7. Oktober 2023

Radfahrende sind keine Verlegenheitsfußgänger:innen

Eine Radlerin fährt an eine rote Ampel heran und wartet. Die Ampel wird aber nicht grün. Sie wartet nach eigener Aussage minutenlang. Dann fährt sie vorsichtig los, obwohl noch rot ist. Die Polizei erwischt sie und kassiert ein Bußgeld von 100 Euro. 

So geschehen in Hamburg. Wie der Spiegel berichtet, sah die Polizei einen vorsätzlichen Rotlichtverstoß. Die Radfahrerin sah das nicht so und fragte sich, was sie tun soll, wenn eine Ampel nicht grün wird. Sie wehrte sich gegen das Bußgeld, die Behörde bestand auf der Zahlung und sie ging vor Gericht. Das Amtsgericht gab den Behörden Recht. Die Radlerin hätte schließlich auch ihr Rad über den parallelen Fußgängerüberweg schieben können. Dagegen legte sie Beschwerde beim Oberlandesgericht ein. Und das sah die Angelegenheit sehr viel differenzierter und verwies die Sache ans Amtsgericht zurück. Die Geldbuße muss zumindest reduziert werden. 

Zwei Argumente sind für uns Radfahrende sehr interessant, vor allem das zweite: 

1. Wenn die Ampel nicht funktioniert, dann erlischt die Pflicht zum Anhalten. Das ist auch der Fall, wenn eine Kontaktschleife vorhanden ist (so wie bei dieser Ampel), aber nicht auf das Fahrrad reagiert. Und sollte die Radfahrerin diese Kontaktschleife im Boden nicht gesehen und deshalb nicht gezielt überfahren haben, dann kann man ihr zumindest keinen vorsätzlichen Rotlichtverstoß vorwerfen. Die Frau glaubte, die Ampel sei defekt. Deshalb könne sie nicht wegen vorsätzlichen Rotlichtverstoßes verurteilt werden. 

2. Radfahrende dürfen nicht auf den Fußweg verwiesen werden. Das Amtsgericht hatte befunden, dass die Frau in diesem Fall vom Fahrrad hätte absteigen und den parallelen Fußgängerüberweg, der mit einer Drückerampel ausgestattet ist, benutzen müssen. Und auch das sah das OLG anders: Die Frau habe nicht als Fußgängerin, sondern als Radfahrerin am Verkehr teilgenommen. Radfahrende seien nicht etwa als "qualifizierte Fußgänger:innen" anzusehen, denen "nach Belieben angesonnen werden könnte oder müsste, vom Fahrrad abzusteigen und fortan als Fußgänger:in am Verkehr teilzunehmen". (Es sei denn es gibt eine besondere verkehrsrechtliche Anordnung, also wenn keine Schilder aufgestellt sind.) 

Das sind Antworten auf die Fragen, die wir uns hier auch schon gestellt haben. In der Geißeichstraße (Foto oben) gibt es eine Induktionsschleife, die nicht auf mein Fahrrad reagiert hat. An der Ausfahrt vom Waldfriedhof auf die Karl-Kloß-Straße reagiert die Ampel auch nicht auf Radfahrende, sehr wohl aber auf Autos (das könnte aber inzwischen korrigiert worden sein, denn ich habe es weitergemeldt). Und es gibt in Stuttgart sicher noch weitere, deren Induktionsschleifen nachjustiert werden können, sobald die Stadt davon erfährt (Gelbe Karte schreiben). Wer sich nicht mit Polizei und Gerichten herumstreiten will, sollte im Fall einer nicht grün werdenden Ampel das Fahrrad drum herum schieben, wer radelt hat zumindest keinen vorsätzlichen Rotlichverstoß begangen. 

Dass von uns nicht erwartet werden kann, dass wir mal kurz zu Fußgänger:innen werden, wenn der Straßenverkehr für uns nicht funktioniert, finde ich aber das interessanteste Argment des Oberlandesgerichts Hamburg. Was das bedeuten könnte, muss ich noch durchdenken. 

12 Kommentare:

  1. Es sollte bedeuten, dass wir als Verkehrsteilnehmer ernstgenommen werden.
    In der Praxis interessiert so ein Urteil allerdings niemanden. Wie auch, wenn die ausführenden Behörden ja noch nichtmal die aktuell geltenden Regel kennen bzw. umsetzen.

    AntwortenLöschen
  2. Pélé
    Das dürfte vor allem auch bei @LaSuze-Momenten wichtig werden, wenn mann "hart " bleibt und die Polizei oder der in die Engstelle falsch einfahrende PKW Lenker auf den Gehweg verweisen will.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, das ist so ein Moment. Allerdings weichen halt auch Autofahrende über Gehwege aus, wenn die Fahrbahn zu eng wird, zuweilen in erheblichem Tempo. Das ist natürlich verboten. Einer Autofahrerin habe ich mal erklärt, dass sie nicht erwarten könne, dass ich jetzt über den Gehweg ausweiche. Sie aber hätte das, wenn sie auf meiner Straßenseite gefahren wäre, sofort getan. Ohne Zögern.

      Löschen
  3. Es wird nicht zuverlässig nachjustiert nach gelben Karten. In Vaihingen gibt es eine kameragesteuerte ampel, die Radfahrer im Dunkeln nicht erkennt. Drei oder vier Mal gemeldet, am Ende sogar mit dem Dienstleister telefoniert (er hat angerufen), aber passiert ist nichts.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Welche Ampel in Vaihingen ist das denn?

      Löschen
    2. Durch die Scharrstraße über die Möhringer Landstraße in Richtung Gleise. An der Kreuzung ist auch ein Reifenservice. Man erkennt das, will an der Ampel eine kleine Kamera montiert ist. Erkennt die einen leuchtet sie kurz auf. Im Dunkeln passiert das auch mit hellem Fahrradlicht nicht. Die Ampel wird erst dann grün, wenn irgendein Auto kommt (egal ob Gegenverkehr oder hinten dran).

      Löschen
  4. Es gibt auch noch die Steigerungsform dieser Situation: Ich fahre auf eine Ampel zu die auch einfach nicht grün wird. Es gibt aber hier keine parallel verlaufende Querung für Fußgänger über diese Hauptstraße, die dann als Plan B herhalten kann.
    Diese LSA steht am Ortsrand von Neuhausen: https://www.google.de/maps/@48.6908924,9.2721434,325m/data=!3m1!1e3?entry=ttu. OK - wenn ich das nächste Mal dort lang komme und das Problem weiter besteht versuche ich es noch mal die Stadtverwaltung zu kontaktieren - vielleicht reagieren sie ja dieses Mal (soll ja dort mittlerweile auch eine Planstelle für den Radverkehr dort geben....)

    AntwortenLöschen
  5. Wenn man eine Ampel melden will, deren Kontaktschleife keine Radelnden registriert, wer ist dann der richtige Ansprechpartner?
    Ich hab's mal vor 3 Wochen mit einer E-Mail an die Straßenmeisterei des Landkreises versucht, es kam keine Reaktion. Es handelt sich um eine Kreuzung von Landes-, Kreis- und innerörtlicher Straße.
    Gruß von Martin aus Lorch

    AntwortenLöschen
  6. Im Prinzip muss doch bei Berücksichtigung der von Deutschland ratifizierten Behinderungsrechtskonvention (in D seit 2009 rechtlich verbindlich in Kraft) zwingend davon ausgegangen werden, dass Radfahrende nicht gezwungen werden dürfen abzusteigen, da dies einem Verkehrsverbot für etliche Gruppen (Handbike, Dreiräder von Gehbehinderten, etc, etc,) gleichzusetzen wäre.
    Inklusiver rechtskonformer Radverkehr und Pflicht zum Absteigen schliessen sich definitiv gegenseitig aus.
    Alfons Krückmann

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Da das Amtsgericht festgehalten hat, dass es "möglich war abzusteigen" würde ich das nicht so pauschal sehen, das Urteil war ja nicht pauschal. Du hast aber hoffentlich Recht, dass die Behinderungsrechtskonvention vor einer solchen Regelung per Verkehrsregel schützt.

      Löschen
  7. #keinerechtekeinepflichten

    karl g. fahr

    AntwortenLöschen
  8. Jörg
    Danke an die Dame aus Hamburg und ihre Unterstützer*inen. Gut das das OLG die Dinge sagt die in StVO fehlen. In den üblichen Regelwerken sollte die Benutzbarkeit der Wege für alle rein. Insbesondere für den Umweltverbund. Teure Tal- und Flussbrücken ohne Rad-Fußweg sollte es nicht mehr geben.

    AntwortenLöschen