29. Oktober 2025

Baden-Württemberg für die Leichtigkeit des Radverkehrs

Das Verkehrsministerium Baden-Württemberg hat im Oktober 2025 einen Erlass veröffentlicht, der den Radverkehr erleichtern soll. 

Ich finde zwei Aspekte bemerkenswert. Zum einen geht es um Umlaufsperren und Sperrpfosten, zum anderen um die Kennzeichnung von Radwegen ohne Benutzungspflicht, die nicht zugleich auch Schrittgeschwindigkeit anordnet.  

Sperren sind für den Radverkehr gefährlich, zum einen, weil es auch breitere Räder gibt - Lastenräder, Dreiräder, vierrädrige Tandems etc. -, zum anderen, weil wir mit unseren Rädern heute schneller fahren als früher. Zitat: "Der Erlass stellt deshalb fest, dass auf Pfosten, Poller, Umlaufsperren oder Schranken grundsätzlich, wo möglich, verzichtet werden solle. Mit dem Erlass nicht übereinstimmende Verkehrseinrichtungen und -hindernisse seien zu ändern oder zu entfernen." Bei Umlaufsperren dort, wo Radwege eine Straße überqueren, solle dann zum Beispiel die Geschwindigkeit auf der Straße begrenzt werden. 

Ich denke, dass es uns in der Rad-Community einige Mühe machen wird, die Sperrpfosten, die ja meist gegen unrechtmäßigen Autoverkehr aufgestellt worden sind, wegzubekommen, etwa auf dem Ferdinand-Leitner-Steg, der als Gehweg Rad frei ausgeschildert ist, oder auf den Rad- und Fußbrücken am Pragsattel. Und eine Umlaufsperre, die das Tempo des Radverkehrs bremsen soll und auch muss, wie an der Unterführung unter der Aubrücke von und zum Max-Eyth-See, kann eigentlich nicht entfernt werden, ohne Fußgänger:innen in Gefahr zu bringen. 

Besonders interessant und folgenreich finde ich jedoch Idee für die Kennzeichnung nicht benutzungspflichtiger Radwege.

Gehwege mit Radfreigabe haben wir derzeit in Stuttgart auf einer Länge von rund 150 km. Auf ihnen darf man aber eben nur Schrittgeschwindigkeit fahren, auch dann, wenn kein Mensch zu Fuß unterwegs ist. Das wird stets von allen missachtet, weil man mit dem Rad nicht über Hunderte von Metern oder gar einige Kilometer mit 7 km/h radeln kann. Diese Wege, etwa auf dem Neckardamm zwischen König-Karls-Brücke und Stuttgart Hofen samt Gehweg Hofener Straße, könnte man nun für den Radverkehr freigeben, ohne gleichzeitig Schrittgeschwindigkeit anzuordnen. 

Im Verkehrsministerium von Baden-Württemberg hat man das Dilemma verstanden, in das für den Radverkehr freigegebene Gehwege alle Radfahrende bringen, die sich an die Verkehrsregeln halten wollen. Das weiße viereckige Zusatzschild "Rad frei" darf bei uns nun auch ohne Hauptzeichen, also für sich allein, aufgestellt werden. 

In den "Qualitätsstandards und Musterlösungen für Radverkehrsanlagen Baden-Württemberg" heißt es auf Seite 2.2-3: "Zusatzzeichen 1022-10 StVO „Radfahrer frei” ist eines der wenigen Zusatzzeichen, die auch ohne Hauptzeichen aufgestellt werden dürfen. Die Aufstellung des Zusatzzeichens 1022-10 StVO (Radfahrer frei) ohne Hauptzeichen ist explizit für die Einräumung eines Benutzungsrechts auf linken Radwegen vorgesehen (§ 2 Absatz 4 StVO; VwV-StVO zu § 2 Absatz 4 Satz 3 und Satz 4). In Baden-Württemberg wurde es auch für die Freigabe (Benutzungsrecht) für den Radverkehr in Fahrtrichtung freigegeben. Ohne die Kombination mit Zeichen 239 StVO ist keine Schrittgeschwindigkeit vorgeschrieben." (StVO siehe unten*)

Radwege ohne Benutzungspflicht sind bei uns in Stuttgart selten. Eine Benutzungspflicht darf nur angeordnet werden, wenn es auf der Fahrbahn für Radfahrende gefährlicher wäre. Da Radwege an sich gefährlich sind, sobald der Auto- und Lkw-Verkehr sie an Straßeneinmündungen überqueren kann (z.B. Heilbronner Straße), ist die Hürde eigentlich ziemlich hoch. 

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Der prominenteste nicht benutzungspflichtige Radweg ist der in der Holzstraße von der Planie Richtung Fahrradstraße entlang des Dorotheenquartiers. Hier hatte ein Radfahrer erstritten, dass die Benutzungspflicht aufgehoben wird, weil die vielen Querungen für Autos den Radweg gefährlich machen die Fahrbahn eigentlich sicherer zu befahren ist. Es dürfte aber kaum jemand bemerkt haben, dass das blaue Radwegschild fehlt. Die Radpiktogramme auf dem roten Streifen kennzeichnen ihn als Radweg, wenn auch ohne Benutzungspflicht. Piktogramme auf dem Asphalt sind ebenfalls dazu geeignet, eine Verkehrsfläche für den Radverkehr zu öffnen. Fußgänger:innen dürfen sie dann jedoch nicht betreten. 

Das würde für den Neckardamm und andere lange freigegebene Gehwege bedeuten: Entweder man bringt Rad- und Fußgänger-Piktogramme auf dem Asphalt an oder man stellt das weiße eckige Schild "Fahrrad frei" auf. Das ist die entschieden kostengünstigere Variante. Dafür müsste man nur das blaue Gehwegzeichen über dem Zusatzzeichen abschrauben. Für Fußgänger:innen macht das de facto nicht den geringsten Unterschied, denn Schrittgeschwindigkeit kann und wird auf freigegebenen Gehwegen ohnehin nie gefahren. Radfahrende wären aber nicht mehr wider Willen regelwidrig unterwegs. Das Gebot der Rücksichtnahme und angepassten Geschwindigkeit gilt immer, so wie es auch auf ausgewiesenen Geh- und Radwegen gilt wie etwa im Schlossgarten. 

Also voran, liebe Stadt Stuttgart: für eine neue Leichtigkeit und vor allem Legalität des Radverkehrs! 

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§ 2 Absatz 4 StVO; VwV-StVO zu § 2 Absatz 4 Satz 3 und Satz 4: "Mit Fahrrädern darf nebeneinander gefahren werden, wenn dadurch der Verkehr nicht behindert wird; anderenfalls muss einzeln hintereinander gefahren werden. Eine Pflicht, Radwege in der jeweiligen Fahrtrichtung zu benutzen, besteht nur, wenn dies durch Zeichen 237, 240 oder 241 angeordnet ist. Rechte Radwege ohne die Zeichen 237, 240 oder 241 dürfen benutzt werden. Linke Radwege ohne die Zeichen 237, 240 oder 241 dürfen nur benutzt werden, wenn dies durch das allein stehende Zusatzzeichen „Radverkehr frei“ angezeigt ist. Wer mit dem Rad fährt, darf ferner rechte Seitenstreifen benutzen, wenn keine Radwege vorhanden sind und zu Fuß Gehende nicht behindert werden. Außerhalb geschlossener Ortschaften darf man mit Mofas und E-Bikes Radwege benutzen."






11 Kommentare:

  1. Das führt doch nur dazu, das unsägliche Konstrukt freigegebener Fußweg zu zementieren. Wo doch stattdessen dieser Mist durch (mithilfe der bekannten Maßnahmen hergestellte) vernünftige Verhältnisse auf den Fahrbahnen schleunigst zu beseitigt werden müsste.

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    1. Ich fürchte es führt auch zu nichts. Ich halte es für eine Illusion, anzunehmen, dass die Stadt mehr Radwege und Radfahrnstreifen anlegt, um von den Gehwegen wegzukommen. Und dann sollten die für uns wenigstens legal befahrbar sein, finde ich.

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    2. Gibt es schon seit langem in Bremen als "Bremer Radweg". Und genau das ist passiert, diese Beschilderung wird meist genutzt um eigentlich ehemalige Radege, die nicht mehr zumutbar sind und daher nicht verpflichted sein können, ohne bauliche Maßhnahmen weiter als "Fahradinfrastruktur" reklamieren zu können. Ist nur einen Hauch weniger unehrich als "Gehweg/Fahrrad frei" und hat das Potential für Fahrradfahrer das Haftungsrisiko zu vermindern, aber "gerichtsfest" ist der Aspekt noch lange nicht.

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    3. Die Gefahr sehe ich auch, zumal, wie ich höre, Stuttgart die Freigabe weiterer Gehwege als Radinfrastruktur plant. Mir kommt es aber darauf an, dass wir legal (also in legalem Tempo) dort radeln dürfen. Die Fahrbahn ist für routinierte und sorglose Radfahrende ja immer eine Alternative. Aber keine Frage: Ich bin für den Ausbau einer echten Radinfrastruktur auf der Fahrbahn.

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  2. Schaut man insgesamt die neuen Musterlösungen und Qualitätsstandards und den Erlass an: VM Hermann haut auf seine letzten Tage im Amt, noch ein paar Hammer raus, die juristisch/rechtlich alle 'sehr wackelig' sind. Und dazu gehört auch das jetzige ZZ-1022-10 in Fahrtrichtung auf Gehwegen. Auch jetzt bleibt: Ein Gehweg ist kein Radweg. Ich gehe weiterhin von einer 100%igen Alleinhaftung für den Radfahrer aus. Aber zumindest werden 11jährige somit nicht gezwungen auf der Fahrbahn zu fahren. Schon mal ein Mehrwert.

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    1. ich gehe auch von einer Alleinhaftung der Radfahrenden bei usammenstößen mit Fußgänger:innen aus, aber die Polizei kann bei Zusammenstößen von Autofahrern mit Radfahren in einer Straßeneinmündung auf dem Radstreifen nicht mehr selbstverständlich davon ausgehen, dass der Radfahrer zu schnell war und eine Mithaftung aussprechen. Und die 11-Jährigen müssen nicht permanent die Verkehrsregel Schrittgeschwindigkeit verletzen.

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  3. Es gibt ja auch jüngere Kinder als die 11-jährige Laura.
    Was geschieht mit den Kindern, die schon selbstständig laufen können, aber noch nicht in der Lage sind auf schnellen Radverkehr selbstschützend zu reagieren?
    Braucht es künftig Kinderleinen?
    Lassen sich Hundeleinen und Hundehalsbänder kostengünstig zu Kinderhlabändern umbauen. Was wäre eine angemessene Leinenlänge, und werden die Eltern bestraft bzw. in Haftung genommen, wenn sie ihre Kinder umangeleint durch Parks bzw. auf Parkwegen laufen lassen?
    Aber gut, so ist das halt, wenn sich Politik und Verbände darauf geeinigt haben den Radverkehr nicht auf Kosten des MIV zu entwickeln, sondern Rad und Fuß aufeinander zu hetzen.
    Immerhin wäre es eine gute Geste, wenn sich die BW-Politik dazu durchringen könnte angemessene staatliche Subventionen für 'kindgerecht' ausgestattete sichere Kinderleinen zur Verfügung zu stellen.
    Alfons Krückmann

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    1. Ich schätze ja deine Glossen, aber diese verstehe ich nicht. Bisher radeln Kinder unter 10 Jahre auf Gehwegen, ohne dort von E-Scooter-Fahrern (illegal) oder Radfahrenden (oft auch illegal) tot gefahren zu werden. Sie brauchen keine Leinen und sie müssen sich auch nicht schützen. Im Grunde ändert sich überhaupt nichts, falls jemals so ein Schild aufgehängt werden sollte. Es bleibt alles komplett so, wie es ist. Nur sind die Radfahrenden nicht mehr illegal unterwegs.

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    2. Oh, ich meinte gar nicht die Kinder auf dem Rad, sondern:
      "Was geschieht mit den Kindern, die schon selbstständig laufen können, "
      die kleinen Kinder, die mit hohem Bewegungs- und Spieldrang zu Fuß unterwegs sind.
      In fast allen Teilen der Stadt ist, wie in fast allen Städten, freie Kinderbewegung schon lange nicht mehr möglich (autogerechte Kinder Zurichtung), zunehmend ist das jetzt auch - bedingt durch die Radverkehrsführung - in Parks der Fall.
      Auch in der Autostadt Münster (NRW) gibt es den Trend Radverkehr durch die Parkwege zu leiten und (leider immer noch der Regelfall, obwohl sich Einiges gebessert hat) von den Fahrbahnen zu verbannen, was dazu führt, dass Kinder selbst in den wenigen zur Naherholung geeigneten Parks nicht frei auf den Wegen herumlaufen können. Den Hunden ist das Freilaufen gestattet (natürlich mit jeder Menge LED bestückt), die Kinder werden aber mittlerweile bedingt durch den immer schnelleren auch motorisierten Radverkehr, der strategisch auf eben diese die Parkwege gewegweist worden ist, von ihren Eltern an Hand oder Kapuze gehalten, kaum dass sie den 'baulich gesicherten' d.h. eingezäunten Spielbereich verlassen.
      Blinde und Rollifahrende sind in den Parks mittlerweile keine mehr zu sehen.
      Das ist m.E. kein guter Trend, auch wenn ich - zugegeben - noch(!) keine buchstäblich angeleinten Kinder gesehen habe ...

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  4. #Autolobby Bald auch in Deutschland? Nur noch irre: https://m.bild.de/leben-wissen/lifestyle/maximal-6km-h-erstes-eu-land-fuehrt-tempolimit-fuer-fussgaenger-ein-6901cbd959e2e0975070ee88

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    1. Das ist ein Presse-Clickbait. Es geht eher nicht darum, dass niemand auf einem Gehweg joggen darf, sondern vor allem darum, dass Fahrräder und E-Scooter auf Gehwegen nicht schneller als 6 km/h fahren. Ich kenne die Regeln in der Solwakai nicht, aber auf mich macht das den Eindruck, als hätten sie ihre Gehwege bisher nicht richtig definiert.

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