| München, irgendwo |
Die Stauhauptstadt werde zur Fußgängerstadt, meint die Süddeutsche Zeitung (Bezahlschranke). Dabei ist das in Stuttgart auch nicht viel anders (siehe unten).
Befragt wurden von der Technischen Universität Dresden mehr als 40.000 Münchner:innen. Demnach stieg der Anteil der Fußwege am Modal Split in München zwischen 2017 und 2023 um 9 Prozentpunkte auf 33 Prozent. Der Radverkehr nahm um drei Punkte auf 21 Prozent zu. Der Autoverkehr aber sank um 10 Prozentpunkte auf 24 Prozent. Die Öffentlichen nutzten 22 Prozent (-2). Damit stieg der klimafreundliche Verkehr (Fuß, Rad, Öffis) auf 76 Prozent und bildet in München mehr als eine Zweidrittelmehrheit im Stadtverkehr. Die Menschen, die in Autos fahren und den meisten Platz belegen, sind eindeutig in der Minderheit.
Fußgänger:innen legten an einem Wochentag durchschnittlich 1,1 km zurück und brauchten dafür 17 Minuten (langsames Schlendertempo). Bei den Radfahrenden waren es 3,7 km, wofür sie zwanzig Minuten brauchten, was sehr langsamen 11,2 km/h entspricht. Bei den Autofahrten waren es im Durchschnitt 12,3 km bei knapp 30 km/h, wofür sie 25 Minuten brauchten. Die Öffentlichen werden ebenfalls eher für längere Strecken genutzt, im Schnitt waren es 2023 9,3 km in 37 Minuten.Ob in München, das ebenso wie wir in Stuttgart 2019 die Ziele des angekündigten Radentscheids übernahm, der Ausbau der Radverkehrsanlagen schneller vorangeht als bei uns, kann ich nicht beurteilen. Derzeit wird auf Lindwurmstraße ein geschützter Radfahrstreifen angelegt, gilt aber auch als Beispiel dafür, wie langsam und mühselig es für den Radverkehr vorangeht (Youtube-Bericht vom BR).
Stuttgart kann durchaus mithalten. Bei uns gehen noch mehr Menschen zu Fuß. Eine Mobilitätsstudie für Stuttgart aus dem Jahr 2022 zeigte, dass 31 Prozent der Stuttgarter:innen (einschließlich Pendler:innen) mit dem eigenen Auto fuhren, 36 Prozent gingen zu Fuß und 14 Prozent fuhren mit dem Fahrrad. Den ÖPNV nutzten 19 Prozent. Eine Erhebung von 2023 ergab wiederum, dass nur 9 Prozent Rad fahren. Dies ist aber nicht durch eine bei der Stadt Stuttgart abrufbare Studie belegt. Die letzte Zahl von 2023 weist 14 Prozent Radfahrende aus. Offensichtlich ist es nicht so leicht, herauszufinden, wie viele tatsächlich regelmäßig radeln. In der Innenstadt sind es jedenfalls sehr viel mehr als in den Außenbezirken.

Die vielen E-Scooter, die ich (i.d.R. als lästig&riskant) erlebe - werden die gar nicht erfasst bei solchen Erhebungen?
AntwortenLöschenInteressant wäre zu wissen, wie hoch die Anteile zu den jeweiligen Tageszeiten und den einzelnen Wochentagen sind.
AntwortenLöschenWenn die Zahlen generell auch nur ungefähr stimmen sollten, dann könnte doch ungehend ein Großteil der vin Autos benutzten Fshrbahnen umgewidmet werden ohne dass ein großer Aufschrei stattfindet.
Es sind in einer Stadt eigentlich immer mehr Menschen unterwegs, die nicht in Autos sitzen. Man sieht sie nur nicht so deutlich wie die Unmassen Autos. Sie gehen am Rand auf Gehwegen oder durch Parks, sie radeln durch Nebenstraßen, Grünanlagen und auf Radwegen. Autofahrende sind zu einer bestimmten Stunde in einer Stadt immer in der Minderzahl, brauchen aber den meisten Platz. Und je mehr Menschen die Fahrbahn frei machen (weil sie laufen oder Rad fahern), desto mehr Autofahrende rücken nac (gerne auch von Außerhalb in die Stadt fahrend), weil sie das Gefühl haben, man kommt ja gut durch die Stadt. Erst, wenn man Autofahrbahnen reduziert, reduziert sich auch der Autoverkehr.
LöschenTeil1
AntwortenLöschenOft ist scheinbar noch gar nicht klar, was diese 'Anteile' eigentlich aussagen, und was nicht?
So wie im Artikel aufgeführt, werden die Daten in der Regel erhoben und beständig kommuniziert, weswegen viele Menschen glauben, daraus ließe sich ableiten inwieweit die Klima- und Umweltziele im Verkehr erreicht würden, etc.
Das ist so definitiv nicht der Fall.
Weder Kfz/Pkw-Dichte (wieviel Kfz/Pkw auf 1.000 Menschen), noch die Fahrleistung werden dabei gemessen, so dass schon mal die beiden relevantesten Messwerte im Generellen nicht vorhanden sind.
Dazu kommt aber noch, dass nicht etwa der Verkehr in der jeweiligen Stadt gemessen wird, sondern ausschließlich die Binnen-Einwohnerschaft berücksichtigt wird (Einwohner-Wege-Modal Split)
100 Meter zum Bäcker (Fuß), 100 Meter zur Dönerbude (Fuß), 2km zur Post (Rad) und 100km zur Oma nach Augsburg (Auto) werden als je 50%Fuß, 25%Rad, 25%MIV Anteil erfasst, während die Einpendler-Fahrt von 40km aus dem Umland gänzlich unterm Tisch bleibt. (sind ja keine Einwohner beteiligt). In dem Beispiel ergibt sich dann fahrleistungsbezogen bei Top Umweltverbund-Anteilen ein regionaler ModalSplit von knapp 100% MIV und absolut 140km MIV Fahrleistung.
Die Erfassung und Kommunikation von 'Radverkehrsanteilen' bildet also keineswegs das reale Verkehrsgeschehen ab, und es darf dementsprechend auch nicht aus den Befragungen in diese Richtung rückgeschlossen werden.
Hinzu kommt noch, dass der Binnenverkehr und der Pendelverkehr keine voneinander unabhängigen Größen sind, sondern sich, zumindest in den rush-hour Zeiten, gegenseitig beeinflussen.
Faustregel: Staubildung im Binnenverkehr verkürzt den MIV-Erreichbarkeitsradius, erfolgreiche Anti-Staumaßnahmen im Binnenverkehr (zB höherer separierter Rad und Fuß Anteil) erweitern die MIV-Erreichbarkeitsradien, wobei dann - komplett vorbei an den obigen Umfrageergebnissen - die Entwicklung im realen Verkehr (also Fahrleistung incl. Pendler:innen, sowie Autodichte) bei 'besseren' Binnenverkehrs Wegeanteilen sogar zu sehr deutlichen Zuwächsen des Autoverkehrs (regionale Fahrleistung) führen kann bei bzw. u.U. sogar wegen 'verbesserten' Radverkehrs- und Fußverkehrsanteilen.
Wer sich für das Thema interessiert kann sich am besten mal eine diesbezügliche Untersuchung der TU-Dortmund (Der Modal Split als Verwirrspiel, Holz-Rau et al. 2018, peer reviewed veröffentlicht in Straßenverkehrstechnik 8 2018 S.539ff.) 'reinziehen'.
Alfons Krückmann
Teil 2 Als 'appetizer' mal eine kurze Passage daraus:
AntwortenLöschen"(...) wurde gezeigt, dass sich insbesondere der Modal Split der Kernstadtbevölkerung weder als Kenngröße der Verkehrsmittelnutzung für Städtevergleiche noch für die Beschreibung zeitlicher Entwicklungen eignet.
(...)
Entsprechend ist der Modal Split, wie leider häufig praktiziert, für die Formulierung strategischer Ziele der Verkehrsplanung sowie für die Erfolgskontrolle weitgehend ungeeignet. Diese sollen sich vorrangig auf absolute Aufkommens- und Aufwandsziele sowie deren Veränderungen stützen.
Beispielsweise könnte die Zielformulierung für die Reduzierung des MIV wie folgt lauten:
"Die durchschnittliche Fahrtenhäufigkeit mit dem MIV als Fahrer soll in der Region in den nächsten 10 Jahren von 1,5 auf 1,2 Fahrten pro Person und Tag sinken, in der Kernstadt von derzeit 1,0 auf 0,7 und im Umland von derzeit 2,0 auf 1,5 Fahrten pro Person und Tag. Die täglichen Distanzen mit dem MIV als Fahrer sollten gleichzeitig von 20 auf 16 km/Person und Tag abnehmen, in der Kernstadt von 13 auf 10, im Umland von 25 auf 20km/Person und Tag. (...) Kontrolle in 5 und 10 Jahren (...)"
(...) Gleichzeitig erfassen Verkehrszählungen auch den Güterverkehr, dessen Zunahme (...) zu einem immer größeren Problem wird. (...).
Dabei soll die Verkehrsmittelnutzung und ihre Entwicklung aber nicht nur komplex erhoben und analysiert werden, sondern (...) auch komplex kommuniziert und nicht auf den Modal Split reduziert werden. "
Tipp: Langfassung besorgen
Alfons Krückmann
Teil 3
AntwortenLöschen"Demzufolge ging bis 2023 in den Metropolen der Autoverkehr zurück (je größer die Stadt, desto mehr)."
Die Zahlen sind insbesondere was Trendbildung (Prognose) angeht zu kontextualisieren. Im MID 2023 wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Prognosebildung aus den aktuellen Befunden nicht(!) statthaft ist.
Oft wird ja vergessen, dass die Randbedingungen eine zentrale Rolle spielen. Bei Corona war das auch für Laien einsehbar, aber aktuell scheint das BEwu0tsein über die Rolle der Randbedingungen wieder in den Hintergrund zu rücken.
Die Rückgänge resultieren im Wesentlichen aus post-corona homeoffice-Effekten, wodurch die Zahl der Pendlerfahrten reduziert wurde, und damit auch (zunächst) die Fahrleistung des MIV-Pendelverkehrs abgesunken ist.
Optimismus ableitbar?
Keinesfalls, da mehrere Randbedingungen zu berücksichtigen sind:
- die homeoffice Gewinne werden erst mit Latenz ihre rebounds und ggf. backfire-Effekte offenbaren. Wer nur 3x die Woche pendelt zieht nicht sofort, sondern erst beim nächsten Veränderungsmoment ggf. ins weiter entfernte (billigere) Umland, wodurch die Fahrleistung pro Weg ansteigt und die Wegeverringerung kompensiert. Zusätzlicher Treiber sind die starken Mietsteigerungen in den Metropolen/Regiopolen/Oberzentren.
- Die Zahlen der letzten Jahre sind unter Bedingungen von BIP Stagnation/Wirtschaftsrückgang zu interpretieren, wobei BIP und Fahrleistung i.d.R. korrelieren
- der aktuellen teilweisen Entlastung beim MIV steht eine signifikante Steigerung beim Straßengüterverkehr gegenüber, was gern mal übersehen wird.
- die Effekte des sich ausweitenden Militärsektors werden nicht berücksichtigt
Im Summe:
Leider Nein!
Keinerlei datenbasierter Grund für akuten Optimismus in Richtung Verkehrswende.
Alfons Krückmann
Das Problem ist eigentlich die elend schlechte Datenlage, weshalb wir auf Anhaltspunkte blicken wie die der Selbstauskunft über Mobilität. Auch wenn die Zahlen nicht sonderlich aussägekräftig sind, wäre das Signal "immer weniger gehen zu Fuß und fahren Fahrrad, immer mehr fahren wieder mit dem Auto" durchaus aussagekräftig im Hinblick auf unser Mobiltätsverhalten und unsere Zukunft.
AntwortenLöschenDas glaube ich nicht. Im Gegenteil sind die Uahlen so verfälscht, dass sie im Prinzip quasi das Gegenteil aussagen von dem was eigentlich passiert.
LöschenNaja, die Umfragen werden ja i.d.R. durchaus seriös durchgeführt, und es gibt zudem auch Verkehrszählungen, wobei auch da nicht von Manipulationen ausgegangen werden sollte. Bei der Autodichte ist Manipulation ziemlich ausgeschlossen.
LöschenDas Problem besteht nicht darin, dass "verfälscht" wird, sondern eher in der Wahl der Messmethoden und der Auswahl der erfragten und der technisch erhobenen Daten.
Ferner bestehen noch erheblich Probleme bei der internationalen Vergleichbarkeit, ärgerlicherweise sogar innerhalb der EU.
Alfons Krückmann
Danke an AK, die Dinge hier gerade zu rücken.
AntwortenLöschenMan muss leider vermuten, dass diese Dinge zumindest von manchen Verantwortlichen bewusst so falsch und verzerrend kommuniziert werden.
Es wird wie immer suggeriert, man könne mit dem Drehen kleiner Stellschrauben etwas bewirken, ohne große Veränderungen am System, bzw dessen grundlegender Infragestellung. In etwa wie bei der Glühbirne Verordnung der EU, die den Anteil von 2% der Beleuchtung am gesamten Energieverbrauch eines Haushalts halbierte, aber als der große Wurf gefeiert wurde und wird...
Dass man, wenn man beim Verkehr etwas ändern will, an sämtliche Stellschrauben der Strukturpolitik, der Verkehrspolitik, der Wirtschaftspolitik, dass man am ganzen System ansetzen muss, das will man den Menschen nicht zumuten. Und wie denn auch, wenn man jahrzehntelang den Leuten nichts anderes als das das Haus, das Auto, den Urlaub als die großen Fortschritte des Kapitalismus verkaufen hat können?
Also mich hat das Deutschlandticket zum Fußgänger gemacht. Vorher war ich Radfahrer mit ewig Flicken auf dem Po. Das war so gar nicht beabsichtigt, aber offenbar ist es noch praktischer, zufuß und mit den Öffis unterwegs zu sein. Zuerst dachte ich noch, nach der ersten Euphorie kommt die Ernüchterung, aber inzwischen liebe ich den Flow, in dem man unterwegs ist. Man ist mehr miteinander unterwegs, als mit dem Fahrrad und das stimuliert positiv. Diese kleine Stellschraube Monatskarte hat mehr als nur meine Mobilität verändert.
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