30. Juni 2022

Die übersehenen Kinder

Und wieder titelt eine Zeitung: Autofahrerin übersieht Mädchen auf dem Rad und fährt davon. 

So geschehen auf einer Fußgängerfurt am Ortseingang von Sillenbuch, die eine Sechsjährige überqueren wollte. Die Autofahrerin fuhr sie an, stieg aus, entschuldigte sich und fuhr dann weiter. 

Die Polizei spricht nicht von "übersehen". Das hat die Zeitung dazu erfunden, ansonsten hält sie sich an die Pressemeldung der Polizei. Dort wird das Kind vom Auto nur "touchiert", statt angefahren. Wie das wohl vor sich ging? Das Kind hat immerhin leichte Verletzungen erlitten. Es wird also mit dem Fahrrad umgefallen sein. Auch die Autofahrerin hat ja bemerkt, dass etwas gerumst hat. Da ist "touchiert" doch etwas verharmlosend.

Das Wort Unfallflucht oder Fahrerflucht (unerlaubtes Entfernen vom Unfallort) fällt auch nicht in der Pressemeldung der Polizei, demzufolge auch nicht in der Zeitungsmeldung. Das ist es aber, was die Autofahrerin begangen hat. Das ist ein Straftatbestand, dafür kann man sogar ins Gefängnis kommen. Es scheint gar nicht so schlimm, was die Autofahrerin gemacht hat: "übersehen, touchiert, entschuldigt". 

Wie aber kann man an dieser Stelle überhaupt ein Kind auf einem Fahrrad übersehen?, frage ich mich. Da ist doch eine Ampel! 

Wie man auf dem Foto von Google Maps sieht, herrscht sehr freie Sicht auf die Kreuzung mit der Fußgängerfurt und der Ampel. Kann es also sein, dass die Autofahrerin die rote Ampel nicht gesehen hat? Ich kann mir nämlich nur schwer vorstellen, dass ein sechsjähriges radelndes Mädchen nicht auf den Drücker drückt und wartet, bis ihre Fußgängerampel Grün wird, bevor es losradelt. Aber gut, das hat es vielleicht getan, das wissen wir nicht, das ist Spekulation. Interessant, dass sowohl Polizei als auch Presse genau die Fragen offenlassen, wieso ein Kind auf einem Fahrrad auf einer Fußgängerfurt angefahren wird. 

Ich finde, es wird Zeit, dass die Medien nicht mehr so verharmlosend über das berichten, was der Autoverkehr mit unseren Kindern macht. Und dann haben Eltern eben Angst, ihre Kinder alleine mit dem Fahrrad loszuschicken. Und die Kinder verlieren ganz schnell ihr Vertrauen in die Verkehrsregeln und haben ebenfalls Angst. 


15 Kommentare:

  1. Kinder (ihre Bildung, ihre Zukunft...) sind ein Thema für Sonntagsreden.
    In der Realität gilt das Recht des Stärkeren, besonders natürlich im Straßenverkehr. Und da dürfen sich die Kinder dann ganz hinten anstellen.

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  2. Ich sehe das ähnlich, ich vermute die zunehmende Zutzung von Mobiltelefonen und überkomplizierten KFZ-Bedienungselementen. So viele Unfälle sind ohne Blick auf das Handy mir nicht erklärbar und noch viel häufiger sucht die Polizei eine Ausrede wie "internistischer Notfall". Ich finde dann muss auch eine MPU und Führerscheinentzug automatisch drohen bei so einer Ausrede, da dieser sich ja ggf. jederzeit wiederholen kann und eine Fahrerlaubnis damit nicht vereinbar ist. LKW Fahrer nutzen diese Ausrede nicht, wie ein Unfall in Meerbusch beweist, der hat zugegeben, dass er auf das Handy geschaut hat, als er mit seinem Amazon LKW in den Park eines Krankenhauses gefahren ist und einen Baum gefällt hat.

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  3. Hinsichtlich der Sprache gebe ich dir recht.

    Aber was die mangelnde Information betrifft, das ist richtig so. Denn die Autofahrerin wurde ja offenbar noch nicht gefunden. Es gibt also nur die Aussage des kleinen Mädchens, das vermutlich etwas unter Schock steht. Da ist es kritisch, die Autofahrerin schon einer Straftat zu bezichtigen, ohne den Sachverhalt zu kennen.

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    1. Ralph Gutschmidt30. Juni 2022 um 09:36

      Oh mann, diese neue Kommentarfunktion ist die Pest, wieder ohne Name abgeschickt. Kannst du das nicht ändern?

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    2. Lieber Ralph, ich kann das nicht ändern. Das macht Blogger.

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    3. Grundsätzlich müssen alle, die irgendwie, auch entfernt, an einem Unfall beteiligt waren, am Unfallort bleiben, also auch der Fußgänger, der über den Zebrastreifen ging, weshalb ein Autofahrer anhielt, weshalb ihm ein anderer ins Heck krachte. Niemand darf wegfahren oder weggehen, ohne seinen Namen und seine Adresse den anderen Unfallbeteiligten oder der Polizei hinterlassen zu haben. Das wird im Strafgesetzbuch so geregelt, ist also eine Straftat: Paragraf 142 StGB (https://dejure.org/gesetze/StGB/142.html)

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    4. "Da ist es kritisch, die Autofahrerin schon einer Straftat zu bezichtigen, ohne den Sachverhalt zu kennen."
      Wenn der Radler im Krankenhaus ist und der Autofahrer der Einzige ist, der zunächst eine Aussage macht, dann ist die Polizei nicht so vorsichtig.

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    5. Die Fahrerin hätte dem Kind wenigstens einen Zettel mit ihrem Namen und ihrer Andresse in die Hand drücken müssen.

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    6. Jörg
      Der Tatbestand der Unfallflucht ist gegeben, wenn sich die Person nicht identifiziert hat. Eigentlich nur ein Ausweis oder ein Führerschein ist ein dazu geeignetes Dokument. Wenn ein Erwachsenes Wesen es mit Kind zu tun, ist es schockiert, wenn es heißt "Entschuldigung ist ja nichts passiert". Ja das kann die Erwachsene Tante gegenüber einem 6 jährigen Kind locker durch setzten. Sie hat aber nicht das Recht die Situation zu beurteilen.
      Es ist wichtig dieses Fehlverhalten zu thematisieren. Wie soll es sonst besser werden?

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  4. Bei einem Unfall von 2 Autos, wo es nur ein paar Kratzer gibt, undenkbar, sich einfach zu entfernen. Aber hier wurde ja nur ein Kind verletzt...

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    1. So in etwa?
      twitter.com/mahrko/status/1418836020775342088

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  5. nach StVO darf ein 6-jähriges Kind an Kreuzungen auf der Furt (egal ob Radfahrer-Furt oder Fußgänger-Furt) nicht Rad fahren - es muss das Rad schieben. Nach dem Bild halte ich das für eine Kreuzung. Im Artikel steht ein mal "auf", ein mal "mit" dem Fahrrad - sprachliche Feinheiten und rechtlich wesentliche Bedeutungsunterschiede, über die uns der Autor im unklaren lässt. Immerhin gibt es einen Zeitungsartikel. Über meine beiden letzten Unfälle, bei denen mich jeweils eine Autofahrerin verletzt habe, wurde gar nicht erst berichtet. Kinder werden also von Polizei und Presse doch ein wenig bevorzugt behandelt, wenn auch auf niedrigem Niveau im Vergleich zu autofahrenden Verkehrsteilnehmern.

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  6. Ich frage mich, wie will denn die Polizei, bei der Verwendung von "übersehen" und "touchiert" noch objektiv ermitteln? Im Wort "übersehen" steckt das Verständnis, die Entschuldigung, das "kann ja jedem mal passieren" schon mit drin. Ebenfalls das verharmlosende "touchieren". Wieso gibt es Verletzungen wenn man nur touchiert wurde? Die Polizei muss bei dieser Wortwahl sehr aufpassen nicht in den Verdacht zu geraten einseitig zugunsten der Autofahrerin zu ermitteln.

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    1. "übersehen" hat die Polizei nicht geschrieben. Ich denke, den meisten Polizist:innen, die Pressemeldungen schreiben, ist bewusst, dass das nicht passt, nur manchen Journalist:innen noch nicht, die dann einen Titel suchen. Aber wir hatten da schon ausführliche Diskussionen. "Touchiert" ist, denke ich, in der Tat noch so ein Begriff, bei dem die Polizei lernen sollte, vorsichtig damit umzugehen. Natürlich kann man mit dem Auto ein Fahrrad oder den Menschen darauf streifen und dadurch zum Sturz bringen. Aber die Autofahrerin muss ja irgendwie ein Hinter- oder Vorderrad des radelnden Kindes erfasst haben. Den Körper kann sie nicht gestreift haben, es sei denn das Kind wäre parallel gefahren und hätte den Rückspiegel an den Arm bekommen (auch das kann zu einer leichten Verletzung (Prellung, blauem Fleck) führen.

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