31. August 2020

Der richtige Fahrradsattel hilft

Ich schätze, viele, die jetzt im Sommer erstmals auf längeren Fahrradtouren unterwegs sind, stellen fest: Das tut weh. Der Sattel passt nicht.

Wenn der Hintern weh tut, nicht aufgeben, sonderen einen anderen Sattel suchen, der passt! Das ist nicht immer leicht, aber möglich. Frauen brauchen nicht grundsätzlich andere Sättel als Männer, sie brauchen beispielsweie keine breiteren, sie müssen aber unter Umständen auf andere Details achten.


Dass nach der ersten langen Radfahrt im Jahr die Sitzbeinknochen wehtun, ist normal. Daran gewöhnt sich der Hintern. Was aber auf keinen Fall wehtun sollte, sind der Steiß oder die Geschlechtsorgane, also die Weichteile zwischen den Sitzknochen. Auch Taubheitsgefühle sollten nicht entstehen, denn die bedeuten Durchblutungsstörungen.


Sitzprobleme stellen sich in der Regel einer halben bis Dreivietelstunde ein. Grundsätzlich kann man sagen: Radelt man oder frau sehr aufrecht, kann der Steiß wehtun. Radelt man/frau im Rennradmodus mehr oder weniger weit nach vorn gebeugt, dann können die Geschlechtsorgane schmerzen oder taub werden. Dafür gibt es aber Abhilfe mit einem anderen Sattel, der auf die eigene Radfahrhaltung und Beckenanatomie zugeschnitten ist.

Die Beckenantatomie von Frauen und Männern ist unterschiedlich. Allerdings weniger als man denkt. Die Abstände der Sitzknochen können bei Männern groß sein und bei Frauen auch gering, tendenziell ist das Frauenbecken etwas breiter, aber individuelle Unterschiede sind da entscheidender. (Details zur Anatomie und Fahrradsätteln findet ihr hier.). Und tendenziell ist das Becken von Frauen im Sitzknochenbereich flacher, sie kann das Becken nicht so weit nach vorn auf den Sattel kippen.

Weiche Sättel können zur Qual werden. Kompakte weiche Sättel, also etwa Gelsättel verteilen den Druck ziemlich gleich auf Knochen und Weichteile, was dazu führt, dass die Knochen einsinken und die Weichteile mehr Druck aushalten müssen. Weiche Sättel sind schön für zwei Kilometer, aber nicht für 20. Sie verursachen auf Dauer eher Schmerzen. Alles über Schmerzen steht hier. Ein harter Sattel kann da schon mal Abhilfe schaffen.

Harte Sättel sind gewissermaßen ehrlicher. Fühlt man sich auf ihnen sofort wohl, dann wird es vermutlich auch bei längeren Fahrten keine Probleme geben. Härte ist für Sitzbeinknochen und das sie bedeckende Gewebe selten ein Problem. Man gewöhnt sich daran, oder vielmehr das Gehirn gewöhnt sich daran, den Druck nicht mehr als Schmerz wahrzunehmen. Reiter:innen sitzen ja auch auf knochenharten Ledersätteln. Und wir wissen, das können Menschen tagelang tun, sobald sich der Hintern daran gewöhnt hat.
Hier sind Nähte der Kleidung und der Unterwäsche der entscheidende Schmerz-Faktor. Rennradler:innen tragen deshalb tunlichst keine Unterwäsche in ihren Radlerhosen und benutzen für lange Fahrten zusätzlich Gels.

Was muss der Sattel tun?
Der Sattel sollte eine Auflage für die Sitzknochen bieten, aber die Weichteile entlasten oder gar nicht erst belasten. Sitzen sollte man auf den Sitzbeinhöckern (also den tiefsten Punkten des Beckens).

Manche Fahrradhändler raten Frauen, in aufrechter Haltung zu radeln. Viele Damenfahrräder (vor allem im Pedelec-Bereich) sind schon so aufgebaut, dass der Lenker höher als der Sattel ist. Wenn eine Frau das nicht will, dann empfiehlt sich der Sattel mit Loch oder Mulde in der Mitte, das allerdings zur reigenen Anatomie auch passen muss. Je nach Schwere der Probleme gibt es Spezialsättel ohne Sattelnase oder mit geteilter Sattelnase. Das dürfte aber nur in seltenen Fällen nötig sein.

Sättel für Frauen
Frauen haben am ehesten Chancen, sich auf einem Sattel auf langen Strecken wohl zu fühlen, wenn die Sitzfläche (das breite Teil des Sattels) höher als die Nase des Sattels liegt und wenn in der Mitte eine Mulde oder ein Durchbruch ist. Auch die weibliche Anatomie ist sehr indiviudell, und was für eine an Vertiefung ausreicht, muss für die andere noch nicht ausreichen. Um den Schambereich zu entlasten, ist für manche Frauen eine aufrechtere Radfahrposition tatsächlich besser. Dann aber kann es zu Problemen mit dem Steißbein kommen. Auch dem kann man mit einem speziell dafür zugeschnittenen Sattel wieder abhelfen (welcher Sattel für welches Problem taugt, kann man hier lesen). Auch Specialized hat Tests gemacht und einen Sattel für Frauen entwickelt, der die Mulde hat und eine kürzere und schmalere Nase.

Übrigens, wenn es regnet, bleibt das Regenwasser in so einer Mulde stehen, und man muss den Sattel erst mal abtrocknen. Deshalb finde ich den Durchbruch nach wie vor besser.

Es gibt aber noch andere Probleme, die ein Sattel machen kann. Und oft sind die Stättel, die man mit dem neuen Fahrrad kauft, nicht wirklich gut. Hat der Sattel unten eine umlaufende Naht, dann wird man/frau das bald an den aufgeriebenen Hosen merken. Ist die Nase zu breit, dann reiben, je nach Anatomie, die Schenkel an ihr, was auf langen Strecken schmerzhaft wird.

Brooks bietet einen Ledersattel an, der sich allmählich dem Radlerhintern anpasst. Das sieht superschick aus, wenn man so einen eingeradelten Sattel hat, muss aber nicht unbedingt ein Vorteil sein. Denn er gibt ja dort nach, wo das Hauptgewicht auf ihn trifft und bäumt sich demzufolge dort auf, wo das Weichteilgewebe ihm weniger entgegensetzt als Knochen. Und schon haben wir das Problem, das auch ein weicher Sattel verursachen kann. Muss aber natürlich nicht so enden.

Und eines gilt immer: Der Stattel, der zu mir passt, muss nicht zu dir oder zu deiner Freundin oder deinem Freund passen. Die wenigsten müssen das Radfahren aufgeben, weil ihnen der Hintern - an welchen Stellen auch immer - wehtut, es gibt einen Sattel für das Problem. Den muss man/frau nur finden. Leider kann man zwar ein Fahrrad einige Stunden testfahren, aber nicht den Sattel bevor man ihn kauft. Es ist allerdings gut angelegtes Geld, wenn man sich den passenden Sattel kauft.


13 Kommentare:

  1. Eine gute Zusammenfassung. Meine persönliche Erfahrung: Die anfangs unvermeidlichen Druckgefühle oder Schmerzen lassen nach ein paar Tagen nacheinander Radfahren nach, wenn der Sattel passt. Ein ziemlich harter aber "richtig" geformter Sattel kombiniert mit gepolsteter Radhose funktioniert sehr gut (für mich ideal mit zusätzlicher gepolsteter Radunterhose, im Extremfall bis weit über 200 km am Tag bei einem Radmarathon). Für die Durchblutung bewährt sich, alle 20 Minuten für ein paar Sekunden aus dem Sattel zu gehen und im Wiegetritt zu fahren.

    Bei langen Strecken sollte man zusätzlich regelmäßig die Haltung variieren auch wegen der Hände und Handgelenke (vielleicht ein eigenes Thema "Lenker" als zweite von 3 Kontaktflächen zum Fahrrad, von Bauformen wie Rennlenker bis Lenkerhörnchen, Breite, Griffe, Lenkerband und Handschuhe).

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  2. Ein Sattel ist wie ein Maßanzug. Dem Thema wird meist keine große Beachtung geschenkt. Oft wird der ab Werk vormontierte Sattel einfach genommen- wenn beide Pobacken irgendwie daraufpassen- dann ist alles gut. Von wegen. Vielen ist gar nicht bewusst, das im Po-/ und Genitalbereich viele Nervenbahnen laufen. Und das ein falscher Sattel zu schwerwiegenden Gesundheitlichen Problemen führen kann. Taubheitsgefühle, Lähmungen in den Armen und Händen sind erste Anzeichen. Und gerade die Männer mit 'ihren Kronjuwelen' sollten Thema mehr Beachtung schenken. Das A und O ist die richtige Sitzknochenbreite. Diese kann man mit einem Wellpappe ganz leicht ermitteln. dazu gibt es diverse Anleitungen im Netz... Matthias Klein

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    1. Ich fürchte, lieber Matthias, die Krohnjuwelen der Herren sind nicht so das Problem, dafür gibt es mittlerweile reichlich Sättel, sondern die Juwelen der Damen, weil die Herren allgemein meinen, die hätten ja keines und sich auch gar nicht darum kümmern. Mal im Ernst, gelesen habe ich, dass Frauen viel eher Probleme kriegen, vor allem in Rennradhaltung als Männer, und dafür hat man bisher noch keinen guten Sattel entwickelt, der zugleich auch guten Halt bietet.

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  3. In der Hose kommt bei Rennradfahrern kein 'Gel', sondern 'Creme' zum Einsatz.
    Das Gel ist im Verständnis der Rennradfahrer das Päckchen zum Essen/Trinken, das einen Energieschub verspricht...�� Nicht dass jemand auf die Idee kommt, das Apfel- oder Himbeeraroma käme am besten in der Hose zum Einsatz ��

    Danke für den Artikel und die interessanten Links!

    Trotz täglichem Radfahren in die Arbeit spüre ich die Umstellung auf den anderen Sattel bei einer längeren Rennradfahrt in den Sitzknochen - obwohl beide Sättel sehr gut passen. Für den Gelegenheitsfahrer sei also gesagt: dass es ein bisschen wehtut, auf den ersten paar längeren Ausfahrten ist normal, aber Gewohnheit stärkt das 'Sitzfleisch'.

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  4. Was auch eine große Rolle spielt ist die Kraft, mit der der Radler in die Pedale tritt, aber auch gleichzeitig sich selbst nach oben. Rennradler können daher sehr harte Plastiksättel ohne jede Polsterung fahren, die für andere Radlertypen nicht in Betracht kommen.
    Andere Langstreckenradler, die weniger kräftig treten, landen aus guten Gründen früher oder später bei einem Ledersattel. Das Leder passt sich an die Anatomie an, es gibt dort etwas nach, wo es stärker belastet wird (ein Aufwölben des Sattels anderswo wie es C. Lehmann beschreibt wird es bei guten Ledersätteln nicht geben). Das dauert einige hundert km. Auch hier gilt aber, dass der Sattel nicht sofort sehr wehtun sollte, dann passt er mit ziemlicher Sicherheit nicht.
    Gute Ledersättel sind teuer, keine Frage. Die Firma Brooks kann man für Radler, die mehrere tausend km im Jahr fahren, nicht mehr empfehlen. Brooks wurde vor einigen Jahren aufgekauft, und seither ist man nicht mehr sicher, bei einem Swift o.Ä. auch ein entsprechend widerstandsfähiges Stück Leder zu erhalten. Man kann Glück haben, muss aber nicht.
    Die besten Ledersättel bauen Gilles Berthoud und Selles Idéale aus Frankreich (aber die Qualität, die handwerkliche Arbeit und die Wertschöpfung in Frankreich hat auch ihren Preis):
    https://berthoudcycles.fr/fr/
    https://www.sellesideale.fr/

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    1. P.S.: So ein Ledersattel muss natürlich gehen Nässe geschützt werden, z.B. durch Schutzbleche, und eine Sattelhülle, wenn das Rad mal draußen stehen bleibt.

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  5. Liegeräder/Sesselräder/Recumbents, evtl. dreirädrig ausgeführt, müssen als für manche mögliche Lösung für sattelbedingte Beschwerden natürlich auch erwähnt werden :)
    Gruß von Martin aus Lorch

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  6. Halli-hallo! Auch ein plus eins für Liegeräder. Ich habe ein mountainbike und ein Rennrad und kriege unangenehme Schmerzen im Rücken, in den Handgelenken und in den Schultern wenn ich längere Strecken mit denen fahre. Um die 40% von Radsportlern müssen mindestens einmal im Jahr zum Arzt wegen Schmerzen im Rücken. Das Liegerad ist für viele eine echte Lösung. Leider sind die Dinge extrem teuer und passen noch weniger ins Verkehrsnetz als das herkömmliche Fahrrad (z.B. Radinseln auf einer Straße sind zu klein - aber dies gilt natürlich auch für Räder mit Kinderanhängern).

    Ed

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  7. Liegeräder haben aber einige andere Nachteile, was einen Ort wie Stuttgart betrifft dürte besonders zu Buche schlagen, dass man auf Liegerädern im hügeligen/bergigen Gelände nicht das eigene Körpergewicht zum Pedalieren einsetzen kann. Das macht sie vor Allem für weniger starke Radfahrer schlecht geeignet.

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  8. "das eigene Körpergewicht zum Pedalieren einsetzen" (Wiegetritt) ist ineffizient - gerade weniger starke Radfahrer kommen mit einer ausreichend niedrigen Übersetzung besser die Stuttgarter Höhen hoch - oder mit Elektrounterstützung. Aber du hast schon recht, Steigungen sind nicht gerade die Stärken von Liegerädern, erstens weil bei niedrigeren Geschwindigkeiten das Balancieren anstrengender ist, zweitens wegen dem tendenziell höheren Eigengewicht.

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    1. Man verwendet beim aufrechten Rad immer mehr oder weniger das Körpergewicht zum Treten, auch wenn man im Sattel "sitzt. Mehr oder weniger, abhängig davon , wie stark man tritt. Gerade das macht eben aufrechte Räder bei wechselndem Terrain insgesamt effizienter.
      Der Wiegetritt ist dann noch eine zusätzliche Möglichkeit, kurzzeitig das gesamte Gewicht z.B. für ein besonder steiles Stück einzusetzen.

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  9. Es gibt spezielle Fahrradsattel für Frauen. Die Firma Terry hat anfangs nur Frauensattel produziert. Gegründet von einer ehemaligen Profi-Fahrerin.

    Beim Liegerad kann man sich mit dem Rücken in den Sitz "pressen". Bringt mehr Kraft auf die Pedale als das Körpergewicht.

    Martin

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    1. Dazu braucht man erstmal Kraft...
      Naja, ich will hier keine unendliche Diskussion provozieren, die Frage stellt sich für die allermeisten Leser hier eh nicht.

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