22. November 2025

Nur wenige sitzen optimal auf dem Fahrrad

Eigentlich sitzt fast niemand optimal auf dem Fahrrad. Das sagt Bikefitter Kim Alexander Tofaute in einem langen Interview mit der Süddeutschen Zeitung. 

Bei kurzen Fahrten von einer Viertelstunde ist alles super. Aber bei längeren Radfahrten entstehen Schmerzen oder Taubheitsgefühle. Meist liegt das am Sattel, oft aber auch an der falschen Rahmengröße. Auch Tofoute warnt davor, sich zu große Fahrräder verkaufen zu lassen, was wohl besonders oft im Pedelec-Bereich passiert. Sitzt man zu weit nach vorn gebeugt, werden die Hände taub und im Genitalbereich gibt es Probleme. Ist der Sattel zu tief oder zu hoch eingestellt, dann wird das Radeln bei langen Strecken anstrengend oder schmerzhaft. Ein paar Zentimeter können da viel ausmachen. 

Die Sattelhöhe: Der Fachmann empfiehlt in der Süddeutschen Zeitung für die grobe Orientierung, sich neben das Fahrrad zu stellen und den Sattel auf Hüfthöhe einzustellen. Die Hüfte ist die breiteste Stelle des Beckens, also eigentlich die Stelle, wo sich das Hüftgelenk befindet. Wenn man sich dann aufs Rad setzt - dabei an einer Wand abstützen -, sollte man die Ferse aufs Pedal stellen. Am tiefsten Punkt des Pedals sollte dann das Bein gestreckt sein. Genauer ist es, wenn man die eigene Beinlänge misst. Dazu stellt man sich barfuß auf den Boden und misst an der Beininnenseite die Entfernung vom Boden bis zum Schritt. (Ist man alleine, muss man sich dazu was einfallen lassen, am besten geht ein Zollstock.) Die Schrittlänge wird mit dem sogenannten Hügi-Faktor 0,885 multipliziert, beispielsweise 73 cm x 0,885 = 64,6 cm. Das wäre dann der optimale Abstand von der Mitte des Tretlagers bis zur Oberkante des Sattels. Der Hügi-Faktor wurde von einem gleichnamigen Schweizer in den 80er Jahren entwickelt. 

Der Sattel: Das ist eine Wissenschaft für sich, die zudem stark von persönlichen Vorlieben abhängt. Weich ist nicht immer besser, breit ist für manche Frauen dann doch zu breit, und nicht alle Männer brauchen schmale Sättel. Bei mir hat noch nie einer der beim Radkauf mitgelieferten Sättel gepasst. Und leider gibt es beim Sattelkauf viel Versuch und Irrtum. Ich habe über das Thema hier schon mal ausführlich nachgedacht. Für kurze Pedelec-Stadtfahrten braucht man sich nicht so viele Gedanken zu machen. Erst bei längeren Touren machen sich die Probleme bemerkbar. Die richtige Breite kann man im Vorfeld bestimmen. Man misst den Abstand zwischen den beiden Sitzbeinhöckern, also den tiefsten Knochenpunkten des Beckens. Der Interviewpartner der Süddeutschen schlägt vor, dass man auf einen harten Stuhl eine Wellpappe legt und sich darauf setzt, dann leicht nach vorne lehnt und die Knie leicht nach oben zieht. Seitlich schaukeln sollte man dabei nicht. Der Abstand zwischen den beiden tiefsten Eindruckstellen ist dann der Abstand, den man beim Kauf eines Sattels im Kopf haben sollte. Manche Fahrradläden haben aber auch Geräte, um den Abstand zu messen. 

Der Abstand zum Lenker: Wenn die Hände nach zwanzig Minuten Fahrt taub werden, helfen auch besondere Griffformen meistens nichts mehr, denn der Grund liegt darin, dass man sich beim Radeln zu sehr auf die Hände stützt. Und das ist ein Anzeichen dafür, dass der Lenker zu weit entfernt ist. Offenbar kaufen etliche Leute Pedelecs mit einer Rahmengröße, die eine Nummer zu groß ist, weil sie denken (oder der Händler meint), der Lenker wäre dann höher und Sitzposition aufrechter. Allerdings ist dann der Abstand vom Sattel zum Lenker auch weiter. Wenn man sich Zeit nimmt, beraten die Händler (Frauen sind fast nie darunter) meistens richtig. Lenkerhöhen lassen sich mit Unterlegscheiben verstellen, die Entfernung vom Sattel zum Lenker nicht. Zu kleine Fahrradrahmen empfinden die meisten Leute sofort als unbequem, aber viele, vor allem unerfahrene Radelnde, neigen dazu, den etwas zu großen Rahmen zunächst bequemer zu finden als den, der genau zu ihnen passt. Ich empfehle, das Fahrrad, das man sich kaufen will, mindestens eine halbe Stunde testzufahren. Und wenn dann was wehtut oder taub wird, mit dem Händler nach Abhilfe suchen!

Die Schuhe: Bei manchen werden bei längeren Fahrten auch die Füße oder Zehen taub. Das liegt bei Alltagsradelnden meistens an zu weichen Schuhsohlen. Sie verhindern, dass der Druck auf den Fuß gleichmäßig verteilt wird. Also erst einmal andere Schuhe ausprobieren, die eine festere Sohle haben! Es gibt aber auch plane und flache Pedale, auf denen mehr Fußfläche aufliegt als bei den üblichen am Rad verbauten Pedalen. Es mag auch vorkommen, dass jemand zu breite Füße für das Pedal hat oder die Füße zu weit außen aufsetzt, auch da helfen feste Sohlen oder eine Korrektur der Fußposition auf dem Pedal. Und wenn auch das nichts nützt, dann ist vermutlich die Sattelhöhe oder gar die Rahmengröße falsch.  

Die Fahrtechnik: Sportliche Radler:innen fahren mit deutlich mehr Körperspannung und vor allem Beinkraft als all diejenigen, die mit Pedelecs auf - oft auch längeren - Wegstrecken unterwegs sind, wobei man auch beim Pedelec Beinkraft einsetzen kann, wenn man will. Wer das tut, merkt schnell, dass er oder sie nicht mehr so schwer auf dem Sattel sitzt und dass die Hände nicht so viel Oberkörperlast tragen. 

Letztlich kann es jede und jeder so machen, wie es seinen oder ihren Zwecken dient und sich am bequemsten anfühlt. Radelt man viel durch die Stadt und stoppt und startet oft an Ampeln, dann kann es besser sein, wenn der Sattel etwas niedriger ist, sodass man problemlos mit einem Fuß auf den Boden kommt. Andere wiederum springen lieber ganz vom Sattel. Alles darf, nichts muss. Pedelec-Fahrende merken ohnehin lange nicht, ob das Fahrrad passt oder nicht passt, weil der Motor viel kompensiert, was Standardradler:innen mit Muskelkraft machen. Allerdings, wenn das Radfahren auf längeren Fahrten weh tut, zur Qual wird oder einem zu anstrengend erscheint, könnte man sich auf Fehlersuche begeben und dazu die oben genannten Kriterien anwenden. 

 

10 Kommentare:

  1. "Wenn man sich dann aufs Rad setzt - dabei an einer Wand abstützen -, sollte man die Ferse aufs Pedal stellen. Am tiefsten Punkt des Pedals sollte dann das Bein gestreckt sein."

    Würde ich meine Sattelhöhe zu einstellen, ist sie nicht mehr auf Hüfthöhe. Im Stadtverkehr, egal wie lang die Strecke, finde ich das auch extrem unpraktisch weil ich dann am jeder Ampel den Hintern vom Sattel nehmen muss, ich komme ja nicht mehr mit dem Fuß auf dem Boden wenn der andere auf dem Pedal steht. Und, mit so einer Fahrweise (gestricktes Bein) kriege ich auch noch Knieprobleme. Ich würde das höchstens als Anhaltspunkt nehmen und im Zweifelsfall den Sattel etwas tiefer stellen.

    Was ich sehr häufig beobachte sind Menschen die mit dem Mittelfuß auf der Pedale aufsetzen. Mir ist nicht ganz klar wie man so bequem Rad fährt. Ich hab das versucht und die gesamte Kraftübertragung ist vollkommen kaputt.

    Große Pedale möchte ich an meinem Stadtrad nicht mehr missen. Ich trage seit geraumer Zeit Minimalschuhe mit sehr weicher Sohle und die möchte ich nicht mehr tauschen gegen etwas festeres. Große Pedale sind da sehr hilfreich.

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    1. "weil ich dann am jeder Ampel den Hintern vom Sattel nehmen muss, ich komme ja nicht mehr mit dem Fuß auf dem Boden wenn der andere auf dem Pedal steht."
      Genau das muss man aber, wenn man einen richtig eingestellten Sattel will, beides gleichzeitig geht nicht. Wenn ich nicht aus meinem (richtig eingestellten) Sattel gehe, dann komme ich gerade so mit der Fußspitze an den Boden, wobei ich das Rad dazu leicht neigen muss.
      Das geht kurz (für die Zeit eines Ampelhalts), weil ich trainierte Bein und Fußmuskeln habe, aber ideal ist es nicht. Ich habe die richtige Anhalte- und Anfahrtechnik hier schon öfter beschrieben:
      Vor dem Bremsen runterschalten (!), aus dem Sattel gehen, beim Anhalten einen Fuß auf den Boden, mit dem andern das entsprechende Pedal auf halb zehn, beim Anfahren gleichzeitig mit dem Runtertreten sich in den Sattel heben.
      Knieprobleme bekommt man vor allem bei zu niedrigem Sattel, da tut es vorne weh, bei zu hohem Sattel eher hinten, beides ist schlecht, sobald man aber mehr als zwei drei Kilometer am Stück fährt, kommt man um einen richtig eingestellten Sattel und eine entsprechende Fahrtechnik nicht herum.

      Könnte sein, dass Pedelecs durch die Motorunterstützung eine schlechte Anhalte- und Anfahrtechnik eher verzeihen, aber auf einem Normalrad kommt man, wenn man nicht nur um den Häuserblock fährt, da nicht drumherum. Generationen von erfahrenen Radlern haben ihre Sättel genauso eingestellt wie beschrieben (bei mir passt die Hügi-Formel exakt), das sollte schon für etwas gelten, denke ich.

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    2. Liebe Turtle, ich habe meinen Sattel auch etwas niedriger, denn ich fahre hauptsächlich in der Stadt mit vielen Ampelsstopps. Das empfinde ich auch als sinnvoll. Und auch bei zu erwartender Glätte ist es sinnvoll, den Sattel etwas niedriger zu haben, damit man schnell mit beiden Füßen auf dem Boden ist. Für Stadtfahrten gelten andere Regeln als für lange Radtouren. Je länger man am Stück radelt, desto wichtiger ist die optimale Einstellung. Letztlich aber muss man sich selber auf dem Ras wohl fühlen.

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  2. Sehr sinnvoll, insbesondere bei geraden Lenkern, sind auch ergonomische Griffe z.b. Ergon GP1, aber auch bei deutlich günstigeren Herstellern sind vergleichbare verfügbar. Diese verhindern eine Fehlstellung der Hände und beugen Schmerzen im Handgelenk vor. Bei längeren Touren helfen zusätzlich auch gelgefüllte Fahrradhandschuhe.

    Und bitte etwas Vorsicht beim Lenker höherstellen, da brauchts meist ein Drehmomentschlüssel und Kenntnisse. Ggf. muss auch der Vorbau getauscht werden. Hier bitte im Zweifelsfall jemand fragen der sich damit auskennt.

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    1. Die Leute sind verschieden. Bei mir haben diese ergonomischen Griffe das Problem eher verstärkt. Ich mag schmalere Griffe lieber.

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  3. Für die Länge des Rahmens, das ist mal wieder so eine kontra-intuitive Geschichte am Fahrrad.
    Man könnte denken aufrecht ist bequem, geneigt unbequem. Dabei vergessen die meisten, dass man auf dem Fahrrad nicht nur sitzt, sondern auch tritt.
    Für kürzere bis mittlere Strecken ist eine aufrechte Haltung ok, da gibt es eine eigene Fahrtechnik, bei der man am relativ hohen Lenker zieht, um mehr Kraft zu entwickeln. Bei mittleren bis langen Strecken ist geneigt bis moderat gestreckt besser, weil man nur so die starken Gesäßmuskeln einsetzen kann. Die Kraft die man beim Treten aufbringt, stützt den Oberkörper, sodass bei richtiger Rahmenlänge nicht zuviel Gewicht auf den Händen lastet. Bei längeren Strecken ist es aber kein Zufall dass traditionell "Renn"lenker verwendet werden, die viele verschiedene Hand-, Arm- und Schulterpositionen ermöglichen. Man trainiert dabei auch den galzen Körper, die Haltemuskulatur passt sich an, man kann auch zweihundert Kilometer am Tag fahren, ohne Probleme zu bekommen

    Könnte sein dass auch hier das Pedelec die Dinge verzerrt, dass man durch die Motorunterstützung weiter fahren kann, als man körperlich in der Lage wäre, und dass dementsprechend die Haltemuskulatur zu früh schlappmacht. Un dann werden falsche Rahmen und Satteleinstellungen probiert, nichts funktioniert...
    Dabei gab und gibt es Generationen von Radfahrern, die das alles ausprobiert und perfektioniert haben... Aber wie meine Schwiegermutter (übersetzt) sagte, die Erfahrung der Anderen ist ein Kamm für Kahlköpfe.

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  4. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Körper sich nach einiger Zeit eigentlich ganz gut mit dem Sattel und der Rahmengeometrie arrangiert - d.h. anpasst. Also oft verschwinden anfängliche Probleme nach einigen Woche von selbst.
    Was ich in dem Artikel vermisse ist die Lenkerform. Zumindest bei mir macht es einen riesen Unterschied, ob der Lenker gerade wie bei einem MTB oder gekröpft (d.h. zu den Griffen hin in Richtung Sattel gebogen) wie bei einem Hollandrad ist.
    Bei Taubheitsgefühlen in den Händen hat bei mir die Lenkerform am meisten geholfen. Solche ergonomische Griffe waren meistens sehr unbequem, wenn man sie nach Anleitung eingestellt hatte. Wenn Anbauteile am Rand nicht helfen, dann halt Handschuhe mit Polsterung an den sensiblen Stellen.
    Ach ja: Ergonomie kommt auch mit einer gefederten Sattelstütze oder mit einer guten Luftfedergabel. Beides macht das Fahrrad leider aber schwerer.

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  5. "Lenkerhöhen lassen sich mit Unterlegscheiben verstellen, die Entfernung vom Sattel zum Lenker nicht."
    Doch. Der Abstand zwischen Sattel und Lenker kann ja auch durch das Verschieben des Sattels auf dem Sattelstützen-Kopf reguliert werden.
    Übrigens verändert sich der Sattel-Lenker-Abstand auch durch die Lenkerhöhe und durch die Drehung des Lenkers im Vorbau - soweit der Lenker keine komplett gerade "Turn"-Stange ist.
    Die richtige Radeinstellung geht letzendlich nur übers Ausprobieren!, Ausprobieren!, Ausprobieren! ... Denn jede JeckIn ist anders.

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    1. Die Einstellung des Sattels ist nicht dafür da, den Abstand zum Lenker zu ändern, sondern nur um den Abstand zur Kurbel richtig einzustellen. Wenn der Lenker nicht passt hilft es nur am Vorbau zu regulieren; falls nötig durch Austauschen gegen ein längeres oder kürzeres Modell.

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    2. Der Fachmann empfiehlt das nicht, weil sich dann der Winkel zwischen Hüfte und Pedalen verschiebt, man tritt, wenn der Sattel weiter nach vorn geschoben wird, senkrechter auf die Pedale. Auch das ist nicht gut. Kann aber sein, dass einem Radler oder einer Radlerin das lieber ist, müsste sie oder er ausprobieren. Grundsätzlich gilt ja: Erlaubt ist alles. Die Frage ist immer nur, woran könnte es liegen, wenn ich bei langen Radfahrten irgendwo Schmerzen habe oder mich überanstrengt fühle. Und dann geht man auf Fehlersuche.

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