Der Regen ist die größte Angst derer, die vom Auto aufs Fahrrad umsteigen wollen. Radeln sie dann ein paar Monate, merken sie: So schlimm ist er gar nicht. Es regnet gar nicht so oft. Und es gibt Regenkleidung.
Regen ist sogar etwas Besonderes in Stuttgart. Die Luft riecht gut und ist sauerstoffgesättigt, das Radeln fällt uns leicht, und die Sinne erleben mehr: Tropfen, Rauschen, spiegelnde Fahrflächen, das Gefühl, selbst ein Held oder eine Heldin zu sein. In Stuttgart wurden rund 170 Regentage fürs vergangene Jahr verzeichnet. Wobei schon ab einem Niederschlag von 0,1 mm (irgendwann am Tag) ein Regentag definiert wird. Und es bedeutet nicht, dass es überhaupt, geschweige denn durchgeregnet hat, Es könnte auch in der Nacht gegossen haben, oder am Nachmittag eine Stunde. In Stuttgart regnet es zwar inzwischen auch öfter als vor zehn Jahren, aber immer noch recht wenig. In der überwiegenden Mehrheit der Tage, die wir Rad fahren bleibt es trocken. Kein Grund also, das Wetter vorzuschieben, wenn man nicht Rad fahren will.
Wenn wir Radfahren, lernen wir endlich wieder das Wetter kennen.
Wir lernen, wie wir uns zu welcher Jahreszeit und bei welchen Außentemperaturen anziehen müssen, wir lernen, die richtige Kleidung anzuhaben, und wir lernen, finstere Wolken, Windrichtungen und Regenschauer richtig einzuschätzen. Für den Rest gibt es Wetter-Apps und den Regenradar, der ziemlich genau ist, vor allem, wenn man sich Wolkenbewegungen anzeigen lässt. Und bald fangen wir an, unsere direkte Beziehung zum Wetter und zur frischen Luft zu schätzen. Die meisten Menschen mögen nämlich Naturerfahrungen, und nicht nur die sonnigen.Mit dem Regen freundet man sich nach meiner Erfahrung allmählich an. Im ersten Winter meines Aufstiegs aufs Fahrrad bin ich bei schlechtem Wetter nicht geradelt. Dann habe ich festgestellt: Auto ist unbequemer wegen der Unberechenbarkeit des Autoverkehrs und wegen der Parkplatzsuche (ich hatte mich ja daran gewöhnt, dass ich immer gleich lang ins Geschäft brauchte und nie nach einem Abstellplatz suchen musste), und habe mich nach Regenkleidung umgesehen.
Dabei habe ich festgestellt, dass Regenkleidung mit Bedacht ausgewählt werden muss. Zu billig und es feuchtet durch, wenn es ordentlich regnet. Vor allem an den Beinen ist das blöd. Einmal saß ich acht Stunden mit kalt-feuchten Hosenbeinen im klimatisierten Büro und war anschließend erkältet. Also habe ich mir bessere - und damit deutlich teurere - Regenkleidung gesucht. Es ist vergleichsweise unkompliziert, den Oberkörper zu schützen. Regendichte Outdoor-Kleidung gibt es zuhauf und hat man vielleicht eh schon.
Aber wie schützt man die Beine? Radregenhosen werden überall angeboten: teure dicke und billigere dünnere, weite und enge, für Damen und Herren. In den einen wird man entweder durch Schwitzen von innen nass, die anderen feuchten an den Knien und Oberschenkeln durch. Inzwischen gibt es atmungsaktive und regendichte Hosen, die aber auch was kosten, und die Knie werden trotzdem immer irgendwann feucht. Für alle, die genauer wissen wollen, worauf man bei den Wassersäulenbezeichnungen achten muss, hier ein Link.
Einmal musste ich mir dann so eine Regenhose auf dem Weg zur Arbeit anziehen, als es zu schütten anfing, und kippelte auf einem Bein herum, weil ich versuchte, die Hose über die Schuhe zu bekommen, während die Autofahrenden an der Ampel standen und mir interessiert zuschauten (und vermutlich "Du arme Sau!" dachten). Auch Regenhosen mit seitlich durchgehenden Reißverschlüssen sind, wenn es schüttet, alles schnell nass wird und die Hände klamm sind, nicht wirklich besser zu händeln, man fummelt an Reißverschlüssen herum. Der Spiegel hat einen aufwändigen Vergleich von Regenhosen angestellt, und dabei auf Material und die Leichtigkeit beim An- und Ausziehen geachtet. So richtig ideal ist aber keine. Nach vielen Experimenten bin ich zur Regenhose zurückgekehrt, allerdings zur teuersten von Goretex (denn nur die hält auf einer Fahrt von über einer halben Stunde auch dicht), und ist zudem weit genug, um sie schnell anziehen zu können.
Mit dem Obenrum kann man auch experimentieren. Richtig zufriedenstellend fand ich noch nichts. Ich dachte mal, ein Regenponcho, den man über zum Lenker ziehen kann, ist eine gute Idee. Aber dann sieht man beim E-Rad weder Bordcomputer noch Schaltknöpfe, den Handynavi oder die Klingel. Und ich stellte schnell fest, dass sich bei Regen zwischen Lenker und mir im Poncho eine Pfütze bildet. Ponchos sind gut, weil wenn man sie über den Rucksack werfen will, ansonsten sind sie zu weit und flattern. Viele Ponchos haben innen Gummibänder, um das zu verhindern, aber da muss man dann erst einmal richtig hineinfinden.
Kombinationen und wandelbare Regenmäntel. Derzeit bietet AGU (ein teuer Radregenklamottenhersteller) eine Regenjacke an, deren Schöße man bis zum Lenker hochziehen kann, um die Oberschenkel zu schützen, und einen Regenmantel vor allem für Frauen auf Tiefeinsteigern, der eine knöchellange Schürze zum Ausfalten hat, die die Beine schützt. Neuer ist ein weniger kompliziert auffaltbarer Regen- und Wintermantel. AGU probiert sehr viel herum. Ich habe mich nie entschließen können, irgendwas davon zu kaufen und auszuprobieren, weil es ja doch nie so funktioniert, wie ich es mir erhoffe: schnell anzuziehen, deckt Beine ab, flattert nicht und absolut wasserdicht. Das gilt auch bei dieser Kombination aus Regenkittel mit herausfaltbaren Hosenbeinen, die Regencombi oder auch Tex-Lock für nicht ganz kleines Geld anbieten. Geworben auch für die sogenannte Drachhaut, eine kurze Schürze, die man sich um den Leib bindet und mit Schlaufen in den Lenker einhängt, sozusagen der untere Teil eines Ponchos. Bei Seitenwind sicher ungeeignet, bei kurzen Strecken wird sie von manchen sehr geschätzt. Ich habe sie nicht ausprobiert.
Leider kann man das alles in so gut wie keinem Radladen anprobieren, schon gar nicht gesammelt, weil die Händler:innen nur den Standard vorhalten (Ponchos, Hosen und Jacken). Deshalb weiß man nie, wie funktional die Sachen sind, wie viel Gefummel sie erfordern und ob sie mit der eigenen Figur oder dem Fahrrad kompatibel sind. Und das alles finde ich persönlich entscheidend. Leider verkaufen sich ausgeklügelte Regenkleidungslösungen schlecht, weil die Radläden sie nicht in ihr Sortiment aufnehmen. Die sind auch mehr auf Männer orientiert, und die sind mit Regenhosen und Regenjacken oder Ponchos offenbar zufrieden. Gerne haben sie auch im Büro trockene Sachen zum Wechseln, was für Frauen nicht so die Option ist, weil sie ja jeden Tag was anderes anziehen wollen, was zusammenpassen muss - und das ist auch noch gelegenheits- oder stimmungsabhängig. 
Nasse Handtaschen und Rucksäcke braucht auch niemand. Für Handtaschen gibt es Gepäckträgerboxen oder eben wasserdichte Seitentaschen. Ich trage sie aber meist unter dem Regenkittel. Man kann auch wasserdichte Rucksäcke kaufen Genauso gut kann man Überzieher für Rucksäcke, Statteltaschen, übrigens auch für den Radkorb kaufen. Auch Ponchos lassen sich über die Rucksäcke ziehen, dafür sind sie gemacht.
Schuhe können eklig nass werden. Stundenlang in nassen Socken und Schuhen herumsitzen ist eine Herausforderung fürs Immunsystem. Am besten schützen Chelseaboots aus ordentlichem, festem und glattem Leder oder Schuhe mit Goretex oder mit Sympatex-Membran, die es heutzutage auch in sportlich bürotauglichen Varianten gibt. Wer auf schickes Schuhwerk auf der Arbeit nicht verzichten will, sollte sich entweder ein Paar ins Büro stellen (was Frauen nicht machen, weil die Schuhe ja zum Outfit passen müssen und frau nicht immer dieselben tragen möchte) oder die Pumps auf dem Rad dabei haben. Ich habe auch mit Regenüberziehern über den Schuhen experimentiert, aber das ist dann ein An- und Ausziehgefummel mehr, als man ohnehin mit Regenkleidung hat. Und die nassen Regenklamotten muss man ja dann alle ins Trockene mitnehmen - je mehrteiliger, desto verlustanfälliger - oder in die Satteltasche oder Box stopfen (die dann feucht wird und daheim ausgeräumt und ausgelüftet werden muss).
Regenklamotten müssen irgendwo transportiert werden, wenn es nicht regnet. Auf dem Weg zur Arbeit oder zu einem wichtigen Termin in einen Regenguss zu geraten, ist extrem ungünstig, das war mir schnell klar. Also brauchte ich einen Behälter am Rad, um die Regensachen mitzunehmen, die ich im Fall der Fälle anziehen wollte, und die ich nicht danach mit mir herumschleppen, sondern beim Fahrrad lassen wollte. Und meine Handtasche sollte auch nicht nass werden. Ich landete schnell bei einer Gepäckträgerbox, abschließbar, die auch den Helm beherbergt, den ich auch nicht überallhin mitschleppen will. Regenklamotten muss man natürlich bei Hochdrucklage im Sommer nicht dabeihaben, aber bei unsicherem Wetter lieber einmal zu oft als einmal nicht. Wobei es egal ist, wenn man auf der Heimfahrt nass wird, aber eben nicht, wenn es auf dem Weg zur Arbeit oder zum Termin geschieht.
Ein nasser Sattel ist übrigens auch doof. Während es schüttete, befand man sich drinnen, aber dann kommt man zum Fahrrad zurück, und im Sattel steht eine Pfütze oder das Material ist tiefendurchnässt. Abwischen hilft dann nicht (wobei man dafür meist nur den Mantel oder Jackenärmel hat), man kriegt einen feuchten Hintern, was auf der Heimfahrt egal ist, zu Hause kann man sich umziehen, aber nicht, wenn man zum nächsten Termin radelt. Sattelschutzhüllen sind schon mal gut (man kriegt sie ja auch immer wieder mal als Werbemittel geschenkt), aber die sind auch nicht alle wirklich wasserdicht. Und beim Abziehen muss man aufpassen, dass man das Wasser auf ihnen nicht auf den Sattel kippt. Diese Tropfen lassen sich allerdings zur Not mit dem Ärmel abwischen. Ich ziehe auch gern meinen Regenkittel über den Sattel. Mir ist der Kittel auch ohne Sicherung noch nie vom Rad geklaut worden.
Es regnet auch durch den Helm, falls man einen trägt. Trägt man keinen, wird man ohnehin an eine Kopfbedeckung denken. Eine Kapuze ist im Prinzip eine gute Idee, aber bei Fahrtwind bleibt sie nicht immer auf dem Kopf, sondern rutscht nach hinten, es sei denn, man zieht sie so runter und schnürt sie so eng, dass man kaum noch was sieht. Auch die Kapuzen der Regenkittel sind selten gut, obgleich sie es versprechen. Zieht man sie über den Helm, halten sie nicht bei Fahrtwind, zieht man sie unter den Helm, sind die Ohren zu und zuweilen das Sichtfeld nach links und rechts eingeschränkt. Außerdem wird, falls man eine Brille trägt, die Brille vollgetröpfelt. Das macht meistens nichts, es sei denn, es ist dunkel und alle Lichter vervielfältigen sich in den Tropfen. Es gibt aber mittlerweile wasserdichte Basecaps, die so dünn sind, dass man sie unter den Helm ziehen kann. Der Schirm schützt dann die Brille auch ein bisschen. Und es gibt Duschhauben für Helme.
Regenhaube fürs ganze Fahrrad. Solche Vorschläge gibt es immer wieder. Wenn man es übt, sind sie auch in fasslicher Zeit aufzubauen, wenn es zu regnen beginnt. Aber man muss sie immer teilmontiert am Rad dabeihaben. Ich habe den Verdacht, dass die Beine trotzdem nass werden. Gegen regenreichen Seitenwind helfen sie sicher nicht. Die ganze Zeit will man damit nicht herumfahren, schließlich bremst der Aufbau gehörig. Aber wie man an dem Foto sieht, sieht man auch das auf Stuttgarts Straßen.
Ich bin schon bei echtem Starkregen durch halb Stuttgart geradelt, und das geht. Manche Fahrten kann man verschieben, manche nicht, die muss man machen. Bei Regen dann doch lieber mit dem Auto zu fahren, erweist sich meist als deutlich komplizierter und langwieriger, weil der Autoverkehr dann regelmäßig zum Erliegen kommt, vor allem dann, wenn irgendwelche Straßen überflutet werden. Das Foto zeigt den Tag nach dem Unwetter am Montag, dem 28. Juni 2021, bei dem ich mit dem Rad in Stuttgart Ost unterwegs war. Mich hat vor allem beschäftigt, wie ich verhindere, dass ich von einem Ast getroffen werde. Man kann es nicht verhindern, denn man sieht nicht voraus, wann ein Ast bricht. Bei Sturm (mit oder ohne Regen) sollte man sich wirklich überlegen, ob es gut ist, durch einen Wald oder durch den Schlossgarten zu radeln. Autostraßen sind dagegen meistens breit und es ragen kaum je Baumäste in sie hinein, die abbrechen könnten.
Wenn es regnet, passe ich sehr viel besser auf. Ich bremse öfter und vergewissere mich, dass der Autofahrer mich gesehen hat. Denn ich weiß, dass auch Autofahrende bei Regen schlechter durch ihre Windschutzscheiben und Seitenfenster sehen. Zudem sind sie gestresster, weil nix vorangeht. Ich fahre auch langsamer, denn auf regennassen Fahrbahnen kann man in Kurven ausrutschen, nicht alle Untergründe, die man uns Radfahrenden so anbietet, sind zuverlässig. Mit einem Pedelec sollte man auch nicht durch überflutete Stellen fahren, denn die Elektrik im Motor verträgt zwar Regengüsse, aber nicht unbedingt ein Tauchbad.Und wenn ich dann angekommen oder wieder daheim im Trockenen bin, bin ich erfrischt, angeregt, habe viel erlebt und freue mich über die Wärme. Regenfahrten sind eigentlich nämlich ziemlich schön, wenn man sie nicht ständig machen muss.
(Der Artikel ist im Dezember 2022 zum ersten Mal erschienen und wurde von mir aktualisiert.)






Am Besten finde ich es Ersatzkleidung dabei zu haben, wenn es regnet. Auf jeden Fall ein zweites Paar Socken und (Haus)schuhe und/oder zweite Hose, die man dann im Büro bei der Arbeit anziehen kann. Bis am Abend sind dann die nassen Sachen wieder trocken.
AntwortenLöschenWenn ich jeden Tag in ein Büro führe wo ich dann mehrere Stunden verbringe, würde ich auch mit angepasster Kleidung radfahren und mich dann umziehen.
LöschenThema Brille: wenn es richtig gallert, setze ich eine gelbe Schutzbrille vom Baumarkt, die gerade mal ein paar Euro kostet, über meine normale Brille.
LöschenIch musste ein bisschen probieren, bis ich eine fand, die gut drüber passte.
Der große Vorteil: Über die Baumarktbrille kann ich mit Handschuhen problemlos drüberwischen, ohne meine teure Brille zu verkratzen. Und gelb bietet bei schlechtem Wetter und Nebel viel besseren Kontrast.
Das ist sicher keine Lösung für die große Masse, aber für mich hat sich beim Pendeln das Velomobil bewährt, darauf möchte ich gerade im Winter nicht mehr verzichten.
AntwortenLöschenDie finde ich auch toll. Das einzige, was mich stört, ist, dass man da so tief auf der Straße liegt.
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