her extrem erschwert wegen einer Baustelle und dem entsprechenden Slalom zwischen Radweg-Ende- und Radweg-Anfang-Schildern und Sperrgittern. Die Fotos machte Blogleser Michael. 

8 Kommentare:

  1. danke für den Bericht liebe Christine. Ja, diese Baustelle ist da gefühlt schon ewig und es scheint sich auch nichts zu tun, sprich ich habe noch nie einen Bauarbeiter dort gesehen.... Mittlerweile fahre ich anders herum um diese Stelle zu vermeiden. Gruß Uschi

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  2. Hatte beim letzten Mal der (dann erfolgreiche) Bewerber für den höchsten Verwaltungsposten der Stadt Stuttgart nicht damit geworben, die Todeszone Wilhelmsplatz zu entschärfen?

    Keine weiteren Fragen, Euer Ehren.

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    1. Lieber Anonymus, immer dann, wenn hier jemand oder mehrere persönlich oder politische angegriffen werden, möchte ich einen Namen unter dem Post lesen. Anonymes kritisieren (und Kritik is ja an sich immer gut), ist Trollen. Wer eine Meinung hat, hat auch einen Namen.

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    2. Nein, er hat nicht damit geworben die Situation dort zu entschärfen. BI Neckartor hat die genaue Formulierung auf https://bineckartor.wordpress.com/2013/08/14/todeszone-wilhelmsplatz-bad-cannstatt/
      Von einer angedachten Veränderung steht da nix.

      @Christine: ist ein Hinweis auf Statements aus dem Wahlkampf wirklich ein Angriff?

      Martin

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  3. Vielen Dank dass du diesen infarktgefährdeten Engpass der Hauptverkehrsader nach Osten in deinem Blog wieder aufnimmst. Die Situation wird für Radler immer gefährlicher, weil immer mehr in dieser Engstelle durchdrängt. Seit die Betonspritzschutzwand weg ist, befürchte ich täglich, dass ein Radler oder Fußgänger auf die Fahrbahn fällt, stürzt, ausweicht oder vom Gehweg stolpert und ein LKW oder Bus oder PKW nicht mehr anhalten kann. Es muss wohl erst jemand verletzt oder getötet werden, bevor diese Verkehrsführung geändert wird.
    Erst letzte Woche war in der Zeitung (StZ) zu lesen, wie komplex die Ampelschaltung ist. Der Verkehrsfluss hat eine hohe Wertigkeit, die Sicherheit der Fußgänger und Radfahrer ist unbedeutend.
    Das hat sich mit den neuen X1-Bussen noch verschärft. Ganz konkret ist der Durchlass Richtung Waiblinger Straße ganz blockiert, wenn zwei Busse an der Ampel nebeneinander stehen. Ein durchkommen ist dabei unmöglich, obwohl die Radlerampel am Fußgängerüberweg grün zeigt.
    Kürzlich ist ein X1-Bus aus seiner Haltestelle einfach (ohne Blinklicht) nach links ausgeschert, ich war gerade dabei an ihm vorbeizufahren. Links von mir eine komprimierte Fahrzeugschlange zum abbiegen in die Wilhelmstraße. Rechts von mir kam der Bus immer näher. Offensichtlich hat mich der Busfahrer nicht gesehen oder einfach übersehen. Diese Situation wiederholte mehrfach. Offensichtlich ist der Druck für die Busfahrer groß den Fahrplan einzuhalten.
    Andere Situation: Für Radler ist die Busspur freigegeben. Also kann man an der Abbiegekolonne vorbeifahren. Oft gibt es auch einen Stau für die geradeaus fahrenden (Richtung Fellbach) Fahrzeuge. Obwohl ein dicker durchgezogener weißer Strich die Busspur abtrennt, scheren doch bisweilen ungeduldige Autofahrer nach rechts aus um an der Schlange rechts vorbeizudrängeln. Mehrmals wurde ich "knapp verfehlt", weil ich schon an der Vorderrad-Lenkbewegung sah, dass da gleich eine/r rüberkommt.
    Hier ist für alle Verkehrsteilnehmer eine sichere Durchfahrt nur möglich, wenn von den Fahrspuren eine für Fußgänger und Radler abgetrennt wird.
    Gruß von Friedemann

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    1. Vielen Dank, Friedemann, für deine eindrucksvolle Schilderung. An diesen Platz gewöhnt man sich als Radler nie, denke ich. Und wenn man zum ersten Mal dort landet, gibt man das Radfahren auf.

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  4. Danke für diesen Bericht. Ich fahre die Strecke Stuttgart-Cannstatt täglich und finde mich in vielem wieder. Auch ich versuche den Wilhelmsplatz zu vermeiden, z.B. indem ich am Neckar entlang fahre oder am Bahnhof.

    In einem Detail habe ich eine andere Wahrnehmung: Die Entfernung der Betonspritzwand finde ich positiv. Vor allem die Gefahr von Rechtsabbiegern in der Eisenbahnstraße über den Haufen gefahren zu werden, hat sich aus meiner Sicht so verringert.

    Insgesamt aber skandalöse Zustände aus Radfahrersicht.

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  5. Der komplette Wilhelmsplatz ist verkehrstechnisch, architektonisch und städtebaulich eine einzige Katastrophe. Für die Eisenbahnbrücke fällt mir aber auch keine Lösung ein, es ist nun mal baulich eng und eine Reduzierung der Fahrspuren für Kfz würde hier den Verkehr komplett lahm legen. Wenn der Verkehr fließt, bin ich hier im Automodus, Licht an und Vollgas.

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