Wenn wir über mehr Radverkehr und weniger Autoverkehr in Stuttgart reden, höre ich immer wieder, wir seien wirtschaftlich abhängig von Mercedes-Benz, weshalb bei uns in der Stadt viele Autos fahren müssten.
Das klingt für mich so, als lebe Mercedes von den Autos, die die Stuttgarter:innen kaufen und fahren, und wenn dienun auf Fahrräder umstiegen oder man mit dem Auto nicht mehr in Stuttgart in jede Straße reinfahren dürfe, ginge unsere Autoindustrie ein und Stuttgart ginge wirtschaftlich unter.
Die Autos, die in Deutschland produziert werden, werden allerdings zu 77 Prozent exportiert, also gar nicht bei uns verkauft. 40 Prozent gehen nach China, das allerdings keine Verbrenner mehr abnimmt und wo unsere E-Autos nicht reüssieren können. Und wenn dann die günstigen E-Autos aus China zu uns kommen, wird unsere Autoindustrie alt aussehen. Was auf dem Weltmarkt passiert, wird Mercedes und Co sehr viel mehr beeinflussen als unsere Radverkehrspolitik. Der Ausbau Radverkehrs in Stuttgart wird gar keinen Einfluss haben.
Ohne Zweifel wird Deutschland und insbesondere auch die Region Stuttgart dominiert von der Autoindustrie und den Zulieferern. Rund 7,7 Prozent der Wirtschaftsleistung Deutschlands gehen direkt oder indirekt auf die Autoproduktion zurück, der Umsatz lag vor den Coronajahren bei gut 400 Milliarden Euro, nicht ganz 800.000 Menschen arbeiten in der Autoindustrie und bei den Zulieferern. Baden-Württemberg ist ein Industrieland mit starkem verarbeitendem Gewerbe mit den meisten Arbeitnehmer:innen im Maschinenbau und im medizinischen Bereich und dem größten Umsatz im Fahrzeugbau. Und was wir hier an Medizintechnik, Elektrotechnik und Chemie haben, hat Zukunftspotenzial.
2018 meinte der Spiegel, auch wenn die Autoindustrie systemrelevant sei, hätten Bankenkrisen verheerendere Auswirkungen als ein Niedergang der Autoindustrie in Deutschland. Und der drohe durch Verwerfungen im globalen Handel und die Folgen der Erderwärmung. Das Institut Prognos sah voraus, dass bis 2045 die Autoindustrie 40 Prozent ihrer Umsätze verlieren werden, wobei 260.000 Arbeitsplätze verloren gingen, was auch die Zulieferindustriezweite zu spüren bekämen. Aber nicht so stark, wie wir derzeit meinen. Die Wertschöpfung außerhalb der Autobranche werde um 2.2 Prozent sinken, die Zahl der Arbeitsplätze um 1,3 Prozent.
Die Fahrradwirtschaft beschäftig in Deutschland gut 325.000 Menschen. Ein riesiger Faktor ist dabei der Fahrradtourismus. Der Umsatz in der Fahrradbranche steigt ständig um Werte von 50 Prozent. 2022 waren es 45 Milliarden Euro. Hier sind Dienstleistungen, Leasing und Sharing ein großer Faktor. Der Fahrradtourismus macht übrigens vor, wie man wirtschaftlichen Erfolg hinkriegt: Ausgebaute Radwege erzeugten die große Nachfrage und damit ein enormes Wirtschaftswachstum. Im Fahrradtourismus stieg die Zahl der Beschäftigten auf 263.000. Dass unsere verschlafenen deutschen Großstädte sich die Einnahmen entgehen lassen, die ein der Fahrradtoursimus ihnen bescheren könnte, wundert mich ja immer wieder.
Schade, dass man von den Gehältern, welche die Fahrradindustrie bezahlt, sich ein Leben in Stuttgart nicht leisten kann.
AntwortenLöschenSobald sich die deutsche Autoindustrie vollends selbst zerstört hat, wird sich auch das schnell regulieren, da mache ich mir keine Sorgen. Bezahlbare Mieten für alle!
Löschen@Rainer: Die Fahrradindustrie zahlt sehr wohl gute Gehälter. Z.B. verdienen die Leute bei Bosch E-Bike in Reutlingen oder bei Jobrad in Freiburg nicht weniger als Angestellte in ähnlichen Positionen in der Automobilindustrie.
LöschenIn der Automobilindustrie verdienen übrigens nur diejenigen gut, die nicht bei externen Dienstleistern oder Verleihfirmen angestellt sind...
Sind sowieso alles akademische Spekulationen jetzt. Schon die Nachrichten gelesen, oder auch den Wetterbericht? Wir ham's vergeigt.
AntwortenLöschenGeorge Monbiot trifft den Nagel wieder auf den Kopf: "Can you see it yet? The Earth systems horizon – the point at which our planetary systems tip into a new equilibrium, hostile to most lifeforms? I think we can. The sudden acceleration of environmental crises we have seen this year, coupled with the strategic uselessness of powerful governments, rushes us towards the point of no return."
https://www.theguardian.com/commentisfree/2023/oct/31/flickering-earth-systems-warning-act-now-rishi-sunak-north-sea
Jörg
AntwortenLöschenWenn der Wirt sein bester Kunde ist wird es immer kritisch.
Als Konsument ist es einfach auf die Industrie zu schimpfen.
Das Auto ist für die NutzerInen praktisch. Die anderen Menschen werden durch Platzbedarf, Lärm und Unfallgefahr eingeschränkt.
Zurück zur Autoindustrie sie schrumpft aktuell und wird weiter schrumpfen, massloser Autokonsum wird sie nicht retten. Wellness Autositze für je 10.000 €. sind sowieso zweifelhafte Produkte. Einige nennen es Oberklasse.