21. September 2020

Jugendlicher Radfahrer fährt Kind auf Gehweg an

Es wird dringend Zeit, dass die Stadt Stuttgart Radfahrenden auf den Fahrbahnen ein gutes Angebot macht. Die Flucht auf den Gehweg ist gefährlich für Fußgänger:innen. 

In Degerloch ist am Donnerstagabend ein offenbar jugendlicher Radfahrer auf der Löwenstraße in Degerloch zwischen Königsträßle und Ahornstraße zwischen zwei geparkten Autos hindurch von der Fahrbahn auf den Gehweg gefahren - warum auch immer - und hat dort ein Kind auf einem Kinderrad umgefahren. Das Kind kam mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus. Und das Schlimme, der Radfahrer ist Richtung Sportplätze geflüchtet. 

Die Polizei sucht Zeug:innen, die bei der Identifizierung des Radfahrers helfen können. (Weiteres hier.)  Wir alle wünschen dem Kind gute Besserung vollständige Genesung. Ich bin in Gedanken bei den Eltern, die sich Sorgen machen und vermutlich auch wütend sind.

Dies ist kein typischer Unfall.

Er entstand vermutlich aus einer sehr typischen Situation. Ich erlebe es oft, dass Radfahrende spontan und unberechenbar auf Gehwege ausweichen, etwa weil sich vor ihnen auf der Fahrbahn eine Behinderung auftut, weil sie an nicht rechts an einem Autostau vorbei zur Ampel kommen oder weil Autofahrende sich zu aggressiv verhalten. Das Foto oben zeigt ungefähr die Stelle, wo es passiert sein muss. Man sieht einen Radfahrer, dem ein Auto recht dicht am Hinterrad hängt. Nicht alle halten so eine Situation über eine längere Strecke aus. Sie sollten zwar, aber sie tun es nicht. Und wir alle haben in genau solchen Situation schon wütend-ungeduldige Überhomanöver von Autofahrenden erlebt, bei denen sie uns viel zu nahe gekommen sind. Auch das hält nicht jeder aus.

Das Manöver des jungen Mannes und seine Unfallflucht sind nicht zu entschuldigen.  Ich sage schon lange, dass wir es unseren Radfahrenden in Stuttgart abgewöhnen müssen, auf Gehwege auszuweichen. Das geht aber nur, wenn das Radeln auf Fahrbahnen normal ist, und das wiederum kann es nur werden, wenn wir überall auf Fahrbahnen den Radfahrenden eine Infrastruktur anbieten, einen Radstreifen oder Radweg, der sie vor der leider unbestreibar vorhandenen Aggressivität des Autoverkehrs schützt. Und wenn wir dafür sorgen, dass die Radstreifen und Fahrradstraßen (allemal, wenn sie per Schild autofrei ausgewiesen sind) auch wirklich frei von Autos sind. Den Grund, warum der junge Mann von der Fahrbahn auf den Gehweg gefahren ist, kenne ich nicht. Ich kenne aber die Löwenstraße, auf der sehr viel geradelt wird. Zu beiden Seiten parken Autos, und es fahren auch recht viele Autos dort lang, und deren Fahrer behandeln wie überall anders auch, Radfahrende nicht immer mit Rücksicht und Respekt. 

Alle, die mich kennen, wissen, dass ich diese elende Gehwegradlerei ablehne. Ich finde, wir sollten uns zwingen, auf Fahrbahnen zu radeln, vor allem unbedingt dort, wo Gehwege nicht für uns freigegeben sind. Und in der Löwenstraße sind sie es nicht. Gehwege gehören Fußgänger:innen. Leider aber weist die Stadt Stuttgart viele Kilomter Radrouten auf Gehwegen aus, die dann per Schild fregegeben werden. Die meisten Radfahrenden unterscheiden nicht zwischen freigegebenen Gehwegen und solchen, die für sie tabu sind. Das kann sich nämlich auch plötzlich ändern, ein Gehweg, der eben noch frei war, ist hinter der Querstraße nicht mehr freigegeben. Die Fahrbahn ist aber noch genauso unangenehm und stressig (z.B. Hechinger Straße in Möhringen von der Schule Richtung Stadtmitte). Und wo man Radfahrenden, die sich wenig mit Verkehrsregeln auseinandersetzen, ständig Gehwege als einzige Alternative zu einer zu schnell befahrenen Straße mit zu engen Überholabständen anbietet, da gewöhnt man sie ans Gehwegradeln. 

Deshalb meine ich, der Konflikt zwischen Fußgänger:innen und Radfahrenden kann nur dann entschärft und solche Unfälle vermieden werden, wenn wir auf jeder Straße entweder Radstreifen haben oder die Straße (meist Nebenstraßen) als Fahrradstraße ausgewiesen ist. Radfahrenden und Autofahrenden muss unmissverständlich klar gemacht werden, dass wir auf der Fahrbahn Rad fahren wollen und sollen und können, und zwar ohne Angst zu haben.

Wir haben in Stuttgart aber leider immer noch zu viele Straßen, die Radfahrenden richtig Angst machen, zum Beispiel die Kaltentaler Abfahrt hinauf und hinunter, wo der so genannte Schutzstreifen so schmal ist und so eng an geparkten Fahrzeugen geführt wird, dass Radfahrende dort von viel zu schnellen Autos in einem verbotenen Abstand von meist unter einem Meter überholt werden. Ähnlich verhält es sich auf der Neckarstraße zum Neckartor hin oder auf dem Wallgraben in Vaihingen.

Aber mal abgesehen von der Angst, es muss für Radfahrende auch bequem sein. Kein Radler bleibt auf der Fahrbahn, wenn er nicht rechts am Ampelstau vorbei fahren kann. Im Stau zwei Ampelphasen hinter dem Auspuff eines Autos warten, bis man endlich bei Grün durchkommt, das macht niemand auf dem Fahrrad. Wir brauchen also überall Streifen, auf denen Radfahrende zur Haltelinie an einer Ampel vorfahren können. Und wir müssen direkt links abbiegen können.

Übrigens würde ich dem Radfahrer, der den Unfall verursacht hat, empfehlen, sich zu stellen. So eine Tat schleppt man sonst sein Leben lang mit sich herum. Ein Leben lang ist man damit beschäftigt, den kleinen Fehler, der so schlimme Folgen hatte, vor sich selbst zu rechtfertigen, und man darf niemals mit einem anderen Menschen darüber reden. Das ist nicht gut für die eigene Zukunft.

Und Nachbemerkung: Der Autoverkehr ist immer noch um ein Vielfaches gefährlicher für Kinder und Menschen auf dem Gehweg als der Radverkehr.

5 Kommentare:

  1. Ich wünsche dem Kind gute Genesung, und fordere den Verursacher auf, sich zu stellen.

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  2. Auf Facebook hat sich eine Diskussion entsponnen darüber, ob man überhaupt verstehen darf, warum der junge Mann verbotenerweise auf den Gehweg gefahren ist. Die Debatten auf Facebook und hier in den Blockkommentaren unterscheiden sich oft sehr. Hier werden sie weniger aufgeregt geführt. Es fällt mir schwer, fü den Unfallverursacher Verständnis aufzubringen, andererseits bin ich aber auch erbittert darüber, dass wir den Kinder, Jugendlichen und älteren Menschen einfach keine gute Radinfrastruktur anbieten, dass so viele Radfahrende Grund haben, sich auf de Fahrbahn zu fürchten, und übrigens auch viele Eltern Angst haben, um ihre Kinder, die zum Sport auf Fahrbahnen radeln müssen, wo es keine Radstreifen, dafür aber einen zu aggressiven Durchgangsverkehr gibt. Ich sehe mehr ältere Menschen auf Gehwegen radeln, die sich den Stellungskampf mit den Autos nicht zutrauen, Jugendliche sind da viel unbekümmerter. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir verstehen, warum Radler auf Gehwegen radeln. Verstehen heißt aber nicht verzeihen. Ändern müssen wir trotzdem was.

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    1. Facebook ist das Klo der Sozialen Medien. Dort tummeln sich die Hater, bei den jede Spucke überflüssig ist.

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  3. Die Straße ist doch eindeutig in einem Wohngebiet. Wenn da zu viel Autoverkehr herrscht, dann handelt es sich um Durchgangsverkehr. Der hat in einem Wohngebiet nichts zu suchen. Und ja, das ist in den Hunderttausenden anderer Wohngebiete, wo es genauso ist, auch falsch. Das ist überhaupt der erste Schritt hin zu einer durchgängigen Radinfrastruktur, und noch dazu einer, der keine großen Baumaßnahmen erfordet, sondern "nur" politischen Willen: zum Errichten von Sperren für den Autoverkehr an strategischen Stellen, sodass Bewohner von entgegengesetzten Seiten zu ihren Häusern können, aber nicht mehr durchgefahren werden kann.
    Geparkt braucht da übrigens schon jetzt nicht werden, auf so großen Grundstücken muss Platz für die Autos sein.

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  4. Ich kenne Erwachsene, die ausschließlich auf Gehwegen radeln- Jahrelang eingetrichtert, auf gar keinen Fall den Autoverkehr zu behindern. Dieser Unfall ist eher selten, über Autofahrer liest man sowas täglich.

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