22. Juli 2021

Wer radelt, kann auch reden

Wir schweigen zu viel. Dabei sind kurze Wortwechsel, auch Small-Talk genannt, gut für die Seele. Darauf macht Spektrum.de aufmerksam. Wer im Auto abgekapselt sitzt, spricht mit niemandem, wer auf dem Fahhrad durch die Stadt streift, kann mit vielen Leuten reden. 

Vor allem eben mit Leuten, die man gar nicht kennt. Am Zebrastreifen steht eine Frau, die sich nicht traut, ich mache langsam und sage: Gehen Sie nur, ich habe Sie gesehen. Sie bedankt sich unnötigerweise. Und in meinen neuronalen Netzen entsteht ein kleines Lächeln. Am Wegesrand müht sich eine Frau mit einem Fahrrad ab, die Kette ist rausgesprungen, ich halte an und frage, ob sie Hilfe braucht. Selbst, wenn nicht, so fahre ich doch mit einem zufriedenen Gefühl weiter. 

Vor mir gehen fünf Leute auf dem Rad- und Gehweg und sind so mit sich beschäftigt, dass sie nicht daran denken, dass ich von hinten komme und vorbei möchte. Ich könnte klingeln, mache ich aber nicht, ich sage lieber: Nicht erschrecken, ich fahre jetzt mal links an Ihnen vorbei. Die Leute erschrecken zwar trotzdem, aber sie fühlen sich nicht weggebimmelt, und ich fühle mich auch besser, weil ich nicht in einen aggressiven Bimmel-Modus verfallen bin. Gerade vom Fahrrad aus kann man Menschen gut ansprechen und ihnen sagen, was man vorhat, oder sich entschuldigen, wenn man einen Fehler gemacht hat. Ich benutze inzwischen viel öfter meine Stimme und meine Worte anstatt zu klingeln. 

Natürlich haben wir auch als Fußgänger:innen viel mehr Möglichkeiten, mit Fremden ein paar freundliche Worte zu wechseln, als wir uns zunutze machen, aber gerade das Fahrradfahren schafft eine aktiv-freundliche Gefühlslage, die hilft, eine eventuelle Schüchternheit zu überwinden. Eine Bemerkungs übers Wetter geht immer. Und wer freundlich redet, bekommt meistens eine freundliche Reaktion (allerdings nicht immer). Wer Rad fährt, fühlt sich meistens stark und ist zumindest relativ entspannt. Da kann man sich bei jemandem bedanken, der einem mal kurz die Vorfahrt lässt, bei Fußgänger:innen, die stehen blieben, wenn man abbiegt, obgleich sie Vorrang hätten. Man kann jemanden ansprechen, der oder die ein wunderschönes Fahrrad fährt, oder zu einem Vater, der vom Fahrrad aus seine beiden radelnden Kinder dirigiert, anerkennend sagen, dass das ja doch eine Herausforderung ist. 

Ich bin von Natur aus geneigt, mit Fremden zu reden, habe aber festgestellt, dass das in Schwaben nicht so weit verbreitet ist und manche mich dann erschrocken anschauen und gar nicht wissen, was sie antworten sollen. Aber auch ein Lächeln ist ja schon schön und auf für diejenigen, die lächeln, ist das ein kleiner Moment der Freude. Wir gehen doch meist ziemlich in uns verkapselt durch die Gegend. Aber das kann man ändern. Und wie die Forsche:innen herausgefunden haben, hellt es die eigene Stimmung auf und löst bei einem selbst positive Gefühle aus. Und gerade das Radfahren ist ziemlich sozial. Menschen, die in ihrem Stadtteil und ihrer Stadt zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sind, haben meist mehr Sozialkontakte, kennen mehr Leute, lernen auch mehr kennen, und haben sogar oft auch mehr Facebookfreunde. Mit dem Fahrrad kann ich anhalten, wenn ich sehe, dass jemand Hilfe braucht. Ich kann auch anhalten, wenn ich am Wegesrand eine Bekannte oder einen Freund sehe. Ich kann mich als Teil der Stadtgesellschaft empfinden. Und wir Menschen mögen es ja, irgendwo dazuzugehören. 

7 Kommentare:

  1. ".., dass das in Schwaben nicht so weit verbreitet ist"?
    Ną muasch halt dei Ausschprąch verbessre!

    AntwortenLöschen
  2. Auf breiten Radwegen ergibt es sich auch immer wieder, dass man mit jemanden ins Gespräch kommt, der ungefähr das gleiche Tempo fährt. Peinlich wird es, wenn man die gleiche Zufallsbekanntschaft ein zweites mal macht und der/die andere merkt, dass wir uns schon mal unterhalten haben. Jedenfalls ist es absurd, dass Autofahrer einen Beifahrer neben sich haben dürfen und Fußgänger auch grundsätzlich nebeneinander laufen dürfen - nur für Radfahrer regelt man das umständlich und ziemlich restriktiv.

    Ich hoffe auch, dass es zum verständnisvollen Miteinander beiträgt und auch andere Radfahrer/Fußgänger/Jogger/Hundegassigeher/Unterhaltungsgrüppchen etwas davon haben, wenn man einen Konflikt in guter Stimmung lösen konnte und etwas in der Art hängenbleibt, dass doch nicht alle XXX aggressive oder rücksichtslose Verkehrsteilnehmer sind. Ich bedanke mich auch, wenn jemand erst nach Aufforderung/Bitte zur Seite geht (obwohl derjenige den Weg erst gar nicht hätte versperren müssen). Das tut mir selbst gut und den anderen hebt das vielleicht auch die Laune.

    Gelegentlich klappt es auch mit Autofahrern. Das ist aber schon eine Ausnahme. Wenn man den Wunsch anzeigt, dass man reden möchte und der/die Autofahrerin das Fenster runterkurbeln muss, scheint das erst mal als eine Art Einbruch in die Privatsphäre wahrgenommen zu werden. Nicht die besten Voraussetzungen für eine entspannte Situation.

    Manchmal hat man es aber so eilig, dass man sich die Zeit für den Smalltalk nicht leisten kann, aber ein Zuruf ist auch nach meiner Erfahrung als schnellerer Radfahrer meist besser als zu klingeln, wobei gelegentlich Fußgänger auf der Klingelei bestehen.

    AntwortenLöschen
  3. Deshalb sollte (echte) Radinfrastruktur so breit sein, dass man zu zweit nebeneinander radeln kann.

    Die Autofahrer nehmen wie selbstverständlich dür sich in Anspruch, nebeneinander zu sitzen und sich tu unterhalten, hindern aber, Radfahrer durch Drängeln, Hupen, zu dichtes Überholen daran.

    AntwortenLöschen
  4. Leider sind wir daran gewöhnt, einzeln zu fahren.
    Ich merke das immer daran, wenn wir die 2 km lange Esslinger Fahrradstraße entlangfahren und eigentlich 5 Minuten entspannt reden könnten. Man fährt dann doch lieber hintereinander, um schnell reagieren zu können, wenn ein Auto ausparkt oder aus der Seitenstrasse trotz Stoppschild die Vorfahrt nimmt.

    In Holland ist das ganz anders, da lernen schon die Kids, direkt nebeneinander zu fahren. Und die Zweierpärchen werden nicht weggehupt wie bei uns.

    AntwortenLöschen
  5. Ansprechen ist höflich, aber langsam und uneindeutig. Wer spricht mich von hinten an und warum? Eine Fahrradklingel hingegen ist ziemlich eindeutig, wenn man sie denn hört und keinen Knopf im Ohr hat. Wenn ich mit dem Rennrad unterwegs bin, muss ich mich mindestens 15-20 m hinter Fußgängern oder langsamen Radlern bemerkbar machen, damit alle Zeit haben, zu reagieren. Da müsste man dann schon brüllen und das erscheint mir auch nicht höflicher.
    Auf dem MTB im Wald hingegen halte ich auf Trails immer an und warte oder spreche die Leute an. Anderes Tempo, andere Situation.

    AntwortenLöschen
  6. Probiere es mal aus mit Rufen (nicht brüllen) und vergleiche. Meine Rennradklingel macht nur relativ leise "pling" und wird relativ häufig gar nicht wahrgenommen oder führt zu unvorhersehbarer Schreckreaktion. Die Schreckreaktion ist wesentlich seltener bei Zuruf. Vielleicht gerade weil es nicht eindeutig ist, schauen sich die Leute eher um statt blind irgendwo hin zu springen. Die Erwartung scheint beim Klingelton zu sein, dass das keine neutrale Information ist

    "Da ist gleich ein Fahrradfahrer, nicht erschrecken und einfach gerade weiterlaufen!",

    sondern

    "Da kommt ein rasender Radfahrer, der meint, ich würde was falsch machen und von ihm umgefahren werden, wenn ich nicht ausweiche - egal wohin, denn jetzt bin ich ihm offensichtlich im Weg. Bloß schnell aus der Bahn, sonst gibt es einen Unfall."

    Möglicherweise macht der Klang der Klingel und die Tonhöhe auch was aus. Ein gemütlich klingendes traditionelles "Klingel-rrrring" löst evtl. andere Reaktionen aus. Gibt es vielleicht eine Studie, die die Unterschiede herausgearbeitet hat?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Na ja, manchmal bedeutet es ja auch letzteres. Manche Paare schaffen es, sich auf einem vier Meter breiten Weg so zu verteilen, dass man nicht gut vorbeikommt. Und ja, eine Klingel, die laut, aber auch wohltönend ist wie eine Hollandradklingel, aber so klein wie eine Rennradklingel wäre fantastisch. Jetzt wird's aber etwas off-topic, eigentlich ging es ja um verbale Kommunikation.
      Unter anderem fahre ich so gern Rad, weil ich das alleine machen kann und nicht reden muss... ;-)

      Löschen