16. Januar 2023

Das Zwei-Ampel-Problem von Karlsruhe

Ist die Radlerin bei Rot gefahren oder bei Grün? Darüber stritten sich in Karlsruhe Polizei und eine Radfahrerin. Schließlich vor Gericht. 

Karslruher Radler:innen waren sehr gespannt auf das Urteil, denn die Situation ist ziemlich komplex, so komplex, dass man aus dem ersten Bericht der  Badischen Neuesten Nachrichten nicht erschließen konnte, was passiert war, und der Radfahrerin Recht geben musste. Die Richterin hat aber der Polizei Recht gegeben, und das hing nur mit der Route zusammen, die sie genommen hatte. Das geht aus dem nachfolgenden Artikel über das Urteil hervor. 

Die Situation an dieser Kreuzung ist so kurios, dass ich das hier mal auseinanderklamüsern will. Auch weil wir wieder einmal sehen, wie verzwickt die Verkehrssituationen und die sich daraus ergebenden Regeln für Radfahrende sind und dass sie beim Wechsel aus einem Fußgänger-/Radwegbereich auf die Fahrbahn eigentlich nur Fehler machen können. 
Die Kreuzung, an der es passiert ist, zeigt das Bild oben, das ich aus Apple-Maps habe. Wir befinden uns auf der Durlacher Allee stadtauswärts. Die große Querstraße heißt Ostring. Hinter dem Ostring beginnt auf dem Gehweg ein Radweg. Auf einem als Radweg gekennzeichneten Gehweg radelt man im einfacheren Fall auf der Durlacher Alle auf diese Kreuzung mit dem Ostring zu. Man fährt an der Ecke direkt auf den Radstreifen runter, der über einen Abbieger mit Schwarzampel führt und stellt sich neben den Autos unter der Ampel auf. Wenn die Autos Grün kriegen, radelt man ebenfalls los, wenn sie Rot haben, hält man. Im schlechteren Fall kommen die Radfahrenden aber linksseitig auf dem Zweirichtungsradweg den Ostring entlang und möchten auch auf die Durlacher Allee stadtauswärts. Sie stoßen auf den Abbieger mit Radstreifen und Drückerampel und landen auf einer Verkehrsinsel. So kam an diesem Tag auch die Radlerin. Auf der Verkehrsinsel wartet man zusammen mit Fußgänger:innen auf Grün, das man mit einem Drücker anfordern muss. Auf den Streuscheiben der Ampeln gegenüber befinden sich Radzeichen. Wenn es passt, bekommt man zusammen mit den Autos (und dem Radler auf dem Radstreifen) Grün und radelt los. 

Allerdings springt die Fußgänger-/Radampel schon wieder auf Rot, wenn die Autos noch eine Weile Grün haben. Für die Radler:innen auf dem Radstreifen ist alles gut, die können noch radeln. Doch die Radlerin auf der Verkehrsinsel darf nicht mehr fahren, auch wenn sie weiß - und das war hier der Fall - dass die Autos noch Grün haben. Sie tat es dennoch und schwenkte sofort auf die Fahrbahn ein. Das ist auch deshalb derbessere Weg, weil auf der anderen Seite des Ostrings der Radweg auf der linken Seite des Gehwegs beginnt, der nur von der Fahrbahn geradeaus anfahrbar ist. Kommt man über die Fußgänger-/Radfurt drüben an, dann muss man auf dem Gehweg sofort stark nach links lenken und gleich wieder nach rechts, um auf dem Radweg zu landen, man kurvt also sehr. Man sieht auch auf diesem Foto, dass das weiße Auto noch fährt, während die parallele Radler-/Fußägnerampel Rot zeigt. Diese Ampel ist niemals Grün, denn sie ist eine Bedarfsampel, man muss immer anhalten und drücken und im blöden Fall einen ganzen Umlauf abwarten. 

Dies hätte die Radlerin in diesem Fall tun müssen, so die Richterin. Sie durfte nicht bei roter Radlerampel auf die Fahrbahn rausfahren in der Annahme, die befände sich ja nun dort, wo die Autos in gleicher Richtung wie sie Grün haben. 

In den sozialen Medien haben wir nach dem ersten Artikel darüber diskutiert, ob die Radlerin auf dem Radfahrstreifen auf der Fahrbahn sich nach den Ampeln mit dem Rad in der Streuscheibe hätte richten müssen oder nicht - was ich völlig abwegig fand, andere Radfahrende aber durchaus nicht. Denn steht nicht in der StVO in § 37 Abs. 2 Nr. 6: "Wer ein Rad fährt, hat die Lichtzeichen für den Fahrverkehr zu beachten. Davon abweichend sind auf Radverkehrsführungen die besonderen Lichtzeichen für den Radverkehr zu beachten." Also zuerst auf die Lichtzeichen für den Radverkehr achten, wenn die nicht da sind, gelten die für den Autoverkehr. Kann es deshalb also sein, dass für Radler auf einem Radstreifen auf der Fahrbahn, die parallelen Radampeln gelten? Radfahrstreifen sind nicht Teil der Hauptfahrbahn, sondern eine Radverkehrsanlage. Wir haben hier also zwei parallele Radverkehrsanlagen. Der Radstreifen wird übrigens nicht über die Kreuzung geführt, er hört nach der Haltelinie auf. Radfahrende bewegen sich dann auf der Autofahrspur. Und in diese ist die Radlerin von der Verkehrsinsel eingeschwenkt. 

Ein Argument der Richterin gegen die Radlerin war, dass Autofahrende nicht damit rechnen, dass hier Radfahrende von rechts auf die Fahrbahn einschwenken. Allerdings bin ich felsenfest überzeugt, dass spätestens auf der zweiten Spur des Ostrings die Radfahrenden nach links Richtung Autofahrbahn schwenken, um den an der Bordsteinecke beginnenden Radweg anzufahren. Es dürften also immer wieder Radfahrende neben den Autofahrenden auftauchen - Platz genug ist da vorhanden -, sofern sie gleichzeitig mit den Autos Grün bekommen haben. Eine besondere Gefahr ergibt sich daraus nicht, ich kann keine erkennen, denn die Radfahrenden zielen auf den Radweg. 

Die Polizei hat im Fall dieser Radlerin vom Auto aus (das wohl auf der Durlacher Allee) fuhr, genau beobachtet, was diese Radlerin machte, die vom Ostring auf die Verkehrsinsel einbog und dann eben, ohne Grün anzufordern auf die Fahrbahn fuhr und rechts - vermutlich, ohne sich in den Verkehr einzureihen - neben den Autos, die Grün hatten, rüber fuhr. Und das fanden sie so ungeheuerlich, dass sie sie anhielten und ihr ein Bußgeld ausstellten. Die Radfahrerin widersprach und die Sache kam vor Gericht, viel beachtet von Radfahrenden, die sich darüber ärgern, dass sie an der Bedarfsampel ewig stehen, während der Verkehr neben ihnen rollt. Und die - ebenso wir die Radlerin - keine Gefahr in dem Manöver sehen, auf die Autofahrbahn zu gelangen. So recht befriedigt sind viele von dem Urteil nicht, obgleich die Argumentation - wie ich finde - juristisch streng und einleuchtend ist. Nur steht jetzt die Stadt so da, als hätte sei an dieser verkorksten Ecke alles richtig gemacht, dabei handelt es sich um eine für Radfahrende ungünstige, weil nicht direkt geführte Radverkehrsanlage mit einer nicht einleuchtenden Ampelschaltung, die zu kreativem Verhalten animiert. 

Eigentlich hätte die Richterin der Stadt mit auf den Weg geben können, dass sie hier für die Radler:innen, die vom Ostring kommen und die, die die Durlacher Allee entlang kommen, eine gemeinsame Aufstellfläche mit gemeinsamer Ampelanlage und einem Radstreifen, der direkt auf den Radwegbeginn zuführt, anlegt. So ist das jedenfalls Gemurkse. 

Das Urteil macht auch deutlich, dass flüssige Übergänge von der Fahrbahn auf eine Radanlage oder von einer Radanlage auf die Fahrbahn nicht vorgesehen sind
. So ist für mich nach wie vor ungeklärt, welche Ampel für mich gilt, wenn ich aus einem Rad-/Gehwegbereich an der Fußgänger-Radfurt nach links oder rechts auf die Fahrbahn einbiegen möchte. Muss ich warten, bis die Fußgängerampel mit Radzeichen Grün zeigt? Dann aber zeigt die Ampel für den Autoverkehr auf der Fahrbahn, auf der ich weiterfahre, gerade Rot. Wenn danach eine Straßeneinmündung ist, deren Grünphase am die Grünphase der Fußgängerfurt gekoppelt ist, dann fahre ich den startenden Autos vor den Kühler. Also sollte ich wohl besser bei Fußgängerrot auf die Fahrbahn einbiegen, allerdings überquere ich dann beim Linksabbiegen mehr als die Hälfte der Fahrbahn bei rotem Rad-Streuzeichen. Und da würde ich vor Gericht auch verlieren. 
In Vaihingen am Schillerplatz ist dieser Fall per Straßenmarkierungen an der Furt geregelt, da radle ich bei Rad-/Fußgängergrün und biege auf die Fahrbahn ab (oben auf dem Doppelfoto). An der Gehwegüberfahrt Alexanderstraße zur Neuen Weinsteige, bleibt die Lösung uns Radfahrenden überlassen, wenn wir nach links abbiegen und die Olgastraße runter fahren wollen. Da aus der Etzelstraße Autos kommen, die bei Fußgängergrün losfahren, weil sie ja wissen, dass die Autos von oben Rot haben, erzeugt es Vollbremsungen von Radfahrer und Autofahrer (der hat Vorfahrt achten), wenn man bei Fußgängergrün nach links auf die Fahrbahn abbiegt. Wobei hier noch ein Detail dazukommt, das es mir glücklicherweise erlaubt, bei Fußgängerot mit dem Rad loszufahren: Auf der Streuscheibe fehlen die Radzeichen. Die Frage ist nur, ob die Polizei auch weiß, dass Fußgängerampeln für Radfahrende nicht gelten, oder ob das dann wieder vor Gericht endet. 





9 Kommentare:

  1. Jörg
    Ich hoffe das steht in der Urteilsbegründung etwas genauer drin. "Ein Argument der Richterin gegen die Radlerin war, dass Autofahrende nicht damit rechnen, dass hier Radfahrende von rechts auf die Fahrbahn einschwenken." Mit der Begründung, da rechnet jemand nicht damit das Radfahrer auf den Radweg fahren wollen oder sonstwo lang wollen, könnte man ja alles verbieten.
    Auf jeden Fall sind unsere Vorschriften nicht für einen flüssigen und sicheren Verkehr vom Fussgängerinen und Radfahrenden gemacht. Eine Überarbeitung ist überfällig.

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    1. Das sehe ich eher als Nebenargument. Die Hauptfrage scheint mir, wie man eigentlich Übergänge von Seitenbereichen auf Hauptfahrbahnen organisiert, die hier ja durchaus notwendig erscheinen, auch weil er Radweg drüben gar nicht dort beginnt, wo man mit dem Rad ankommt, wenn man die Fußgänger- und Radfurt benutzt. Die Richterin hat das mit dem Radweg vermutlich gar nicht bedacht, sondern fand, Autofahrende rechneten nicht damit, das von der Verkehrsinsel jemand mit dem Rad an ihre Seite auf die Fahrbahn kommt. Die Straße scheint mir auch so breit, dass Radfahrende hier nicht zwischen den Autos fahren, sondern rechts von ihnen, oder vielmehr von Autos sogleich überholt werden. Aber kann sein, dass ich das aus der Entfernung auch falsch sehe.

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  2. Die Infrastruktur ist hier natürlich suboptimal, aber ich finde es richtig dass das als Rotlichtverstoß gewertet wird. Nicht nur formal, weil die Radlerin bei ihrem Rad-Rot den geschützten Bereich (Fuß-/Radfurt) befahren hat, sondern auch "in echt". Denn auch wer mit dem Rad stadtauswärts die Durlacher Allee entlang kommt soll sich auf das Grün verlassen können.

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    1. Ich denke, das ist ein Scheinargument der Richterin, denn die Radlerin kennt ja die Situation mehr als gut, und sie wird da nicht in einen Radler reinrauschen, der von der Durlacher Allee her kommt. Dennoch - und das habe ich ja geschrieben - will ich das Urteil selber gar nicht beanstanden. Die Infrstruktur ist halt extrem schlecht und regt zu solch kreativem Verhalten an, weil die Radler:innen eben nicht einsehen, wieso sie da warten müssen, während neben ihnen der Geradeausverkehr rollt. Nicht die Verkehrsregel muss geändert werden, sondern diese Art von Infrastruktur mit langen Wartezeiten für Radfahrende (und Fußgänger:innen) ab solchen Ampeln im Seitenbereich.

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  3. Ich kenne das als Autofahrer/Supermarktkunde/Schlangesteher aus vielen Situationen: Ich wähle eine von mehreren Stau-Lanes und ärgere mich dann sofort, dass es auf allen anderen Lanes schneller vorwärts geht als auf meiner. Kennt wohl jeder :-) Oft geht dann das "Lane-Gehopse" los: Jetzt schnell nach links, dann wieder nach rechts, was hat mich das all die Jahre genervt!

    Jetzt mach ich Tai-Chi beim Warten, hilft enorm.

    Der Unterschied: Hier wird man als Radfahrer/Fußgänger auf die lahme Lane gezwungen und darf nicht hopsen. Das ist unfair.

    Stefan, FFB, Bayern

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  4. "Kommt man über die Fußgänger-/Radfurt drüben an, dann muss man auf dem Gehweg sofort stark nach links lenken und gleich wieder nach rechts, um auf dem Radweg zu landen, man kurvt also sehr." STOP!

    Wieso muss man "auf dem Gehweg" lenken? Auf dem Gehweg fahren ist nicht gestattet. Zu klären wäre also, ob Radfahrende die Furt überhaupt nutzen können/müssen.

    Beste Grüße, Torsten K. aus DA

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    1. Auch das ist so eine Frage, die ich mir dann immer stelle. Allerdings habe ich mal irgendwo gelesen (finde ich gerade nicht wieder), dass Gehwegecken irgendwie undefiniert sind. Erkenne ich auch daran, dass Radwegschilder oder Schilder mit Gehweg Rad frei oft erste ein paar Meter hinter der Gehwegecke stehen, auch wenn völlig klar ist, dass Radler hier fahren. Muss ich mal genauer recherchieren. Und auch deshalb, denke ich, steuern die Radler:innen hier von der Verkehrsinsel aus nach links ziehend, die Gehwegecke neben der Fahrbahn an, wo der Radweg beginnt.

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  5. es ist einfacher:
    es funktioniert nicht, weil sie uns nicht wollen.
    und die uns wollen, können es nicht.
    sonst wäre es so leicht, wie der spritbonus.

    karl g. fahr

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  6. Jörg
    Wenn man jetzt bei Radfahrten auf die Ampeln darauf achtet ist es echt erstaunlich wie man sich Stadtindianer durch mogelt. Weil durchgängige Routen nicht vorhanden sind. Und dann ist man noch der Depp der bei Rot fährt, obwohl die Ampel in Karlsruhe immer parallel hätte grün sein können. So sind eben die Radfahrer Schuld. Und wieso soll man solch gesetzlosen Brüdern und Schwestern Wege einrichten. So ist das Leben als Stiefkind, man ist für erlebte Ungerechtigkeit selbst verantwortlich.

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