10. Juli 2019

Ein halbes Leben auf dem Tandem

Renate und Cornelius Gruner fahren seit dreißig Jahren aus Leidenschaft und Überzeugung Tandem, mittlerweile das siebte. 

Sie fahren es im Alltag, auf den Wegen in die Stadt, bei der Critical Mass, zum Spaß auf Ausflügen und auf Reisen längs und quer durch Deutschland oder Dänemark. Ihr erstes Tandem hatte einen Kinderanhänger und eine Babyschale. 17 Jahre lang fuhren sie dann ein Santana-Tandem, das sich inzwischen in Dauerausleihe woanders befindet. Mit dem Tandem und Kinderanhänger kamen sie sogar durch Z-Schranken, früher. Jetzt sind sie nicht mehr so jung. So haben sie sich vor vor einigen Jahren bei Detlef Eschert (Rad und Tour) erst ein für sie maßgeschneidertes E-Touring-Tandem gekauft und beim selben Hersteller im Thüringer Wald dann auch ein E-Fat-Bike-Tandem für Schneetouren, Waldwege und leichte Trails.

Tandem fahren ist aber nicht so einfach. Der Tandem-Kauf auch nicht.
Ohne lange Probefahrten sollte man keines kaufen. Viele Tandems sind hinten zu kurz, dann sitzt man entweder zu dicht auf dem Vorderamnn oder zu weit überm Hinterad. Der E-Tandem-Kauf ist noch ein bisschen komplizierter, weil Rahmen, Reifen, Bremsen, Naben und Ketten für eine große Belastung ausgelegt sein müssen. Im Radrundbrief des ADFC (Seite 21) hat Cornelius geschildert, wie gut das gehen kann, wenn man beim richtigen Händler landet, nachdem es zunächst einen echten Reinfall gegeben hatte (S. 20), weil der Rahmen brach, das Kettenblatt absprang und so weiter. E-Tandems, die wirklich genutzt und belastet werden, sollte man, so scheint es, bei ausgewiesenen Spezialisten kaufen.

1995
Tamdem-Fahren ist ein Lebensgefühl. Beide erzählen mir, was die Faszination für sie ausmacht: Zu allererst, das gemeinsam Ankommen. Wer Paar-Ausflüge auf Rädern beobachtet (oder selber macht), kennnt das vermutlich: Der Mann vorneweg, die Frau keuchend hinter her (steltener umgekehrt). Er wartet oben, sie kommt an und sogleich geht es weiter. Er hatte seine Pause, sie nicht. Es gibt Knatsch. Heute werden ungleiche Kräfte auch durch Pedelecs ersetzt: Sie kriegt das Pedelec, er keucht noch normal den Berg hoch, allerdings überholt sie ihn jetzt. Das gibt Unmut. Auf dem Tandem kommt man immer gleichzeitig an, egal, ob beide immer mit gleicher Kraft treten. Und nie haben beide gleichzeitig den Durchhänger. Da tritt dann halt die eine mehr, während der andere sich erholt und umgekehrt. Mit dem Tandem ist man auch schneller als normale Radfahrende. Man tritt ja zu zweit auf einem Rad mit dem Rollwiderstand von nur zwei Reifen und dem Windwiderstand nur einer Person. Die meisten, die Tandems fahren, machen die Erfahrung, dass sie sogar sportliche Verbände, die routiniert im Windschatten fahren, überholen. 

Allerdings kann nicht jedes Paar auch entspannt und vergnügt Tandem fahren. Dazu gehört eine gewisse Grundharmonie und die Bereitschaft, sich aufeinander zu verlassen. Die Person (meist die Frau), die hinten sitzt, muss dem Lenker vorn vertrauen, seine Entscheidungen akzeptieren und sich anpassen. Und beide sollten synchron fahren:  gleichzeitig antreten, gleichzeitig die Frequenz ändern, wenn der vorne schaltet, gleichzeitig Kraft rausnehmen, zusammen in den Freilauf gehen. Es darf halt nicht zu einem Kampf über die Pedale gegeneinadner kommen. Ein gut synchronisiertes Paar muss sich nicht absprechen, wenn geschaltet wird oder wann man aus dem Sattel geht, um im Wiegetritt einen Anstieg hoch zu asten. Eingespielte Tandem-Paare werden eins beim Radfahren. Das ist auch gut für die Beziehung. Harmonie-Erlebnisse bauen generell Stress ab. Einigkeit stärkt.

Da ich noch nie auf einem Tandem saß, habe ich um eine Probefahrt gebeten und mich hinter Cornelius gesetzt. Erste Frage: Habe ich schon beide Füße auf den Pedalen, oder starten wir gemeinsam? Da er nicht erwarten konnte, dass ich mit ihm schon synchronisiert bin, durfte ich beide Füße auf die Pedale stellen. Da merkte ich schon, was der Mann am Lenker halten muss, wenn er anfährt. Dann die erste Kurve: Huch! Das Rad kippt, ich gehe zeitverzögert bei der Bewegung mit, aber dann zu viel.  Auch das muss Cornelius mit dem Lenker ausgleichen. Was vorn passiert, kann ich nicht sehen. Ich habe nur einen breiten Rücken vor mir. Ich weiß nicht, wie der Weg verläuft, ob wir gleich in eine Kurve gehen oder nicht, und ich will mich auch nicht links oder rechts rauslehnen. Das bringt Instabilität. Und wenn wir plötzlich bremsen, sehe ich nicht, warum. Das ist schon gewöhnungsbedürftig. Aber sicher würde ich mich daran gewöhnen.

Auf dem Bernet
Renate erzählt mir, dass es auch angenehm ist, nicht ständig lenken zu müssen. Ein Tandem-Lenker braucht auch mehr Kraft in den Armen als wenn er alleine auf dem Rad sitzt. Andererseits hat Renate von beiden, erzählen sie mir, mehr Grundvertrauen. Wo der Lenker dann doch mal zögert und sich fragt, "kommen wir durch die Matschkurve hoch?", da hat sie die Zuversicht, und es klappt. (Einmal seien sie auch gemeinsam umgefallen, aber praktisch im Stand.) Und von einem anderen Tandem-Paar erzählen sie, dass sie mal abgesprungen ist, als es ihr zu gefährlich wurde. Der Fahrer ist dann umgekippt, weil sich die Fahreigenschaften sofort total ändern. Die langsame Critical Mass mitfahren ist auch eine Herausforderung. Die Sozia sieht ja nicht, warum er schon wieder bremst.

Autofahrende haben, höre ich, mehr Respekt vor einem Tandem, wenn sie es erkennen. Vor allem das Familienurlaubtandem mit Kinderanhänger und Fahne wurde doch sehr weiträumig überholt. Die Überholabstände sind wohl auch so meist größer. Fußgängerinnen amüsieren sich meist über Tandems. Im Wald genießen die beiden auf  einen Bonus. Während Spaziergänger/innen sich schon mal über Radler aufregen (und zuweilen zu Recht), begleitet ein Lächeln die Begegnung mit dem Tandem. Vielleicht schätzen die Leute den Anblick eines harmonischen Paars. Klar, dass die beiden auch zivil und rücksichtsvoll fahren.

Auch Tandems kann man ihn Bahnen mitnehmen. Es gibt Tandem-Fahrkarten, die allerdings nicht immer mit einem geeigneten (langen) Stellplatz verbunden sind, wie Cornelius und Renate berichten. In den meisten Fällen fahren sie mit einer Fahrrad-Fahrkarte, ohne dass es Probleme beim Abstellen im Zug gibt. Das Fat-E-Tandem ist zudem zwei mal klappbar. So kriegt man es auch in einen Transporter hinein oder kann es für längere Zug- und Busfahrten klein machen.

Billig sind E-Tandems allerdings nicht. Obgleich es sich dabei nur um ein, wenn auch verlängertes Fahrrad handelt, kostet es so viel, wie zwei Fahrräder von entsprechend hoher Qualität. Denn alle Teile müssen hochwertig sein. Bremsen und Ketten sind praktisch der doppelten Belastung ausgesetzt, auch eine Nabenschaltung von Rohloff (praktisch unkaputtbar), kann es dabei mal verziehen. Reifen und Bremsen müssen öfter ersetzt werden. Der Rahmen muss absolut stabil oder "verbindungssteif" sein. Er darf sich nicht verwinden. Zudem ist die Technik kompliziert, vor allem, wenn man eine Kettenschaltung hat, weil die Ketten dann nicht auf derselben Seite geführt werden können. Und so weiter. Cornelius ist da als Ingenieur der Fachmann und kann im Detail Auskunft geben.

Tandems sind übrigens das ideale Fahrrad, wenn einer der beiden Radler ein Handycap hat, beispielswiese kaum noch was sieht oder nicht so viel Kraft besitzt. Tandems eignen sich deshalb gut für Blinden-Touren. Sie eigenen sich aber auch, um jemanden überhaupt aufs Fahrrad zu bringen, der oder die es in der Jugend nicht gelernt und vielleicht ein bisschen Angst hat. Wenn es dann beiden Spaß macht, dann steht gemeinsamen Radtouren nichts mehr im Weg, vor allem, wenn das Tandem auch noch einen Pedelecmotor hat.



3 Kommentare:

  1. Tandems sind cool, ich würde auch gerne mal eines fahren. Für die Kombination Elternteil Kind gibt es eine gute Alternative: meine Jungs haben beide Spaß auf einem Tandemanhänger von FunTrailer. Der wird an der Sattelstütze abgelenkt und macht aus dem normalen Fahrrad ein Tandem, wobei das Kind über seine eigene Schaltung verfügt und nicht immer synchron treten muss. Dank eigenem Freilauf kann das Kind zwischendurch verschnaufen, während Papa den Anstieg dank Kraft aus dem Akku allein hochzieht.

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    1. Wenn du Tandem fahren willst, als ich noch in Heilbronn wohnte (und keine Kinder hatte) bin ich öfter als Captain bei Tandemfahrten des dortigen Blindenverbandes gefahren. Ich vermute sowas gibt's auch beim Blindenverband in Stuttgart. Frag doch einfach mal an.

      Martin

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  2. Liebe Christine,
    danke für den netten Artikel über uns - erfrischend unpolitisch :-).
    An Carsten Otte und andere Interssierte: ein (unmotorisiertes) Tandem steht für eine Probefahrt bereit. Kontakt über den ADFC Stuttgart.
    Renate + Cornelius

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