15. Februar 2021

Das Auto war 2020 nicht die Alternative

Auch Corana war nicht die Stunde des Pkw. Das hat das vergangene Jahr gezeigt. Die Leute gehen lieber zu Fuß oder fahren mit dem Fahrrad, wenn sie nicht in die Busse und Bahnen steigen wollen. 

Eine representative Umfrage des Instituts für angewandte Sozialwissenschaft (infas) im Auftrag des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg vom Frühjahr und Herbst 2020 ergibt: Im Mai und Juni hat die Zahl der pro Tag zu Fuß zurückgelegten Kilometer um 73 Prozent zugenommen, der der Fahrradkilometer um 33 Prozent. Im Oktober und November war der Anstieg gegenüber 1919 nicht so groß. Gleichzeitig ging die Autonutzung zurück. Es stimmt also nicht, dass das Privatauto das Verkehrsmittel der Corona-Krise sei. Allerdings fahren vor allem diejenigen regelmäßig mit Bussen und Bahnen, die kein Auto haben, und von denen sind eben viele aufs Fahrrad oder aufs Gehen umgestiegen, solange das Wetter gut war. 

Eine Untersuchung von infas mit Smartphone-Tracking und Befragungen im Sommer ergibt ein ähnliches Bild.

Demanch stieg der Anteil der zu Fuß zurückgelegten Wege vor allem in den Städten deutlich und es wurde auch mehr Fahrrad gefahren. Die Pkw-Nutzung blieb gleich. Der Öffentliche Nahverkehr verzeichnete dagegen drastische Einbußen. Auch wenn viele Fahrrad-Zählstellen im Sommer steigende Zahlen zeigten, blieb der Anteil des Radverkehrs bundesweit bei rund 11 Prozent. Die Homeofficer:innen sind zum Beispiel nicht Rad gefahren. Aber interessanterweise hat sich die Länge der Strecken vergrößert von 4,3 km auf 5,6 km im Durchschnitt. 

Für eine Verkehrswende - weniger Autos, mehr Rad- und Fußverkehr und viel ÖV - braucht es eine Veränderung der Angebote. Das scheint mir daraus  ersichtlich. Es wird auch in Stuttgart (wie in vielen anderen Städten) nur dann sehr viel mehr Rad gefahren werden, wenn es durchgehende und bequeme Radwege und Radstreifen gibt, die von wirklich allen von 8 bis 80 befahren werden können. Für den Fußverkehr gibt sie ja bereits eine Infrastruktur, auch wenn sie oft unschön ist und von Autos auch noch zugeparkt wird. Damit Eltern ihre Kinder alleine zur Schule gehen lassen, braucht es aber unbedingt freie Kreuzungen (nicht zugeparkte Kreuzungen) und eine Verlangsamung der Geschwindigkeit des Autoverkehr. Daran fehlt es uns in Stuttgart noch sehr. Der ÖV muss seine Anteile zurückerobern - das wird er sicher auch. Er muss aber darüber hinaus jede Fahrt ins Büro oder abends ins Theater oder auf ein Konzert bequem ermöglichen. Ich muss auch um ein Uhr nachts noch nach Hause kommen. Nur dann sind eigene Autos in der Stadt unnötig und die Leute fangen wirklich an, ihre Autos abzuschaffen.

 

7 Kommentare:

  1. Ich nehme an, der Anstieg zu 1919 war signifikant.

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  2. Um aufs Auto zu verzichten, muss praktische Mobilität auch dann geboten werden, wenn man außerhalb der Hauptverkehrszeit oder abseits der Hauptstrecken unterwegs ist.

    Eine Möglichkeit wäre Carsharing, wo ein Auto mindestens fünf private Autos ersetzt. Leider stellt Stadtmobil Stuttgart nur Einfach-Autos zur Verfügung, die von Menschen genutzt werden, die sich kein Auto leisten können, erzeugt also Mehrverkehr. Normale Autos (Golf, Passat, C-Klasse), wie sie von normalen Stuttgartern gefahren werden, gibt's nicht

    Ein Angebot wären Leihräder für die letzte Meile von der Haltestelle zum Ziel. Gibt's nicht. Stattdessen Stationen.

    Also sehe ich in Stuttgart keine Alternative zum eigenen Auto. Viele andere Städte machen es besser.

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    1. Hallo Ralph,
      beim Carsharing gibt es verschiedene Ansätze. Bei der Einweg-Miete wie sie Sharenow (ex Car2go) anbietet gebe ich dir Recht. Das spart wie die Leihroller eher kein Auto.
      Stadtmobil bietet aber feste Stationen, Reservation im Voraus und eine umfangreiche Fahrzeugpalette an.
      Da kann man auf einen Zweitwagen verzichten oder auch ganz aufs eigene Auto, so wie wir das seit 10 Jahren machen. Wenn man die typischen Strecken wie Arbeit und Einkauf mit dem Rad macht, klappt das super.
      Gruss, Michael

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  3. @Ralph Gutschmidt: du scheinst die Beweggründe für die Nutzung von Stadtmobil sehr einseitig zu sehen. Ich selbst habe vor 20 Jahren mein Auto verkauft und nutze seither Stadtmobil, da es als Bewohner von Stuttgart für meine Zwecke reicht. Und die reichen von größeren Einkäufen (zB. Getränkekisten) über Besuche, Kinder transportieren bis hin zu längeren Winter- und Sommerurlaub. Einzige Ausnahme: Wege zur Arbeit, zum Bäcker, zur Haltestelle, Briefkasten. Dinge eben, wofür ein Auto noch benutzt wird, wenn es vor der Tür steht. Und genau aus den gleichen Beweggründen haben andere ebenfalls ihr Auto verkauft oder sich kein neues mehr angeschafft.
    Und welches Fabrikat ich fahre, ist mir so etwas von egal, es muss dem Einsatzzweck genügen und das tut ein Astra Kombi oder Toyota Hybrid oder Aygo genauso wie ein Golf, Passat und wie sie alle heißen. Stadtmobil Karlsruhe hat übrigens ebenfalls Astra im Angebot neben Ford, Seat etc. Aber offenbar sind das nicht die Marken und Fabrikate, die Stuttgarter geil finden.
    Die sehe ich dann jeden Tag vor meiner Haustür. Bedankt hat sich für das Mehrangebot an freien Parkplätzen durch meinen Verzicht auf ein eigenes Auto noch niemand bei mir. Bei einem vier-Personenhaushalt sollte ich statistisch eigentlich mindestens zwei PKW besitzen.
    Achso, leisten könnte ich es mir im übrigen. Fahrrad oder Bahn oder Stadtmobil oder die eigenen Füße reichen mir aber und finde ich viel geiler.
    Oder verstehe ich die ganze Ironie da oben nicht?

    Gruß Dirk

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  4. Lieber Dirk,

    Vielleicht siehst auch du die Sache einseitig. Viele Menschen stimmen dir zu, dass ihnen die Ausstattung relativ egal ist. Wenn ich aber aus dem Fenster schaue, sehe ich, dass viele offenbar weg auf etwas mehr Komfort legen. Daher fände ich es sinnvoller, wenn Stadtmobil Autos für mehrere Zielgruppen anbietet,statt nur für die Gruppe, denen Ausstattung und Komfort egal ist. Die Strategie in Karlsruhe scheint ja aufzugehen.

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  5. Ich habe mal einen Blick in die Auswertung der anfangs des Artikels erwähnten Umfrage geworfen. Auf Seite 10 findet man ein paar schöne Darstellungen, die den Modal Split zwischen Oktober/November 2020 und 2017 vergleichen. Nicht-Autobesitzer haben nun einen Autoanteil (inkl Mitfahrer) von 48%, zuvor nur 22%. Fahrradnutzung ist von 35% auf 27% zurückgegangen. Bei Autobesitzern hat sich fast nichts verändert.

    Auf der Übersichtsseite steht auch folgendes:

    "Der Autoverkehr war im Mai/Juni 2020 bereits fast wieder auf seinem vorherigen Niveau. 34 Prozent der Befragten gaben an, das Auto als Alternative zum öffentlichen Verkehr zu nutzen, 19 Prozent der Befragten stiegen vom ÖPNV auf das Fahrrad um."

    Alles in allem klingt das für mich überhaupt nicht nach "Das Auto war 2020 nicht die Alternative", ganz im Gegenteil! Verstehe ich da was falsch?

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  6. Die Studie kommt - anders als hier im Artikel suggeriert - keinesfalls zu einer optimistischen Einschätzung.
    Ganz im Gegenteil.
    Auch der Versuch in die Rezeption der Studie die Forderungen der Radentscheide hineinzudeuteln (Mehr Radwege...) ist nicht seriös.
    Wie so oft empfiehlt sich die Lektüre des Originals, statt Inhalte von interessengeleiteten sachlich gesehen unseriösen (sorry, aber ist nunmal so) sekundär Artikeln fälschlich in sein mindset hineinzulassen.
    https://vm.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mvi/intern/Dateien/PDF/200823_MOBICOR_infas_Mobilit%C3%A4tsreport_BaW%C3%BC.pdf
    Zitate:
    "DAS AUTO
    Dieser Schutzraum profitiert und wird dies vermutlich auch längerfristig tun."
    "DER FUSS- UND RADVERKEHR
    Das aktuelle Plus wird kaum bleiben. Die Nahraumorientierung
    wird abnehmen und damit auch die Nahmobilität. Wird das Wetter schlechter und verringern sich die Zeitbudgets für Freizeit und Einkauf, werden sich Fuß- und Radverkehr wieder auf das ursprüngliche Niveau bewegen."

    Resumee:
    "WIE KÖNNTE ES WEITERGEHEN?
    Pandemien möchte man am liebsten schnell vergessen. Dies war historisch so und zeigt sich auch schon jetzt.
    „Nachhaltigkeitserfahrungen“ werden so vermutlich nicht nachhaltig sein. Die Verkehrswende verlangt noch mehr Aktivität als zuvor."
    Alfons Krückmann

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