26. Oktober 2019

Verkehrte Verkehrswelt

Der Überholdruck eines Autofahrers führt zu einem Unfall, aber die Polizei sieht die Schuld beim Radfahrer.  

So offenbar geschehen in Böblingen. Ein Blogleser schildert mir, er sei in Böblingen auf der Fahrbahn auf die ihm bekannte Kreuzung Postplatz Richtung Stuttgarter Straße zugeradelt. Autofahrende können hier gleich nach rechts abbiegen (das Ganze hat optisch einen Kreisverkehrscharakter). Wenn man als Radfahrender geradeaus in die Stuttgarter Straße weiter will, radelt man deshalb besser nicht ganz rechts am Rand, sondern mittiger auf der Fahrbahn, damit ein Autofahrer einen nicht links überholen und beim rechts Rausfahren umnieten kann. 

Unfallskizze: Rot der Autofahrer
Ein Autofahrer konnte offenbar nicht ertragen, dass der Radler vor ihm mittig auf der Fahrbahn fuhr und überholte ihn rechts auf dieser einspurigen Fahrbahn, über einen Zebrastreifen hinweg zur Kreuzung hin und kollidierte in der Einmündung zur Querstraße mit dem Radfahrer. So die Darstellung des betroffenen Radfahrers.

Nun aber wirft die Stadt Böblingen dem Radfahrer vor, dass die Gefährdung von ihm, dem Radfahrer, ausging. Die Böblinger Behörden hat ihm ein einen Bußgelbescheid zugestellt mit einer Verwarnung von 55 Euro und beruft sich auf den BKat: 4.1: "Gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen ... beim Überholtwerden ... und dadurch einen Anderen gefährdet." Im Bescheid hat das Böblinger Orndungsamt den Teil mit der Gefährdung Anderer allerdings weggelassen und geschrieben: "Sie verstießen beim Überholtwerden gegen das Rechtsfahrgebot. Es kam zum Unfall." 

Das ist so unvorstellbar abwegig, dass ich mir nur vorstellen kann, dass die Behörden den Bericht der Polizei nicht kapiert haben. Sie konnten sich womöglich nicht vorstellen, dass ein Autofahrer so frech ist, einen Radler an einem Zebrastreifen rechts zu überholen und ihn dann vom Fahrrad zu holen. Vermutlich dachten sie, der Autofahrer habe ihn links überholt (was in dieser einspurigen Straße auch schon ziemlich grenzwertig ist, wenn es auf eine Kreuzung zugeht und man dabei auch noch über einen Zebrastreiefen fährt) und der Radler sei halt zu weit links gefahren. So war es aber offenbar nicht.

Ein Bußgeld in Höhe von 80 Euro, samt Punkt in Flensburg gibt es bei Missachtung des Rechtsfahrverbots nur bei einer Gefährdung anderer. Ich habe allerdings noch nie gehört, dass ein Radfahrer innerorts einen Autofahrer gefährdet hätte. Wie soll das gehen? Autofahrende sitzen in Blechpanzern. Rätselhaft wird der Bußgeldbescheid aus Böblingen auch dadurch, dass die Gefährdung weggelassen und das Bußgeld auf 55 Euro gesenkt wurde. Welche Rechtsgrundlage gibt es dafür? Ich habe keine gefunden.

Hingegen hat der Autofahrer mehrere Verstöße begangen, als er rechts überholte. Das ist auch innerorts verboten (wenngleich man auf zweispurigen Fahrbahnen rechts schneller fahren darf als links), Bußgeld: 30 Euro. Hinzu kommt, dass der Autofahrer über einen Zebrastreifen hinweg überholt hat: 80 Euro. Da es auf eine Kreuzung zuging, herrschte für den Autofahrer auch noch eine unklare Verkehrslage, macht 100 Euro. Eine Gefährdung kam auch noch dazu, denn der Autofahrer hat den Radfahrenden nicht nur gefährdet, sondern auch noch vom Rad geholt. Da sind wir dann schon bei 250 bis 300 Euro und einem Monat Fahrverbot. Und ob der Autofahrer den Seitenabstand von 1,5 Metern zum Radfahrenden eingehalten hat, ist unwahrscheinlich, denn die Fahrbahn ist hier 4,5 Meter breit und der Radfahrende fuhr nicht ganz links, sondern mittig. Macht 30 Euro. Wie ein Kommentator schon bemerkte: Das kann man nicht zusammenrechnen. Aber 120 Euro und ein Punkt in Flensburg samt Fahrverbot hätte es für den Autofahrer schon geben müssen. Auch in Deutschland gilt, dass Autofahrende bei Unfällen mit Radfahrenden eine Mitschuld tragen, der größeren Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs wegen, weshalb sie vorausschauend und rücksichtsvoll fahren müssen.

Es ist wirklich schräg, dass sich bei solchen Unfällen, die nur durch die Überholhast und den Tempodruck von Autofahrenden den Radfahrenden gegenüber zustande kommen, der Radler von den Behörden belangt wird, nicht aber der Autofahrer.

Nachsatz: Ich war nicht dabei. Ich habe nur den Bericht des betroffenen Radfahrers. Allerdings habe ich selbst schon so viele schräge Situationen mit Aufofahrenden erlebt, die unbedingt überholen wollten, koste es, was es wolle (mitten auf Kreuzungen, kurz vor Kreuzungen, kurz bevor sie nach rechts in eine Einfahrt einbiegen) dass ich diese Darstellung der Ereignisse glaubwürdig finde.


8 Kommentare:

  1. Das Ganze klingt so schräg, dass es schon wieder normal ist. Im Zweifelfall für den Autofahrer.

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  2. Wenn ich mir die Planung der Böblinger Radwege anschaue wundert mich nichts!

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  3. Als ich neulich von so einem Ü50-AMG-Proll mit ca. 80cm Abstand überholt wurde, und das nur weil ich angeblich mitten auf der Fahrbahn gefahren bin. Gab es das üblich dumme Geschwätz mit dezenter Gewaltandrohung. Das ist ja schon "normal". Aber als die Ampel während des Gelaber schon wieder rot wurde hatte er es nun so eilig dass er über die dunkel-orange zeigende Ampel links abbog. Ohne die assi-stenz Systeme wäre das tonnenschwere PS-Monster über den gegenüberliegenden Fußweg geflogen oder hätte noch die wartenden Auto erwischt. Das alles nur weil man mit Ü50 und einer horde an PS meint dass alle anderen sich gefälligs von der Fahrbahn verpissen sollen. Und natürlich darf man als Radfahrer nur auf der Straße fahren und muß das gar nicht machen. Abstand zu parkenden Auto wird als Radfahrer auch völlig überbewertet. Überhaupt sollte man sich mit einem Kniefall vor diesem goldenen Kalb auf vier Rädern in den Staub werfen.
    Das sind doch so Leute die Wein saufen und Wasser predigen.

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  4. Auf der einen Seite ist das natürlich ein klarer Fall von menschenverachtender Autojustiz, auf der anderen Seite ist so ein Entscheid auch 'normal'.
    Im Paradigma unseres Verkehrssystems hat der Radverkehr - da scheinen sich derzeit alle einig - den Autoverkehr zu "entlasten", und nicht zu BE-lasten oder gar offen zu behindern.
    Aus dieser Logik heraus ist es nur konsequent, dass der Radfahrer sanktioniert wird.
    Alfons Krückmann

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  5. Die OWIs kannst du nicht einfach so zusammenrechnen wegen Tateinheit. Aber 120 Euro + Punkt sollten für den Fahrer dicke drin sein weil die schwerste OWI hier die unklare Verkehrslage ist.

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    1. War missverständlich formuliert, ich habe es nicht zusammengerechnet, sondern nur ein paar Möglichkeiten vorgeschlagen, das Verhalten des Fahrers bußgeldtechnisch zu bewerten. Übrigens gilt auch bei uns in Deutschland, dass bei einem Unfall mit einem Radfahrer der Autofahrer eine Mitschuld trägt, der größeren Betriebsgefahr seines Fahrzeugs wegen, weshalb er immer rücksichtsvoll und vorausschauend fgahren muss.

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  6. Jörg
    Ich möchte an diesen Post vom April erinnern
    https://dasfahrradblog.blogspot.com/2019/04/autofahrer-gefahrdet-radler-aber-radler.html
    Das ganze hat ein Nachspiel. Der ADFC Stuttgart schreibt in seinem Herbst Rundbrief, er werde diesen Radfahrer rechtlich unterstützen. Der Einspruch ist bereits erfolgt.
    Hoffen wir das sich die Person in Böblingen auch juristisch wehren kann.
    Insgesamt ist das Bild, das die Ploizei und die Behörden hier abgeben unterirdisch. Denken wir doch da mal an die Zufahrten zu Kreisverkehren und andere Stellen wo der Radstreifen endet. Hier soll der Radfahrer die Spur einnehmen. Er ist vor drängelnden Autofahrern zu schützen.
    Bis das so ist, müssen wir im Einzelfall kämpfen. Das bestärkt die vernünftigen Köpfe in den Behörden.

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  7. An dem Bußgeldbescheid stimmt ja gar nichts.

    - Verstöße von Fahrradfahrern gegen das Rechtsfahrgebot könnten - wenn überhaupt - mit 15 bis 30 Euro geahndet werden: siehe https://www.bussgeldkatalog.org/strassenbenutzung-fahrrad/

    - Die Breite des Fahrstreifens (450cm) im Bereich der Zebrastreifen verbietet es sowieso, dass hier ein Radfahrer überholt wird. Nach überschlägiger Berechnung wären dafür deutlich über 500cm notwendig:

    - 80cm-100cm Fahrbahnrand-Fahrradfahrer gemäß einschlägiger Gerichtsurteile

    - 150cm-200cm Überholabstand Kfz-Fahrrad (hier: keine Kinder beteiligt, keine Steigung, kein Gefälle, kein Seitenwind, keine unsichere Fahrweise des Radfahrers, kein Wiegetritt, also gilt wohl die untere Grenze des Mindestabstands von 150cm)

    - 202cm Auto (Marke und Typ wurden nicht erwähnt, also habe ich mal einen VW Golf mit Außenspiegeln angesetzt)

    - 25cm-100cm Abstand Kfz zum linken Fahrbahnrand

    Mittiges Fahren bringt also keine zusätzliche Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer mit sich gegenüber zweifelsfrei korrekter Fahrweise.

    - Im Bereich von Zebrastreifen ist Überholen grundsätzlich verboten.

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