19. September 2020

Das Auto ist ein unehrlicher Partner

Wer schnell radelt, muss den Lenker fest halten und wird durchgerüttelt.

Radfahrende bekommen von ihrem Fahrzeug sofort eine Rückmeldung, wie schnell sie unterwegs sind. Sie spüren den Fahrtwind. Ihnen ist schon mal das Hinterrad weggerutscht, weil sei den Bremsweg unterschätzt haben. Sie haben das Klacken einer Autotür neben sich gehört und sind erschrocken, denn wäre die Tür eine Sekunde früher aufgegangen, wären sie reingefahren und gestürzt, weil sie zu dicht an den geparkten Autos entlang gefahren sind. An den doch recht häufigen Alleinunfällen bei Radfahrenden sieht man leider auch, dass das Fahrrad ein sehr ehrlicher Partner ist, der die Konsequenzen von Fehlern sofort spürbar macht. Kinder, die auf Schotter ausgerutscht sind, wissen für immer, dass man auf Schotter vorsichtig radeln muss. Die meisten Radfahrende wissen auch, dass sie selber schmerzhaft stürzen, wenn sie nicht auf Fußgänger:innen achten und mit ihnen zusammenstoßen und fahren entsprechend vorausschauend.

Die verhexte Umgebung der Autofahrenden
Fußgänger hält, Auto fährt
Autofahrer bekommen diese Rückmeldung nicht. Je größer das Fahrzeug, desto weniger merken sie, wie schnell sie fahren. Sie überfahren beim Zurückstoßen ein Kind und merken es nicht. Je panzerartiger ihr Auto ist, desto weniger kriegen sie mit, ob sie Fußänger:innen, Radfahrende oder Kinder mit einem Fahrmanöver gefährdet haben. Sie hören nichts, sie sehen kaum, was neben ihnen oder gar hiner ihnen ist. Servolenkung und ABS täuschen darüber hinweg, dass sie ein sehr schweres Fahrzeug fahren. Das Auto schottet sie ab, und die technischen Gadgets verhindern, dass sie selbst die Konsquenzen ihrer Manöver spüren. Sicherheitsgurte und Airbags fangen schwerste Fahrfehler ab, genauso wie ein Überrollschutz und die Verstärkungen der Innenkabine. Es ist gut, wenn Autofahrende ihre schweren Fehler wenn möglich nahezu unverletzt überleben. Leider aber überleben andere, etwa Radfahrende oder Fußänger:innen selbst kleine Fehler von Autofahrenden oftmals nicht. Und das liegt auch daran, dass viele Autofahrende vergessen, was für ein schweres Geschoss sie fahren. Sie kriegen von ihrem Auto nicht mehr zurückgemeldet, dass von ihm und der Art, wie sie es fahren, eine erhebliche grundsätzliche Gefährdung anderer ausgeht. Sie haben den Kontakt zur Außenwelt verloren.
 
Bei meinem ersten Auto, einem VW-Käfer, habe ich sofort gemerkt, wenn ich auf der Autobahn schneller als 120 fuhr. Es rappelte und klapperte, der Motor dröhnte. Ich habe am Motor gehört und am Fahrverhalten gespürt, ob ich 50 oder 70 km/h fuhr. Heute fällt es vielen Autofahrenden schwer, zu merken, ob sie noch 40 oder 50 km/h fahren oder schon 70 oder 80 km/h. Sie müssen ständig auf den Tacho schauen. Das Auto meldet es ihnen nicht zurück. Sie fahren in einer sensorischen Kampsel. Die Tendenz, SUV zu fahren, ist geradezu eine Flucht in eine völlige Entkopplung von der Umgebung, in der man sich bewegt.

Der Verkehrspsychologe Bernhard Schlag sagt in einem Interview mit dem Spiegel, bei dem es eigentlich um Aggressionen im Straßenvekehr geht: "Eine Umgebung, die Ihnen als Fahrer keine Rückmeldung darüber gibt, ob Sie korrekt oder falsch handeln, ist eine verhexte Umgebung. So lerne ich nicht und verhalte mich wieder falsch. Das gilt auch für Fahrerassistenzsysteme wie ACC oder ABS. Bei den meisten bleibt die Rückmeldung von Fehlverhalten einfach aus. Man muss die Leute ja nicht in eine Gefahrensituation rasen lassen, aber man muss ihnen eine unangenehme Rückmeldung geben, damit sie künftig diese Fehler vermeiden. Gerade bei jungen Fahrern ist das total wichtig."

Das Auto ist übrigens noch aus andreren Gründen ein unehrlicher Geselle des Menschen. Es täuscht über die Kosten hinweg, die es der Gesellschaft aufbürdet um die Schäden, die es verursacht, auszugleichen, es verschweigt ihren Fahrer:innen, wie teuer der Straßenbau ist, wie groß der Schaden für die Umwelt, und sogar wie hoch die realen Kosten für seinen Besitzer sind. Es spiegelt eine billige Bequemlichkeit vor, die sich aufkosten aller anderen in unseren Städten und unseren Landschaften breit macht.


7 Kommentare:

  1. Autos wird es auch in Zukunft geben. Sie werden nur völlig anders aussehen und die Handhabung wird sich radikal verändern. Und es wird Gebiete geben, wo Autos ausgeschlossen werden.

    Leider macht es die Fahrradlobby der Autolobby auch ziemlich leicht: Der VDA hat schon vor Jahren 2 Kennzahlen erfolgreich in die Gesellschaft platziert: 430 Milliarden Umsatz und eine knappe Million Beschäftigte. Und diese 2 Zahlen lassen jeden Bürger, Politiker, Journalisten erzittern. Systemrelevant und so.

    Der VDA verschweigt aber erfolgreich, das allein der jährliche volkswirtschaftliche Schaden durch das Auto ca. 150 Milliarden Euro beträgt. Zusätzlich gibt es noch unzählige Subventionen usw. usw. Und die Fahrradlobby schafft es nicht, diese bereinigten Kennzahlen in der Gesellschaft zu platzieren.

    Thema Image. Zudem hat es die Fahrradlobby bisher nicht geschafft- das 500 PS-SUV-Panzer völlig uncool und psychologisch nur Kompensationsgegenstände für fehlende Zentimeter sind, zu transportieren. Männer sind beim Auto das Problem. Und das muss man klar benennen.

    Andererseits bieten Politik sowie Gemeinderäte den Menschen keine ECHTEN Alternativen an. Was den den Umstieg aufs Fahrrad angeht. Es fehlen seit 10 Jahren Radschnellwege-für Berufspendler-trotz GRÜNER Landesregierung. Aktuelles Beispiel: Die Umgestaltung der B14 mit dem S-City-RSW. Habe mir den Siegerentwurf 1269 angeschaut- der Entwurf ist so nicht belastbar und daher sinnlos.

    Für Autos werden Autobahnen kompromisslos geradeaus konzipiert- bei Radschnellwegen (RSW) kann man schon hier und da die Streckenführung grotesk 'aufweichen'.

    Ein Nadelöhr bzw. eine der wichtigsten Radfahrerstellen in der S-City wurde bei diesem 'Wettbewerb' schlichtweg ausgeklammert: Der Bergertunnel- auf Höhe Villastraße. Dort soll lt. Siegerentwurf der Radfahrer brachial vom S-City-RSW auf die bestehende, kurvige Freizeit-Murks-Strecke bei den Mineralbädern, ausgeleitet werden. Ein absolutes No-Go. Damit steht und fällt dieser Entwurf.

    Nach dem/der Bergertunnel/König-Karls-Brücke soll ja zukünftig ein Knotenpunkt entstehen: Für den RSW Neckartal und den RSW Remstal. (Bei letzterem ist die Brücke vom dem Wilhelmplatz 'das nächste dicke Brett')

    Vor diesem Hintergrund meine Forderung: Der S-City-RSW KANN NUR durch den Bergertunnel gehen- ansonsten kann man sich dieses Projekt komplett sparen...

    Schlechte Planungen und ein schlechtes Angebot bringen Menschen nicht dazu, auf das Fahrrad umzusteigen. Martin Schwarz

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  2. Und deswegen soll ja das Fahrrad dem Auto ähnlicher gemacht werden. Schwer, mit Motorunterstützung, Federung, Scheibenbremsen, Schutzkleidung...
    Wo die wichtigsten Kriterien Einheiten wie Wh, Nm haben. Wo man sich nicht für das nächste Wirtshaus interessiert, sondern für die nächste Steckdose.

    Ein Großteil der Leute in unserer Gesellschaft weiß nicht mal mehr ansatzweise, wozu ein Mensch physisch in der Lage ist

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    1. Aber gerade das Fahrrad mit Tretunterstützung hat in Stuttgart den Rafahrboom gebracht, ohne Pedelecs wäre nur die Hälfte der Leute mit dem Fahrrad auf der Straße. Die Berge kommen eben nicht alle mit dem Normalrad hoch. Du bist verkutlich jung und sportlich, denk dich in Ältere hinein, die das Auto stehen lassen und mit dem Pedelec die Alte Weinsteige hochfahren oder hoch auf den Killesberg. Ich finde es nicht hilfreich, die Pedelec-Fahrernden und die Standardrad-Fahrenden gegeneinander auszuspielen.

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    2. Marmotte, ich selbst bin bereits 30.000km elektrisch gefahren, und fahre auch gerne und viel ohne Motor. Besonders jetzt im Home Office fahre ich eine sportliche Runde mit Dusche am anderen Ende. Und ja, ich weiß was so ein Körper kann, zumindest bekomme ich bei mittllangen Anstiegen wie Kessel zu Filderebene auch ohne Motor 350 Watt auf die Kette.
      Aber nicht jeder Weg muss und sollte für mich eine sportliche Aktivität sein. Manchmal muss ich nur in den Kessel zum Finanzamt, oder meinen Kaffeeröster. In so einem Fall will ich schnell und unverschwitzt ankommen. Und da nehme ich gerne ein E-MTB. Beim Arbeitsweg (500Hm, 32km am Tag) ist es so, dass ich dort zwar duschen kann, aber ich brauche auch Mal zwischendurch einen Ruhetag ohne größere Sporteinheit. Ich möchte trotzdem nicht auf die S-Bahn warten müssen oder im Stau stehen, also ist das E-Bike da sinnvoll. Schließlich ist es so, dass ich bei Schnee und Eis mit dicker Kleidung und schwergängigen Spikes fahre, auch da ist ein E-Bike meine Wahl.
      Für meine Mobilitätsbedürfnisse ist ein E-Bike insgesamt eine gute Ergänzung zum Fahrrad, sogar in den Urlaub nehme ich oft beide mit.

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    3. Das ist nicht als unbedingt eine Kritik an den E-Bikern zu verstehen, ich habe selbst erst meiner Frau eins geschenkt, und natürlich ist jede Fortbewegung, die nicht mit dem Auto erfolgt eine gute Sache.

      Eine Kritk am E-bike als solchem ist es aber durchaus, da man es nicht von seinem Kontext losgelöst bertrachten kann. Und der Kontext ist eben eine durchtechnisierte Gesellschaft, die sich, wo es nur geht, von den physischen Gegebenheiten (Klima, Jahreszeiten, Schwerkraft, Altern, begrenzte Muskelkraft...) lösen will. Tauchen dann unweigerlich Probleme auf, dann ist die Antwort auch immer nur eine technische, und diese Technik ist unweigerlich immer komplexer, als das, das sie ersetzen soll. Eventuelle Einsparungen (die immer geringer ausfallen, als was versprochen wurde) werden durch Reboundeffekte aufgefressen, und unter dem Strich ist die Bilanz oft schlechter als vorher.

      In diesem Zusammenhang sind E-Bikes eben auch etwas, das nur Symptome bekämpft, keine Ursachen. Statt den MIV abzurüsten, werden Fahrräder aufgerüstet. Statt die Geschwindigkeiten der Autos herabzusetzen, werden die der Fahräder erhöht. Statt Pendeldistanzen strukturpolitisch zu verkürzen, setzt man auf E-Bikes um größere Distanzen zu bewältigen.

      Der Kontext ist eben nicht eine Gesellschaft, die Technik nur da einsetzt wo sie wirklich sinnvoll ist, sondern eine, die im Rahmen eines endlosen Wachstumszwangs alle Bereiche des Lebens der Technik unterwerfen will. Und das E-Bike gehört, was auch immer die individuellen Beweggründe des Einzelnen sein mögen, da mit dazu. Das bitte ich nicht aus den Augen zu verlieren.

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    4. Die Technik ersetzt nicht die schwindenden Fähigkeiten von älteren Radfahrern, sondern wird durch die höheren möglichen Geschwindigkeiten und Einschränkungen in Reaktionsvermögen und Sehkraft zur Gefahr.

      Ich halte es für eine Verkaufsmasche den Radfahrern die Elektrounterstützung eben u.a. mit "weniger schwitzen" und "Mithalten mit Jüngeren bei Touren" schmackhaft zu machen.
      Wenn das Bike dann gekauft wird, läuft der Support vielleicht zwei-drei Jahre gut, dann fängt der Akku an zu schwächeln und nach 5 Jahren gibts kein Zubehör mehr. Und wehe man lässt die Akkuzellen wechseln oder baut nen Nachbauakku dran dann weigern sich Werkstätten das Rad zu reparieren.

      Ein Bekannter von mir wird sein wenig genutztes Frontmotor-E-Bike schon gar nicht mehr los, ähnliche Bikes kriegt man schon im Supermarkt für wenig Geld. Selber kann er wegen fortschreitender Gesundheitsprobleme nicht mehr fahren.

      Viele E-Bike-Nutzer sind reine Sonntagsfahrer mit sauberen neuwertigen Rädern, welche sonst mit dem Auto fahren und so verhalten die sich auch. Habe erst gestern ne Gruppe E-Biker darauf hingewiesen, dass sie nicht auf den Gehweg gehören, sondern auf die Fahrbahn, vor drei Wochen war es ne E-Bike-Damengruppe am Sonntag am VZ239 vorbei auf dem Gehweg durch eine Straßenbahnhaltestelle seelenruhig über 500m falsch fuhr, obwohl in der Parallelstraße ein Radweg ist.

      Ich wäre dafür, dass man mehr Fahrradkurse für Erwachsene anbietet um denen die StVO nahezulegen und bei Verstößen sogar als Auflage zur Pflicht macht.

      -Anonymous von woanders-

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    5. Marmotte, dem stimme ich immer noch nicht zu. Mein E-Bike ersetzt auf diesen Fahrten das Auto, im Vergleich zu diesem bietet es mehr Klima, Jahreszeiten, Schwerkraft, Altern, begrenzte Muskelkraft.

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