9. Oktober 2023

Wenn Lastwagenfahrer einfach mal neue Verkehsregeln aufstellen

Blogleserin Wibke hat mir einen Brief geschrieben, in dem sie sich über Warnaufkleber auf Tansportern, Bussen und Lkw wundert, die sich an Radfahrende richten. 

Sie hat mit auch ein Foto geschickt. Man sieht einen Lkw, auf dem rechts ein Dreieck klebt, auf dem steht: "Fahr niemals rechts vorbei!" Darunter das Signet der Dekra. Sie hat aber auch Amazon-Fahrzeuge gesehen, auf denen ein Aufkleber mit einem Fahrrad und der Ansage klebt, dass Radfahrende beim links-Vorbeifahren am stehenden Fahrzeug aufpassen sollen. 

Auch wenn wir Radfahrende uns im Eigeninteresse immer der Gefahr bewusst sein müssen, die von Lkw-Fahrern für uns ausgeht, die beim Abbiegen nicht in die Rückspiegel gucken, so zeigt sich hier wieder der Versuch, die Opfer für die Fehler der Autofahrenden verantwortlich zu machen. Und zwar, weil es den Lkw- oder Bus-Fahrern offenbar lästig ist, wenn sie sich ständig vergewissern müssen, ob am rechten Straßenrand (wo der Autoverkehr die Radfahrenden ja so gerne haben will (nicht in der Mitte)) ein Radler oder eine Radlerin unterwegs ist. Aber dürfen Autofahrende - und dazu gehören Lkw-Fahrende auch - einfach so per Aufkleber Befehle an Verkehrsteilnehmende erteilen? Fahrt nicht an mir vorbei! Überholt mich nicht! 

Dieses Schild geht wohl auf eine Initiative der Dekra zurück. Sie forderte 2018 tatsächlich, dass Radfahrende Lkw nicht mehr rechts überholen dürfen und der Paragraf 5 Satz 8 der StVO gestrichen werden sollte. Er lautet: "Ist ausreichender Raum vorhanden, dürfen Rad Fahrende und Mofa Fahrende die Fahrzeuge, die auf dem rechten Fahrstreifen warten, mit mäßiger Geschwindigkeit und besonderer Vorsicht rechts überholen." Also, wenn der Vekehr steht, darf man rechts vorbei. Sonst nicht! 

Für Radstreifen ist das allerdings irrelevant, denn Radfahrstreifen sind nicht Teil der Autofahrbahn, auf ihnen dürfen Radfahrende auch schneller fahren als die Autos links neben ihnen rollen. Sie sind dazu da, die Geschwindigkeiten zu trennen. Bei sogenannten Schutzstreifen kann man ins Grübeln kommen. Sie sind Teil der Fahrbahn. Andererseits gilt auf ihnen wie auch für Autos auf mehreren Fahrspuren einer Fahrbahn, die durch eine gestrichelte Linie voneinander getrennt sind, dass auch mal auf der rechen Spur schneller gefahren werden darf als auf der linken (denn so stauen sich die Autos in der Hauptverkehrzeit mehrspurig durch die Stadt). Eindeutig geregelt ist, dass Autofahrende, die über einen Schutzstreifen nach rechts (oder links) abbiegen wollen, den Geradeausverkehr der Radfahrenden durchlassen müssen. Sobald sie bremsen ist der Radfahrer schneller, und Autofahrende müssen dann warten. Sie müssen also zwingend nach hinten gucken!

Dass der Gesetzgeber sich um diese Forderung nicht gekümmert hat, scheint die Dekra so geärgert zu haben, das sie eine Kampagne startete. Auf der Seite heißt es: "Beim Abbiegen von LKW kommt es immer wieder zu Unfällen mit der Folge, dass Fußgänger und Radfahrer schwer verletzt werden. Grund hierfür ist häufig der „tote Winkel“. Um Unfälle wie diese zu vermeiden, ist die technische Weiterentwicklung der Fahrzeuge – beispielsweise die Nachrüstung eines Abbiegeassistenzsystems – eine wichtige Maßnahme. Mindestens genauso wichtig ist die Aufklärung über die Gefahren des „toten Winkels“. Auch wir möchten dazu beitragen, derartige Unfälle zu verhindern und rüsten unsere Fahrzeuge mit dem Aufkleber „Fahr niemals rechts vorbei!“ aus. Wir möchten damit vor allem Fahrradfahrer darauf hinweisen, an einem an der Ampel wartenden LKW nicht rechts vorbeizufahrenAlle Verkehrsteilnehmer sollten darauf achten, gefährliche Situationen zu vermeiden, die teilweise zu schweren Unfällen führen können. Auch wir tragen unseren Teil dazu bei, indem wir unsere Kraftfahrer/-innen regelmäßig in Gefahrenprävention unterweisen!" Aus dem Jahr 2018 findet sich im Netz eine solche Dekra-Aktion, in der Kindern beigebracht wird, den sogenannten toten Winkel bei Lkw zu respektieren. Den Toten Winkel gibt es allerdings nicht mehr. Dem widerspricht Pro Velo Zürich. Er sei nur kleiner geworden. 

Im Radverkehrsforum wurde dieses "Rechtsvorbeifahrtverbot" damals auch diskutiert. Es lohnt sich, die Diskussion bis zu Ende durchzulesen. Denn ein Kommentar zeigt, dass die Dekra bei den Demonstrationen des toten Winkels unlauter arbeitete. Ein Teil der Außenspiegel wurde verhängt, damit die Leute, die mal einsteigen durften, einen toten Winkel erlebten, der durch die Außenspiegel, die Vorschrift sind, eigentlich aufgehoben wird. Die Lkw-Fahrer müssten sich halt nur die Mühe machen, vor dem Abbiegen auch in die Rückspiegel zu gucken. Langsam fahren müssen sie ohnehin. 

Wibke schreibt: "Ich habe den Eindruck, dass über solche Aufkleber versucht wird, die Verkehrsregeln anders zu interpretieren (warum sollte ein Radler denn niemals rechts am Lieferwagen vorbei fahren, solange es im Rahmen der Verkehrsregeln ist?), resp. zu begründen, warum der Amazon-Fahrer, der einfach die Tür öffnen, jetzt auf den Radler schimpfen kann, der gerade versucht auszuweichen. Kurzum, als ob sich Lieferwägen und co eigene Regeln geben würden, und nun verlangen, dass alle anderen die von ihnen aufgestellten Regeln beachten sollen." 

Diesen Eindruck kann man in der Tat haben. Und dass manche Autofahrende einfach nicht einsehen wollen, dass sie dafür verantwortlich sind, wenn sie mit ihrem Auto oder Autotüren Radfahrende und Fußgänger:innen verletzen oder töten. Eine Warnung vor der Unaufmerksamkeit von Lastwagenfahrern mag ja zur Not okay sein, aber dann bitte als freundliche Warnung, nicht als Befehl. 


23 Kommentare:

  1. Der Aufkleber sieht aus wie eine Imitation der in Frankreich jetzt obligatorischen Tote-Winkel-Warnaufkleber auf +3,5t-Fahrzeugen, die zwar keine direkte Warnung aussprechen, aber durch das darauf befindliche Warndreieck ebenfalls eine Umkehr der Verantwortung herstellen.

    https://www.adac.de/news/wohnmobil-frankreich/

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    1. "Attention" steht auch noch drauf also doch direkte Warnung.

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    2. "Attention", also "Achtung", finde ich ok. Denn selbstverständlich ist es ratsam, an einem Lkw vorsichtig vorbeizufahren. Da sehe ich allenfalls ein Gebot, eher einen Rat. Dagegen spricht der Dekra-Aufkleber ein konkretes Verbot aus - und so etwas geht gar nicht.
      Thomas

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    3. Na ich weiß nicht, das öffnet doch Tür und Tor, dem Radfahrer grundsätzlich eine Mitschuld zu geben.

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    4. Schlimmer ist eigentlich, dass Radfahrende glauben, dass es so ein Gebot geben könnte, denn sie sehen es ja auf dem Schild vor sich. Und am Ende glauben sie, dass sie selber Schuld sind, wenn ein Abbiegender sie anfährt.

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    5. Das sind eigentlich zwei Seiten derselben Medaille.

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  2. Jörg
    Wir kennen doch die Bilder Radstreifen wo ein LKW ganz legal direkt daneben ist. Auf keinem Werksgelände darf man so dicht in den Gefahrenbereich.
    Man sollte wirklich nicht in den Gefahrenbereich einfahren. Leider ist es so, die Stadtplanung schickt die Radfahrenden mit den Strichen auf den Fahrbahnen in den Gefahrenbereich. Manchmal ist es so der LKW kommt von hinten und schon ist man im Gefahrenbereich.

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    1. Ich empfehle ja auch, sehr aufzupassen, wenn man links neben sich einen Lkw hat. Allerdings sollte der Straßenverkehr so organisiert werden, dass nicht schon das System selbst die Radfahrenden in Gefahr bringt. Gleichzeitiges Rechtsabbiegen mit Radverkehrsanlagen rechts von Autospuren muss generell unmöglich sein, wenn Autofahrende damit überfordert sind, dabei auch noch auf den Radverkehr zu achten.

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    2. Beim Märchen vom totem Winkel sind es komischerweise immer "dumme" Radfahrer , die sich rechts neben den wartenden LKW stellen, nie aber verantwortungslose LKW-Fahrer die sich links neben bereits wartende Radfahrer stellen.
      Und wie kommen diese Fahrer überhaupt auf Idee, das sie mit einem "toten Winkel" am Straßenverkehr teilnehmen dürfen ? Denn Straßenverkehr wird auf Sicht abgewickelt und ein "toter Winkel" ist damit ein erhebliches Sicherheitsrisiko. Deswegen wird in §56 StVZO auch gefordert :
      "(1) Kraftfahrzeuge müssen nach Maßgabe der Absätze 2 bis 3 Spiegel oder andere Einrichtungen für indirekte Sicht haben, die so beschaffen und angebracht sind, dass der Fahrzeugführer nach rückwärts, zur Seite und unmittelbar vor dem Fahrzeug – auch beim Mitführen von Anhängern – alle für ihn wesentlichen Verkehrsvorgänge beobachten kann."
      Ein KFZ mit einem toten Winkel ist damit nicht verkehrssicher und da KFZ-Führer vor Antritt der Fahrt ihr Fahrzeug in einen verkehrssicheren Zustand bringen müssen, darf man damit erst gar nicht losfahren.
      Markus

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  3. "denn Radfahrstreifen sind nicht Teil der Autofahrbahn, "
    Ist es im 'Daimler-Bundesland' eigentlich üblich geworden die allgemeine Fahrbahn als '"Autofahrbahn" umzuetikettieren?
    Und wenn ja: Warum?
    Wo liegt der Vorteil der Verwendung dieser fachlich falschen Autolobby-Begrifflichkeit?
    Alfons Krückmann

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    1. Ich versuche manchmal zu präszisieren, damit man es beim schnellen Lesen auch gleich verorten kann. Für mich ist ein Radstreifen natürlich auch eine Fahrbahn, ist er da, gibt es aber leider Autofahrbahnen (auf denen Radfahrende nicht fahren dürfen). Insgesamt ist die Sprache, die wir für unseren Straßenverkehr so haben, nicht gut geeignet, um den Rad- und Autoverkehr missverständnisfrei und gleichberechtigt zu beschreiben. Aber vielleicht fallen mir da mal noch bessere Begriffe ein.

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    2. Was die Verständlichkeit beim schnellen Lesen angeht stimme ich zu, aber m.E. steht diesem vermeintlichen Vorteil der erhebliche Nachteil von sprachlich bzw. begrifflich immanenter 'Desinformation' gegenüber.
      Z.B. gilt auch bei Vorhandensein eines Radstreifens ja nicht generell die Benutzungspflicht (ist nur mit Z.237 der Fall), wobei dann die Zuschreibung 'Autofahrbahn' sachlich falsch ist. Aber auch bei Unzumutbarkeit oder Unbenutzbarkeit eines benutzungspflichtigen Radweges/Radstreifens (Glatteis, rutschiges Laub, Scherbenhaufen, Falschparkende, etc.) stellt die nebenan befindliche allgemeine Fahrbahn keinesfalls eine 'Autofahrbahn' dar.
      Von Fußgehenden mit Handkarren, Pferden/Kutschen und dergleichen mal ganz zu schweigen, welche ja sogar i.d.R. verpflichtet sind die allgemeine Fahrbahn zu benutzen.
      In all solchen Fällen würde die Zuschreibung von 'Autofahrbahn' - wörtlich genommen - vielfach ein komplettes Verkehrsverbot bzw. Streckenverbot für alle nicht Autofahrenden bedeuten, was m.E. nicht nur abzulehnen ist, sondern auch einen erheblichen Rechtsverstoß darstellen würde.
      Was spricht denn eigentlich gegen die (korrekten) Bezeichnungen 'allgemeine Fahrbahn' für den Regelfall und 'Autofahrbahn' für den Sonderfall bei Autobahnen und Kraftfahrstraßen?
      Geht dabei Klarheit und Verständlichkeit verloren?
      Eher wird doch Klarheit geschaffen, zB dadurch, dass dem desinformierenden Narrativ von 'Fahrbahn ist für Autos, Rad braucht Radweg' eine klare und sachlich richtige Begrifflichkeit entgegengesetzt wird?
      Alfons Krückmann

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  4. Ich fände es wichtiger, wenn LKW ausreichend Seitenabstand beim Überholen halten würden, statt mit so einem Warnschild hintendrauf auf Tuchfühlung zu überholen. Wenn schon gefährlich, dann in beide Richtungen.
    Karin

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    1. Das kommt noch dazu, dass der eine oder andere Fahrer sowas als Ausrede benützen kann, seinen Pflichten zur Rücksichtnahme und Einhaltung der Regeln nicht nachzukommen.

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  5. Und wie sieht es mir Lastwagenfahrerinnen aus?

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  6. Tatsächlich ist es so, dass Lkw-Fahrerinnen sehr viel seltener Unfälle verursachen und dabei seltener andere Menschen töten. Sie fahren wie die meisten Frauen aufmerksamer und besser. Deshalb rede ich hier auch nicht von LkW-Fahrerinnen.

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    1. Für das Jahr 2022: Hauptverursacher mit Güterkraftfahrzeug bei Unfällen mit Personenschaden: Fahrer/in weiblich: 60 %, männlich: 59 %; Quelle: destatis.de

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    2. Nichts gegen Genderdebatten und Feminismus, die sind sehr wichtig, auch und gerade im Verkehr, aber hier geht's doch wirklich um was anderes.

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    3. Was hat eine Unfallstatistik mit dem vermeintlichen Aufstellen neuer Verkehrsregeln zu tun?

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  7. Natürlich gibt es tote Winkel bei Lkw. Sie sind nur kleiner als immer dargestellt. Mehr dazu findet ihr in diesem Beitrag: https://www.darmstadtfaehrtrad.org/?p=3724. Nicht gut ist, dass Vereine wie die dekra tote Winkel verfälschen und Verkehrssicherheit fast nur bei den Nutzern sehen. Ebenso schlecht ist das Negieren von toten Winkeln, denn auch hier wird die Verantwortung beim Einzelnen gesehen und übersehen, dass „Übersehen“ zu menschlich ist, als dass man damit Verkehrssicherheit fundiert. Beides verhindert die Chance, Verkehrssicherheit endlich den Herstellern aufzubürden, die dafür sorgen müssen, dass ihre Fahrzeuge sicher sind. So wie Lkw heute rumfahren dürften sie gar nicht zugelassen werden.

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    1. Bei Vorhandensein aller vorgeschriebenen und dann auch korrekt eingestellten Spiegeln gibt es tatsächlich einen toten "Winkel" - hinter dem LKW, alles andere wird durch Spiegel einsehbar. Siehe auch einen Post der Polizei HH - https://www.facebook.com/polizeihamburg/posts/1863386513921734

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    2. Ich finde nicht, dass die Verantwortung auf Einzelne übertragen wird, sondern dass Einzelne ggf. nicht reichen, wenn das Fahrzeug den sicheren Betrieb (insb. innerorts) mit einer Person nicht hergibt (Verantwortung also dort wo entschieden wird die Fahrzeuge mit einer Person zu fahren).

      Vielleicht kann man die Warnaufkleber also als, "dieses Fahrzeug ist nicht zulassungsfähig" lesen :D

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