21. September 2014

Radstrategie Baden-Württemberg - radelnde Bürgerinnen und Bürger reden mit

Am Samstag den 20. September war Abschlussklausur der Bürgerbeteiligung des Landes zur Förderung des Radverkehrs. 

Das Verkehrsministerium Baden-Württemberg hat vor einem Jahr eine Bürgerbeteiligung zum Thema Verkehrswegeplan 2025 angestoßen, bei der es um Fahrradfahren geht.
In allen vier Regierungsbezirken fanden Treffen derer statt, die sich vorher an einer online-Befragung beteiligt hatten. Über das Treffen in Stuttgart habe ich berichtet. Weitere gab es in Karlsruhe, in Tübingen und Freiburg.

Die spannende Frage heute: Wie bringt man mehr Menschen dazu, vom Auto aufs Rad umzusteigen?


Das  Umweltforschungsinstitut ufit sah nach der Auswertung der Ergebnisse der vier Teffen in den Regierungsbezirken Vertiefungsbedarf in den Aspekten, der Öffentlichkeitsarbeit. Wie also bewegt man Menschen, aufs Rad umzusteigen, welche Kampagnen sind denkbar, wie erreicht man alle Altersgruppen und Schichten? Wie kriegt man es hin, dass ins allgemeine Bewusstsein dringt, dass Rücksichtnahme ein guter Verhaltensgrundsatz im Straßenverkehr ist? Und so weiter.

Am Nachmittag kam Verkehrsminister Winfried Hermann, hörte sich unsere Ergebnisse an und antwortet auf Fragen.

Bevor ich zu den einzelnen Themen komme, eines vorneweg: Am besten bewegt man Leute, vom Auto aufs Rad umzusteigen, wenn man ihnen sicher befahrbare Radrouten anbietet. Eine gute Radinfrastruktur ist die beste Radförderung. Darum ging es aber heute nicht. Denn das ist bereits allen Politikern klar.  Im Umkehrschluss auch, dass unsere Radverkehrsführung sehr oft noch sehr viel zu wünschen übrig lässt.

Ein Thema: Mehr Rücksicht im Straßenverkehr. Was ärgert Radler an Autofahrern: dass sie drängeln. Was ärgert Fußgänger und Autofahrer an Radlern: dass sie sich nicht an die Regeln halten. Was ärgert Radler an Fußgängern: dass sie nicht gucken und Radler nicht sehen. Wie ändert man das: Man bittet, sich in die jeweils anderen Verkehrsteilnehmer zu versetzen und sich klar zu machen, was denen Stress bereitet. Man sieht im Radler vor sich, der einen nervt, den Doktor oder Lehrer oder die Apothekerin, also eine Person mit Leben und Geschichte. Zusammengefasst in Werben für "Mitmenschlichkeit und Miteinander".

Bei Thema Radfahren zur Arbeit, Dienstfahrten mit dem Rad und Radeln im Alltag wurde deutlich, dass Radler ein Bekenntnis der Arbeitgeber zum Radfahren vermissen. Es gibt teure Dienstwagen, aber keine Dienstfahrräder (die entsprechen steuerlich gefördert würden). Betriebe belohnen Arbeitnehmer nicht, die mit dem Rad kommen (Autofahrer bekommen kostenlose oder verbilligte Parkplätze, Straßenbahnfahrer einen Zuschuss zum Ticket, was aber bekommen Radfahrer?) Die Kilometerpauschale von 5 Cent  fürs Radeln ist eh ein Witz (siehe dazu noch mal ganz unten). Die Arbeitsrunden schlagen für Betriebe einen Fahrradbeauftragten vor. Und die Sorge darum, dass Radfahren für kurze Strecken innerhalb der Arbeit und rund um die Arbeit ein positives Image bekommt. (Über Duschen und Radaufstellplätze haben wir bei anderer Gelegenheit geredet, dies eine Voraussetzung.) Und wir könnten uns einen Wettbewerb "radfreundlicher Betrieb" vorstellen, der vom Land angestoßen wird.

Und wo stellt man viele Räder am Verkehrsministerium ab?
Gar nicht man muss sie reinstellen. Tja. 
Pedelecs bringen immer mehr auch ältere Menschen zum Radfahren zurück. Manche steigen nach jahrelanger Abstinenz wieder aufs Rad. Die Politik scheint sehr besorgt über steigende Unfallzahlen. In der Tat ist auch die Arbeitsgruppe der Versuchung erlegen, älteren Wieder-Einsteigern bei Radeln medizinische Tests, Sicherheitstrainings und allerlei Schutzkleidung ans Herz zu legen. Offenbar traut unsere Gesellschaft den Leuten, die sie als alt definiert, nicht wirklich viel zu. Aber egal. Man könnte sicher mehr Ältere (auch Gehbehinderte) aufs Rad kriegen, wenn es schick wäre, ein Pedelec-Dreirad zu fahren (mit dem man wunderbar Einkäufe transportieren kann) oder wenn der Verkehr insgesamt etwas langsamer wäre. Einen Gedanken, der am Ende nicht vorgetragen wurde, fand ich dabei auch noch interessant: Liebe Ärzte, empfehlt doch das Radfahren, es ist gut für Gelenke und belebt insgesamt. Es verlängert ein selbstbestimmtes Leben. 

Aufgefallen ist in einer Themen-Arbeitsgruppe auch, dass Leute mit Geld, Bildung und Beruf mehr Rad fahren als Leute ohne all das. Vor allem auch die Kinder. Wie schafft man es, dass Radfahren auch denen schick (und nicht als Zeichen von Armut) vorkommt, die in eher prekären Verhältnissen leben? Wir haben hier eine intensive Radförderung im Kindergarten und in der Schule vorgeschlagen, wobei vom Gesetzgeber solche Hemmnisse für Lehrer/innen wie Versicherungsschutz geklärt werden müssten.

Meine eigene große Frage ist immer gewesen: Wie beseitigt man das Gefühl der Unsicherheit, das viele bei dem Gedanken beschleicht, beispielsweise in Stuttgart mit dem Rad zu fahren? Und wir haben auch wild darüber diskutiert, weil die meisten meinen, man müsse nur Radwege bauen. Radwege kommen einem subjektiv sicher vor, sind aber de fakto gefährlicher als das Fahren auf der Fahrbahn. Nur da fühlen sich die Radler viel unsicherer, weil der Verkehr von hinten kommt. Es müsste also echte sachliche Informationskampagnen geben: Welche Regeln gelten, welches Verhalten ist gefährlich und für wen, wie geht sicheres und auf Eigenschutz bedachtes Radfahren und so weiter.

All dies in Kampagnen gefasst: Werbung mit Plakaten für ein besseres Miteinander. Und überhaupt fürs Radfahren. In Konstanz habe ich Plakate gesehen, die fürs Radfahren werben. Leider habe ich keines fotografiert: Darauf ein Frauenbein im Schuh mit hohem Absatz auf einem Radpedal. Was halt Männern so einfällt, wenn sie Radfahren als "sexy" darstellen wollen. (Gääähn.)

Minister Hermann meinte dann, er habe beim Zuhören gedacht, im Prinzip wüsste er das alle schon, und es werde auch gemacht, allerdings eben nur von wenigen Städten. Das Land unterstützt Kampagnen zur Hälfte der Kosten, es unterstützt auch Städte, so Hermann, beim Bau von Radwegen, aber nur, wenn die Stadt auch ein Radkonzept vorlegt. Nach seinen Worten darf man nicht so tun, als sei Radfahren nicht ziemlich gefährlich. Er ist ein Verfechter der Helmpflicht, aber momentan hat er keine politische Mehrheit dafür. Ich bin ja bekanntermaßen eine Gegnerin der Helmpflicht, aber wir hatten noch nie so viele ältere Wiedereinsteiger beim Radlen wie jetzt, und nicht bei allen ist am Anfang die Fitness, Geschicklichkeit und die Übung in unseren engen Verkehrsverhältnissen vorhanden. Da wäre ein Helm schon nicht schlecht zum Schutz bei Stürzen. (Merke: Die meisten schweren Unfälle erzeugt der Radler mit sich allein.)

Ach ja, und noch was. Wie engagiert die Bürgerinnen und Bürger (mehr Männer als Frauen wie üblich bei Radthemen) waren und sind bei diesem Projekt zeigt auch, dass etliche aus Freiburg und Karlsruhe angereist sind, und dies auf eigene Kosten. Denn bei der Planung der Bürgerbeteiligung hat man leider vergessen, einen Posten für Fahrtkosten-Erstattung einzuplanen und nachträglich ist dafür mit keinem Mittel mehr Geld locker zu machen. Aber das Essen war gut und reichlich, und wir haben Kleinigkeiten fürs Rad geschenkt bekommen (Klingel, T-Shirt, Reflektoren, Hosenklammern).

Und hier noch mal die Kilometerpauschale fürs Fahrrad: 
Und für alle, die der Diskussion darüber gelauscht haben, ob die Kilometerpauschale fürs Fahrrad von 5 Cent jetzt vom Gesetzgeber gestrichen wurde, hier der Link, auf dem diese Information vermutlich beruht. Ob der Autor das Gesetz richtig interpretiert, kann ich nicht beurteilen. Verkehrsminister Hermann meinte, er habe davon nichts gehört, dass Radfahrer keine Fahrtkosten mehr abbrechnen könnten, und auch andere Fachleute seines Ministeriums konnten das nicht bestätigen. In diesem Artikel und Gesetz ist übrigens von "motorisiertem" Verkehrsmitteln die Rede. Und da kann man jetzt mit einem Pedelec (das einen Motor hat) wieder neu zu diskutieren anfangen. Ohnehin sind 5 Cent pro Kilometer für einen Radler nicht der Rede wert, weil er meistens nicht wirklich mehr als 20 km Wegstrecke zurücklegt. Dafür bekommt er dann einen stolzen Euro. Die meisten Strecken betragen aber rund 5 km, also 25 Cent.

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