4. August 2023

Das Einkaufswunder

Wo Autos sind, bleiben Menschen weg und sinkt der Umsatz. Wo man Autos aussperrt, steigt er. Weiß man schon lange. Wer es Menschen zu Fuß und auf Fahrrädern angenehm macht, gewinnt Kundschaft. 

Menschen ohne Autos zahlen bis zu 91 Prozent der Umsäze im Einzelhandel, fasst GoodNews zusammen. Deshalb experimentieren weltweit Städte mit autofreien Straßen. Doch kaum will man eine Straße in eine Fußgängerzone und womöglich Fahrradzone umwandeln, protestieren die Händler:innen. Sie glauben immer noch, ihr Umsatz hänge von am Straßenrand stehenden Autos ab, oder anders gesagt, ihre besten Kund:innen seien Autofahrende. Das aber stimmt nicht.

Radfahrende kommen öfter und kaufen mehr ein.

Fußgänger:innen sind auch dort häuifger unterwegs, wo nicht der klassische Straßenquerschnitt - Gehweg, geparkte Autos, Fahrbahn - voherrscht, sondern eine Fußgängerzonen-Athmosphäre herrscht. Immer mehr Studien zeigen, dass der Einzelhandel die Rolle des Autos in Städten überschätzt und und die Chancen unterschätzen, die im Rad- und Fußverkehr  stecken. Sie glauben, dass nur Autofahrende bei ihnen einkaufen und die nicht mehr kämen, wenn sie nicht auf Parkplatzsuche vor ihrer Ladentür vorbeifahren können (den Parkplatz finden sie ja dort eher selten). Doch wenn genau diese Autos nicht mehr im Parkplatzsuchverkehr kreisen, kommen auf einmal mehr Menschen zu Fuß und mit Rädern und der Umsatz steigt. Schon  2003 wurde in sechs französischen Städten gemessen: “In der Woche machen die Händler mit Autofahrern den geringsten, mit Fußgänger:innen den höchsten Umsatz. 2019 begann Madrid mit autofreien Einkaufsstaßen zu experimentieren. Der Umsatz wuchs dort um 9,5 Prozent und die  Luftqualität wurde besser. Hätten wir in Deutschland 25 Prozent Radanteil am Modal-Split, ergäbe sich ein Umsatzplus von 8,7 Milliarden Euro. Mit der bei uns üblichen Fahrradfeindlichkeit schaden sich die Händler:innen und Händler vor allem selbst. Sogar Autofahrende in Berlin Kreuzberg bedauern, dass in der Dresdner Straße die Außengastro für Parkplätze beseitigt wurde. Es ist trostlos geworden in dieser Straße, zu viele Auto, weniger Leute, die Läden leiden, weil die Leute nicht mehr kommen und sich draußen hinsetzen können. Und da geht es noch gar nicht mal um autofrei. 

Ich denke: Nur mit autofreien Konsmstraßen können Städte die Konkurrenz des Online-Handels noch abfangen. Ich beobachte an mir, dass ich als Radfahrerin viel weniger online bestelle, weil ich stets schnell zu den Läden hinkomme (ohne je Parkplatz suchenu müssen), wo es die Alltagsdinge zu kaufen gibt, die andere heutzutage bestellen. Ich spare mir als Radfahernde nicht nur den Parkplatzsuchstress, sondern so auch den Stress, daheim sein zu müssen, wenn das Postpaket geliefert wird oder dessen Anlieferung zu organisieren. Ich wundere mich immr mehr darüber, dass bei uns jede Diskussion über eine Stadt für Menschen zu Fuß und auf Fahrrädern bei den Parkplätzen landet, um die ansässige Händler:innen kämpfen, als hinge ihr Leben davon ab. Dabei schaufeln sie sich damit eigentlich ihr wirtschaftliches Grab.

In Wangen im Allgäu wird dieses Wochenende zum vierten und letzten Mal das autofreie Wochenende für Teile der Innenstadt getestet. So sah es um 12 Uhr aus. Der städtische Ordnungsdienst verteilte Knöllchen. 

Der SWR berichtet, dass dieser Test auf Antrag der Grünen Offenen Liste. Die anderen Gemeinderatsfraktionen sind natürlich dagegen (die Händler:innen auch) und argumentieren, wie sie in so einem Fall immer argumentieren: Apotheken und Ärzte seien dann (für Alte und Gebrechliche) schwerer erreichbar. Wobei man dazu sagen muss, dass in drei Gehminuten Entfernung riesige Autoparkplätze vor der Stadtmauer sind. Ohnehin findet man ja nicht den Parkplatz vor der Arztpraxis, den man sich wünscht, sondern kurvt dann und muss doch wieder zu Fuß gehen. Eine Evaluation der vier Wochenenden soll im Herbst stattfinden. Ich wage zu prognostizieren, dass man feststellt, dass es nicht so gut funktioniert hat, weil vier Wochenenden nicht reichen für eine Gewöhnung an neue Verhältnisse, die im Grunde nicht schwieriger sind als die, die man gerade mit dem kreisenden Parkplatzsuchverkehr hat. Umgewöhnung dauert. Und Einkommenssteigerungen lassen sich an vier Wochenenden auch nicht nachweisen. 

Zugleich fuhr am Samstagvormittag ein Autofahrer (fremdes Kennzeichen) dann vom Frauentor dann gleich direkt in die Fußgängerzone, die noch nie für Autos (und Fahrräder) frei war, bis vor zum Marktplatz, nur um dann wieder zurückzustoßen, weil es da nicht weiterging. Da sein Seitenfenster offen war, sagte ich: "Die Fußgägerzone ist nicht für Sie", und er antwortete: "Ich weiß." 


11 Kommentare:

  1. Absolu einverstanden mit dieser Analyse.

    Die einzigen Dinge, die ich allerdings fast ausnahmslos im Internet bestelle, sind aber ausgerechnet Fahrradteile und -kleidung, weil da der Handel das nicht anbietet was ich will, klassische (nicht mit retro verwechseln!) Teile. Selbst Lagerkugeln findet man nicht mehr ohne Weiteres! Kette, Schalt- und Bremszüge u.dgl., die der Einzelhandel noch hätte, bestelle ich dann immer mit.

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    1. Stimmt, das geht mir auch so. Der Handel ist, was Fahrradteile und Regenklamotten etc. betrifft sehr, sehr mäßig. Vielleicht sollte ich darüber auch mal schreiben.

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    2. Nun wollen wir ja alles im Sinne der Umwelt regeln, da dürfte ein mäßiges Angebot doch gut sein. Aber im Ernst: Ich habe bisher immer gute Fahrradkleidung in Stuttgart gefunden. Und ich finde das der Fortschritt da einiges auf den Markt gebracht hat. Wenn ich da an die Klamotten von früher denke.... Klar, Karstadt Sport auf der Königstraße ist weg, die hatten schon vor
      über 10 Jahre tolle Sachen( Gore; Löffler etc.). Mittlerweile hat Globetrotter ein
      tolles und umfangreiches Angebot auch von Kleidung für den Alltag (Vaude; Alberto etc) Die Leute müssen natürlich auch kaufen und nicht nur klotzen und dann im Internet bestellen, weil es dort 2cent billiger ist.So kann ein Geschäft ja auch nicht leben und überleben.Und was Ersatzteile betrifft: Die brauche ich Gott sei Dank auch nicht mehr, so das ich meine Stauräume freihalten kann-
      Bei der heutigen Pannensicherheit langt das regelmäßige wechseln von Bremsklötzen und ,- ganz selten,- mal ein Schlauchwechsel. Das andere kann gerne der Fachhandel machen, so bleibt dieser auch erhalten.

      grüße Andreas

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  2. ... das autofreie (Innen)Städte förderlich für den Umsatz lokaler Händler sind hat auch die Buchhandlungskette Osiander erkannt (siehe Artikel in der SZ vom 28.07.2023).
    Stuttgart und Reutlingen sind hierbei jedoch kein Vorbild und hinken der Umsetzung hinterher ... das sollte die anderen stuttgarter Händler:innen zum Nachdenken und umdenken bewegen und hoffentlich zu einer Abkehr von der jetzigen (veralteten) Denkweise führen.

    https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.osiander-chef-christian-riethmueller-warum-sich-der-buchhaendler-mal-wieder-neu-erfinden-muss.39c0907e-1797-4af6-b470-8ac334fe7dc9.html

    Bestes Negativbeispiel finde ich in Stuttgart immer noch Breuninger, vor dessem Haupteingang meist prominent eine S-Klasse steht ... die dann wie selbstverständlich die Fahrradstrasse (Eberhardstr.) zur An- und Abfahrt nutzt!

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  3. Ein positives Beispiel aus meiner Nachbarschaft: Die Killesberghöhe. Als ich ein paar Jahre vor Corona konsequent aufs Pedelec gesetzt habe gab es dort nur 10 Bügel am Rand, 1-2 Jahre später und konsequentes Parken im Innenhof (ich bin faul und will möglichst nah "Parken" wurde der Mehrbedarf erkannt und 2 große Bügelanlagen angeschafft. Nach einigen herumexperimentieren haben die Betreiber einen zentralen Platz im Innenhof gefunden.
    Mittlerweile hat der Radverkehr dort so zugenommen, dass man schon Glück haben muss, einen freien Bügel zu finden.
    Ich finde es gut, dass sich die Menge an Radfahrenden in meiner Nachbarschaft so sehr erhöht hat, das wirkt sich auf positiv auf den restlichen Verkehr aus. Jetzt muss die Killesberghöhe allerdings nachlegen, da geht mehr.
    MfG Georg
    PS: Als Alltagsaussenschicht habe ich eine Lederjacke für mich entdeckt: bietet ausreichend Schutz vor Wind und denmeisten nicht-Unwettern, Schützt vor Abschürfungen und ist fast Ganzjährig nutzbar.

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  4. Es gibt leider auch Städte die das genaue Gegenteil machen. Unsere Nachbarstadt Fellbach zum Beispiel. Dort sagt die Verwaltung, unterstützt von Einzelhändlern, dass der für uns Stuttgarter so wichtige Schnellradweg RS5 Zitat "nicht stadtverträglich" ist (ein ziemlich übles und freches Framing), dem lokalen Einzelhandel schaden würde und eine Gefahr für Fußgänger wäre. Zur Erinnerung, der MIV fährt dort auf 2 Stockwerken (ebenerdig und Tunnel) mit 50kmh, dort ist einer der Unfallschwerpunkte Fellbachs, bei einer völlig ungenügenden Radinfra die in Teilen die Mindestanforderungen der ERA noch unterschreitet. Trotzdem wird der MIV als stadtverträglich angesehen. Diese Entscheidung hat große Auswirkungen. Die Potenzialanalyse ging von einem durchgängigen Schnellradweg aus was jetzt nicht mehr der Fall ist. Die Bündelungswirkung des RS wird entfallen und ich vermute damit auch die Förderungsfähigkeit zumindest für Stuttgart (Waiblingerstr, Nürnbergerstr) und Waiblingen. Viele werden weiterhin nicht den direkten Weg sondern Umwege über die Felder bevorzugen. Eigentlich dürften die an Fellbach anliegenden Kommunen ihre Planung nicht weiter vorantreiben sondern müssten wegen der Ablehnung des Radverkehrs in Fellbach, erstmal wieder eine neue Potentialanalyse machen ob die für die Förderung notwendig Anzahl überhaupt noch erreicht werden kann? Ich würde mir noch viel mehr Analysen zum Kaufverhalten wünschen. Welches Verkehrsmittel, Auswirkungen auf Umsätze usw. Die hier genannte Studie sagt ja selbst, dass sie nur für den speziellen Fall gilt und nicht verallgemeinert werden darf. Ich bin mir ziemlich sicher, Fellbach weiß nicht, wie die Shopper zu den Einzelhandelsgeschäften kommen. Zumindest wurde seitens der Fellbacher Verwaltung nie eine Studie dazu präsentiert. Keine Herangehensweise die ich von einer Verwaltung erwarte, die für die ganze Bevölkerung der Stadt Verantwortung trägt. Ein Fehler, der die Entscheidung der Stadt in einem ideologischem Licht erscheinen lässt und auch ein schwerer Schaden für Stuttgart ist. Seis drum, wir werden nicht umhin kommen, diesen Aspekt noch vielmehr zu untersuchen um den Radgegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Was mich dabei ärgert, dass von diesen nie gefordert wird Studien für ihre Behauptung vorzulegen.

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    1. Es gibt überhaupt zu wenige Daten, auch über das Verhalten von Radfahrenden. Anderseits wissen wir eigentlich alle ganz genau, was den Städten gut täte und was ihnen nicht gut tut. Es gibt ja Städte, die führen und das vor und haben Erfahrungswerte von 30 Jahren (Kopenhagen). Und alle, die in Gemeinderäten für Autos und Parkplätze plädieren, wissen eigentlich auch, dass sie im Urlaub autofreie Innenstädte genießen, wo sie ihren Kaffee trinken und shoppen gehen. Wir wissen es. Der Witz ist, dass wir konsequent gegen unsere Interessen handeln, ich fürchte, nur weil die Autoindustrie so stark ist und immer noch alle meinen, wir müssten mit ihr zusammen untergehen.

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    2. Wir wohnen schon seit über zwanzig Jahren zwischen Fellbach und Cannstatt.
      Und da ich seit dieser Zeit alles mit dem Fahrrad erledige,- auch zur Arbeit fahre,-kenne ich Fellbach und die Umgebung ganz gut. Im Gegensatz zu Stuttgart finde ich es ganz entspannt, dort mit dem Fahrrad einkaufen zu gehen.Dazu braucht es nicht noch mehr Studien und Analysen. Was dabei rauskommt, in ein blödsinniges Parkhaus für Fahrräder ( wer nutzt diese teure Ruine überhaupt? ) und der Unsinnige Radweg von Cannstatt an der Bundesstraße Richtung Fellbach, den kein richtiger Altagsradler wirklich nutzt.
      Dafür schleicht dann der Fahrzeugverkehr im schneckentempo rauf und runter.
      Wie umweltverträglich das ist, mag man bezweifeln . Dafür werden dann die Badbrunnenstraße und im Geiger exzessiv von den Autos benutzt. Diese aber für den Verkehr zu sperren, traut man sich nicht, das könnte ja das Wählerpotential , auch einer Partei, die sich angeblich den Umweltschutz auf die Fahnen geschrieben hat,- verschrecken.

      Andreas

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    3. Nirgends kommen mir so viele Geisterradler entgegen wie in Fellbach...und das, obwohl beidseitig (handtuchschmale, aber leider benutzungspflichtige) Radwege vorhanden sind.
      Radfahren in/ durch Fellbach...finde ich leider ganz furchtbar...
      Weshalb Alltagsradler die Nürnberger Straße nicht hochradeln weiß jeder, der das einmal gemacht hat.
      Ab der Grenze zu Fellbach ist die Radinfrastruktur (wenn man das so nennen kann) dermaßen miserabel, dass man deutlich schneller nach Waiblingen kommt, wenn man die Feldwege an der Bahnlinie benutzt. Und ob sich mit dem geplanten "abgespeckten" RS5 daran viel ändern wird...ich glaube nicht daran.

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  5. "ohnehin findet man ja nicht den Parkplatz vor der Arztpraxis, den man sich wünscht"

    Also da muss ich zumindest für die stuttgarter hasenberg- Ecke rotebühlstr widersprechen. Die dortige Apotheke / praxis hat einen eigenen doppelstellplatz direkt vor der Tür, der extra flächig rot markiert wurde und im kurzparkbereich mit weißen querstreifen ausgestattet ist.
    Diese Infrastruktur ist super angelegt und wird von lieferdiensten und kundinnen jeden alters sehr gut angenommen.

    So geht moderne Verkehrsplanung!

    (allein die Markierung wurde fehlerhaft ausgeführt: statt des Apotheken "A" wurde ein fahrradsymbol verwendet. der betreiber hatte neulich aber auch schon unter protest einen tag geschlossen - vermutlich deswegen)

    Karl g. fahr

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    1. Das ist aber in diesen Innenstadtbereichen anders, und um die geht es ja eigentlich. Für solche Stadt- oder Stadtteilzentren gibt es Tiefgaragen oder Parkhäuser, wo immer Stellplätze frei sind. Aber solange die Leute hoffen, vor dem Laden oder der Arztpraxis einen Stellplatz zu finden, kreisen sie durch die Straßen, stellen das Auto dann illegal ab, weil sie meinen, sie müssten ja das Recht haben, es abzustellen, oder müssen dann doch ein paar Meter laufen.

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