4. Oktober 2021

Blutstreifen und Vorfahrtsfragen


Rot asphaltierte Radstreifen sehen immer so aus, als hätten wir darauf Vorrang. Das ist aber nicht deshalb so, weil die Fläche rot markiert ist. Fahrbahnfarbe allein schafft keine Verkehrsregel. 

Dass wir auf roten Radstreifen oft Vorrang haben, liegt daran, dass die Streifen dort rot sind, wo wir kreuzendem Verkehr gegenüber sowieso vorfahrtsberechtigt sind. Hingegen bedeutet die Rotmarkierung auf einem ganzen Kreuzungsbereich - wie auf dem Foto in Fellbach - nicht, dass wir bei einem Ausfall der Ampelanlage überall Vorrang hätten. 

Wir haben dagegen immer Vorrang an Einmündungen von Seitenstraßen in Vorrangstraßen mit Radstreifen, wenn wir parallel zur Vorrangstraße unterwegs sind. Komplizierter wird es, wenn Radstreifen parallel zu einem Zebrastreifen fern einer Kreuzung rot markiert sind.

So einen Fall in Werne schildert dieser Artikel (mit Foto). Für Autofahrende sei das verwirrend, heißt es, aber die Verkehrszeichen regelten das eindeutig: Unter dem Schild "Zebrastreifen" hängt ein weißes Zusatzschild mit Radzeichen und Pfeilen in beide Richtungen. Dies zeige den Autofahrenden, dass Radfahrende hier wie die Fußgänger:innen Vorrang haben (also nicht absteigen und schieben müssen). Sie haben aber eben auch ein Vorfahrt-achten-Schild. Ich kenne keinen solchen Überweg in Stuttgart. Meine Erfahrung ist allerdings, dass Autofahrende an Zebrastreifen auch dann bremsen, wenn Radfahrende rüber wollen. Die meisten wissen nicht, dass Radler nur dann Vorrang hätten, wenn sie absteigen und schieben. 

Die rote Markierung ist kein Verkehrszeichen, sie soll die Aufmerksamkeit der Autofahrenden erhöhen. Inzwischen nimmt man auch gerne mal Türkis oder eine andere Farbe. In Radlerkreisen wird der rote Streifen auch Blutstreifen genannt, weil wir ihm vor allem dort begegnen, wo wir geradeaus zwischen zwei Autofahrspuren geleitet werden. Beim Spurwechsel darf er von Autofahrenden überfahren werden, sie müssen aber dabei auf uns Radfahrende achten. Eine regelmäßig den Puls beschleunigende Situation für Radfahrende. Autofahrende missachten den Vorrang für Radfahrende nämlich gern. 

Kommt zu einem längeren Stau an der Ampel, dann stehen Autos oft quer über dem Blutstreifen. Kaum einer hält links oder rechts davon an und wartet, damit Radfahrende noch geradeaus zur Haltelinie an der Ampel vorfahren können. Merke: Der Respekt vor rote Farbe, die Radfahrflächen markiert, ist sehr gering bis null. Auf diesem Blutstreifen am Wilhelmsplatz in Stuttgart hat es im vergangenen Jahr einen Radunfall gegeben, weil ein Autofahrer beim Spurwechsel eben nicht auf den Radler geachtet hat. Sind wir über die Kreuzung hinweg auf diesem Streifen gelandet, haben wir allein deshalb Vorrang vor dem Autoverkehr, weil wir geradeaus radeln, während der Autoverkehr die Spur und damit die Richtung wechseln muss, wenn er geradeaus weiterfahren oder links abbiegen will. Das hätten wir auch ohne rote Farbe und ohne diesen Streifen.  

Im Grunde dient die rote Markierung nur einer Kenntlichmachung von Flächen, die dem Radverkehr vorbehalten sind. Ich vermute, man hat am Neckartor die verzwickte Radstreifenführung über Verkehrsinseln und Ampeln auch deshalb rot angemalt, damit Radfahrende ihre Wege überhaupt finden. Autoverkehr und Radverkehr laufen in doch recht gut getrennten Bahnen. Der Radstreifen in der Verlängerung der Neckarstraße Richtung Verkehrsinsel und Schlossgarten markiert (etwa, wenn die Ampelanlage ausfällt) keine Vorfahrtsberechtigung gegenüber denen, die die sechsspurige Vorrangstraße von und zur Cannstatter Straße entlang rasen. Wer aber hier nach rechts über die Fußgängerfurten quert, hätte eigentlich dem Autoverkehr aus und in die Neckarstraße gegenüber Vorrang (wenn die Ampelanlage ausfällt), denn eigentlich radelt er oder sie ja an der Vorrangstraße (dem Bogen der Cannstatter Straße) entlang. 

Radstreifen, meist ohne rote Farbe, finden wir in Stuttgart parallel zu Zebrastreifen vor allem an Kreisverkehrsausfahrten. Also dort, wo wir ohnehin Vorrang haben. Alles, was abbiegt, muss die Vorfahrt derer beachten, die dem Straßenverlauf folgen, also weiter herum fahren, egal, ob auf der Fahrbahn oder über die Fußgängerüberwege. Und weil Einfahrende in den Kreisverkehr ein Vorfahrt-achten-Schild sehen, müssen auch sie den querenden Radverkehr abwarten, den Fußverkehr sowieso, weil er über einen Zebrastreifen geht. Auch das ist also eindeutig geregelt. 

In Stuttgart haben wir aber Stellen, bei denen man ins Grübeln kommen kann. Dass Fußgänger:innen hier gegenüber dem Fahrverkehr aus dem Königssträßle zur Jahnstraße (Vorrangstraße) Vorrang haben, ist klar. Bei Radfahrenden mögen Autofahrende das anders sehen.  Zwar haben geradeaus fahrende Radler:innen, die an einer Vorrangstraße entlang fahren (auch wenn sie auf dem Gehweg fahren), immer Vorrang, aber dieser Zebrastreifen mit dem Radstreifen befindet sich ein gute Autolänge von der Jahnstraße entfernt. Da müssen alle Beteiligten schon genau wissen, dass die Entfernung unter fünf Meter ist und demzufolge Einbiegende und zur Vorfahrtsstraße fahrende meine Vorfahrt respektieren müssen. 

Auf dem Radweg entlang der Heilbronner Straße ist halbes Dutzend Übergänge über die Einmündungen von Seitenstraßen auch so organisiert. Radfahrende haben nur deshalb gegen über dem Autoverkehr aus der Seitenstraße Vorrang, weil sie entlang einer Vorfahrtsstraße radeln. Das wissen Radfahrende  allerdings nicht, denn kein Verkehrszeichen weist sie darauf hin. Nur die über die Einmündung gelegten Radstreifen suggerieren, dass das so ist. Wäre das nicht so, gäbe es diese Fahrbahnmalerei auch nicht. Sie fehlt deshalb auch immer an Rechts-vor-Links-Kreuzungen in Tempo-30-Zonen. In sofern geben uns die Radstreifen (mit und ohne Farbe) einen Hinweis darauf, dass wir hier gegenüber dem Querverkehr Vorfahrt haben. 


11 Kommentare:

  1. Deutschland (wer hätte es gedacht): Radwege mal schwarz, mal rot, mal grün, mal blau. Alles kompliziert, verwirrend, unklar, gefährlich.

    Niederlande (wer hätte es gedacht): Radwege immer rot, außer wenn Radverkehr keinen Vorrang hat. Einfach, logisch, klar, sicher.

    Und es ist roter Asphalt, obwohl der teurer ist als schwarzer. Aber so ist der Radweg auch nach vielen Jahren noch rot, während die Farbe in D schon längst abgefahren und verbleicht ist (und natürlich nie erneuert wird).

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    1. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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    2. Der Unterkommentar wurde von mir gelöscht, weil er anonym war und dazu noch eine Person persönlich angegriffen hat. Ich möchte, dass wir hier konstruktiv miteinander diskutieren, statt auf andere zu schimpfen.

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  2. "So einen Fall in Werne schildert dieser Artikel (mit Foto). Für Autofahrende sei das verwirrend, heißt es, aber die Verkehrszeichen regelten das eindeutig: Unter dem Schild "Zebrastreifen" hängt ein weißes Zusatzschild mit Radzeichen und Pfeilen in beide Richtungen. Dies zeige den Autofahrenden, dass Radfahrende hier wie die Fußgänger:innen Vorrang haben (also nicht absteigen und schieben müssen)."

    Falsch . Die Radfahrer haben an dieser Stelle ausschließlich wegen der "Vorfahrt gewähren" Schilder (Z.205) für die Fahrbahn ganz oben an den Masten (und nicht wegen der Zusatzschilder unten) Vorfahrt.

    Verwirrend ist da nichts. Vermutlich "übersehen" da Autofahrer die Z.205 öfters, weil die Stelle baulich nicht als Kreuzung zu erkennen ist und die Schilder somit dort stehen, wo sie nicht erwartet werden.

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    1. Stimmt, das vergaß ich zu erwähnen, sorry. Danke für die Ergänzung. Verwirrend war es wohl eher für den Autor des Zeitungsartikels. 😊

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  3. Was sagen die Verwaltungsvorschriften zur StVO dazu? Die richtet sich natürlich nur an die Verwaltung aber gibt dem Verkehrsteilnehmer Hinweise. Selbst regeln tun die Streifen an Furten demnach nichts, aber sie müssen in bestimmten Fällen markiert werden und dürfen nicht markiert werden in anderen Fällen.
    StVO-VwV Zu § 9 Abbiegen, Wenden und Rückwärtsfahren Zu Absatz 2 4 II.
    Im Fall von Radverkehrsanlagen im Zuge von Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) sind Radwegefurten stets zu markieren. Sie dürfen nicht markiert werden an Kreuzungen und Einmündungen mit Vorfahrtregelung "Rechts vor Links", an erheblich (mehr als ca. 5 m) abgesetzten Radwegen im Zuge von Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) sowie dort nicht, wo dem Radverkehr durch ein verkleinertes Zeichen 205 eine Wartepflicht auferlegt wird. Die Sätze 1 und 2 gelten sinngemäß, wenn im Zuge einer Vorfahrtstraße ein Gehweg zur Benutzung durch den Radverkehr freigegeben ist.

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    1. Genau so stelle ich es in meinem Artikel dar. Markierung heißt allerdings nicht, dass sie rot markiert werden müssen. Es reichen, wie in den geschilderten Fällen entlang der Heilbronner Straße weiße unterbrochene Linien und das Fahrradzeichen.

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  4. Ich hab jetzt die Erfahrung gemacht: Man muss Gesetze kompliziert machen, dann fällt es nicht so auf.

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    1. Sagen wir mal so: Die meisten von uns werden überhaupt nicht groß nachgedacht haben, wenn sie solche Furten benutzen. Sie sind ja auch so organisiert, dass man da radeln kann, ohne groß nachzudenken (was nicht überall der Fall ist). Für Autofahrende stehen immer Verkehrzeichen da, die man aber halt auch sehen muss, und das überfordert viele Autofahrenden bei der Unmenge von Verkehrzeichen.

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  5. Ist denn ein Radweg, der mehr als 5m weg von der Fahrbahn, in eine andere Richtung führt, überhaupt noch benutzungspflichtig?

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    1. Nein. Ist er nicht, soviel ich weiß. Es muss erkennbar sein, dass der Radweg in die Richtung führt, in die du willst. Und er sollte auch erreichbar sein. Also wenn man über eine zwei oder noch mehrspurige Straße kreuzen muss (ohne Ampel und alles), dann musst du da auch nicht hin.

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