22. Juni 2020

Mit Kindern radeln

Mit Kindern Radfahren ist in Stuttgart eine Herausforderung, die aber immer mehr Eltern annehmen.

Ab undgefähr vier Jahren können Kinder aufs Fahrrad steigen und Radfahren üben. Die Eltern entscheiden übrigens, ob ihr Kind mit dem Fahrrad zu Schule fährt oder nicht. Kinder dürfen zur Schule radeln, auch wenn sie die so genannte Fahrradprüfung noch nicht abgelegt haben. Sie sind versichert. Auch wenn manche Schulen was anderes sagen.

Das Fairkehr-Magazin hat Tipps zusammengetragen, wie man am besten mit den Kindern das Radfahren beginnt und übt.
Uns hier im Blog ist klar, wie wichtig es ist, dass Kinder ihre Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad, also selbstaktiv zurücklegen, und wie schädlich das Elterntaxi ist. Wenn die Eltern und eventuell größere Geschwister Rad fahren, wollen es die Kleinen sowieso auch. Leider stellt Stuttgart noch nicht die nötige Infrastruktur bereit, die es Eltern erlaubt ihre Kinder überall hin alleine radeln zu lassen, ohne dass sie selbst zuhause sitzen und sich Sorgen machen.

Eine grundsätzliche Gefahr gibt es für Kinder auf Fahrrädern. Sie neigen dazu, genau dorthin zu fahren, wo sie hingucken. Sehen sie eine Gefahr, steuern sie darauf zu, wenn sie ihre Augen nicht abwenden können. Ich musste mal anhalten und absteigen, weil ein Kind mit großen Augen genau in mich hinein radelte. Drehen sich Kinder nach einem Auto um, das sie überholt, fahren sie genau in diese Richtung (auch Erwachsene neigen zu Schlenkern, wenn sie sich umgucken). Das dürfte die Ursache dieses Unfalls gewesen sein. Eine Autofahrerin wollte eine Radlergruppe mit Kind überholen. Das Achtjährige Kind machte einen Schlenker nach links und wurde vom Auto erwischt. Allerdings dürfe die Autofahrerin zu knapp überholt haben, andernfalls müsste das Kind zwei Meter nach links gefahren sein (es handelte sich um einen Überholvorgang noch außerhalb der geschlossenen Ortschaft).  Der Zeitungsartikel problematisiert das nicht.

Erstens, eines vorweg geschickt: Es macht nichts, wenn Kinder mit dem Fahrrad hinfallen und sich die Ellbogen oder Knie aufschrammen. Kinder müssen fallen und sie müssen sich auch einmal wehtun, damit sie lernen Gefahren zu erkennen und zu meiden. Also trösten, pflastern, weiterradeln.

Zweitens: Man hat es niemals eilig, wenn man mit einem Kind radelt.  Allen Eltern ist klar, dass das Kind auf dem Rad (es fährt auf dem Gehweg) das Tempo bestimmt. Die meisten Eltern lassen ihre Kinder vorneweg fahren und dirigieren sie mit der Stimme. Wichtig ist, dass das Kind imstande ist, am Bordstein einer Straßenquerung auch anzuhalten, dass es auf die Eltern hört und bremsen kann. Das übt man so lange, bis dem Kind klar ist, dass es bei jeder Straßenüberquerung anhalten und schauen muss, ob ein Auto kommt, auch eines von links hinten, dessen Fahrer:in die Straße einbiegen will.

Drittens: Situationen erkennen, Verhalten üben.  Kinder müssen lernen, dass Autos auch auf Gehwegen fahren, dass sie plötzlich aus einer Tiefgarage heraus auf den Gehweg schießen, dass sie aus Einfahrten heraus fahren, dass sie über den Gehweg in Einfahrten einbiegen. Diese Szene habe ich kürzlich beobachtet. Der Vater fährt auf der Fahrbahn, das Kind auf dem Gehweg. Der Vater warnt es, weil ein Auto aus der Tiefgarage kommt, das Kind hat das Auto auch gesehen und lässt es durchfahren. Hinterher sagt es zum Vager: "Aber ich hätte fahren dürfen. Der darf das nicht." Recht hatte das Kind, es hätte ihm nur nichts genützt. Kinder lernen das, denn ihnen ist ohnehin klar, dass sei klein sind und oft übersehen werden. Erst kürzlich kam es bei so einer Situation  zu einem Unfall, den die Stuttgarter Nachrichten übrigens sehr gut beschreibt.

Viertens: Vertrauen ist unerlässlich. Die Kinder müssen nicht nur ihren Eltern vertrauen, auch die Eltern müssen ihren Kindern vertrauen. Sie müssen bereit sein, ihren Kindern ein Stück Selbständigkeit und Eigenständigkeit zuzugestehen. Das mag für manche Eltern undenkbar sein. Aber wenn sie mit ihren Kindern viel Rad fahren, merken sie, was sie ihren Kindern zutrauen können. Kinder übernehmen gern Verantwortung für sich, wenn man sie ihnen gibt. Das macht sie stolz. Und es macht sie übrigens auch vorsichtig. Fahren sie einen Weg zum ersten Mal allein, werden sie mit Herzklopfen unterwegs sein und angespannt versuchen, alles richtig zu machen, damit ja nichts schief geht. Je vorausschauender Eltern selbst fahren, desto besser können sie ihren Kindern beibringen, wo Gefahren stecken. Ein bisschen Erfahrung mit dem Radverkehr in Stuttgart sollten Eltern deshalb schon haben.

Wo lässt man das Kind radeln, vor einem, hinter einem? Sind Eltern zu zweit unterwegs, nehmen sie das Kind oder die Kinder meist zwischen sich (Vater voran, Kinder, Mutter hinterher). Grundstätzlich schwierig ist es, das Kind hinter sich her fahren zu lassen, denn man kann sich gar nicht so oft umdrehen, wie nötig, um sich zu vergewissern, dass es nicht zurückgefallen ist oder nicht nach links in den Verkehr schlingert.  Und man sieht nicht, wie dicht der nachfolgende Autoverkehr auffährt oder wo das Kind gerade ist, wenn ein Auto entgegenkommt. Für Vater oder Mutter ist es jedenfalls nicht einfach, mit einem Kind zu radeln, wenn sie Fahrbahnen benutzen müssen. Zum einen sind sie sehr langsam, zum anderen müssen sie verbal ihr Kind managen, und einige Autofahrenden drosseln ihr Tempo nicht, wenn sie an so einer Gruppe vorbeifahren.

Die Verkehrsregeln: Kinder unter 8 müssen auf dem Gehweg radeln, ein Erwachsener darf das mit ihnen zusammen ebenfalls tun. Bis 10 Jahre dürfen Kinder auf dem Gehweg radeln. Das Problem: Gehwege sind oft komplett zugeparkt, man muss zwischendurch auf die Fahrbahn.

Kommt man an eine Querstraße, müssen alle anhalten  und absteigen und das Fahrrad über die Straße schieben. Erst drüben auf dem Gehweg dürfen sie wieder aufsteigen.

Man darf nebeneinander radeln, sofern Autofahrende einen noch überholen können, indem sie auf die Gegenfahrbahn ausscheren. Man darf also ein Kind ab 8 rechts von sich radeln lassen. Das Problem: Es radelt dann in der Dooringzone der geparkten Autos.


10 Kommentare:

  1. Jörg
    Nebeneinander radeln ist schon gut. Man kann mit dem Kind sprechen. Ich selbst habe die Zeichen häufig durch die Hand auf der Schulter weiter gegeben. In der Tempo 30 Zone lassen freundliche Leute Kinder vor und man kann durchradeln. Diese komplexen Situationen, wann halte ich an wann fahre ich, kann niemand erklären. Das muss man fühlen, bzw. mit Handzeichen weitergeben. Auf anständigen (breiten) Radwegen können die Eltern gerne ihr Kind neben sich haben. Für den Nachwuchs tue ich gerne mal langsam. Doof ist es nur wenn man selbst über das Kind fällt, weil man sich etwas zu dicht gekommen ist. Das Tempo was man meist fährt ist bezüglich dooring recht ungefährlich. Bei 10 bis 15 km/h schützt der Helm ausreichend vor der Blechkante der Autotür. Die Türen werden meist nicht einem wilden Zug aufgestoßen, es reicht noch für das Stopp Kommando. Das reduziert zumindest die Aufprallgeschwindigkeit.
    Noch eine Bitte an die Begleitpersonen (insbesondere an die Muttis) gebt klare Kommandos, Anhalten/Stopp, Fahren, An die Seite (das ist meist rechts), Guck nach vorne / Vorne!
    Unangenehm ist der Ruf Vorsicht mit leichter Angst in der Stimme. Das Kind wird sofort nervös und richtet den Blick zur Mama nach hinten. Es lenkt logischerweise in die Blickrichtung. Da sich die meisten Kinder links umdrehen, fahren sie nun "blind" in Richtung Gegenverkehr. Nicht schön. Es hätte heißen müssen: "Guck nach vorne" oder "Fahr an der Seite"

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    1. Danke, Jörg für diese Tipps aus der Praxis.

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    2. Optimal ist, wenn man mit 2 oder mehr Kindern unterwegs ist und daher auch 2 Begleitpersonen erlaubt sind. Dann fährt ein Erwachsener vornedraus, einer hinterher. Dass der Gesetzgeber diese Art von Kolonnen nicht auch bei einem einzelnen Kind zugelassen hat (zumindest nicht bei exakter Beachtung der StVO) ist ärgerlich.

      Ansonsten bin ich heilfroh über die Änderungen der StVO in den letzten Novellen, was das Begleiten von Kindern angeht. Ich kenne noch die Konflikte nur zu gut, als man als Erwachsener den linksseitigen Radweg nehmen musste, das Kind aber auf der anderen Straßenseite auf dem Gehweg rumgegurkt ist. Da war schwer zu vermitteln, dass man Verkehrsregeln und Gesetze für wichtig hält und sie einen schützen - und dann hält man sich einfach selbst nicht dran.

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  2. Magst Du das noch ergänzen?

    Viertens, die zweite: Vertrauen ist tödlich.
    Vertraue nie einer Autofahrer:in.

    Laut Wikipedia gilt zwar eigentlich unabhängig von der Wahl des Verkehrsmittels der Vertrauensgrundsatz.
    Politik, Polizei, Behörden, Presse, Gerichte - eigentlich die gesamte deutsche Gesellschaft - pervertieren ihn aber regelmäßig, wenn es um Fahrradfahrer geht. Als Radfahrer wird von dir erwartet, dass Du alle Fehler aller anderen Verkehrsteilnehmer vorhersiehst, zurücksteckst, langsam machst, auf dein Vorfahrtsrecht verzichtest usw.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Vertrauensgrundsatz :
    Der Vertrauensgrundsatz ist ein Rechtsprinzip im Straßenverkehr. Es besagt bei unterschiedlicher konkreter Ausgestaltung, dass man sich grundsätzlich auf das richtige Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer verlassen kann.

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  3. In Deinem letzten Absatz ist noch ein Fehler. Das Foto zeigt gesetzeswidriges Verhalten: Als Begleiter eines Kindes, das noch in Begleitung Rad fahren muss, musst Du ebenfalls die Straße zu Fuß überqueren (wie das Kind auch).

    Übrigens auch dann, wenn ihr eigentlich einen Radweg nutzt: An der Kreuzung runter vom Rad. Ist leider so. Ich hätte gerne Entscheidungsspielraum gehabt.

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    1. Du bist schnell mit Urteilen, Holger. Tatsächlich war die Situation mit diesem Vater und diesem Kind anders. Er fuhr nänlich auf der Fahrbahn, kam aber, als der Junge Fußgängergrün hatte nach links, um dann mit ihm auf den Gehweg zu radeln. Es ist schon richtig, dass man absteigen muss, wenn man von Gehwegecke zu Gehewegecke radelt (mit Kind), aber ich denke, das istjetzt nicht so entscheidend oder auch auch kein schwerer Regelverstoß. Und viele Sitatinen sind für Radfahrende ja auch einfach unklar oder eben Mischsitutationen der verschiedenen Konzepte, in denen sie sich bewegen (Fußgänger, Auto oder Radfahrer).

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    2. Entschuldigung. Ich habe angenommen, Du hättest mit dem Foto die "normale" Situation illustrieren wollen, wie Du sie auch im Text daneben beschrieben hast, und nicht einen Sonderfall. Dadurch habe ich mich in die Irre führen lassen.

      Da habe ich einmal keinen ellenlangen Text verfasst, und dann passiert mir so ein Fehler...

      Der Verstoß ist auch aus meiner Sicht wirklich nicht schwerwiegend, genauso wenig wie der abgebildete Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des Vaters, den ich gar nicht erwähnt hatte.

      Siehe auch mein Bedauern im Kommentar: ich spreche mich selbst dafür aus, dass man in der Begleitsituation darüber entscheiden können soll, ob die Kreuzung auch fahrend überquert werden kann (und zwar beide, Begleiter und Kind). Das tut man sicher nicht gleich mit einem 4-jährigen Stöpsel - wenn das Kind aber mit 7 oder 8 eine gute Radbeherrschung hat, warum denn nicht. Überlegungen:

      1. Mit kleinem Kind fährt man etwa Jogger-Tempo - da ist die Gefahr, die man für sich und andere (vor allem motorisierte) Verkehrsteilnehmer darstellt, genau so gering wie die, die von einem rennenden Kind ausgeht.
      2. Kommt ein abgelenkter Autofahrer herangerast, dann schafft es das Kind wahrscheinlich weder fahrend noch schiebend, der Gefahr auszuweichen.

      Provozierend zur Diskussion gestellt:

      Ich bin der Meinung, man sollte die Regeln genau kennen, um sich dann (mit Fingerspitzengefühl) ggfs. gelegentlich darüber hinwegzusetzen.

      Hauptkriterium ist für mich: ist das regelwidrige Verhalten weniger gefährlich (oder höchstens gleich riskant) - warum dann nicht. Vor allem, wenn das Risiko für andere geringer wird, wenn man eine Regel bricht. Aber kennen sollte man die Regeln schon und nicht völlig unberechenbar durch die Gegend eiern.

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    3. Auch das ist meine Meinung: es ist die Aufgabe von Straßenverkehrsbehörde und Tiefbauamt, sicherzustellen, dass auf jedem Quadratmeter Verkehrsfläche klar und unmissverständlich geregelt ist, was das korrekte Verhalten ist. Verkehrszeichen (Schilder und Markierungen) sind ihr Handwerkszeug. Die Aufgabe ist nicht leicht, weil die StVO nicht von Fachleuten verabschiedet wird, aber es ist eben ihre Aufgabe als Spezialisten, das auszubügeln. Vor dieser Aufgabe zu kapitulieren und sie 9-jährigen Kindern (und älteren Nicht-Fachleuten) zu überlassen, finde ich unfair.

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  4. Generell finde ich es für das Selbstbewusstsein super, wenn Kinder Rad fahren können. Da machen Besondere Ausflüge eigen großen Reisz aus. Ich bin froh, dass wir ländlich wohnen. Da ist es mit dem Verkehr nicct so schlimm. Allerdings sind dann die Strecken auch weiter.
    https://crazy42wheels.com/2020/05/26/fuer-ein-starkes-selbstbewusstsein-bringt-die-kinder-aufs-rad/

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  5. Mit Kindern zu radeln ist gar nicht so schwer, wie viele meinen. Das Problem sind einzi allein eine Handvoll Autofahrer, die es mit einer asozialen Handlung schaffen, dass Kinder vom radeln Angst haben. Bedrängen und Hupen ist für einige sogar in der Fahrradstraße üblich. Meine Erfahrung haben gezeigt: Obacht vor älteren, weißen Herren und jungen Frauen- die führen sich gern im Straßenverkehr auf, wie im Schlachtfeld und sehen Radfahrer als Eindringlinge in ihr Gebiet.

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