8. August 2024

Die Psychologie hinter der Verkehrswende

Im ländlichen Raum wird das Fahrrad seltener für Alltagswege zur Arbeit oder zum Einkaufen benutzt als in größeren Städten. Deshalb hat man sich auf einer Tagung in Niedersachsen gefragt: Wie kommt mehr Radverkehr in den ländlichen Raum?

Anke Blöbaum hat dazu einen Input online veröffentlicht, der grundsätzlich für die Frage interessant ist, wie man Menschen dazu bewegen kann und wie sie sich selbst dazu bewegen, vom Auto zu lassen und mehr Fahrrad zu fahren. Als Freizeitgerät ist das Fahrrad nämlich durchaus beliebt, auch und gerade im ländlichen Raum, als Alltagsfahrzeug aber nicht so. Die meisten halten Radfahren durchaus für gut für die Umwelt und die eigene Gesundheit, finden es auch kostengünstig und flexibel. Sie finden auch, dass es ihnen die Parkplatzsuche erspart (auf dem Land oft kein Problem), aber es erscheint ihnen nicht geeignet für den Transport (größerer Einkäufe) und sie finden es nicht so komfortabel wie Autos und sie finden es nicht sicher. Der Mensch ändert ungern seine Gewohnheiten. Es braucht Anstöße und Unterstützung. Man kann sich selbst und alleine motivieren, aber auch Stadt, Verbände und Betriebe können pushen. Von beidem handelt dieser Artikel. 

Für eine sogenannte selbstregulierende Verhaltensänderung gibt es Stufenmodelle, die aus einer Phase bestehen, bevor eine Entscheidung getroffen wird, aus einem Ziel, einer neuen Verhaltensabsicht, der Absicht die Verhaltensänderung dauerhaft zu machen und letztlich der neu angenommen Gewohnheit. Auf all diesen Stufen kann die soziale Umgebung eingreifen, und man kann sich selbst motivieren.  

Phase 1: Anlass für Überlegungen zu einer Änderung der Mobilitätsgewohnheiten kann einerseits das schlechte Gewissen beim Autofahren sein, anderseits sind positive Gefühle viel wirksamer. So könnte der Wunsch immer größer werden, sich mehr zu bewegen und mehr draußen zu sein. Für die einen ist es in so einem Moment wichtig, was andere tun, an denen einem was liegt: Radeln die Kolleg:innen, die Nachbarn? (Da können Betriebe mit Radförderprogrammen unterstützen.) Andere setzen sich eigene Normen: Egal, ob die Nachbarn alle Auto fahren, ich bin meine Heldin und fahre Rad, da werden die gucken.  

Phase 2: Man hat das Ziel für sich formuliert, nämlich das, mehr Fahrrad zu fahren, weil man mehr für die eigene Gesundheit tun will. Außerdem spart man damit Spritkosten, und dem Klima schadet es auch nicht. In dieser Phase fragt man sich aber auch, ob es überhaupt machbar ist. Taugt mein Fahrrad? Gibt es überhaupt Radwege oder Nebenstraße, die ich radeln kann, ohne um mein Leben zu fürchten? (Hier kann die Stadt helfen, indem sie eine einladende Radinfrastruktur anbietet.) 

Phase 3: Wenn man das Fahrrad hat und man mit einer halbwegs gut ausgebauten Radinfrastruktur rechnen kann, dann ist der Moment gekommen, sich vorzunehmen, mit dem Radfahren im Alltag anzufangen. Es erscheint praktikabel, es wird Spaß machen. Morgen fahre ich mit dem Rad zur Arbeit. 

Phase 4: Man macht erste Erfahrungen und justiert nach. Das Fahrrad wird an einen Platz gestellt, wo es leicht in Betrieb zu nehmen ist (nicht mehr tief im Keller, sondern hinterm Haus, vielleicht später in einer wetterfesten Box). Nach der ersten Regendusche organisiert man sich Regenbekleidung, stellt ein paar Ersatzschuhe ins Büro. Ein Gepäckträgerkorb oder eine Box wird angeschafft, um Taschen transportieren zu können. Man findet allmählich die angenehmste Radstrecke. In dieser Phase muss man sich an Regentagen immer wieder neu motivieren oder zu längeren Strecken überreden und schafft es nicht immer. Man wird vielleicht im Winter aufhören zu radeln und erst bei besserem Wetter wieder anfangen. Aber man ist entschlossen dranzubleiben. 

Phase 5: Man sein Mobilitätsverhalten geändert, Radfahren ist die neue Gewohnheit. Man ist Alltagsradfahrende:r geworden, man radelt zur Arbeit, nimmt das Rad immer öfter zum Einkaufen, ist richtig ausgestattet, hat sich vielleicht ein neues Fahrrad gekauft, das besser zu Alltagsbedürfnissen passt, und nimmt sich vor, den kommenden Winter hindurch mit dem Rad zu fahren, solange die Straßen nicht glatt sind. 

In all diesen Phasen gibt es Möglichkeiten für die Politik, Radverbände und Medien, unterstützend einzugreifen. 

Phase 1: Man zeigt neue Normen: Promis, die Rad fahren, die Chefin, die mit dem Rad kommt. Die lokale Presse schreibt nicht gegen, sondern für den Radverkehr, es gibt Radveranstaltungen am Ort, sodass die Radfahrwilligen das Gefühl haben, Radfahren ist das, was man jetzt tut. 

Phase 2 und 3: Das Radfahren muss ermöglicht werden. Das Radwegnetz wird verbessert, berüchtigte zentrale Kreuzungen werden fahrradfreundlich umgestaltet, am Bahnhof gibt es Radboxen, in der Innenstadt gibt es eine Radstation mit Luftpumpe und Reparaturwerkzeug, es gibt überall genügend Radbügel, um Räder abzustellen. Radfahrende haben in der Stadt eine:n Ansprechpartner:in für Beschwerden und Vorschläge.  

Phase 4 und 5: Radfahrende werden unterstützt, gehört und belohnt. Stadt und Betriebe beteiligen sich am Stadtradeln, es gibt ein lokales Bonussystem für geradelte Kilometer mit Rabatten in Läden, es gibt regelmäßige Fahrradtage. Und die Stadt richtet eine partizipative Planung ein, ein Radforum, wo sich regelmäßig Alltagsradelnde mit der Verwaltung und Politik treffen, um Problemstellen und Verbesserungen zu besprechen. Der Gemeinderat unterstützt eine Politik fürs Fahrrad. 


8 Kommentare:

  1. Und Tagungen und Konferenzen und Studien und Professuren und Studien und Tagungen...

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  2. Ich kann keinen Zusammenhang von Titel des Artikels und Inhalt des Artikels erkennen. Da besteht doch im Kern überhaupt kein fachlich/sachlicher Zusammenhang, es sei denn es würde unter dem Begriff 'Verkehrswende' die nahezu unveränderte ggf. sogar ausgeweitete Dominanz des Autoverkehrs verstanden, bei gleichzeitig steigender Flächeninanspruchnahme durch Radwegebau.
    Bildet nicht die Reduktion von Autodichte und Autofahrleistung (neben der Reduktion des Flugverkehrs) zwingend den Kern einer jeden 'Verkehrswende'?
    Wenn ja, dann muss selbstverständlich eine nicht-automobile Ausfallsicherheit für die zu erledigenden Wege vorhanden sein, bzw. parallel oder vorgelagert zu einer Ausweitung des Radverkehrs geschaffen werden. Also ein systematischer Ausbau des ÖPV und ÖPNV incl. angebotsorientierter OnDemand Angebote und incl. einer Schlechtwetter-Reserve. Oder wollen wir die Menschen 'zwingen' zB im Falle von Erkrankungen, die zwar die Arbeitsfähigkeit nicht beeinträchtigen aber das Radfahren verunmöglichen oder einschränken trotzdem auf's Rad zu steigen um den Job nicht zu verlieren? Wie die Menschen praktisch auf diebestehende Situation der mangelnden Ausfallsicherheit reagieren ist klar:
    es wird weiterhin ein Auto vorgehalten.
    Sowohl kurze Wege (Großstädte, stark verdichtete Räume), als auch ein flächendeckendes ÖPV Angebot können einen 'Verzicht' auf das Auto praktisch möglich machen. Losgelöste Pull-Maßnahmen für den Radverkehr leisten dies keinesfalls, es braucht einen integrierten Umweltverbundverkehr.
    Vor allem aber ist kein Fall bekannt, wo (Verkehrswende!) der Autoverkehr durch pull-Maßnahmen auch nur ansatzweise zurückgedrängt werden konnte, wie die oft angepriesenen Fälle Randstad (NL) und Metropolregion Kopenhagen (DK) recht eindrucksvoll belegen. Statt einer Eindämmung hat dort eine Ausweitung des MIV, parallel zur Steigerung des 'Radverkehrsanteils' stattgefunden.
    'Verkehrswende' kann grundsätzlich nie und nimmer ohne wirksame push-Maßnahmen gegen den Autoverkehr erreicht oder eingeleitet werden.
    Wer Anderes suggeriert schafft Erwartungshaltungen, die dann ihren Ausfluss in einer Status-Quo orientierten Verkehrspolitik des 'Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass' finden werden incl. der bekannten Auswirkungen: weiterer Anstieg des Autoverkehrs.
    Genau das lässt sich ja auch in den als Vorbild gepriesenen 'Fahrradstädten' und in ihrem Umland beobachten.
    Wer den Begriff 'Verkehrswende' benutzt, sollte damit auch Maßnahmen/Narrative verknüpfen, die dem Begriff inhaltlich gerecht werden können? Ein anempfohlenes pull&pull orientiertes 'more people bike more often' hat seine Untauglichkeit in Bezug auf eine 'Verkehrswende' doch nun hinlänglich bewiesen.
    Zumindest bräuchte es bei solchen Artikeln eine entsprechende Kontextualisierung, dass die anempfohlenen Maßnahmen nur(!) im Rahmen einer 'push'-orientierten Verkehrspolitik ökologisch positiv wirksam werden können und sich andernfalls sogar Netto-Negativeffekte (Backfireeffekt) einstellen können, wie sich sich zB aus der Selbstbeschränkung der immer stärker anempfohlenen Selbstaufgabe des gut ausgebauten Hauptstraßennetzes mit seinen kurzen A zu B Verbindungen, radverkehrstauglicher Trassierung und den radverkehrstauglichen Oberflächen für den Radverkehr ergeben. Ausgerechnet die in aller Regel umwegigen und holprigen Nebenwege als Ersatz anzuempfehlen erweist der 'Verkehrswende' einen Bärendienst und verfestigt nur das Narrativ bzw. die Praxis unser Straßennetz endgültig bis hinunter auf Landstraßen- und Kreisstraßenebene zum exklusiven Gebrauch für Kraftfahrzeuge herzurichten.
    Wer diese Politik verfolgt muss sich über weitere Anstiege des MIV in Dichte und Fahrleistung nicht wundern.
    Ja: Maßnahmen gegen den Autoverkehr sind unpopulär, und
    Ja: ohne ein wirksames 'push' gegen den Autoverkehr können wir uns eine 'Verkehrswende' abschminken.
    Alfons Krückmann

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  3. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: die Kritik richtet sich nicht gegen den Titel dieses Blogbeitrags (der stammt ja aus dem verlinkten Papier), sondern gegen den Artikel bzw. das Papier von A.Blöbaum. Dennoch hätte ich mir hier eine kritische einordnende Rezension dieses fachlich sehr fragwürdigen Ansatzes gewünscht, statt einer eher positiv konnotierten Deskription.
    Alfons Krückmann

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  4. Jörg
    Auf dem Land wird es schwierig. Aber auch dort hilft das E-Bike.
    Es wird natürlich durch autogerechte Orts und Landschaftsgestaltung erschwert. So hat ein Teilort Rewe, Aldi und LIDL. Die Orte in 5 bis 10 km haben bestenfalls noch einen Teilzeit Tante Emma Laden.
    Die Landstraßen werden zu Raserstrecken ausgebaut. Mit den Steuern der verpoehnten Städter. Wirklich schwierig.

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    1. Wenn wir mal dahin kommen, dass der Tante Emma Laden seine Umsätze steigert, weil der geringe Preisaufschlag für wohnortnahes Einkaufen immer noch günstiger als ein Auto ist, dann sind wir einen guten Schritt weiter.
      Die Rennstrecken sind ein Problem, aber die 5 bis maximal 6m breiten Landsträßchen ein noch viel größeres. Ich fahre lieber auf der Bundesstraße mit dem Rad als auf so einer "Geheimstrecke". Viele Autofahrer trauen sich nicht sehr na an den Fahrbahnrand, und wenn nur ein Radfahrer entgegenkommt oder überholt werden muss, dann wird eben auf Abstand verzichtet.

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    2. Natürlich, wenn auf solchen Straßen trotzdem Tempo 100 gilt.
      Gehört halt auch mit zur völlig verfehlten Verkehrspolitik in D.

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    3. Ja. Die tödliche Raserei auf den Land- und Kreisstraßen ist politisch ausdrücklich gewollt. Zwar treffen die tödlichen Unfälle in aller Regel die Autofahrenden selbst, aber auch die an dieser Raserei gänzlich unschuldigen Radfahrer:innen 'erwischt' es in einigen Fällen, und zudem stellt T100 auf schmalen Straßen eh eine permanente Todesdrohung dar, die viele Menschen verschreckt und die die immer öfter getroffene Wahl eines schnellen und 'sicheren' >2Tonnen SUV als 'richtige Entscheidung' erscheinen lässt.
      Es wäre ein Leichtes dort angemessenes T60 oder teils evtl. auch T70 zu verordnen und per BlackBox permanent ordnungsrechtlich durchzusetzen, aber wie gesagt:
      die Raserei ist politisch ausdrücklich gewollt und die Weiterverfolgung des automobilen Entwicklungspfades quasi Staatsräson.
      Es wäre auch ein Leichtes die Breite von Kfz auf angemessene max.1,80m incl. Spiegel abzusenken, die ganzen überlauten Hochgeschwindigkeits-Breitreifen per StVZO auszuschliessen, die Fahrrad Fahrbahnverbote aufzuheben, Halterhaftung, einkommensabhängige Strafen einzuführen und den Führerschein prinzipiell und dauerhaft zu entziehen, sobald Fahrer(innen) das Auto als Gewaltmittel einsetzen.
      Aber wie gesagt:
      der gegenwärtige Zustand soll nicht nur beibehalten werden, sondern weiter ausgebaut werden für noch mehr Autos auf noch mehr Autobahnen.
      Im Radverkehr stehen die Zeichen derweil auf Austausch des 'alten' Muskelfahrrades mittels renditeträchtiger Massen-Motorisierung mit immer stärkeren e-Motoren, Ausweitung der Flächenversiegelung mit immer mehr die Fahrbahnverbote begleitenden Radwegbauten, etc.
      Auch dass schon Kindergartenkinder mit e-Mountainbikes und e-bikes mit 25kmh unterwegs sein dürfen findet keine Kritik. Für Mofa's galt früher immer: Führerschein und 'ab 15', und Pedale hatten die Mofas schliesslich auch.
      https://www.fahrrad.de/collections/e-bikes-kinder
      Langsam aber sicher sollte vielleicht auch mal ein Papier
      "Die Psychologie hinter der Massenmotorisierung des Radverkehrs"
      verfasst werden?

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  5. Kalle: als Teilzeit Landbewohner (Kreis Calw) stelle ich fest, dass den Kommunen in strukturschwachen Regionen das Geld fehlt für eine Radinfrastruktur. Ich fühle mich dort innerorts und außerorts wesentlich unsicherer als in der Großstadt und fahre dort mehr Auto.

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