30. Mai 2024

Slalom, Labyrinth und Schrecken - die deutsche Radinfrastruktur

Oft wird der Radverkehr in eine bestehende Straßenführung hineingebaut. Und da passt sie nicht rein. 

Deshalb werden Radfahrende im Slalom über Radstreifen, Gehwege, Rampen, Kreisverkehre und Linksabbiegeflächen geschickt. Man sieht viel rote Farbe, viele Verkehrszeichen, viele Linien und Pfeile, verschiedene Ampeln, viele Radzeichen auf dem Asphalt und muss höllisch aufpassen, dass man den Weg durchs Labyrinth findet. Wege, Flächen und Ampelsystem ändern sich alle paar Meter. 

Dem Radverkehr dient das nicht, eher dem guten Gewissen einer Stadtplanung (und deren politischen Entscheidungstragenden), dass man an Radfahrende gedacht und was getan hat. Für die Menschen in der Planung war das Ganze mit ähnlichem Grübeln und Tüfteln verbunden, das nachher von uns Radfahrenden verlangt wird. Ein Beispiel für diese verbreitete Art der Radverkehrsplanung habe ich in Wangen im Allgäu gefunden. 

Es befindet sich auf der von Autos viel befahrenden Ravensburger Straße, auf der man Richtung Ravensburg (und Autobahn) raus und von dort reinfährt. Eine Kreuzung wurde durch einen Kreisverkehr ersetzt. Das oberste Foto zeigt einen noch harmlosen, aber typischen Übergang vom Schutzstreifen auf einen Gehweg, der gleich rigoros als Radweg ausgeschildert ist. Das heißt: Fußgänger:innen dürfen da gar nicht erst laufen. (Da wollen auch wenige lang oder hin, aber ich habe da schon welche gesehen.) 

Dann wird man durch einen Kreisverkehr geführt, den man auf der Fahrbahn radeln soll. Unmittelbar dahinter wird man angewiesen, wieder hoch auf den Gehweg zu fahren, der jetzt ein gemeinsamer Geh-/Radweg ist. Wer genau hinguckt, sieht auf dem Dreierbild oben eine Radlerin ganz links auf dem Gehweg radeln. Sie ist nicht den Abgang zum Radstreifen auf der Fahrbahn runtergefahren, der vor dem Kreisverkehr aufhört, sondern auf dem Gehweg geblieben (Angst?). 

Eine Weile radeln wir nun auf dem Geh-/Radweg, dann geht es als Radfahrstreifen (Dreierbild links unten) weiter. Und genau hier schießen zuweilen Autofahrende nach rechts rein zu einem Händler. Der Radstreifen wandelt sich zum Ortsausgang hin in einen schmalen Schutzstreifen um. Die Lkw donnern abstandslos an mir vorbei. Wie es weitergeht, ist aus dieser Perspektive (Dreierbild rechts unten) nicht zu erkennen. Gar nicht. Man kann sich jetzt überlegen, ob man wirklich auf dieser Landstraße weiterradeln will. Die Flucht auf den Gehweg mit Rad frei ist aus voller Fahrt nicht möglich, weil der Bordstein viel zu hoch ist. (Außerdem führt der Weg woanders hin.) Diejenigen, die auf der Fahrbahn weiterradeln wollen, weil sie unerschrockene Radler:innen sind, sehen sich dann aber einer bösen Überraschung gegenüber. 

Denn unversehens sehen wir eine Verkehrsinsel (Dreierbild oben, rangezoomt). Die ist nicht für Fußgänger:innen gedacht, denn hier kann niemand zu Fuß queren, sondern als Aufstellplatz für Radfahrende zum Linkssabbiegen auf den linksseitigen Radweg gedacht. Das erkennt man beim Ranradeln allerdings nicht. Das muss man wissen.

Wenn ich es sehe, ist es zu spät. Denn ich radle rechts rechts am Rand und muss nun unversehens rüber nach links und dabei noch auf den kurzen Streifen zwischen den beiden Fahrbahnteilern zackig abbremsen. Das traue ich mich nicht mit Lkw oder Pkw-Fahrer mit Überholdruck hinter mir. Bremsen und anhalten muss ich auf dieser Insel übrigens fast immer, denn Gegenverkehr kommt reichlich. Das ist für mein Gefühl eine Selbstmordaktion. 

Diejenigen, die sich hier nicht auskennen, haben keine Chance. Da ist man vorbei, ehe man das erkennt. Allerdings liegt der ausgeschilderte Radweg genau dort drüben, linksseitig. Er führt dann fahrbahnfern in eine Senke hinunter und drüben wieder hoch zurück zur Fahrbahn. Und ich muss da radeln, er ist verpflichtend. Nur kommt man dort nun nicht mehr hin, wenn man an dieser Verkehrsinsel vorbeigeradelt ist. Dieser Radweg hat übrigens ein heftiges Gefälle von 20 %, was in Gegenrichtung, also Richtung Wangen eine fiese Steigung ist. Typisch: den Autos die sanfte Steigung (damit der Motor sich nicht überanstrengt), den Radfahrenden immer die Steilstrecken durchs Grüne! 

Der Weg in Gegenrichtung also Richtung Wangen Zentrum, geht nur ein Stück auf einem Geh-/Radweg entlang, dann wird man nach rechts durch die Wohnstraßen geschickt. Allerdings kommt man wieder auf die Ravensburger Straße zurück und radelt nun auf den Kreisverkehr zu. Davor wird man über eine Rampe runter auf einen kurzen Radfahrstreifen geführt, der vor dem Kreisverkehr - wie in Deutschland üblich - aufhört. Der Kreisverkehr ist einer, auf dem viele Autos fahren, deren Fahrer:innen in alle Richtungen wollen und meistens nicht blinken, bevor sie rausfahren. Man rollt oder gleitet also nicht mit dem Rad einfach so hinein, man muss fast immer anhalten und warten, dann starten, dann dem nachfolgenden Autofahrer klar machen, dass man nicht die nächste rausfährt, also mittig radeln, dann drüben wieder raus und unmittelbar dahinter über die Rampe wieder auf den Gehweg hochschwenken (Das Foto in dem Doppelbild unten habe ich vom Gehweg aus gemacht, beim Radeln ist das nicht möglich.) 

Der Gehwegradweg macht dann an der folgenden Ampel diesen rot markierten gewagten Schwenk auf die Fahrbahn, wobei der Streifen dahinter als schmaler Schutzstreifen weitergeht. Da die große Autoampel (die für den Fahrverkehr) dabei rechts von mir ist, gilt sie für mich, ich habe mit dem Autoverkehr grün. 

Dabei muss ich höllisch aufpassen, dass die Autofahrenden auch gemerkt haben, dass ich vom Gehweg auf den roten Sstreifen runter gerollt komme und geradeaus weiter radeln will. Denn hier wird nach rechts abgebogen und der Respekt der Geradeausfahrenden vor dem roten Belag ist auch nicht sonderlich groß. Sie rechnen nicht mit Radfahrenden, denn viel Radverkehr ist hier nicht, kein Wunder, wem gefällt das schon? 

Ein Verwirr-Kuriosum gibt es dabei zusätzlich. Denn wäre ich auf dem Gehweg geblieben, dann könnte ich auch die Fußgängerampel benutzen, auf deren Streuscheiben sind Fahrradzeichen zu sehen. Und eigentlich gelten doch laut StVO für den Radverkehr zuerst die Ampeln mit Radzeichen in den Streuscheiben. Und nur wenn es die nicht gibt, dann gelten die Ampeln für den Fahrverkehr. In diesem Fall sind sie - wie üblich - parallel geschaltet, die Fußgänger:innen haben Grün, während der Geradeaus- und Abbiege-Autoverkehr grün hat. Und eigentlich sind die Linien auf dem Gehweg ja für mich ja auch eindeutig. Oder doch nicht? 

So etwas mutet man wirklich ausschließlich Radfahrenden zu. Ein ständiger Wechsel der Verkehrsflächen, Mischverkehr mal mit Fußänger:innen, mal mit Autos, ständige Richtungsänderungen - während der Autoverkehr auf geraden Strecken rollt - und dann solche gefährlichen, zumindest aber superstressigen und angsteinflößenden Wechsel von der rechten Fahrbahnseite über die ganze Fahrbahnbreite auf einen linksseitigen Radweg, ohne Vorwarnung, ohne vorbereitende Richtungsschilder, ohne Querungshilfe in Form einer Ampel mit Bucht zum indirekten Linksabbiegen, so wie es das in Stuttgart in der ähnlich, aber nicht ganz so labyrintisch organisierten Geißeichstraße Richtung Birkenkopf gibt, wo man auf den linkseitigen Radweg fahren soll.

Das ist eine Alibi-Radinfrastruktur, die auf den Beweis setzt, dass hier ja kaum jemand Rad fährt und man auch nichts besseres braucht. Einladung zum Radfahren geht anders. 



6 Kommentare:

  1. "Dem Radverkehr dient das nicht, eher dem guten Gewissen einer Stadtplanung (und deren politischen Entscheidungstragenden)"

    Wenn bei sowas irgendjemand ein gutes Gewissen hat, dann ist das mit ein Grund für Wahlergebnisse wie wir sie derzeit (und sicher auch in Wangen nächste Woche) sehen.

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  2. Zitat aus dem Beitrag vom 28.5.: „Ich meine, wir müssen damit anfangen, die Akteur:innen im Straßenverkehr klar zu benennen.“
    Warum dann im heutigen Beitrag „… auf der von Autos viel befahrenden Ravensburger Straße“ oder „…Lkw donnern abstandslos an mir vorbei“?

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    1. Den Autoverkehr erlebe ich doch ziemlich anonym, es sind ja die Gegenstände, die an mir vorbeidonnern, die Lkw und die Pkw, denen diese Infrastruktur uns aussetzt. Die Autofahrenden zu benennen, erschien mir diesem Erlebnis nicht angemessen.

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  3. "Er führt dann fahrbahnfern in eine Senke hinunter und drüben wieder hoch zurück zur Fahrbahn. Und ich muss da radeln, er ist verpflichtend."

    Nein, das ist er nicht, denn er ist nicht straßenbegleitend. Ausserdem zeigt das grüne Fahrradwegweiserschild nach rechts, man darf also sicherlich auch dem fahrbahnbegleitenden Weg folgen.

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    1. Warum tun Sie so, als wenn Sie den Satz nicht verstehen?

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    2. Mag richtig sein, ist aber noch eine überkomplizierte Regel, die ortsunkundige Radfahrerinnen vor Rätsel stellt und alles andere als einfach und eindeutig ist. Mit dem Auto kommt man so gut wie nie in solche Situationen, da die Infrastruktur weitgehend selbsterklärend ist. Detailiierte Regelkenntnis ist auch nicht erforderlich.
      Am Ende bestätigt das nur im Artikel aufgestellte These.

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