12. November 2022

Du mit deinem Radfahren!

Hast du kein anderes Thema? Es gibt Wichtigeres. Allerdings sind wir alle beinahe jeden Tag dem Straßenverkehr ausgesetzt. Und über das, was wir täglich machen, sollten wir schon nachdenken. 

Zum Alltag gehört die Art und Weise, wie wir zur Arbeit, zur Ärztin, zur Schule oder zum Sport kommen. Routine ist, wenn Abläufe ohne gedankliche Beteiligung vollzogen werden. 

Die meisten von uns verwenden auf die Frage, ob wir ins Auto steigen oder mit Bussen und Bahnen fahren, nur wenig Gedanken. Wer ein Auto hat, fährt Auto. Viele tun es automatisch und voller Verachtung für den Weg, den sie durch die Stadt zurücklegen werden. Auch das Radfahren kann eine alternativlos automatische Entscheidung sein, ist es aber meistens nicht. Radfahrende können sich bei Regen oder Schnee immer noch überlegen, ob sie die Stadtbahn nehmen oder das Auto. Menschen, die längere Strecken zu Fuß gehen, tun das bewusst, weil sie gern zu Fuß gehen. Die andern laufen nur zur Bushaltestelle. Wir haben über viele Jahre Routine erworben in unserer Mobilitätsform. Wir wissen, wie schnell wir fahren oder gehen müssen, um noch bei Grün über die Ampel zu kommen und welche Verkehrsregeln wir verletzen können. Wir finden uns ohne nachzudenken zurecht. Deshalb ist es auch so schwierig, etwas zu verändern. Die meisten Menschen wollen sich nicht in etwas Neues reinfuchsen. 

Menschen, die immer Auto fahren, bekommen regelrecht Panik, wenn die Rede von Mobilitätswende ist.

Sie reagieren heftig, wenn andere darüber nachdenken, es dem Autoverkehr in unseren Städten schwer und dafür dem Rad- und Fußverkehr leichter zu machen. Weil sie selbst panische Angst bekommen bei dem Gedanken, sie müssten die Stadtbahn oder das Fahrrad nehmen, behaupten sie, dass immer Auto gefahren werde. Das mag ja sein, aber die Frage ist, ob man selbst immer mit dem Auto fahren muss oder ob man auch mal Fahrrad oder Bahn fahren kann. Um mehr geht es nicht. 

40 Prozent der Autofahrenden behaupten, das Radfahren sei zu gefährlich. Tatsache ist durchaus, dass die Radinfrastruktur viel zu schlecht ist, um einladend zu wirken, vor allem für unerfahrene Radler:innen. Aber einige probieren es aus und stellen sehr bald fest, dass es sich auch in Stuttgart viel besser Rad fahren lässt, als es durch die Autowindschutzscheibe aussieht, und dass es meistens sogar ziemlich bequem und stressfrei ist und man mit besserer Laune ankommt. 

Viele wünschen sich auch weniger Autos in der Stadt, wollen aber selber jederzeit Auto fahren können. Der Verkehr (Autoverkehr, aber auch Radverkehr) soll woanders stattfinden, nicht vor ihrer Haustür. Gleichzeitig will man selber mit Auto (und Rad) überallhin fahren können. Diese Mentalität, dass ich zuerst dran komme und immer schnell irgendwo hin gelangen kann, hindert uns am Mitdenken der Bedürfnisse anderer. 

Der Autofahrer, der auf dem Gehweg parkt, verachtet die Menschen zu Fuß, nimmt sie nicht einmal wahr. Der Radler, der auf dem Gehweg fährt, verachtet die Kinder und Alten, die dort stressfrei gehen wollen. Und die Fußgängerin, die auf dem Radweg geht, verachtet die Radfahrenden und ihre Bedürfnisse. 

Solange Mobilität mit Verachtung für die Mobilität anderer einhergeht, wird es immer mühselig sein, Änderungen herbeizuführen. Jeder und jede verteidigt nur die eigene Mobilität und besteht auf eigenen Vorteilen. Es lohnt sich aber viel mehr, auch für uns selbst, mal an andere zu denken und deren Bedürfnisse ernst zu nehmen. Daraus entsteht eine Win-Win-Situation. 

Radwege sind kein Instrument, um den Autoverkehr zu behindern. Ganz im Gegenteil, sie machen ihn flüssiger. Wenn man sicher und bequem in einer Stadt Rad fahren kann, dann tun das auch sehr viel mehr Menschen als heute. Je mehr Menschen Rad fahren, desto weniger sind in Autos unterwegs, was für Handwerker:innen oder Sozialdienste, die das Auto brauchen (was nicht immer der Fall sein muss!) ein Segen wäre. Wenn es ein echtes Parkraummanagment mit Plätzen für Lieferdienste, Sozialdienste und Handwerk gäbe, dann müssten die nicht auf Gehwegen den Fußgänger:innen das Leben schwer machen. Und wenn es Nachttakte für den öffentlichen Nahverkehr, überall Carsharing und gute Radwege gäbe, dann können viele das teure Auto abschaffen, was an unseren Straßenrändern viel Platz schaffen würde, auf dem Kinder spielen können. Wenn wir mit Freundlichkeit die Bedürfnisse - vor allem der Radfahrenden und zu Fuß Gehenden - bedenken würden, könnten wir gemeinsam und ohne Panik einen Verkehr organisieren, der für alle passt, nicht nur für die Autofahrenden. 


11 Kommentare:

  1. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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  2. Ich fahre Rad, weil ich es (inzwischen) als energetischen und umweltschädlichen Wahnsinn ansehe, mit dem Auto zu fahren, wenn ich dieselbe Fahrt auch mit dem Fahrrad "irgendwie hinkriegen" kann. Wenigstens die Hälfte der Menschen in D könnte das täglich, hat aber einfach "keinen Bock".

    Wer auch nur ein bisschen rechnen kann, wird schnell herausfinden, dass er locker immer seine Kühlschranktür offen lassen kann und sämtliche (Glüh)lampen brennen lassen kann, und dabei dennoch weniger Energie verschwendet, als wenn er die 5 km in die Arbeit oder zum Einkaufen mit dem Auto anstatt mit dem Pedelec fährt.

    Dieser Aspekt des Themas Autoverkehr wird erfolgreich totgeschwiegen. Es wird inzwischen so getan, als sei es lediglich nur noch eine Frage des "Platzbedarfs" für diejenigen, die sich vielleicht irgendwann fürs Fahrradfahren entscheiden werden. Ist es m.E. nicht.

    Ich würde soweit zu gehen zu behaupten, dass nicht derjenige ein "Klima-Chaot" ist, wer dagegen protestiert, sondern derjenige, der sich aus reiner Bequemlichkeit in seine Energieverschwendungsmaschine setzt.

    Stefan, Fürstenfeldbruck, Bayern

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    1. An dem Punkt muss man noch einen Schritt weitergehen und die Systemfrage stellen. Wer profitiert davon, wer organisiert es (ja, es wurde von Anfang an organisiert), dass die Menschen so von ihrem Auto abhängig sind und bleiben.
      Und da muss man ansetzen.

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  3. Jörg
    "Radwege sind kein Instrument, um den Autoverkehr zu behindern." Stimmt, es geht darum der Radfahrenden einen angenehmen Weg bereit zu stellen. Die Gründe dafür können verschieden sein, sozial, umweltpolitisch, lärmgetrieben oder der Gerechtigkeit wegen, um der Radfahrenden Minderheit ihren Platz- und Steueranteil zu gewähren.
    Jedenfalls sollten Radfahrenden nicht als Verkehrshindernisse zur Verlangsamung von Autofahrenden eingesetzt werden. Das schafft eher Unfrieden.

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    1. Bedeutet das nun, dass sich für den MIV nichts ändern soll/darf?

      Ich persönlich finde: Jeder soll seine individuelle Mobilität innerorts gestalten, wie er will, von mir aus auch mit einer tonnenschweren Maschine mit dem Platzbedarf eines mittleren Kinderzimmers. Von mir aus auch mit einem rollenden Jumbojet!

      Aber die allgemeine Erwartungshaltung, dass man damit überhaupt zum Ziel kommt, und zwar schnell, völlig ungehindert und mit einem passenden Abstellplatz am Ziel, die Erwartung, dass sich "alles andere" an den Rand drängt und sich dort abspielt, wo es mich mit meinem Ding "nicht stört", ist doch das eigentliche Problem?

      Stefan, Fürstenfeldbruck, Bayern

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    2. Wenn man eine gute Radinfrastruktur baut, dann wird es automatisch unbequemer für Autofahrende, und es radeln auch mehr. Natürlich ändert sich was. Aber das politische Argument, wir bauen einen Radweg, nur damit wir den Autoverkehr behindern, das sollte nicht gezogen werden, finde ich. Denn damit missbraucht man den Radverkehr für ein sachfremdes Argument.

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  4. Ich denke nicht, dass die Kosten eine so große Rolle spielen. Sonst gäbe es keine Tendenz zu immer größeren Autos und bei hohen Spritpreisen würde weniger gefahren. Offensichtlich scheinen die Kosten die Bequemlichkeit (noch) nicht wettzumachen. Und genau da muss man ansetzen, es sukzessive unbequemer machen für MIV und bequemer für ÖPNV, Rad- und Fussverkehr.

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    1. Jeden Tag, wenn ich an Ampeln hinter laufenden Motoren stehe, denke ich mir: "Ich dachte, der Sprit ist so teuer, wie kann man da den Motor laufen lassen?", oder "Ich dachte, die Welt geht unter, wie kann man da den Motor laufen lassen?"

      Aber ich hab schon gemerkt: Ich bin total auf der falschen Spur. Ich hab das mit der "Verkehrswende" vor 5-6 Jahren mal echt ernst gemeint. Heute lach ich nur noch drüber.

      Schon in den 1980ern haben wir gefordert: Auspuff gefälligst nach innen leiten, nicht nach außen. Hat auch damals schon keinen interessiert. :-)

      Stefan, Fürstenfeldbruck, Bayern

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    2. .....und jedesmal, wenn wir mal wieder an einer Anforderungsampel viel Zeit haben, zählen meine Tochter und ich Autos, sie alle, ich nur diejenigen mit nur einem Insassen... es sind immer mindestens 90% Alleinfahrende...Du hast recht, der Sprit ist immer noch viel zu billig

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