Im Wettbewerb um jüngere Fachkräfte auch für unsere Autoindustrie ist längst nicht mehr der Dienstwagen oder der Firmenparkplatz entscheidend, sondern Charme und Lebensstil einer Stadt.
Der Freizeitwert und der Umgang mit den Menschen im öffentlichen Raum ist ein wichtiges Kriterium für beruflich aktive junge Leute. Im Stau will keiner stehen. Auto ist out. Stolz ist man aber auf sein Fahrrad. Und auf die Freiheit, die es einem beschert.
Ein junger Mann, der für Daimler arbeitet, erzählte mir kürzlich, er könne genauso gut in München für BMW arbeiten. Entscheidend ist für ihn, wie gut es sich leben lässt in der Stadt.
Er möchte gut mit dem Fahrrad fahren können. Da hadert er mit Stuttgart noch ein wenig. Er hofft aber auf einen Fortschrittssprung beim Radverkehr. Sonst entscheidet er sich eines Tages doch noch für München.
Es zeigt sich dabei auch, was ich in Stuttgart auch immer höre: Junge Menschen, Berufsanfänger/innen, junge Mütter und Väter wollen weniger mit dem Auto fahren müssen und öfter mit dem Fahrrad unterwegs sein. Denn sie wollen eine Umgebung, in der sie sich selbst gerne aufhalten, gerne in Straßencafés sitzen, Leute treffen, ihre Kinder spielen und Fahrradfahren lassen können. Sie wollen, dass ihre Kinder sicher mit dem Fahrrad in die Schule kommen, falls der Weg zu Fuß zu weit ist. Wir brauchen dringend mehr durchgängige und unkomplizierte Radstrecken zur Schule und zu den Sportvereinen, auf die die Eltern ihre Kinder und Jugendlichen ohne Angst schicken können.
Degerloch/Möhringen- kompliziert für Radler |
Eine familienfreundliche Stadt ist immer auch eine Stadt mit wenig Autoverkehr. Stuttgart könnte bald den Anschluss an andere Städte verpasst haben, und dann kommen die dringend benötigten Fachkräfte für die Autoindustrie und die Zulieferer nicht mehr.
Nicht nur die Stadt, auch Firmen müssen mehr tun. Sie müssen ausreichend Fahrradparkplätze anbieten, Auflademöglichkeiten für Pedelec-Akkus und Duschen. Und sie müssen natürlich auch ihre Radfahrer/innen unterstützen, etwa durch Bonussysteme oder wenigstens eine positive Wahrnehmung. Die ältere Belegschaft hängt vielleicht noch am Auto und am Firmenparkplatz und macht dem Betriebsrat deswegen die Hölle heiß. Aber es ist immer auch die Frage, was ein Betrieb tut, um diejenigen zum Radfahren zu ermuntern, die nur einen kurzen Anfahrtsweg haben. Radfahrende Mitarbeiter bringen Vorteile für den Betrieb. Sie kommen pünktlich zur Arbeit, weil sie nicht im Stau stehen, sie verlangen kein Firmenticket und sie belegen keine Firmenparkplätze. Zudem sind sie weniger krank, geistig aufgeweckter und besser gelaunt, was sie insgesamt zu einem finanziellen Vorteil für Firmen macht.
Ein Firmenfahrzeug zur privaten wird vor allem für die uninteressant sein, die aus Überzeugung auf ein Auto verzichten wollen. Für die anderen ist es ökonomisch immer lohnenswert, ein Firmenfahrzeug anzunehmen.
AntwortenLöschenWer hier die Mehrheit stellt, weiß ich natürlich nicht.
Was allerdings Mut macht: Das Durchschnittsalter eines Neuwagenkäufers liegt aktuell bei 52 Jahren. Die Gründe sind vielschichtig; einer ist, dass in bestimmten Schichten der Wert des Statussymbols Auto deutlich sinkt.
... das mit den 52 Jahren könnte auch daran liegen, dass jüngere Neuwagenfahrer häufig Zugriff auf einen Firmenwagen haben. Ab 60/65/67 fällt das doch weg. Liebe Politiker: die Dienstwagenregelung killt die Klimaziele, also weg damit! Und mal ehrlich: nehmt doch die Dienstradregelung, dieses Placebo, auch gleich mit, das war doch eine durchschaubare Aktion. Sagt einfach die Wahrheit! Und die Steuerermässigung für Dienstwagen verschleiert die Wahrheit, weil sie die immensen Kosten gering rechnet. Das war was für früher, heute betrügt es diejenigen, die keinen Dienstwagen haben, also sogar den radfahrenden Ingenieur bei Daimler.
AntwortenLöschenWieviele junge Menschen haben denn Zugriff auf nen Dienstwagen? Wie sieht es denn aus im Einzelhandel, bei Banken und Versicherungen, im öffentlichen Dienst, im Gesundheitswesen, bei Handwerkern, ...
AntwortenLöschenWenn die Automobil-Industrie junge Mitarbeiter (eigentlich alle oder eher nur die Akademiker? ) mit Firmenwagen ködert, ist das nur ein kleiner Teil.
In vielen Firmen fahren Vertriebsmitarbeiter Firmenfahrzeuge, hier sind nahezu alle Altersgruppen vertreten. Und dann noch Führungskräfte, hier finden sich gerade die ganz jungen Mitarbeiter meist nicht.
Hier etwas Input zur Sache: http://www.manager-magazin.de/unternehmen/autoindustrie/firmenwagen-wie-die-autobauer-an-der-zulassungsstatistik-drehen-a-1084429.html Ob bei den 66% gewerblichen Zulassungen auch Transporter dabei sind, kann ich dem Artikel nicht entnehmen. Gerne dranbleiben am Phänomen Auto. Wenn wir den Leuten Spass am Radfahren und ÖPNV-Nutzen bieten wollen, müssen wir uns mit der Psychologie befassen. Der ÖPNV jedenfalls hat noch nicht begriffen, dass es sich noch nicht wie "Heimat" anfühlt, wenn man im HBF auf eine verspätete S-Bahn wartet. Die Autokonzerne sind da deutlich weiter.
AntwortenLöschenDer Anteil der gewerblichen Zulassungen liegt bei 50%, wenn man die sog. Händlerzulassungen berücksichtigt.
LöschenFirmenfahrzeuge werden oft geleast, auf 2,3 oder 4 Jahre. Ein privat zugelassenes Auto wird im Schnitt 9 Jahre genutzt.
Die Frage bleibt, wie viele Menschen tatsächlich einen Firmenwagen nutzen. Es wird eine Minderheit sein. Führungskräfte und eben Vertriebler. Und natürlich die vielen Selbstständigen, die in der Statistik auch unter die Rubrik "gewerblich" fallen.
Zur Ergänzung:
"Dass der deutsche Automarkt, gerade für Neuwagen mehr als gesättigt ist, zeigt sich auch an dem hohen Durchschnittsalter für Autos. Dieses liegt Dudenhöffer zufolge bei neun Jahren. Der Autokauf wird zunehmend ein Ritual der Generation 50Plus. Mit 53 Jahren war 2015 nämlich auch ein Rekordjahr in Sachen Alter der Neuwagenkäufer. Bei den boomenden SUVS war das Durchschnittsalter der Käufer sogar bei 55,2 Jahren. Fast 40 Prozent der SUV-Neuwagenkäufer waren 60 Jahre und älter."(https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2016/01/17/deutscher-auto-markt-kuenstlich-aufgeblasen-haendler-kaufen-neuwagen-selbst/)
Der Dienstwagen war vor 20 Jahren ein Statussymbol. Heutzutage zeichnet er die Leiharbeiter -sorry: Externe Mitarbeiter- aus, die für einen Dienstleister in der Pampa arbeiten und von dort in die Stadt fahren müssen zu ihrem "Kunden".
AntwortenLöschenIn Zeiten der Reurbanisierung muss der urbane Raum Lebensqualität bieten, wenn er Wettbewerbsfähig sein will. Stuttgart hat hier in Vergleich zu Hamburg, Berlin und München Nachholbedarf.
Wenn ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern Autos zur Verfügung stellt, dann stecken keine altruistischen Motive dahinter, sondern rein ökonomische Interessen. Es ist für den Arbeitgeber schlichtweg günstiger.
LöschenSchon klar, auch gerne als Lohnersatz. Bindet den Arbeitnehmer, weil er beim Wechsel des Arbeitsplatzes immobil wird. Oft auch für Menschen die nicht rechnen können - zumindest das von mir geprüfte Angebot des Arbeitgebers meiner Frau hatte versteckte Kostenfallen: Restwertrisiko beim Leasingnehmer, Wartung inklusive aber unplanmäßige Reperaturen gehen auf den Leasingnehmer. Wir haben es abgelehnt.
LöschenDieser Arbeitgeber macht ein schlechtes Angebot. Offensichtlich hat er in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass er trotzdem genügend Interessenten findet. Nach dem Motto: Hauptsache Auto, egal zu welchen Konditionen.
AntwortenLöschenDer Dienstwagen scheint also doch ein starkes Argument zu sein. Ein krasser Widerspruch zum fett gedruckten Eingangsstatement von Christine.
So sehr ich diesen Blog mag:
AntwortenLöschenIch finde es schade, dass hier so häufig pro-Fahrrad argumentiert wird allein auf der Grundlage, dass es der Wirtschaft bzw. dem Handel hilft, oder in irgendeiner Weise die ansässigen Firmen entlastet. Dazu kommt jetzt noch der vollkommen irrsinne Wettbewerbswahn, und die alte Leier von den mangelnden Fachkräften nebenbei.
Dabei sollte es doch in erster Linie um den Menschen - um die Gesundheit und Lebensqualität von uns allen - gehen, unabhängig davon, ob dies irgendwelche monetären Vorteile bringt, die Produktivität steigert, Erwerbsarbeit schafft, oder nicht. Es sollte weniger um Ellenbogen gehen, dafür um mehr Kooperation, denn der Straßenverkehr ist kein Wettbewerb, auch wenn wir ihn (wie alles andere in unsere überökonomisierten Gesellschaft) dazu gemacht haben.
Ich möchte jetzt hier nicht zu weit ausholen, aber ich finde es ist schon ein Armutszeugnis - ganz allgemein unserer Gesellschaft - das wir offenbar an einem Punkt angelangt sind, bei dem wir uns für eine bessere Radinfrastruktur wohl schon aus Verzweiflung bei denen anbiedern müssen, die keinerlei Interesse an einer solchen haben, indem man versucht es ihnen in ihrer vernunftsfreien BWL-Logik ein wenig schmackhaft zu machen. Denn menschliche Aspekte allein spielen für diese nicht die geringste Rolle. Und das jegliches Interesse an wirklicher Veränderung bei den Entscheidungsträgern fehlt merkt man ja aktuell daran, dass man nun offenbar versucht die Konsequenzen aus den gescheiterten Feinstaubalarmzielen bestehend aus Fahrverboten irgendwie und so gut es geht zu umschiffen und aufzuweichen. Und man weiter Flickwerk in Sachen Radinfrastruktur betreibt anstatt die Konsequenzen zu ziehen und ernsthaft zu handeln.
Ja, finde ich einfach Schade. Ganz allgemein. Ich vermisse Rückgrat. Gerade auch bei den Mitarbeitern des Konzerns mit dem Stern und dessen Zulieferern, sind es doch letzten Endes auch sie, die mit dafür verantwortlich sind, dass dieser Autowahnsinn hier stattfinden kann und solche Ausmaße erreicht hat.
Nichtsdestoweinger danke für diesen Blog. Ich wünschte nur, wir könnten mit vernünftigen und nicht so oft nur mit systemischen Argumenten aufwarten.
Lieber FS, da hast du Recht. Im Grunde ist es absurd, dass man fürs Fahrradfahren überhaupt argumentieren muss. Ich wundere mich immer, warum sich der Teil der Stadtgesellschaft, der gern Auto fährt, so vehement dagegen wehrt, dass man es Radlern bequemer macht. Es widerspricht dem gesunden Menschenverstand.
Löschen“Stuttgart könnte bald den Anschluss an andere Städte verpasst haben...“ - das ist doch Wunschdenken! Stuttgart hat den Anschluss vor etwa zwanzig Jahren verpasst, als selbst kleine Orte in der Region Radwege bauten. Ich werde Stuttgart auch deshalb in Kürze verlassen. Die größte Enttäuschung in dieser eigentlich ganz netten Stadt ist der Radverkehr.
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