19. Juni 2025

Was ist eigentlich eine Verkehrsbehinderung?

Und vor allem: Wer behindert eigentlich welchen Verkehr? 

Die KI der Google-Suche zählt als Verkehrsbehinderung Staus, Unfälle, Bauarbeiten, Wetterbedingungen, Veranstaltungen und Fehlverhalten, darunter zu langsames Fahren, auf, nicht aber Autos. Sie scheint davon auszugehen, dass Verkehr nur der Autoverkehr ist und folglich auch nur er behindert werden kann. Für den Rad- oder Fußverkehr sind aber beispielsweise Autostaus keine Behinderung. Wiederum werden Radfahrerende auf Fahrbahnen gerne als Behinderung verteufelt. In unserem gängigen Verständnis von "Verkehrsbehinderung" scheint nur der Autoverkehr behindert werden zu können, nicht aber der Fußverkehr oder der Radverkehr. Beide werden jedoch vom Autoverkehr oft erheblich behindert. Tatsächlich ist der Autoverkehr die eigentliche Verkehrsbehinderung. Und zwar für alle Verkehrsarten, auch für ihn selbst.  

Der Autoverkehr behindert notorisch den Fußverkehr. Menschen zu Fuß können Straßen meistens nicht dort überqueren, wo sie wollen, Gehwege werden immer wieder komplett durch Fahrbahnen unterbrochen und Fußgänger:innen müssen an Ampeln lange warten, bis der Autoverkehr mal angehalten wird. Außerdem stehen Autos auf Gehwegen herum und lassen nur wenig oder gar keinen Platz mehr, um mit Kinderwagen oder im Rollstuhl vorbeizukommen. Manche Menschen können über die Fahrbahn ausweichen, manche können es nicht, etwa mit Rollstühlen oder Rollatoren. Autofahrende stellen ihre Autos übrigens so gut wie nie so ab, dass es andere Autofahrende (im Pkw-Format) am Durchkommen hindern würden, sehr wohl aber sehr oft so, dass Radfahrende oder Fußgänger:innen behindert werden (und Busse und Stradtbahnen). 

Auch der Radverkehr wird viel öfter, als Autofahrende denken, durch Autos behindert. Das gilt nicht nur, wenn jemand das Auto auf einem Radweg abgestellt hat. Wenn etwa auf der Fahrradstraße zwei große Autos nicht aneinander vorbei kommen, dann wartet der gesamte Radverkehr, bis das abgewickelt ist (Foto ganz oben) oder schlängelt sich langsam durch. Viele unserer Straßen sind so schmal, weil beiderseits zugeparkt, dass zwei einander entgegenkommende Pkw nicht einfach so aneinander vorbeikommen. Wenn sich deren Fahrer:innen dann auch noch nicht einigen können, wer zurücksetzen muss, dann ist die Fahrbahn für eine Weile komplett blockiert. Und das eben auch für mich, die ich auf dem schmalen Fahrrad sitze. Immerhin habe ich die legale Möglichkeit, mein Rad über den Gehweg um die Blockade herum zu schieben, während sich die Fahrer:innen noch anstarren. Meist löst sich so eine trotzige Blockade nur auf, weil von hinten weitere Autofahrer:innen herankommen, die man nicht aufhalten will, auch gar nicht aufhalten darf. 

Behindernd für den Radverkehr ist auch das ziemlich typische Verhalten von Autofahrenden, mich auf einer Fahrbahn zu überholen und kurz darauf vor mir zum Stillstand abzubremsen, weil er in eine Hauseinfahrt oder eine Seitenstraße einbiegen möchte. Dann muss ich ebenfalls abbremsen und warten, bis der Autofahrer sein Manöver beendet hat. Das Überholmanöver war zudem völlig sinnlos und deshalb im Effekt mutwillig behindernd für den Radverkehr. 

Manche Autofahrende legen auch großen Wert darauf, dass der Radfahrer, den sie gerade überholt haben, an der Ampel nicht wieder neben ihnen zu stehen kommt und dann vor ihnen startet und erneut überholt werden muss. Sie stellen sich an der Ampel dann so auf, dass ein Radfahrer zwischen Auto und Bordstein nicht mehr durchkommt. Das Problem, dass dieser Autofahrer mit mir als Radlerin hat, löse ich so auf, dass ich hinter ihm warte. Allerdings kann es dann sein, dass er mich gleich wieder ausbremst, weil er abbiegen möchte und querende Fußgänger:innen durchlassen muss. Geblinkt hat er vorher natürlich nicht. 

Und natürlich ist auch der Autostau eine Behinderung des Radverkehrs, wenn es keinen Radfahrstreifen gibt, der rechts am Stau vorbeiführt oder wenn die Autofahrenden den Schutzstreifen halb befahren, sodass es für mich zu eng wird. Auch geparkte Autos sind eine Behinderung. Sie nehmen viel Platz auf den Straßen weg. Sie verstellen mir Kreuzungen die Sicht. Autos stören einfach enorm auf unseren Straßen. 

Behindernd sind auch die Poller-Spaliere, mit denn wir Radfahrenden auf unseren Strecken konfrontiert werden. Poller sehen an Durchlässen, auf Brücken, an Gehwegen oder auf der Fahrbahn nur deshalb, weil einzig und allein durch sie die Autofahrenden daran gehindert werden können, eine verbotene Strecke zu befahren. Verkehrszeichen nützen nichts. Was den Autoverkehr an illegalen Fahrten oder illegalem Parken  hindern soll, wird für uns zu einem Hindernis, das man in der Dunkelheit auch mal zu spät erkennt. Dann stößt man sich das Knie oder bleibt hängen und stürzt. 

Würden wir bei dem Wort "Verkehr" (und seinen Zusammensetzungen wie Verkehrskollaps, Verkehrschaos) nicht immer nur an den Autoverkehr denken, sondern auch an den Radverkehr und Fußverkehr, dann würden sich unser Begriff "Verkehrsbehinderung" auf den Radverkehr und vor allem auf den Fußverkehr erweitern müssen. Und wir könnten erkennen, wie sehr der Fußverkehr und der Radverkehr behindert werden, und zwar durch den Autoverkehr. Wir würden vielleicht auf die Idee kommen, dass der Autoverkehr das Problem ist. Und zwar nicht nur für sich selbst, sondern noch viel mehr für alle anderen Verkehrsteilnehmenden.

7 Kommentare:

  1. Der PKW ist in jeder Hinsicht das ineffizienteste Verkehrsmittel, beim Energieverbrauch, der Anzahl der beförderten Personen und beim Flächenverbrauch. Ein stehendes Auto verbraucht 12 m2 plus noch anteilig mehrere m2 Rangierfläche, ein fahrendes Auto bis zu 60 m2 in der Stadt, außerorts noch wesentlich mehr.
    Da geht die Verkehrsbehinderung doch schon an, bevor noch irgendetwas weiteres geschehen ist.

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  2. Überholen, um kurz darauf abzubremsen, ist "falsches Überholen", für das es ein Bußgeld und ggf. Punkte im Führerscheinregister gibt. Überholen darf nur, wer auch wirklich schneller ist. Oft ist dabei auch noch ein "Überholen trotz unklarer Verkehrslage" gegeben, für das es ebenfalls einen Punkt gibt. Und natürlich der meist fehlende Sicherheitsabstand zur Radfahrern.

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    1. Es gibt Punkte, wenn man Fußgänger nicht über den Fußgängerüberweg rüber lässt, wenn man trotz Überholverbot überholt, wenn man über eine rote Ampel fährt. Ich könnte jeden Tag 3-5 Punkte verteilen.
      Leider ist das Interesse von staatlicher Seite nicht sehr ausgeprägt das zu tun.

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    2. Und für die Punkteverteilerei bräuchten wir eine Halterhaftung. In der Praxis werden heute bei solchen Verstößen gar keine Punkte verteilt.

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  3. Ja, es gibt das Paradox der behinderten Autofahrer. Autofahrer sind immer die Ersten , die sich von Anderen behindert fühlen. Immer dann wenn sie das Gaspedal nicht so durchdrücken können, wie sie es wünschen. Spätestens dann wenn sie ihr Ziel erreicht haben, gibt es dann keine Skrupel mehr, den Verkehr zu behindern. Indem sie z.B. eine Fahrspur stundenlang durch Parken blockieren.

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    1. Recht des Stärkeren. Dieses Recht besagt, dass Recht und Gesetz, so wie sie etwa in der StVO und anderen Regelwerken stehen, nur für die jeweils Unterprivilegierten gelten.

      Das ist in allen Bereichen so. Steuerhinterziehung z.B. u.dgl., die den Staat jedes Jahr hundert Milliarden kosten wird als Kavaliersdelikt betrachtet, aber Sozialbetrug, der vielleicht 1,5 Milliarden kostet, wird als der große Skandal fortwährend thematisiert. Der Unterschied? Erstere wird hauptsächlich von Reichen begangen, letzterer von Armen

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  4. Windschutzscheibenperspektive:
    "Der Stau, das sind die Anderen"
    Dabei - nüchtern betrachtet (illusorisch in Autoländern) - verhält es sich so, dass Radfahrende, Fußgehende und ÖPV den Autoverkehr beschleunigen, während der längst kontraproduktiv metastasierte Autoverkehr sich selbst und alle anderen behindert.
    Die allgemeine Wahrnehmung ist also genau der Realität entgegengesetzt.
    Es ist interessant zu überlegen bzw. zu analysieren aufgrund welcher Zustände und Methoden diese allgemeine Akzeptanz grundlegender Desinformation und Fehlwahrnehmung sich konstituiert hat, und wie dafür gesorgt wurde (und wird), dass sich diese nachweislich irrige Vorstellung fortlaufend reproduzieren kann.
    Summary:
    das Phänomen, bzw. die gesellschaftliche und individuelle Erkrankung 'Automobilismus' ist multidimensional (soziale Dimension, Raumdimension, Zeitdimension, Geschlechterdimension, Technologiedimension, Ökonomiedimension (Kapitalismus), psychologische Dimension (Haben statt Sein, Regression, etc.).
    U.a. 'carblindness' ist die Folge. Wer redet von den >2000 tödlich verunfallten Autoinsassen (darunter viele Kinder), stattdessen sind die >300 tödlich verunfallten Radfahrenden (darunter fast gar keine Kinder) das zu behebende Problem, etc etc etc etc etc
    Als Ansatzpunkt zum Verständnis bietet sich m.E. an:
    'Automobiler Teufelskreis'.
    Beim Herausziehen eines jeweiligen einzelnen Steins aus dem 'Automobilen Schutzwall' stützen die intakten Teile der multidimensionalen Konstruktion gut genug, um weiterhin stabil zu bleiben und die immer mal wieder eintretende Lücken zuverlässig wieder zustopfen zu können (Redet noch wer von den Umwelt-/Klimafolgen?... Redet noch wer vom 'Dieselskandal'? ...)

    p.s.:
    es ist interessant auf eigenen Radfahrten mal grob zu überschlagen (ggf. mit actioncam Aufzeichnung) wie stark, also mit welchem Faktor, sich die Reisezeit aufgrund des metastasierten Autoverkehrs verlängert. Wir nehmen das i.d.R. überhaupt nicht mehr wahr, weil natürlich auch Radfahrende fast vollständig an der Wahrnehmungsstörung 'carblindness' erkrankt sind: Ampeln, wurzelige oder verklinkerte Rumpelradwege, verordnete Umwege, Slalomabschnitte, viertklassige Oberflächen, Autoschlange, 2.Reihe Parker, und und und ...
    Alfons Krückmann

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