28. Januar 2022

Die sich um Radfahrende kümmert

Jana Heimel, die in Heilbronn eine Hochschulprofessur hat, und die wir in Stuttgart gut kennen, hat es mit ihrem Projekt PendlerRatD in die Zeit geschafft. Andrea Reidl geht der Frage nach, "wie aus Autofahrern Radfahrer werden".

Jana Heimel hat es mit ihrem Projekt nämlich gezeigt. Wir wissen, dass es ein riesiges Potenzial von Menschen gibt, die das Auto stehen lassen würden, wenn es ihnen leichter gemacht würde. Jana Heimel und ihrem Projekt gelang es, in den vergangenen drei Jahren 401 Autofahrende (85 Prozent der Teilnehmenden) in Radfahrende zu verwandeln. Die Leute, die bei dem Projekt teilnahmen, kamen aus verschiedenen Berufen und bekamen ein Pedelec samt Ausrüstung einschließlich Regencape und weitere Hilfen. Die Versuchsteilnehmer:innen waren zwischen einem und sieben Monaten mit ihren Rädern unterwegs und bekamen auch kleine Belohnungen. Sie legten im Schnitt 34 Kilometer pro Strecke zurück. 

Der erste Schritt ist es also, es denen, die überlegen, ein Angebot zu machen und sich um sie zu kümmern.

Sie kriegen ein Fahrrad zum Ausprobieren, sie müssen sich ihren Weg über Nebenstraßen nicht suchen, sondern bekommen schon mal eine Route vorgeschlagen, und es radelt beim ersten Mal jemand mit ihnen mit. So erfahren sie, dass Radfahren geht, und dass es auch für sie eine Möglichkeit ist. 

Das Projekt wird auch in 3Sat Wisssen Aktuell (ab ca. Minute 20) mit den Äußerungen der Teilnehmer:innen dargestellt. (Übrigens ein insgesamt sehenswerter Beitrag, wo wir viele bekannte Gesichter und Themen wiederfinden.) 

Für Unternehmen ist es attraktiv, wenn ihre Mitarbeiter:innen mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen. Radpendler:innen brauchen keinen Betriebsparkplatz und kein Job-Abbo. Das spart dem Unternehmen Geld. Außerdem sind sie im Durchschnitt zwei Tage weniger krank als ihre Auto fahrenden Kolleg:innen. Auch das ist bares Geld für die Unternehmen. 

Das Wetter war übrigens nach Aussagen von Jana Heimel anfangs bei den Neuradler:innen ein riesiges Thema. Aber das änderte sich, je länger sie radelten. Nur wer nur Auto fährt, kann sich nicht vorstellen, dass uns Menschen Wetter (Regen, Wind, Schnee und Sonne) eigentlich nichts ausmacht. Es gibt kein schlechtes Wetter, nur die falsche Kleidung, wissen wir ja. 

Auch wenn die vielerorts nicht gerade gute Radinfrastruktur es Umsteiger:innen nicht gerade leicht macht, scheint sie nicht das entscheidende Hindernis zu sein, vorausgesetzt, Schritt eins wird gemacht. Für alle anderen, die keine Begleitung und Unterstützung für ihren Umstieg vom Auto aufs Fahrrad für die Fahrten zur Arbeit haben, ist der Anblick einer guten und sicheren Radinfrastruktur entscheidend. Autofahrende müssen sehen, dass Menschen auf Fahrrädern genau dort besser vorankommen als sie selbst, die sie im Auto im Stau stehen. Und sie müssen sich sicher sein, dass sie auf der ganzen Wegstrecke mit ihrem Fahrrad eine halbwegs gute Radinfrastruktur vorfinden. Das ist der Part, wo die Städte derzeit noch viel zu langsam sind, weil es viel zu viele Lokalpolitiker:innen gibt, die im Grunde meinen, Rad könne man nur fahren, wenn es nicht regnet, und eigentlich wollten die Leute lieber Auto fahren. 

Stimmt nämlich nicht. Die meisten Menschen, die mit einem guten Fahrrad auf einer machbaren Strecke anfangen zur Arbeit zu radeln und die den ersten Winter überstehen, bleiben dabei. Denn Radfahren ist  schöner als Autofahren. 

12 Kommentare:

  1. 400 Umsteiger in 3 Jahren, mit entsprechenden Kosten für Material und Begleitung.
    Interessant, insbesondere indem es zeigt, wie unfasbar wir uns als Gesellschaft in den MIV verrannt haben, wenn man die Leute in der Weise an die Hand nehmen und pampern muss. Letztlich aber, und zwar aus genau demselben Grund in keiner Weise zielführend.

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    1. Ja, das ist sicher ein Aufwand. Aber wenn's Mal hochgerechnet wird, wenn es 100 oder 1.000 Janas gibt, 40.000 oder 400.000 Neuradler:innen. Ich verspreche mir dabei viel von der Multiplaktorwirkung der Menschen, die dadurch das Radfahren entdecken. Sie bringen andere wiederum zum Umsteigen, fordern bessere Radinfrastruktur und machen Radfahren normal.

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    2. Man muss nur mal bedenken, mit wieviel Subventionen das Autofahren gefördert wird: Zuschüsse zu E-Autos, billiger Diesel, Dienstwagen, Parkplätze, breite Straßen, Navigationsgeräte für die Streckensuche etc. Und das über viele Jahrzehnte. Da zeigt Jana, dass das Gleiche auch bei Radfahrenden funktioniert und dass man es eben auch machen muss, um die Leute wieder zurück zum Fahrrad zu bringen. Es gibt übrigens auch Trainingskurse für Leute, die ihren Führerschein abgeben mussten, damit sie lernen, wie das mit den Ticketautomaten und dem Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln funktioniert. Viele steigen nämlich nicht um, weil sie Angst vor dem Versagen mit den neuen Anforderungen anderer Infrastrukturen haben. Das ist schon ein guter Weg.

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    3. "Es gibt übrigens auch Trainingskurse für Leute, die ihren Führerschein abgeben mussten, damit sie lernen, wie das mit den Ticketautomaten und dem Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln funktioniert."

      Ich sage ja, komplett verrückt.

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    4. Verrückt finde ich eher, dass der ÖPNV mit seinen Fahrplänen und Fahrpreisen oft so undurchsichtig ist, dass man da mitunter kaum noch durchblickt.
      Das muss m.E. niederschwellig gestaltet werden, mit bundesweit funktionierenden Tarif- und Buchungssystemen.

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  2. Jörg
    Ihr müsst halt von Jana lernen. Ich versuche ja immer mal Kollegen zum Radfahren zu motivieren. Mit geringen Erfolg, teilweise klappt es. Eine Strecke raus suchen habe ich schon gemacht. Zum Begleiten konnte ich mich nicht aufraffen. Ein Rad habe ich bislang auch nicht gestellt.
    Ein bisschen mehr Support könnten wir schon bringen. Einen Pool aus brauchbaren Bikes zum Verleihen müsste man mit ein paar Fahrrad Freaks schon zusammen bringen.

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    1. Räder kann man leihen, in Stuttgart allemal, da gibt es einen beachtlichen Pool von Regiorädern, die auch genutzt werden. Und es stimmt, es ist nicht so leicht, Kolleg:innen zum Umstieg aufs Fahrrad zu bewegen, ich habe auch schon Strecken vorgeschlagen und biete jedem:r an, die Strecke beim ersten Mal mit ihnen zu radeln, aber das nimmt niemand in Anspruch, ich vermute, weil man mich nicht so beanspruchen will. Aber Arbeitgeber, die Räder stellen und eine Betreuung anbieten würden, hätten bald deutlich mehr Rad fahrende Mitarbeiter:innen. Die Umstellung auf eine neue Lebensgewohnheit muss den Leuten leichter gemacht werden, als wir das tun. Wir machen nur das Autofahren leicht, sonst nichts.

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  3. Ehrlich gesagt- ich weiß nicht recht was ich davon halten soll:
    Aus dem Zeit-Artikel geht nicht hervor, wie repräsentativ die Probandengruppe war. Ich vermute, das waren Personen, die ohnehin vom Autofahren genug genervt waren und schon bereit zum Umstieg auf's Fahrrad waren.
    Würde man eine echte Stichprobe aus unserer Gesellschaft nehmen, dann finde ich selbst ein Potential von 10 % Umsteigern noch unrealistisch.

    Was mich aber richtig an der Sache nervt: Leute die wie ich schon seit Jahrzehnten mit dem Rad Pendeln, sind die nützlichen Idioten. Denn jemand der bisher mit seinem dicken SUV 5 km zur Arbeit kam, bekommt nun wie in Esslingen/Nürtingen 500 € als Belohnung und vermutlich noch ein gesponsertes E-Bike.
    Dann sollten wir den Leuten auch 500 € geben, damit sie Bio-Lebensmittel einkaufen, oder 1000 € wenn sie ihren Stromverbrauch um 20 % senken, oder vielleicht 200 € wenn sie nicht mehr die Gehwege zuparken? Oder vielleicht wie in Österreich diskutiert 500 € für eine Boosterimpfung?

    Wieso immer nur Zuckerbrot für umwelt-/gesellschaftsschädigendes Verhalten? Den Autoverkehr einschränken durch weniger befahrbare Straßen, weniger Parkplätze, Parkraumbewirtschaftung, weniger Subventionen hätte die gleiche Wirkung. Und dafür braucht man keine Professoren, Forscher und Millionen an Finanzmitteln. Im Gegenteil - mit dem damit gespartem Geld kann man z.B. den Mehrwertsteuersatz auf Fahrräder und öffentlichen Nahverkehr senken.

    Ich habe immer mehr den Eindruck, dass man sich davor drückt dass Offensichtliche zu tun, in dem man erst mal ein Forschungsprojekt finanziert. Und bei dem Forschungsprojekt kommt dann nach 100 Tausenden Euro und einigen Jahren wieder das Offensichtliche heraus. Dann wird ein Nachfolgeprojekt genehmigt, welches die nächsten 2 Jahre untersucht, wie man das Offensichtliche umsetzen könnte... ;-)

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    1. "Ich habe immer mehr den Eindruck, dass man sich davor drückt dass Offensichtliche zu tun, in dem man erst mal ein Forschungsprojekt finanziert."

      Gut bemerkt. Oder "Fahrradprofessuren"...

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    2. Hallo

      "Fördermittel sind alternative Finanzierungsinstrumente zu Eigenkapital und Fremdkapital. Es handelt sich um Zuwendungen oder Zweckzuwendungen aus dem Haushalt der öffentlichen Hand für juristische oder natürliche Personen, um bestimmte politische oder wirtschaftliche Ziele zu erreichen." Es ist nun mal die Idee der Förderung, Änderungen bei den Menschen zu fördern. D.h. Menschen, die noch über eine Entscheidungshürde gehoben werden müssen, für diese Menschen ist die Förderung gedacht. Wer also schon ohne Fördergeld sich für das Richtige als Early Adapter/Mainstreamer entschieden hat, ist IMMER der "nützliche Idiot". Aber so läuft es nun mal: Die breite Masse soll sich ändern und das braucht solche Zugpferde, die einfach das Richtige machen und zeigen, was geht. Über solche Helden, die oft auch nicht lange, dafür aber spektakulär leben, werden nur Geschichten und Legenden erzählt! ;-)

      Michael

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  4. Ich werde gerade vom Radfahrer wieder zum Autofahrer. Ich bin es nämlich nach vielen Jahren leid, immer nur der Fußabtreter der Verwaltungen zu sein. Ich habe nur Nachteile, wenn ich meine Pendelwege mit dem Fahrrad statt dem Auto absolviere, verdreckt und mit 180 Puls ankomme. Das Leben ist zu kurz, um der Gesellschaft den richtigen Weg aufzudrängen, der offensichtlich nicht gewünscht wird. Und die Fitness? Das ist der Knackpunkt: Den Stress, den man als Radfahrer täglich erlebt, kompensiert die Vorteile der sportlichen Bewegung.

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    1. ich finde ja immer noch, dass Rad fahren mehr Spaß macht als Auto fahren. Ich kenne deine Pendlerstrecke nicht, vermute aber, dass sie extrem ungünstig und radfeindlich ist. Leider dauert der Umbau einer Autogesellschaft in eine Radgellschaft sehr lange.

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