24. August 2025

Warum fahren so viele Radler:innen falsch?

Für Autofahrende ist die Verkehrswelt in dem Punkt einfach, als sie immer für sie asphaltierte und mit Seitenbegrenzung versehene Fahrbahnen vor sich sehen. Sie wissen immer, welche Flächen für sie dem Fahren dienen. 

Das gilt für Radfahrende nicht. Einfach wäre die Welt auch für sie, wenn sie wüssten, dass sie immer auf der Fahrbahn radeln und, wenn sich dort Radfahrstreifen vorfinden, diese hinter Kreuzungen und Einmündungen auch weitergehen. Wenn also die Radinfrastruktur immer gleich und durchgängig wäre so wie die Autoinfrastruktur. Aber so ist es nicht. Radwege sind kurz, sie hören plötzlich auf und werfen uns in den Autoverkehr, schicken uns zu Fußgängerampeln oder locken uns auf freigegebene Gehwege. Mal beginnt fünfzig Meter hinter der Kreuzung wieder ein Radfahrstreifen, und manchmal ist nicht erkennbar, wo es für uns weitergeht, allemal dann nicht, wenn wir rollen und nicht anhalten können, um zu gucken. 

Die Radinfrastruktur ist auch in Stuttgart alles andere als intuitiv erkennbar und erfassbar. Ein Beispiel: 

Es gilt für viele ähnliche Stellen: Weil nicht intuitiv (also schnell und ohne vertiefte Regelkenntnis) erkennbar ist, wie es es weitergeht, bog (leider habe ich sie nicht aufs Foto bekommen), an dieser Stelle in Degerloch eine Gruppe Jugendlicher, angeführt von einem Erwachsenen (von links aus dem Silberpappelweg von den Sportplätzen her kommend) über den deutlich sichtbaren Radfurtstreifen auf den linksseitigen Gehweg ein, um die Reutlinger Straße runter zu radeln. Sie taten es zielsicher und augenscheinlich ohne sich dessen bewusst zu sein, dass sie den Gehweg linksseitig nicht befahren dürfen. Er ist nicht per Verkehrszeichen freigegeben. Der Gehweg ist nur für die freigegeben, die ihn in Fahrtrichtung rechts hoch radeln, so wie das der Radler auf dem Foto ganz oben tut. Die Jugendlich radeln runter, wo sie vermutlich auf raufgeradelt sind, ohne die Reutlinger Straße zu überqueren. 

Wer sich die beiden Fotos genauer anschaut, kann auf der rechten Straßenseite zwischen Litfaßsäule und Baum das blaue runde Schild für "Gehweg" erkennen. Darunter hängt aber nicht das erwartete Zusatzschild "Rad frei". Dieser Gehweg darf nicht bergab befahren werden, wird aber vermutlich oft mit Rädern befahren, sonst hinge das eigentlich überflüssige Bekräftigungsschild dort nicht. Stadt und Ordnungsamt erwarten, dass alle Radfahrenden auf der Fahrbahn die Reutlinger Straße (Tempo 40) bergab fahren, auch die elfjährige Laura mit ihrem Fahrrad. Bergauf dagegen bekommen die Radler:innen den Gehweg angeboten, sogar aufgedrängt, auf dem sie eigentlich Schrittgeschwindigkeit fahren müssen (was niemand tut, denn dann könnte man ja gleich schieben). Das Gehwegradeln wird den Radfahrenden optisch nahegelegt, weil die Gehwegecken mit Radfahrstreifen oder Radfurten verbunden sind. Vor allem, um Autofahrende vor den Gehwegradelnden zu warnen und ihnen zu zeigen, dass Radler:innen Vorrang haben. 

Das aber sieht dann halt nach Radinfrastruktur aus, nach dem, was wir gemeinhin Radweg nennen. Das sieht man vor sich, wenn man aus der Seitenstraße drauf zu radelt, und dann biegt man halt auch nach links auf den Radsteifen und folgerichtig auf den Gehweg ein. Um sich von solchen optischen Verführungen zu lösen, muss man schon ziemlich erwachsen und ziemlich routiniert sein und sich ziemlich gut mit den speziellen Regeln für den Radverkehr auskennen. 

Intuitiv, eindeutig, sofort verständlich, einheitlich geht jedenfalls anders. Und das ist auch der Grund, warum nicht wenige Radfahrende irgendwo lang geistern, wo sie nicht fahren sollen oder dürfen. Sie haben den Absprung auf die Fahrbahn oder den Schwenk auf einen Radweg nicht gecheckt. 

Autofahrende können das übrigens überhaupt nicht verstehen, denn ihnen geht es nicht so. Sie haben über in Stuttgart 1400 Kilometer für sie gebahnte Fahrbahnen, während Radelnde nur 10 km Radweg haben. Die restlichen 300 km sind einander auf kurzen Distanzen abwechselnde Radstreifen, Schutzstreifen, Tempo-30-Fahrbahnen, freigegebene Gehwege und gemischte Geh- und Radwege, auf denen jeweils unterschiedliche Verkehrs- und Geschwindigkeitsregeln gelten. 

Macht das erst mal nach, liebe Autofahrende! Ihr wärt verloren! Und das seid ihr auch, wenn ihr euch mal aufs Fahrrad setzt und kreuz und quer durch Stuttgart radelt. 

16 Kommentare:

  1. Dazu kommt noch dass es viele super gefährliche Stellen gibt für Fahrradfahrende, zum Teil extra so konstruiert für Fahrradfahrende, unabsichtlich durch Unvermögen der Verkehrsplanenden. Man kann also schon fast von "Fahrrad-Fallen" sprechen; so was kennen die Autofahrenden nicht.
    Beispiele sind die unsäglichen "Fahrrad-Weichen" und die "Schutz-Streifen" zwischen Autofahrbahn und Autoparkflächen, z.B. auf der Neckarstrasse z.B. Heilmannstrasse und Hauffstrasse, sowie die Fahrrad-Weiche davor. Das fiese ist ja das solche Stellen of Strecken verbinden die ganz gut zu fahren sind für Fahrradfahrende.

    Andreas S

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  2. natürlich hilft eine eindeutige Infrastruktur, aber ich stelle häufig fest, dass sehr vielen
    Radfahrern gar nicht klar ist, dass sie VERKEHRSTEILNEHMER mit Regeln sind. Deshalb verhalten sie sich wie Fussgänger. Und selbst diese müssen im dichten Verkehr sich zunehmend wie Verkehrsteilnehmer verhalten.
    Gruss Tho

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    1. Dein Kommentar bezeugt mangelnde Kenntnis der StVO. Fußgänger SIND Verkehrsteilnehmer.

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    2. Die meisten Leute fahren nicht nur Rad, die haben auch einen Führerschein. Es liegt nicht am Verkehrsmittel sondern an der Infrastruktur!

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  3. Autofahrer fahren in der Mitte der Straße, die Regeln sind glasklar, die Ampeln deutlich und Benutzerfreundlich. Fußgänger dürfen die Ränder benutzen, also das, was der Autoverkehr übrig lässt, aber immerhin sind auch da die Ampeln eindeutig. Und der Radverkehr? Der bekommt das, was grad vom LKW gefallen ist. Mal Links mit den Fußgängern, mal rechts, mal auf der Fahrbahn, mal auf Sonderstreifen, mal in der Gosse; die Ampel mal bei den Fußgängern, mal bei den Autofahrern, mal gesondert, mal oben, mal unten, mal groß, mal winzig klein, an jeder Kreuzung ändern sich die Regeln. Die Stadtchefs fürchten sich vor dem Radverkehr, denn er ist frei und ungezwungen, daher braucht es so viele Steine, die man in den Weg legen muss.

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  4. Nach meiner Meinung macht man es sich hier wieder einfach und begründet bzw. entschuldigt das Falschfahren von Radfahrern mit der vorhandenen Infrastruktur. Ohne Zweifel gibt es bei der Radinfrastruktur „room for improvement“. Man sollte schlechte Infrastruktur aber nicht als Ausrede für Fehlverhalten verwenden. Gute Infrastruktur kann helfen, fehlerhafte Entscheidungen zu verringern, sie entbindet jedoch nicht von der Einhaltung der Regeln. Im gezeigten Beispiel erscheint mir die behauptete „Intuition“ der Radfahrer als falsch: Ich glaube, es geht eher um Bequemlichkeit und den Wunsch, den kürzesten Weg zu nehmen, auch wenn das Risiko oder die Regeln missachtet werden. Eine Grundregel im Straßenverkehr lautet, dass Fahrzeuge auf der Fahrbahn rechts fahren müssen. Gehwege sind im Grundsatz tabu. Ausnahmen, von diesen Grundregeln abzuweichen, erfordern vertiefte Regelkenntnis. Für mich wäre es daher eher erwartbar, nach dem Linksabbiegen auf der rechten Fahrbahnseite weiterzufahren als auf dem Gehweg (und dort noch ein Rad-frei-Schild zu finden, welches aber keiner Benutzungspflicht einschließt). Der linke Gehweg käme mir erst in den Sinn, wenn ich eindeutig per Verkehrszeichen auf dessen Nutzungsmöglichkeit oder -pflicht hingewiesen werde.

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    1. Kann man so sehen. Zu bedenken ist jedoch, dass sich der 1. der Gruppe mit seinem Anhang schnell orientieren muss wie er einfach und sicher weiter kommt. Das verführt zur falschen Nutzung der vorhandenen halb-angelegten Infrastruktur.
      Ich würde auf der Straße fahren, aber es ist eines der Kardinalsprobleme, dass sich zu wenige mit dem Fahrrad dahin trauen, weil eine schlechte Erfahrung das Leben ruinieren kann. Das KFZ bzw. dessen Maße und Geschwindigkeit sind die Ursache, das Vermeidungsverhalten die Folge.

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    2. Nach meiner Meinung macht man sich es hier wieder einfach und ignoriert, dass niemand Verkehrsregeln brauchte, bevor es massiven Autoverkehr gab.
      Nur die Aneignung des Löwenanteils des öffentlichen Raumes durch den MIV schafft die Verteilungskämpfe, die dann logischerweise auf Kosten der jeweils Schwächeren gehen.

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    3. Wenn es wirklich keine Verkehrsregeln braucht, frage ich mich: Warum bin ich als Fußgänger schon mehr als ein Mal von Radfahrern angefahren worden? Warum kommen mir regelmäßig Radfahrer auf dem Radfahrstreifen entgegen, obwohl es auch in Gegenrichtung einen Radfahrstreifen gibt und gefährden mich und sich selbst? Regeln existieren gerade deshalb, damit solches Fehlverhalten möglichst verhindert wird. Ohne klare Vorgaben fehlen Standards – und das gefährdet Schwächere. Und Schwächere sind nicht nur Radfahrer.
      Übrigens wird der öffentliche Raum nicht nur durch den motorisierten Individualverkehr in Anspruch genommen, sondern auch durch z. B. ÖPNV oder LKW. Aber dafür braucht es wahrscheinlich auch keine Regeln.

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    4. Nix kapiert, ok...

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    5. Fahr doch mal 3000 km im Jahr mit dem Fahrrad in unserem Stadtverkehr auf Alltagswegen, dann wirst du mich (und die anderen hier) gut verstehen. Es wird dir meist nicht gelingen, dies ohne Regelverstöße zu tun, wahrscheinlich sogar, ohne dass du das bemerkst.

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  5. Wie kommt man für Stuttgart auf 1.400 km Straßen, die dem Autoverkehr vorbehalten sind? Mir scheint die Angabe etwas übertrieben.

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    1. Natürlich ist das eine bewusste Falschinformation, hier mal die Fakten:

      Im Stadtgebiet von Stuttgart gibt es nach aktuellen Informationen ein **klassifiziertes Straßennetz** (z. B. Bundes-, Landes-, Kreisstraßen), das in städtischer Verantwortung liegt und etwa **176 km** lang ist. Darüber hinaus kommen etwa **500 km an Vorbehaltsstraßen** hinzu – das sind stark frequentierte Straßen wie Tempo-50-Boulevards mit Bündelungsfunktion. Zusammengefasst umfasst der Straßenkörper – also also alle Straßen inklusive Anliegerstraßen, Tempo-30-Zonen, Wege u. Ä. – eine Gesamtlänge von rund **1 300 km** im Baulastbereich der Stadt Stuttgart ([verlag.fgsv-datenbanken.de][1]).

      Zusätzlich existieren in Stuttgart zahlreiche nicht klassifizierte Wege: Laut einer Karte von mapz.com umfasst das Stadtgebiet etwa **4 718 km an Straßen und Wegen**, darunter auch Fußwege, Parks, ggf. private oder unbefestigte Wege ([Mapz][2]). Allerdings ist unklar, ob alle diese Wege tatsächlich öffentliche Straßen im engeren Sinne sind.

      ---

      ### Überblick:

      | Kategorie | Länge (km) |
      | -------------------------------------------------------------------- | ------------ |
      | Klassifiziertes Straßennetz | ca. 176 km |
      | Vorbehaltsstraßen | ca. 500 km |
      | Gesamt öffentlich-städtisches Straßennetz (inkl. Nebenstraßen, Wege) | ca. 1 300 km |
      | Gesamtwege inkl. aller Pfade etc. (laut mapz.com) | ca. 4 718 km |

      ---

      **Fazit**: Eine verlässliche und städtisch gültige Zahl ist die Angabe von **insgesamt ca. 1 300 km Straßen und Wege**, die offiziell zur Baulast der Landeshauptstadt Stuttgart gehören ([verlag.fgsv-datenbanken.de][1]). Wenn du hingegen alle Wege, Fußgängerpfade und ähnliches mitberücksichtigen möchtest, könnte die Zahl bis zu **4 718 km** betragen – diese ist aber weniger klar als reine Stadtangabe und eher eine umfassende Kartenschätzung ([Mapz][2]).

      Wenn du eine spezifischere Untergliederung suchst (z. B. nur Wohnstraßen, nur Tempo-30-Zonen, etc.), sag gern Bescheid – ich helfe dir weiter!

      [1]: https://verlag.fgsv-datenbanken.de/tagungsbaende?_titel=Finanzielle+Bewertung+der+Stra%C3%9Feninfrastruktur+in+Kommunen+am+Beispiel+Stuttgart&order%5Bfa_nr%5D=A&p=5&tagungsband=1921&utm_source=chatgpt.com "Tagungsbände"
      [2]: https://www.mapz.com/maps/Stuttgart?utm_source=chatgpt.com "Download Map Stuttgart"

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    2. Danke für diese ausführliche Darstellung.

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  6. Grundsätzlich sollte es verboten sein, irgendwelche Fahrradfurten zu markieren, wenn diese nicht an eine Radverkehrsanlage anschließen (freigegebene Gehwege sind keine Radverkehrsanlage!). Diese zweifelhaften Markierungen führen halt oft zum Fehlverhalten von Radfahrern und zu Diskussionen mit Autofahrern, die meinen, man solle gefälligst den "Radweg" benutzen.

    Grüße Volkmar

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    1. Da stimme ich dir zu. Gehwege sind keine Radwege. Aber die Stadt zählt genau diese ungefähr 130 km freigegebener Gehwege zum Radverkehrsnetz.

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