20. Oktober 2017

Alle ärgern sich über den Radverkehr

Was gut ist, braucht man nicht zu ändern, was schlecht ist, sollte man ändern. Es gibt eine Sache in Stuttgart, die finden durchweg alle schlecht: Das ist der Radverkehr. 

Autofahrer finden ihn schlecht, weil er teils auf der Fahrbahn stattfindet und Platz beansprucht. Fußgänger finden ihn schlecht, weil Räder oft auf Gehwegen fahren müssen und Radler auch verbotener weise auf Gehwegen fahren, da sie sich auf die Fahrbahn nicht trauen. Und Radfahrer finden ihn schlecht, weil sie sich hin und her geschoben sehen zwischen Autostraße und Gehweg und weil ihre Hauptradrouten an vielen Stellen durch Hindernisse bis hin zu völligen Blockaden unterbrochen werden.

Wenn alle etwas schlecht finden - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen - dann muss man daran schleunigst etwas ändern. Eine Option ist dabei von vorn herein ausgeschlossen: Man kann nicht den Radverkehr abschaffen. Die Räder sind da und sie werden nicht mehr weniger, sondern immer mehr.

Typisch für Stuttgarter Radrouten, Landtag. 
Wir alle - auch die Politik, auch der Gemeinderat und die Stadtverwaltung - kommen nicht mehr weiter, wenn wir so tun, als müsste der Stadtraum nur wischen Autos und Fußgängern und Öffentlichen aufgeteilt werden. Da sind auch noch Radfahrer. Solange wir sie zwischen Fahrbahn und Gehwegen (samt Grünanlagen) hin und her scheuchen, wo halt gerade mal etwas Platz gesehen wird, fahren sie auf Fahrbahnen und Gehwegen und durch die Parks. Und entweder Autofahrer fühlen sich gestört oder Fußgänger fühlen sich gestört. Fußgänger fühlen sich auch noch gefährdet. Radfahrer fühlen sich auch gefährdet, aber von Autos und Bussen. Radfahrer kommen ums Leben, weil ein Autofahrer ohne zu gucken abbiegt. Fußgänger, leider oft Kinder, kommen ums Leben, weil ein Autofahrer sie nicht sieht oder sie selbst einen Fehler machen und vor ein Auto rennen, dessen Fahrer nicht mehr bremsen kann. Wir alle wissen, dass Autos große schwer Geräte sind, in denen die Fahrer gepanzert sitzen und mit denen sie jemanden töten oder schwer verletzen können, ohne selbst Schaden zu nehmen.

Es ist eine einfache Weisheit, dass man den Radverkehr in Stuttgart nun so regeln muss, dass möglichst viele damit zufrieden sind, sowohl Autofahrer, als auch Fußgänger als auch die Radfahrenden selbst.

1. Schritt: Wir erkennen an, dass wir eine zunehmende Zahl von Menschen haben, die ihre Alltagswege in der Stadt auf dem Fahrrad zurücklegen wollen. Das ist ja auch gut für Stuttgart, denn Räder sind leise, brauchen wenig Platz, erzeugen geringe Verkehrskosten und sind gut für die Gesundheit ihrer Fahrer/innen.


2. Schritt: Wir sorgen dafür, dass Radfahrende, auch Kinder, überall mit dem Fahrrad hinfahren können. Dazu braucht es Radwege oder Radstreifen entlang aller Hauptstraßen und sichere Routen durch Nebenstraßen.

3. Schritt: Wir geben den Fußgängern ihre Gehwege und Parks zurück.

4. Schritt: Die Radinfrastruktur wird stetig verbessert. Wir schauen, wo Radfahrer auf Radwegen und Radrouten behindert oder über Umwege oder Streilstrecken geschickt werden und schaffen bessere Routen, teils mit Brücken, teils mit Radschnellwegen.

Wenn wir das getan haben, wer ärgert sich dann noch über den Radverkehr? Vermutlich etliche Autofahrer, die glauben, sie stünden wegen eines Radstreifens länger im Stau als sie vorher auch schon dort im Stau gestanden haben. Fußgänger ärgern sich weniger, weil Räder nicht mehr auf Gehwegen unterwegs sein müssen. Und Radler ärgern sich auch weniger, weil sie bequemer und besser vorankommen. Wenn zwei von drei Gruppen zufriedener wären, hätten wir schon viel gewonnen. Letztlich werden aber auch Autofahrer damit besser fahren, denn mehr Radfahrer bedeutet weniger Autofahrer und damit weniger Stauzeiten.


6 Kommentare:

  1. Alle ärgern sich über die Radfahrer? Nein. Einspruch.

    Zumindest in den Stadtvierteln, auf den Nebenstraßen mache ich längst ganz andere Erfahrungen. Insbesondere eben auch mit Autofahrern, die es gut finden, wenn andere das Rad nutzen und die wissen, bei welchen Kreuzungen man aufpassen muss. Man geht freundlich miteinander um und gewährt sich, wie es passt oder sich ergibt, auch gegenseitig die Vorfahrt. Ganz unbefangen. Da hat sich echt etwas geändert.

    Wer sich als Autofahrer daher heute noch über Radfahrer ärgert, ist strunz, heißt Conz oder gehört zu den Auswärtigen, die vom Stadtverkehr sowieso schlichtweg überfordert sind.

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    1. Haha. Sehr schön. Stimmt auch. Es ändert sich schon was. Allerdings wollte ich hier darauf hinweisen, dass man etwas, an dem so viele herummäkeln, mal neu durchdenken und ändern sollte. Und zwar so, dass alle Verkehrsgruppen damit besser klarkommen: Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer.

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    2. Diese Diskussion betrifft aus meiner Sicht zwei voneinander unabhängige Sachverhalte. Erstens ist Christines Beitrag sehr richtig, sehr wichtig und beschreibt eine der vielen strukturellen Herausforderungen, denen sich die Radfahrpolitik gegenüber sieht. Und zweitens wollte unser anonyme Kollege darauf hinweisen, dass es in manchen Gebieten der Stadt eine spürbare Entwicklung gibt, die auf mehr Aufmerksamkeit, mehr Rücksichtnahme und Toleranz zwischen den unterschiedlichen Fahrzeugvarianten hindeutet. Das heißt: Viele städtische Autofahrer sind im Kopf und im Alltagsverhalten auf der Straße schon viel weiter als so manche Fraktionen im Stuttgarter Gemeinderat.

      Manchmal erlebe ich sogar so etwas wie Ruhe und Gelassenheit mancher Autofahrer in innerstädtischen Wohngebieten, beispielsweise in meinem Kiez im Stuttgarter Osten. Bis vor kurzer Zeit erschien mir so ein lobenswertes und der StVO entsprechendes Verkehrsverhalten vor allem im ständig aggressiven und gestressten Deutschland als undenkbar und utopisch. Aber, lieber Anonymus, es stimmt, es entwickelt sich tatsächlich was.

      Das kann und darf uns aber nicht davon abhalten, die strukturelle Benachteiligung der Radfahrer zu konstatieren und zu kommunizieren. Und genau das macht Christine in vorbildlicher Weise. Und: Um auf den Vorgänger-Beitrag vom 18. Oktober und dessen Kommentierung zurückzukommen: In puncto Öffentlichkeitsarbeit und offensiver politischer Kommunikation sehe ich „die Honoratioren der Grünen“ in der Pflicht. Es gibt so viele Anknüpfungspunkte. Christine hat mit diesem Blog eine Stuttgarter Online-Community der Radfahrenden geschaffen, dies kann aber (leider) niemals das Engagement der zentralen Schaltstellen auf oberster städtischer Ebene ersetzen. Sie sollen endlich sagen, was sie wollen. Und zwar nicht im stillen Kämmerlein, sondern öffentlich und für alle Bürger wahrnehmbar.

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  2. Aber gerade deswegen muss man wohl oder übel gewisse Personen austauschen oder hoffen das dort ein Umdenken einsetzt. Denn das was momentan fabriziert wird ist ja mehr als undurchdacht und konzeptlos. Es braucht halt den Blick für das Große und Ganze, einen Masterplan und auf Grund dessen muss man im einzelnen sinnige Kompromisse schaffen die sich wiederum in den großen Plan harmonisch einfügen.

    Beste Negativbeispiele: Hofener Straße => lokales Refugium, keine sinnvoll Zuführung
    Dorotheen-Quartier => Radler verlagert, Fußgänger befreit dafür Konflikte Radler vs. Autos
    Eberhardstraße => Errichtung einer Fahrradstraße ohne ausreichende Kontrollen (ähnlich Tübinger Str.)
    S21-Neckarbrücke => Perfekt für Züge - die angehängte Radler-Fußgängerquereung ist bisher auf der Parkseite umständlich angebunden

    ...und so weiter - fast alles bezüglich Mobilität in Stuttgart hat nur die einzelne Realisierung im Blick, nicht aber wie man das Ganze intern zusammenführt und vor allem mit anderen Gruppen in Einklang bringt.

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    1. Masterplan ist ein schönes Stichwort. Vor kurzem war die Eurobike in Friedrichshafen. Und wer war da? Jedenfalls nicht der Minister für Auto und Maut, auch keine Bundeskanzlerin oder sonst jemand mit Bundesverantwortung.

      Jedoch der MP aus dem Musterländle. Und er stand dann der Zeitschrift "Roadbike" Rede und Antwort.

      Sein Statement: Die Infrastruktur muss ausgebaut werden. Vor allem auch in den Städten. Und Radschnellwege möchte er haben, 10 an der Zahl.

      Weiter unten erfahre ich dann, dass für den Ausbau in den Städten eben die Städte zuständig sind.

      MP Winnie möchte also Städte und Gemeinden mit Schnellwegen verbinden. Und an der Stadtgrenze passiert dann was?

      Dass ein Autominister kein Konzept hat - geschenkt. Wenn sich ein grüner MP in Sachen Verkehrspolitik positiv abheben möchte, dann darf er ruhig konkrete Ziele formulieren und konkrete Vorschläge präsentieren. Nen Masterplan zum Beispiel

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    2. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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